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Muttertag-Nebelkerze: Wie rechte Hetzer Kindeswohl gefährden

von | Mai 11, 2023 | Aktuelles

Angeblich sorgen sich Rechte so sehr um das Wohlergehen von Kindern, doch der aktuelle Fall einer katholischen Kindertagesstätte aus Hessen zum Muttertag zeigt, dass viele ohne zu Zögern das Wohlergehen und die Sicherheit von Kindern gefährden. Besonders dann, wenn sich politisches Kapital daraus schlagen lässt. Telefonterror bei einer Kita, Beschimpfungen, Drohungen, sogar eine zerstörte Scheibe an einer Gartenhütte soll es gegeben haben.

Aufrichtige Sorge um Kindeswohl sieht anders aus.

Muttertag-Nebelkerze: Wen interessiert es, was irgendeine Kita macht?!

Vorab: Man muss erst einmal feststellen, wie absolut absurd es ist, dass wir überhaupt darüber diskutieren müssen, was eine einzelne Kita an einem einzelnen Tag mit ihren Kindern macht. Diese ganze Debatte ist eine einzige Nebelkerze und purer rechter Kulturkampf. Es ist – abgesehen von den Folgen der rechten Hetze – buchstäblich nichts passiert. Hier wird aus dem Nichts ein Skandal produziert, aufgeblasen und gehetzt. Und die Gefährdung von Kindern und Erzieher:innen in Kauf genommen. Aus purem, zynischem Kalkül. Es straft die geheuchelten Argumente Lügen, wenn mal wieder aus gleicher Richtung hinter dem Deckmantel des „Kindeswohls“ gegen queere Eltern oder Dragqueens gehetzt wird. Aber schauen wir doch einmal, was eigentlich passiert ist:

Eine katholische Kindertagesstätte in Hessen wollte darauf verzichten, dass eine extra Veranstaltung für den kommenden Muttertag abgehalten wird, wo alle Kinder dazu ermutigt werden sollten, Geschenke zu basteln. Manche Kinder haben keine Mutter oder ein schlechtes Verhältnis, für sie wäre diese Veranstaltung vielleicht nicht so toll geworden. Aufgrund dieser Rücksichtnahme wollte man auf das Basteln verzichten, ein entsprechendes Schreiben schickte die KITA an die Eltern. Was eine völlig belanglose, nette Geste hätte sein können, wurde aber von Rechten zum Politikum aufgebauscht. Und führte zu einem massiven Shitstorm gegen die Kita.

Dort musste man das Telefon ausstellen, um nicht von den vielen Hassnachrichten bombardiert zu werden. Hassnachrichten gegen eine Kindertagesstätte.

Mehr noch sprangen Rechtsextreme und „Querdenker“ in die Kritik gegenüber der Kita ein und erkoren das Ausbleiben von gebastelten Muttertagsgeschenken zum fiktiven Kulturkampf. Aus dieser einen Geste stilisierten sie wie so oft ihre fiktiven Strohmann-Gegner und taten so, als würde irgendjemand irgendetwas gegen die schöne Tradition vom Muttertag haben. Eine typisch rechte Lüge mit dem immer gleichen Hassbild.

Das AfD und Co. in solchen Fällen über die Stränge schlagen und gegen einzelne Personen oder Institutionen hetzen bzw. doxxen ist Alltag. Doxxing bezeichnet die Veröffentlichung sensibler Daten wie zum Beispiel Telefonnummer oder Adresse, mit der Folge von Drohanrufen, Drohbriefen oder anderen Delikten für die Betroffenen, gängige Praxis bei AfD und „Querdenkern“.

CDU-Politiker Kuban veröffentlichte Anschrift der Kita

Was an dieser Geschichte nun besonders außergewöhnlich ist, ist das Agieren des CDU-Bundestagsabgeordneten Tilman Kuban. Er veröffentlichte das Schreiben der KITA an die Eltern auf Twitter. Nicht nur, um sich an der rechtsradikalen und sinnentleerten Hetze zu beteiligen, sondern zunächst sogar mit Name und Adresse des Kindergartens. Ohne Entschuldigung löschte später er den Beitrag immerhin, nur um den Hetz-Beitrag dennoch erneut zu posten. Eine klare Grenzüberschreitung eines Bundestagsabgeordneten, die man sonst nur von AfD-Politikern kennt. Das Ganze betitelte er dann noch frei nach AfD-typischen Sprech mit „Dem Wahnsinn sind keine Grenzen mehr gesetzt …“, womit er auf typische rechte Kulturkampf-Verschwörungsmythen anspielt.

