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Warum Dieter Nuhr manchmal witzig, aber nie komisch ist

von | Okt 1, 2019 | Aktuelles, Analyse, Kommentar

Das alte Deutschland schlägt zurück – Warum Dieter Nuhr manchmal witzig, aber nie komisch ist.

Dieter Nuhr hat wieder zugeschlagen. Nach faulen Griechen [Quelle] und Umweltverbänden [Quelle] hat sich der berüchtigte Kabarettist nun den nächsten Reibepunkt der Gesellschaft vorgenommen: Greta.

So stellt Nuhr in seinem neusten Programm gewohnt clevere Fragen: „Ich bin gespannt, was Greta macht, wenn es kalt wird. Heizen kann es ja wohl nicht sein“ [Quelle]. Hoho! Ein Kalauer, bei dem wohl Fips Asmussens Mütze direkt den Besitzer wechseln möchte. Nun lässt sich über Humor bekanntlich streiten und es ist auch eine wichtige Botschaft dieses Artikels, dass Dieter Nuhr sicherlich Witze reißen kann, über wen er möchte – und das darf auch so gezeigt werden (!).

Dennoch: Der nächste Shitstorm lässt mit Sicherheit nicht lange auf sich warten, Nuhrs Konflikt mit dem links-progressiven Teil der Gesellschaft geht in die nächste Runde. Wie konnte es dazu kommen? Sprechen wir zunächst kurz über die gesellschaftliche Verortung von Kunst und Kabarett im Speziellen – wieso ist Nuhrs „bürgerliches Kabarett“ eigentlich einzigartig genug, um Kontroverse zu produzieren?



Was ist das „bürgerliche Kabarett“?

Einer der Gründe dafür ist die historische Rolle dieser Genres. Kabarett im speziellen ist eigentlich gerne eine Anklage gesellschaftlicher Missstände, ein manchmal mehr, manchmal weniger subtiler Hieb auf die „Mächtigen“ eben dieser Gesellschaft. (Gutes) Kabarett gibt die Mächtigen gezielt der Lächerlichkeit Preis, ist nicht einfach nur Pointe, sondern effektiv eine kurze Umkehrung der Verhältnisse. Eine Atempause, bevor es wieder in die kalte Realität zurückgeht. Wenn der Mächtige schon das letzte Wort hat, so hat das Publikum wenigstens den letzten Lacher.

Bürgerliches Kabarett ist vor diesem Hintergrund ein Kuriosum: Hier gibt der Mächtige den Unterlegen der Lächerlichkeit Preis. So wie der „Pleite-Grieche“ sich Dieter Nuhrs Hohn anhören durfte (Na Freunde, wer lacht denn nicht gerne über steigende Selbstmordraten und Jugendarbeitslosigkeit?), muss jetzt Greta Thunberg für ihre finsteren Absichten vor dem Gericht der Bürgerlichkeit bezahlen: Du willst das Klima retten, kleine Göre? Dann frier‘ dir erstmal im Winter einen ab. Haha!

Woher kommt die Opferrolle?

Interessant ist die Frage, wieso diese Umkehrung der Verhältnisse in letzter Zeit so attraktiv ist. Ich will die Erklärung mit einer Geschichte beginnen, die auf den ersten Blick wenig mit Dieter Nuhrs Comedy-Programm zu tun hat: Anfang der 2000er verschlug mich ein Mittagsbesuch in den Pausen- und Meetingraum eines großen serviceorientierten Konzerns in Deutschland.

Zufällig fiel mein Blick auf ein Flipchart, das mit guten Ratschlägen („Immer einen guten Tag wünschen“, „Kann ich sonst noch was für Sie tun?“) für den Kundenkontakt gefüllt war – offensichtlich ein Überbleibsel eines kürzlich durchgeführten Seminars. Interessant war daran vor allem eine Anmerkung in der rechten oberen Ecke: „Farbige Kunden nicht mit „Du“ ansprechen“. Ja genau, nicht einmal 20 Jahre ist das her, dass der durchschnittliche, deutsche Serviceangestellte sich einen solchen Ratschlag geben lassen musste.

„Unterdrückung“ vs Verlust der Hegemonie

Viel Zeit ist seitdem ins Land gegangen, viele Dinge haben sich geändert – viele Dinge aber eben auch nicht. Für den durch und durch bürgerlichen Teil Deutschlands ist die Welt seitdem etwas schwieriger (Nicht: „schwierig“) geworden. Gestern war man noch die lauteste und letzte Instanz der gesellschaftlichen Deutungshoheit – Heute ist der „Klaps“ für die Sekretärin und der „N*gerkuss“ tabu, und plötzlich dürfen auch andere Bevölkerungsgruppen reale politische Ansprüche anmelden. Weil diese Art von Bürgerlichkeit sich nie an einem Infoschalter ungefragt Duzen lassen musste (s.o.) und auch sonst wenig Erfahrung mit Diskriminierung hat, werden solche Vorgänge gerne mit „Unterdrückung“ verwechselt.

Das moderne Martyrium des Wutbürgers ist geboren, eine immer noch dominierende Gesellschaftsschicht hat es sich schmollend in der Opferrolle bequem gemacht. Nicht mehr König sein macht keinen Spaß, und bestimmt musste noch niemand in der Geschichte Deutschlands eine so bittere Ungerechtigkeit ertragen, wie die Streichung des „Zigeunerschnitzels“ von der Speisekarte.

Und hier kommt Dieter Nuhr ins Spiel:

Sein Erfolg ist die Rache des alten Deutschlands. Rote Köpfe klopfen sich auf die Schenkel – „So isses! Endlich sagt’s mal einer!“. Die Früchte hängen niedrig: Ein nicht bestehendes Tabu erst zu inszenieren, um es dann zu brechen: Das ist kein Widerstand gegen den „Gutmenschen-Gesinnungsterror“. Das ist einfach nur um eine bequeme, gefahrlose Fortsetzung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Daran ist nichts mutig, daran ist nichts originell, daran ist eigentlich auch nichts Kabarett.

Man kann sich das leicht an eben dieser Debatte um Greta Thunberg vergegenwärtigen. Dort steht auf der einen Seite ein Mädchen vor der UN und hält eine wütende Rede, auf der anderen Seite sitzen die Repräsentanten der mächtigsten Regierungen der Welt. Eine dieser beiden Seiten hat nach dieser Rede das Privileg, der anderen Partei ihre vollständige Machtlosigkeit vor Augen zu führen, indem sie die Anklage einfach komplett und ohne Konsequenzen ignoriert.

Über die andere Seite wird Dieter Nuhr sich lustig machen. Findet ihr nicht komisch? Ich auch nicht.

Artikelbild: Euku, CC BY-SA 3.0