Ein neuer Vorstoß von CDU-Chef Friedrich Merz sorgt für Schlagzeilen: Er fordert, straffälligen Doppelstaatlern die deutsche Staatsbürgerschaft wieder entziehen zu können. Dabei wollen viele Unionsanhänger offenbar genau das hören, weil sie glauben, so könnte man Kriminalität reduzieren und sich gleichzeitig gegenüber der Vertreibungs-Fantasien der AfD abgrenzen. Allerdings zeigt schon ein näherer Blick, dass der Vorschlag verfassungsrechtlich kaum haltbar ist. Letztlich scheint Merz hier ein Versprechen abzugeben, das er nicht halten kann – und damit seine Wählerschaft regelrecht zu täuschen. Am Ende stärkt er nur die AfD, indem er ihr in Forderungen und Feindbildern nach dem Mund redet.
Einbürgerungen sind zurzeit nach 5 Jahren möglich – aber nur, wenn man zuvor nicht durch Straftaten aufgefallen ist. Wer sich in Deutschland einbürgern lässt, muss bereits heute Integrationsleistungen erbringen, sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen und beispielsweise einen Einbürgerungstest absolvieren. Wenn man das Ziel verfolgt, weniger Kriminalität zuzulassen, müsste man zunächst berücksichtigen, dass Personen, die in den letzten Jahren straffällig geworden sind, gar nicht erst eingebürgert werden. Auf dieser Basis kann man sich schon fragen: Was soll sich also noch verschärfen lassen? Die jetzige Regelung ist bereits strikt, um sicherzustellen, dass ein künftiger Staatsbürger nicht die Verfassung oder die Gesetze ablehnt.
Merz akzeptiert einfach die falsche Erklärung der Rassisten
Merz’ Vorschlag soll vermeintlich zu weniger Kriminalität führen, indem potenzielle Täter befürchten, ihnen könnte die Staatsbürgerschaft entzogen werden. Seine Idee basiert auf dem wissenschaftlich widerlegten Mythos, dass Migration und Kriminalität irgendetwas miteinander zu tun hätten. Die mit Abstand meisten Straftaten und Straftäter sind schließlich auch Deutsche – ohne Migrationshintergrund. Und der absolute Großteil aller Nicht-Deutschen und auch Schutzsuchenden ist friedlich und wird nicht straffällig. Und auch vermeintliche Verhältnisse basieren auf Denkfehlern. So sind junge Deutsche auch mal viel krimineller als anerkannte Asylbewerber.
Es gibt entgegen der gefühlten Wahrheiten, die durch selektive Medienberichte erstellt werden, auch kein sonderliches Problem mit Kriminalität in Deutschland. Die Jahre 2017 bis 2022 waren die sechs Jahre mit der niedrigsten Anzahl von Straftaten seit der Wiedervereinigung. Also genau der Zeitraum, nachdem jene Schutzsuchende zu uns gekommen waren. Und auch ein Anstieg in den letzten zwei Jahren auf ein weiterhin völlig normales Level. Das Verhältnis der Straftaten mit ausländischen Tatverdächtigen ist im Vergleich zu der ausländischen Wohnbevölkerung im Vergleich zu vor der Pandemie sogar leicht gesunken.
Merz’ Idee scheitert am Grundgesetz
Doch wenn man jetzt trotzdem diese Prämisse akzeptiert, und versuchen wollte, mit dem Entzug der Staatsbürgerschaft Druck auszuüben, stößt man sehr schnell auf Grenzen. Denn offensichtlich kann den allermeisten Menschen einfach grundsätzlich gar nicht die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen werden. Diese Idee greift nur, wenn jemand eine zweite Staatsbürgerschaft besitzt und nicht staatenlos werden würde. Praktisch heißt das: Betroffen wäre allein die Gruppe der Doppelstaatler. Laut Mikrozensus 2023 gab es in dem Jahr rund 2,9 Millionen deutsche Doppelstaatler, mehr als 70 Prozent von ihnen mit einer weiteren, europäischen Staatsbürgerschaft. Jedoch dürfte diese Zahl zu niedrig sein, da der Mikrozensus auf Selbstauskünften basiert. Mehr als 80 Prozent der 2023 Eingebürgerten haben sich für eine doppelte Staatsbürgerschaft entschieden. Ein Großteil davon sind Syrer, denen eine Ablegung der syrischen Staatsbürgerschaft aber schlicht nicht möglich ist.
