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Diese Gas-Fakes sollen Wut in Deutschland schüren & Putin helfen

von | Aug 12, 2022 | Analyse

So will prorussische Propaganda uns spalten: Falschmeldungen zu Gasknappheit

Seit dem 25. Juli 2022 liefert der russische Energiekonzern Gazprom wegen einer fehlenden Turbine lediglich einen Bruchteil der Gaskapazität durch Nord Stream 1. Nun habe Russland Berichten zufolge sogar überflüssiges Gas verbrennen müssen. Die Lage in Deutschland ist angespannt. Expert:innen beschäftigen sich seit Mitte Juli mit Wegen, trotz einer potentiellen Gasmangellage durch den Winter zu kommen. Entgegen der Fakten stürzt sich prorussische Propaganda auf die Notlage und macht die deutsche Regierung sowie verhängte Sanktionen gegen Russland verantwortlich. Fake News sollen wohl dazu beitragen, die Lage in Europa zu verschärfen. Wir widerlegen für euch daher in drei Faktenchecks Falschmeldungen zur Gasknappheit.

Es gibt keine europäischen Sanktionen gegen Russland, die das Erdgas betreffen

Zunächst einmal scheinen einige aus dem Umfeld von AfD & „Querdenken“ leider völlig desinformiert zu sein. So behaupten sie, Deutschland würde kein Gas mehr kaufen. Dieser Falschmeldung spielte eine Wartung in die Hände, die ab dem 11. Juli 2022 für zehn Tage stattfand. Während dieses Zeitraums floss tatsächlich kein Erdgas durch Nord Stream 1. Allerdings handelte es sich dabei um eine ganz gewöhnliche Wartung, die jedes Jahr im Sommer durchgeführt wird.

Im Zuge dessen stellte Gazprom dann wohl fest, dass eine Turbine fehlte und teilte zwei Wochen später mit, dass die Gaslieferungen auf 20 Prozent der Kapazität beschränkt werden müssten. Die Bundesregierung hält die mangelnde Turbine zwar für ein vorgeschobenes Argument. Dennoch hängen die gedrosselten Gaslieferungen nicht damit zusammen, dass Deutschland kein Gas mehr einkaufen würde. Denn aktuell gibt es keinerlei europäische Sanktionen, die das Erdgas betreffen.

Prorussische Propaganda lässt Deutschland stets besonders schlecht dastehen

In einigen der Falschmeldungen wird Deutschland für einen besonders schockierenden Effekt mit anderen europäischen Ländern verglichen. So heißt es beispielsweise: „Spanien kauft so viel russisches Gas wie nie. Italien hat 63 Mio m³ russisches Gas bestellt. Selbst die Ukraine erhält von Russland immer noch Milliarden, dass sie das Gas weitertransportiert. Wieso sind wir eigentlich die einzigen Deppen, die sich ruinieren?!“ (siehe unten). Dabei geht ein wichtiger Fakt völlig verloren: Deutschland ist das europäische Land, das am meisten Gas aus Russland bezieht.

Dass es von potenziellen Wartungen und Drosselungen also besonders getroffen wird, steht außer Frage. Darüber hinaus entsprechen auch die Zahlen im besagten Beitrag nicht der Realität – denn zum Zeitpunkt des Postings bezog auch Deutschland (ausgenommen der zehntägigen Wartung) 1,9 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Monat. In Italien sind es dagegen laut ENI nur noch 21 Millionen Kubikmeter pro Tag.

Screenshot eines Facebook-Postings mit dem irreführenden Text: "„Spanien kauft so viel russisches Gas wie nie. Italien hat 63 Mio m³ russisches Gas bestellt. Selbst die Ukraine erhält von Russland immer noch Milliarden, dass sie das Gas weitertransportiert. Wieso sind wir eigentlich die einzigen Deppen, die sich ruinieren?!“

Quelle: Screenshot Facebook-Fake

Weiterhin verbreiten Menschen auf Social Media die Falschmeldung, dass Polen auf Kosten von Deutschlands Gasknappheit volle Gasspeicher habe. In einem Posting heißt es demnach: „Polnische Gasspeicher zu 100 Prozent voll… …mit Gas aus der BRD. Während die Gaspreise in der BRD aus Mangel an verfügbarem Gas explodieren, wird es aus der BRD nach Polen exportiert.“ Dass Polen nicht ausschließlich über Deutschland mit Erdgas versorgt wird, lässt die postende Person einfach mal getrost unter den Tisch fallen.

Zudem handelt es sich beim vollen polnischen Gasspeicher dennoch um eine weitaus kleinere Menge – in Deutschland lagerte zum Zeitpunkt des dpa-Faktenchecks vier Mal so viel Erdgas. Laut tagesaktuellen Zahlen (12.08.2022) sogar eher das Fünffache. Auf der Website der AGSI-Statistik könnt ihr die Werte stets aktuell vergleichen. Zudem kann anhand der Daten zum Gastransport weder eingesehen werden, ob dieses Gas aus den deutschen Gasspeichern stammt oder lediglich über Deutschland weitergeleitet wurde, noch ob es in die polnischen Gasspeicher fließt oder weiterverkauft wird. Der hergestellte Zusammenhang zwischen Polens „vollen“ und Deutschlands „leeren“ Gasspeichern ist so also nicht tragbar.

Keine eingeschränkte Warmwasser- und Heizungs-Nutzung in Kassel

Um einen noch persönlicheren Bezug herzustellen, haben sich einige unzufriedene Bürger:innen entschieden, ein gefälschtes Schreiben aufzusetzen. In diesem verkünde vermeintlich die Stadt Kassel, dass Einwohner:innen ab Herbst nur zu bestimmten Zeiten mit Warmwasser und funktionierender Heizung rechnen könnten. Einen ersten Hinweis, dass es sich dabei um einen Fake handeln muss, gibt bereits die Häufung grammatikalischer Fehler. Dennoch verbreitete sich das Schreiben im Internet so weit, dass die Stadt Kassel auf Twitter eine Stellungnahme postete. „Derzeit ist ein gefälschtes Schreiben unterwegs, dass suggeriert, wir als Stadt würden zusammen mit der Städtische Werke AG die Heizleistung ab dem Herbst für die Bewohnerinnen und Bewohner einschränken. Das ist falsch! Es gibt kein solches Schreiben von der Stadt #Kassel“, so der offizielle Twitter-Account.

Fazit: Horrorszenarien sollen Wut und Hass schüren

Mit den zahlreichen Erdgas-Falschmeldungen versucht die prorussische Propaganda, von der Schuld des kriegstreibenden Russlands abzulenken sowie Wut gegen die deutsche Regierung und letztlich gegen die Russland-Politik entfachen. Wer noch hinter den Sanktionen gegen Russland steht, soll seine Einstellung mit einem Blick auf das Horrorszenario eines kalten Winters ganz schnell verwerfen. Diese vermeintliche persönliche Gefahr soll schwerer wiegen als die Kriegsverbrechen, die aktuell ganz real gegen Ukrainer:innen begangen werden.

Statt auf die Gas-Fakes der russischen Propaganda hereinzufallen, sollten wir uns überlegen, wie wir möglichst schnell komplett aus der Abhängigkeit von Russland kommen. Wir schrieben schon im März dazu:

Putins Gas abdrehen? Wir brauchen die Wärmewende

Artikelbild: shutterstock.com ViDI Studio / Screenshots

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