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Es wäre so viel einfacher, ein rechter Blogger zu sein

von | Nov 23, 2019 | Aktuelles, Schwer verpetzt

Von Hufeisen und moralischen Siegen

Es ist sicherlich eher nur Twitter-Deutschland, aber wir diskutieren gerade anscheinend über gewisse Blogger*innen und Journalist*innen, über Meinungsfreiheit und wie sie durch wen bedroht ist. Ich glaube, noch sind wir uns (theoretisch) einig, dass Mobbing, Doxxing, Morddrohungen, terrorisierte Arbeitgeber*innen keine Methoden sind, die ok sind. Doch zum Problem wird es, wenn relativiert und geleugnet wird, dass so etwas passiert. Während ein Narrativ prominent durch alle Medien gedrückt wird, dass ein paar aus dem Kontext gerissene Proteste von Studierenden die Meinungsfreiheit bedrohen (Mehr dazu), werden schon seit Jahren feministische, linke Autor*innen und PoC durch einen rechten Mob von Plattformen gemobbt – und auch bis ins „echte“ Leben bedroht.

Natürlich sind das „nur“ Rechtsextreme, die (zum Glück [noch?]) nicht den großen Rückhalt in der Bevölkerung haben, doch durch gewisse Multiplikator*innen vom rechten, gerade noch demokratischen Rand wird versucht, die Grenze aufzulösen und diese Methoden zu legitimieren – oder zumindest so lange unter dem Radar anzuwenden, bis man zwar nicht die „Meinungs(äußerungs)freiheit „gerettet“ hat, aber eine Meinungshoheit errungen hat. Wenn Twitter-User, Blogger*innen und Journalist*innen in den letzten Tagen Zusammenfassungen, Analysen und Einschätzungen zu diesen Methoden durchführen, wird das von einigen gerne derart entstellt, als sei das genau das Analysieren und Anprangern genau das gleiche wie das, was analysiert und angeprangert wird. Das ist gefährlich.



Digitale Zivilcourage vs Shitstorms

Meine geschätzte Kollegin Natascha Strobl, die auch ihre großartigen Texte gelegentlich bei uns veröffentlicht, hat dazu kürzlich einen höchst interessanten Thread veröffentlicht. Sie beschreibt – sachlich, wie immer – die angesprochene Methodik, deren Funktion und deren Ziel. Und sie macht eine wichtige Feststellung: Während die Morddrohungen glatt geleugnet und relativiert werden – während einige immer noch unter Polizeischutz stehen – wird Solidarität mit den Opfern, Gegenrede (selbst wenn sie manchmal auch Beleidigungen beinhaltet) und Analysen einfach damit gleich gesetzt. Strobl nennt das hingegen „digitale Zivilcourage“.

Und dabei macht sie ein paar wichtige Beobachtungen, denn die rechten Shitstorms, die nachweislich von Rechtsextremen stammen (siehe unsere Recherche), kommen von teils anonymen Accounts, greifen sich vermeintlich kleine, schlecht vernetzte Accounts heraus, schüchtern sie ein, beleidigen, bedrohen sie rassistisch, misogyn, lookistisch. Und ganz wichtig: Rechte müssen sich für alles das nicht vor ihrer peer group rechtfertigen. Es trifft ja „die Richtigen“, die das schon (irgendwie) verdient haben. Und irgendwelche Screenshots von irgendwelchen aus dem Kontext gerissenen Tweets wird es schon geben, zur Not fälscht man Zitate auch einfach. Hauptsache niemand hinterfragt, ob das alles in Ordnung ist.

Auf der anderen Seite darf ich mir keinen einzigen Fehler erlauben und muss alles belegen. Wie Strobl sagt: „Jede Unachtsamkeit in der Recherche, jedes falsch wiedergegebene Zitat würde den ganzen Artikel unbrauchbar machen. Und das wissen die Leute und deswegen haben wir hier in kürzester Zeit penibel genaue Recherchen bekommen.“ Jede Beleidigung oder jede nicht ganz stichhaltige Feststellung macht uns angreifbar. Zur Not reißt so ein Blogger dann auch mal eine Aussage aus unserem Artikel aus dem Kontext, behauptet, damit sei etwas anderes gemeint gewesen (ohne uns zu verlinken, damit es niemand nachprüfen kann), „widerlegt“ dann den nie gemachten Vorwurf und stellt dann buchstäblich abschließend fest, dass man dann den ganzen Artikel also gar nicht ernst nehmen muss. So einfach ist das. Aber dazu in einem anderen Artikel mehr.