Davon abgesehen, dass Personen, sollten sie eine Straftat begangen haben, sowieso nicht eingebürgert werden, ist Merz’ Vorschlag aus einem weiteren Grund sinnlos. Bereits 2010, als ein ähnlicher Vorschlag wie der aktuelle diskutiert wurde, verwies das Portal LTO auf ein Problem: “Derjenige, dem wegen schwerer Straftaten und doppelter Staatsangehörigkeit der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit droht, könnte schnell noch mit einem Votum für Deutschland die Seiten wechseln.”
Der Abschreckungseffekt verpufft damit. Statt dass Kriminelle sich plötzlich benehmen, könnten sie schlicht und ergreifend ihre ausländische Staatsbürgerschaft aufgeben. Für Menschen, die ohnehin Deutschland als Lebensmittelpunkt betrachten, wäre das eine milde Hürde. Der Vorschlag läuft also leer und erreicht nicht das eigentlich genannte Ziel einer Kriminalitätsvermeidung.
Verfassungsrechtlich nicht umsetzbar
Auch das Bundesverfassungsgericht hat sich schon mit der Thematik befasst. Es hat mehrfach bekräftigt, dass die Staatsbürgerschaft eine „verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit“ darstellt (vgl. BVerfG, Urt. v. 24.05.2006, Az. 2 BvR 669/04). Schon allein ein Blick in Artikel 16 unseres Grundgesetzes zeigt, wie sensibel der Entzug der Staatsbürgerschaft gehandhabt werden muss. Nach den Erfahrungen der NS-Zeit, in der Tausende Menschen willkürlich ausgebürgert wurden, haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes sehr enge Grenzen gezogen, die durch verschiedene Urteile des Verfassungsgerichts bereits rechtlich bestätigt sind.
Bisher kann die Staatsbürgerschaft bei Doppelstaatlern entzogen werden, wenn diese sich ausländischen Streitkräften anschließen oder zum Beispiel für den IS kämpfen. Dies wird gerechtfertigt mit einer “Abwendung von Deutschland”. Eine solche „Abwendung von Deutschland“ ist aber bei herkömmlichen Straftaten – ob Körperverletzung, Diebstahl oder Drogendelikten – nicht erkennbar. Deutsche Staatsbürger begehen diese Taten jeden Tag.
„Deutsche zweiter Klasse“
Auch kann die Staatsbürgerschaft entzogen werden, wenn bei der Verleihung getäuscht wurde. Dafür müsste man aber dann nachweisen, dass bereits bei Verleihung die Absicht bestand, Verbrechen zu begehen oder die Werte der freiheitlich demokratischen Grundordnung (FDGO) zu beeinträchtigen. Bei vielen Straftaten, die im Affekt passieren, wäre eine solche Regelung schon mal grundsätzlich ausgeschlossen. Die Ampel hat erst kürzlich beschlossen, dass bis zu 10 Jahre später die Verleihung der Staatsbürgerschaft rückgängig gemacht werden kann, wenn das Bekenntnis zur FDGO falsch war. Verschärfungen, wie Merz tut, als würde er sie fordern, wurden bereits umgesetzt.
Hinzu kommt, dass das Bundesverfassungsgericht „Deutsche zweiter Klasse“, die bei Verstößen härter bestraft werden als Deutsche ohne Migrationshintergrund, kategorisch ablehnt. Das Urteil von 2017 zur NPD kritisierte den ethnischen Volksbegriff, der bestimmte Gruppen anders behandeln wollte. Genau das würde Merz jedoch anstreben, indem Doppelstaatsbürger künftig bei denselben Straftaten schärfer sanktioniert werden sollen als Nicht-Doppelstaatsbürger.
Das Verfassungsgericht würde sicherlich auch fragen, ob es nicht geeignetere Mittel zur Bestrafung geben könnte als einen Entzug von Staatsbürgerschaft. Beispielsweise eben eine Gefängnisstrafe. Es ist nicht klar, warum hier Gruppen von Staatsbürgern unbedingt unterschiedlich behandelt werden müssen – damit ist es vermutlich in der aktuellen Verfassung nicht umsetzbar.
