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„Deutsche Küche“: Dieser AfD-Post wurde mit nur einem Kommentar zerlegt

von | Jul 22, 2019 | Aktuelles, Social Media

Die AfD und die „deutsche“ Küche

Der Berliner AfD-Abgeordnete Gunnar Lindemann, aus dem besonders rechtsextremen Flügel, findet die „deutsche Kultur“ zeige sich nicht nur an ihrer „Küche“, siehe gehe auch „den Bach ab“. Warum? In Deutschland gebe es nur 35,5% „heimische Küche“. Das hat nämlich eine US-amerikanische Studie festgestellt. Also eigentlich hat sich die Studie angeschaut, wie groß der internationale Austausch verschiedener „Küchen“ ist.

Eine Randbeobachtung, die der Ökonom gemacht hat: Er hat aufgezählt, wie hoch jeweils der Anteil der „heimischen“ Küchen in den eigenen Ländern ist. Und dort liegt der Anteil in Deutschland beim „mageren“ 35,5%. Für die WELT, die gerne Dinge so darstellt, dass sie vermeintlich das derjenigen bestätigt, die dem „Untergang“ des Abendlandes nachweinen – und damit auch denjenigen, die sich eine „Islamisierung“ herbeispinnen, wurde daraus: „Nirgends wird „heimische Küche“ so zurückgedrängt wie in Deutschland“.

Framing ist alles: Obwohl die Studie keine Entwicklung aufzeigt, wird von einer „Zurückdrängung“ gesprochen. Klar, der Einwand könnte sein, dass es „irgendwann“ Mal 100% gewesen sein muss. Und da haben wir den Denkfehler von WELT und Herrn Lindemann. Welche mystische, verklärte Vergangenheit war das denn? Wie weit müsste man zurückgehen? Und gab es da überhaupt schon „Deutschland“? Und hier setzt der Kommentar von Rene Steinberg an.



Kartoffel aus südamerika und curry aus indien

Der Kabarettist Rene Steinberg hat den Beitrag des AfDlers dann so pointiert kommentiert, dieser kann erst einmal für sich selbst sprechen:

„Deutsche Küche wie ein „Wiener Schnitzel“? Sie müssen jetzt sehr stark sein, aber die Kunst des Einhüllens von Fleisch und das anschließende Braten in Fett stammt aus Konstantinopel. Die Mauren brachten es nach Europa. Ihr urdeutsches Schnitzel ist also quasi eine bestens integrierte arabische Spezialität. Achso… die Kartoffel wurde aus Südamerika importiert. Das Wort Soße leitet sich aus dem Französischen ab. Würste gab es bereits in der Antike in Griechenland und Rom als die Germanen noch auf Bäumen sassen. Currywurst? Raten sie mal, wo der Curry herkommt?

Kurzum: gerade Kochkunst ist ein herrliches Beispiel dafür. wie wichtig, schön und auch lecker der Austausch von Kulturen und Offenheit ist. Ohne diese gäbe es nicht das, was sie heute „deutsche Küche“ nennen. Da ginge es den Bach RUNTER! (über den Verfall geflügelter Worte in der deutschen Sprache könnten sie sich ja mal kümmern). Ich wünsche allzeit guten Appetit.

Leider kann man den Kommentar inzwischen nicht mehr auffinden, denn Gunnar „Mut zur Wahrheit“ mag keine freundlichen Kommentare, die aufzeigen, was für einen Quark er da verbreitet. Herr Steinberg ist auch auf der Seite gesperrt worden (Mehr dazu). Man freut sich stets über die Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit von AfD-Politikern. Erfrischend.

Gunnar Lindemann ist auch nicht allein damit, der „deutsche Küche“ nachzutrauern. Auch Stephan Protschka will „deutsche Esskultur erhalten“. Ist die denn bedroht? Aber bevor wir eine Elegie halten mal zur spannenderen Frage: Was ist denn „deutschen Küche“?

Was ist denn „deutsche küche“?

Das dürfte auch beantworten, warum die „heimische Küche“ in Deutschland so wenig verbreitet ist. Denn für die Studie wurden per TripAdvisor und Euromonitor Restaurants mit dem Etikett „deutsche Küche“ analysiert. Aber was zählt dazu? Ist ostfriesisches Essen mit traditionell bayerischer Küche vergleichbar? Mit Hessen? Zählt schlesische Küche dazu? Und nennen sich diese dann „deutsch“ oder anders?

Allein aufgrund der deutschen Geschichte hat sich nie eine derartig einheitlich dominierende „Küche“ entwickelt wie beispielsweise die „italienische“. Nicht wenig überraschend, dass der Anteil der „heimischen“ Küche dort am größten ist. Natürlich finden sich dann in Deutschland entsprechend weniger Restaurants mit „heimischer“ Küche. A propos: Die „deutsche Küche“ ist auch nach der Studie immer noch die beliebteste. Denn an zweiter Stelle (wenn man Fast Food mit einrechnet) steht Amerikanische mit nur einem Anteil von 13,8% und dann Italien mit 11,9%.

Die WELT und die AfD hätte auch titeln können: „Deutsche Küche“ die beliebteste Küche in Deutschland (No shit Sherlock). Aber dann hätte man ja kein Framing, das Untergangspropheten wie die AfD dazu nutzen könnte, um Bedrohungsszenarien, „Islamisierung“ oder gar „Bevölkerungsaustausch“-Wahnvorstellungen zu propagieren. Aber sagt das Herrn Lindemann nicht, sonst werdet ihr in einem weiteren Anfall von „Mut zur Wahrheit“ vielleicht auch gesperrt und eurer Kommentar gelöscht. Und der muss ja die deutsche „Kultur“ retten. Aber vielleicht sagt ihm jemand, dass Redewendungen und die Sprache auch dazu gehören.

Artikelbild: Alberto Isidro Orozco, shutterstock.com / Screenshot facebook.com