Andere CDU-Politiker kritisierten sein Verhalten und die Gefährdung der Kinder als „Unverantwortlich“.

Drohanrufe bei der Kita und rechte Nebelkerzen

Laut dem hessischen SPD-Politiker Liban Farah ist die KITA schon vor dem Tweet Kubans Opfer von Drohanrufen und Vandalismus geworden. Kubans Tweet jedoch machte die Situation für die Kita noch schlimmer. Denn er sorgte dafür, dass Adresse und Telefonnummer einem breiten Publikum bekannt wurde. Das Löschen erfolgte viel zu spät. Bei der Kita kam es offenbar nach Kubans Teweet zu Telefonterror.

Im Telegram-Untergrund macht das Thema nach dem Tweet von Kuban ebenfalls die Runde. Mit Kuban agiert ein CDU-Politiker offenbar als Stichwortgeber und „Markierer“ von Feinden für die extreme Rechte. In den Kanälen von Verschwörungsideologin Eva Hermann, Desinformationsverbreiter Boris Reitschuster und bei den Rechtsextremen von Q-Anon sowie „Freien Sachsen“ wird das Thema ähnlich breitgetreten wie bei Tilman Kuban. Ist es im Sinne der CDU, gemeinsam mit der neuen Rechten gegen eine Kita zu hetzen? Eine völlig ausgedachte Debatte, denn es war wie gesagt offenbar eine einzelne Aktion der Rücksichtsnahme einer einzigen Einrichtung, ohne ideologische Motivation, die die extremen Rechten – und Kuban und die hessische CDU – hier dazudichten.

Klar ist, dass sich seit dem Tweet von Kuban die Lage für Kita-Kids und Mitarbeiter deutlich verschlechtert hat, die Drohungen mehrten sich. Es half auch nicht, dass das rechte Desinformationsmedium BILD ebenfalls auf den Muttertag-Nebelkerzen-Zug aufsprang.

Als wäre all das nicht schon schlimm und übertrieben genug, steigten nun auch noch die CDU Hessen und der sich völlig von der Realität verabschiedende Hubert Aiwanger (Freie Wähler) aus Bayern in die Debatte mit ein und befeuern sie weiter.

Rechte Gefährdung von Kindern – für nichts

Abschließend muss man sagen, dass hier wieder mal viel Getöse seitens von Konservativen und Rechten um einen vermeintlichen Skandal gemacht wird, der gar keiner ist. Nur weil eine Kita in Hessen aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen Rücksicht auf Kinder ohne Mütter nehmen wollte, wird diese Geschichte zum „Woke-Wahnsinn“ umgedichtet und ein Kulturkampf um die Existenz des Muttertags geführt. Ein völliger Irrsinn, den nun Eltern, Kinder und Mitarbeiter der Kita ausbaden dürfen. Weil (extreme) Rechte zu viel Fantasie haben und rücksichtslos mit sensiblen Daten umgehen.

Dass die extreme Rechte sich so brutal, verlogen und rücksichtslos verhält, ist man ja leider inzwischen gewohnt.

Tilman Kuban ist jedoch CDU-Politiker, Jurist und nicht irgendein Teenager, der unwissend Dinge in den sozialen Medien kommentiert. Ihm muss völlig klar gewesen sein, was für Folgen seine Handlungen für die Kita haben müssen.

Er stellt die demokratische Legitimierung für die rechte Hetze dar. Dass die AfD derart rücksichtslos Menschen aufhetzt, ist nichts Neues, Unionspolitiker dürfen diese Grenze jedoch nicht überschreiten. Auch auf dem Medium der katholischen Kirche, katholisch.de, wurde harsche Kritik an dem CDU-Bundesabgeordneten Kuban geübt:

„Dass auf einen populistischen Tweet ohne den geringsten Versuch, das Vorgehen verstehen zu wollen, ein rechtsradikaler Mob gegen die Kita toben würde, musste Kuban wissen. Wahrscheinlich kalkulierte er damit. Erst nach Stunden entfernte er die Kontaktdaten der Kita – ohne jedes Wort der Entschuldigung.“

Korrekturhinweis: In einer früheren Fassung hieß es, die katholische Kirche selbst habe sich geäußert, es handelt sich aber bei dem zitierten Beitrag um einen Kommentar auf ihrer Seite, keinem offiziellen Statement. Artikelbild: Michael Kappeler/dpa