Zweite Staatsbürgerschaft ist oft keine Wahl
Ein weiterer Fakt, über den Merz mit seiner Schein-Lösung hinwegtäuscht: Viele Menschen können ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit gar nicht aufgeben. Staaten wie Afghanistan, Iran, Marokko oder Syrien lassen keinen freiwilligen Austritt aus ihrer Staatsbürgerschaft zu. Für diese Menschen ist eine doppelte Staatsbürgerschaft keine luxuriöse Option, sondern eine schlichte Unausweichlichkeit.
Staatsbürger dieser Länder können also aus rein praktischen Gründen nicht nur die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Gleichzeitig greift Merz’ Vorschlag nur für Doppelstaatler, was die absurde Konsequenz hätte, dass ausgerechnet Menschen aus Staaten, in denen schwierige rechtliche oder politische Verhältnisse herrschen, die schärfsten Konsequenzen für Straftaten in Deutschland befürchten müssten. Obendrein wären einige Staaten, wie z. B. Eritrea oder Iran, gar nicht bereit, ausgebürgerte Personen zurückzunehmen. Eine Abschiebung dorthin wäre unmöglich. Die Idee eines Entzugs der Staatsangehörigkeit hätte dadurch gar nicht den von Merz gewünschten Effekt.
Merz’ Vorschlag würde auch Israelis betreffen
Selbst bei demokratischen Partnerstaaten kann es kompliziert werden. Ein Beispiel: Viele israelische Staatsbürger, die über deutsche Wurzeln verfügen (etwa Nachfahren von Holocaust-Überlebenden), nehmen zusätzlich die deutsche Staatsangehörigkeit an. Das geht über die vor drei Jahren geschaffene Option der sogenannten “Wiedergutmachungseinbürgerungen”. Die Tagesschau schreibt dazu: “Seit August 2021 haben die Verfolgten des Nazi-Regimes und ihre Nachkommen einen gesetzlichen Anspruch auf einen deutschen Pass. Nachfahren von NS-Opfern, die vor den Nazis ins Ausland geflüchtet waren, können ohne weitere Auflagen die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben.” Neben Israel kommen auch viele Anträge aus den USA.
Bei einer Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts nach Merz’ Plänen würden also auch in Straftaten verwickelte Deutsch-Israelis ausgebürgert werden. Obwohl ja der Sinn dieser Wiedergutmachungseinbürgerungen war, dass die betreffenden Personen eine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen! So werden sie stattdessen Bürger zweiter Klasse. Das wäre im Hinblick auf die deutsche Geschichte mehr als nur peinlich. Es wäre gefährlich.
Verfassungsfeindliche AfD geht noch weiter
Die rechtsextreme AfD, die Anfang 2024 mit ihren „Remigrations“-Forderungen Millionen Menschen auf die Straßen trieb, geht in Wahrheit noch drastischer vor: Sie möchte Aus- und Vertreibungen nicht nur für Doppelstaatsbürger, sondern für alle Menschen mit Migrationshintergrund ermöglichen, die sie als „nicht hinreichend assimiliert“ einstuft.
Friedrich Merz grenzt sich zwar formal von der AfD ab, doch faktisch erweckt er mit seinem Vorschlag, straffällige Eingebürgerte aus Deutschland „entfernen“ zu können, den Eindruck, man könne Ausbürgerungspolitik als legitimes Druckmittel einsetzen. So wirken AfD-Forderungen automatisch weniger radikal. Und genau das verschiebt den Rahmen des Sagbaren immer weiter nach rechts.
Um die Parallelen der Forderungen der rechtsextremen AfD und Merz zu verdeutlichen, ein kurzer Exkurs: Correctiv enthüllte erst kürzlich ein erneutes Treffen der rechtsextremen AfD mit anderen rechtsextremen Gruppen, in welchem erneut die faschistoide “Remigrations”-Forderung besprochen wurde. Der AfD-Politiker Kotré erwiderte auf eine Aussage, dass die Abschiebungsforderungen der CDU ja quasi jene “Remigration” seien, wie sie die Rechtsextremen bereits fordere, dass die AfD noch einen Schritt weiter gehe:
“Es gehe nicht nur um die Ausreisepflichtigen, sondern ´auch diejenigen, die sich hier nicht an Recht und Gesetz halten, die allerdings schon die deutsche Staatsbürgerschaft erlangt haben.‘ Ihre Logik: ‘Sie haben getäuscht, dass sie sich hier an die freiheitlich demokratische Grundordnung halten und damit kann man ihnen nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz einfach mal die Staatsbürgerschaft wieder entziehen.’ Die volle Ausschöpfung der angeblichen gesetzlichen Möglichkeiten sei für sie ‘der volle Begriff der Remigration.’”