Rechts zu sein wäre so viel einfacher

Wenn ich in einem Artikel satirisch die Methodik von AfD und ihren Kommentarspalten-Trollen aufzeige, wie sie Einzelfälle instrumentalisieren, indem ich es als Beispiel einmal einfach umdrehe (Hier), kommt sofort (die durchaus zutreffende) Kritik daran aus den „eigenen Reihen“. Ich darf nicht einmal in einem provokanten Beispiel (zum Schein) lügen, verzerren oder instrumentalisieren. Ja, wenn ich über den Fall schreibe, dass ein AfD-Funktionär im April in eine Menschenmenge mit seinem Auto gerast ist (Hier) und darin sachlich feststelle, dass niemand diesen Vorfall ausgeschlachtet hat, wird mir vorgeworfen, dass ich das genau in dem Moment tue. Und „eigentlich“ deshalb gar nicht dürfe. Aber halt, wie soll ich sonst darüber reden?

Wenn wir über rechte Trolle und ihre Methoden berichten, dann wird so getan, als sei das ein „an den Pranger stellen“. Doch die Gegenfrage lautet: Wie sollte man denn sonst irgendjemanden kritisieren? Das Problem ist, dass der Vorwurf der Heuchelei bei uns funktioniert, weil wir Wert auf eine konsequente Ideologie legen. Wir können im „linken“ Selbstverständnis nicht die gleichen Dinge tun, die wir an anderen kritisieren. Deswegen wird die ganze Zeit so getan, als wäre das so. Deswegen wird so mit „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!“ so getan, als wäre Kritik an Rassismus genau so schlimm wie Rassismus. Damit niemand mehr Rassismus kritisieren kann.

Es ist die rechte Strategie, ständig Heuchelei zu unterstellen, um „Linke“ (und damit sind alle Demokrat*innen gemeint) dazu zu verleiten, aus Angst vor der eigenen Inkonsequenz lieber die rechten Narrative und verbalen (und echten) Angriffe stillschweigend hinzunehmen. Wir sollen geködert werden, niemanden zu kritisieren. Wir sollen uns selbst mundtot machen. Denn so gewinnen sie. Denn Rechten ist der Sieg wichtig, der Gewinn der Meinungshoheit, von Stimmen, von Sitzen. Und da heiligt der Zweck die Mittel. Den anderen hingegen ist der moralische Sieg wichtiger. Man verliert die Meinungshoheit, man nimmt Morddrohungen als Alltag hin und man schweigt stoisch dazu – aber man kann sich selbst auf die Schulter klopfen, dass man immerhin moralisch besser da steht.

Sieg vs Konsens

Es hängt ein wenig fundamental mit den Weltanschauungen zusammen, was zu erklären hier etwas den Rahmen sprengen würde. Aber in einer Weltanschauung, in der alle Menschen gleich viel wert sind und gleich behandelt werden müssen, darf man natürlich nicht einmal den politischen Gegner anders behandeln, ist doch klar. Aber in einer Welt, in der die eigene In-Group per Definition die moralisch bessere ist, und alle Opponenten davon per Definition immer falsch liegen, weil sie schlechtere Menschen sind (oder dem Erfolg der „besseren“ Menschen im Weg stehen) gibt es keine Heuchelei, dafür aber klare Linien zwischen Freund und Feind. (Wenn man nicht genau darüber nachdenkt zumindest).

Denn alles, was die eigene Gruppe stärkt, ist moralisch richtig. Und Lügen, Hetze und Mord(drohungen) sind dabei nur konsequent. Und das ist das fundamentale Problem mit der rechten Weltanschauung, denn wir werden sie nicht aufhalten können, wenn wir davon ausgehen, dass ihnen Heuchelei oder Lügen moralisch wichtig wären. Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass es nur verkappte „Linke“ und „Demokraten“ sind, die nur ein paar Zusammenhänge falsch verstanden haben. Sie suchen nicht auch einen Konsens und liegen nur falsch. Sie suchen den absoluten Sieg, mit jedem Mittel.

Deswegen sollten wir natürlich nicht unsere Ideale und unsere Moral über Bord werfen. Deswegen sollten wir nicht lügen und nicht Morddrohungen verteilen. Aber wir sollten aufhören, den Heuchelei-Vorwürfen von rechts Glauben zu schenken, denn diese werden immer kommen. Wir sollten aufhören, mit diesen Menschen zu diskutieren und sie ernst zu nehmen. Denn sie suchen keinen Konsens, sie suchen den Sieg. Das ist sogar ihre gesetzte Strategie:

“Sollte man jedoch wirklich mal an jemand geraten der diskutieren kann (…), gibt es nur noch eins: Beleidigen. Und da ziehe jedes Register. Lass nichts aus. Schwacher Punkt ist oftmals die Familie. Habe immer ein Repertoire an Beleidigungen, die Du auf den jeweiligen Gegner anpassen kannst.” – Aus einem Handbuch für rechte Hetzer von den Identitären.

Diskutiert nicht mit ihnen. Aber spricht über sie. Grenzt sie aus, denn die Toleranz kann nur mit Intoleranz gegenüber Intoleranten erhalten bleiben. Lasst euch nicht zu Hufeisen-Vergleichen hinreißen lassen, in der Hoffnung, einen moralischen Sieg zu erlangen. Denn dieser wird uns am Ende rein gar nichts bringen.

Artikelbild: Light-Studio, shutterstock.com