Kurz darauf sagte Merz im Interview mit der WELT, es müsste “eine Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft möglich sein, wenn wir erkennen, dass wir bei straffällig werdenden Personen einen Fehler gemacht haben”. Die AfD applaudiert, denn Merz scheint ihr recht zu geben.
Merz wird seine Wähler nur enttäuschen – und die AfD stärken
In erster Linie scheint der CDU-Chef darauf zu setzen, sich im Wettstreit um Wählerstimmen gegen die AfD durchzusetzen. Er appelliert an einen Wunsch nach vermeintlich „einfachen“ und „harten“ Lösungen gegen Kriminalität – und verknüpft sie mit Migration. Doch was er damit tatsächlich bewirkt, ist eine gefährliche Normalisierung von Forderungen, die aus gutem Grund verfassungswidrig sind.
Am Ende wird Merz jedoch seine eigenen Anhänger, die strengere Gesetze erhoffen, enttäuschen müssen. Das Grundgesetz steht ihm mit guten Gründen im Weg, und die Gerichte werden jeden Vorstoß stoppen, der Bürger zweiter Klasse schafft. Gerade weil es keine realistische Chance auf eine entsprechende Grundgesetzänderung gibt, bleiben seine Ankündigungen ein reines Wahlkampfgetöse. Das wissen auch AfD Wähler, die dann lieber trotzdem das Original wählen. Insbesondere, wenn jemand dann durch diesen Bluff enttäuscht werden wird – oder der Union einfach ohnehin nicht glaubt. Es ist wissenschaftlicher Konsens, dass Merz damit kaum AfD-Wähler überzeugen wird, demokratisch zu wählen – sein Bluff hat am Ende nur die Wirkung, dass er sagt, dass die AfD mit allem recht hätte.
Was wäre wirklich umsetzbar?
Wer tatsächlich Kriminalität mindern und die Werte unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung stärken will, kann dies längst durch klare Integrations- und Bildungsprojekte tun. Schon jetzt muss jede Person, die Deutsche oder Deutscher werden will, in einem Einbürgerungstest ihre Verfassungstreue bekennen. Konservative könnten dieses Bekenntnis zur FDGO durchaus noch konkreter ausformulieren – etwa durch verpflichtende Besuche an Gedenkorten oder ein präzises Curriculum darüber, was demokratische Grundwerte in der Praxis bedeuten.
Jetzt schon dürften die meisten AfD-Wähler Schwierigkeiten haben, dies guten Gewissens zu unterzeichnen. Eine konsequente Verpflichtung aller Einbürgerungswilligen auf Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit träfe insofern nicht nur Migranten, sondern jeden, der sich in seiner Geisteshaltung von unserer Demokratie abwendet. Für die Rechtsextremen wäre es ungemütlich, wenn dieselben Werte von der eigenen Parteibasis eingefordert würden. So sind doch schließlich die rechtsextreme AfD und ihre radikalen Anhänger, die die größte Bedrohung für unsere Demokratie und Sicherheit darstellen – die Anzahl der rechtsextremen Straftaten stieg 2024 weiter auf einen nächsten Rekord.
Merz’ Vorschlag würde – wenn er ihn denn wirklich ernst meinen würde – zu einer Zweiklassengesellschaft führen und keinerlei Probleme lösen. Er ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und wird eine ganze Reihe praktischer Fragen aufwerfen, die er im Wahlkampf bislang nicht beantwortet hat. Das einzige Resultat: Er übernimmt rechtsextreme Narrative und ebnet ihnen den Weg in die gesellschaftliche Mitte – auf Kosten unserer Verfassung und der Glaubwürdigkeit seiner eigenen Partei.
Artikelbild: Henning Kaiser/dpa. Teile des Artikels wurden mit maschineller Hilfe erstellt.