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Keine Belege, keine Experten: 5 Fakten zu den 100 Lungenärzten gegen Schadstoffgrenzwerte

von | Jan 28, 2019 | Aktuelles, Analyse, Umwelt/Klima

Mit Autoritätsfehlschluss gegen die wissenschaft

Vor einigen Tagen wurde eine Stellungnahme von 112 deutschen Lungenfachärzt/inn/en veröffentlicht, die den Gegner/innen von Feinstoff- und Stickoxid-Grenzwerten einen Anstrich von wissenschaftlicher Seriosität geben sollte. Verkehrsminister Scheuer (Hier) und auch die AfD (Hier) waren über den Vorstoß der Ärzt/innen sehr erfreut. Doch um die Erklärung der Fachärzt/innen einzuordnen, hier ein paar Fakten zu der Debatte und der Unterzeichner/innenliste.



1. Erklärung der Ärzt/innen enthält keinen einzigen wissenschaftlichen beweis

Die 112 Lungenfachärzt/innem behaupten in ihrem Positionspapier: Die Luftschadstoffe NOx und Feinstaub sind gar nicht so schlimm, und den Grenzwerten dafür fehle die wissenschaftliche Grundlage. Ironisch: In der Stellungnahme selbst aber werden lediglich Behauptungen aufgestellt, ohne dafür auch nur eine einzige Studie zu zitieren, die diese Thesen untermauert. Sie macht also genau das, was sie vorwirft: Unwissenschaftlich Behauptungen aufstellen (Mehr dazu).

2. Alles Laien: Keiner der Unterzeichner/innen ist Expert/in

Es ist zwar begrüßenswert, dass sich auch Lungenfachärzt/innen an der Debatte über gültige Grenzwerte beteiligen. Während sich über den Stand der Wissenschaft eher schlecht streiten lässt, so sind Grenzwerte doch von Menschen festgelegt. Kritik an Grenzwerten und damit einhergehenden Verhältnismäßigkeit von Fahrverboten kann durchaus sinnvoll sein.

Nino Künzli, Experte für Gesundheitsrisiken durch Schadstoffe, kritisiert jedoch, dass es sich bei keinem der Unterzeicher/innen um Expert/inn/en handelt: „Das sind alles Laien“. Auch wenn es selbstverständlich studierte Ärzt/innen sind, ist keiner von ihnen Wissenschaftler/in. Sie haben nicht wissenschaftlich auf dem Gebiet geforscht. Er argumentiert, dass ein einzelner Arzt eine Krankheit feststellen kann, aber nicht deren Ursache. „Zum Beispiel ein Herzinfarkt, der ausgelöst ist durch Feinstaub, […] sieht exakt gleich aus wie jeder andere Herzinfarkt.“ (Quelle).

3. Luftverschmutzung ist erwiesenermaßen tödlich

Dr. Eckert von Hirschhausen (Quelle) fasst unter dem Titel „Warum ich lieber die Abgase von Radfahrern einatme als von Autos“ fünf Fakten zu der Gesundheitsbelastung von Luftverschmutzung zusammen:

1. An einem Tag mit höherer Luftverschmutzung sterben mehr Menschen im Vergleich zu Tagen mit niedrigerer Luftverschmutzung.

2. Menschen, die in Städten mit höherer Luftverschmutzung leben, sterben früher als Menschen, die in Städten mit niedrigerer Luftverschmutzung leben – unter Berücksichtigung anderer Faktoren, die bekanntermaßen den Tod beeinflussen.

3. In Stadtvierteln innerhalb derselben Stadt, die stärker belastet sind als andere Stadtteile sterben Menschen früher – unter Berücksichtigung aller anderen Faktoren, die bei den Menschen in den Nachbarschaften unterschiedlich sein können.

4. Vor allem haben wir auch Studien, die zeigen, dass die Sterblichkeitsraten sinken und Menschen länger leben, wenn die Luftverschmutzung reduziert wird – entweder durch eine Verordnung oder durch ein ‚natürliches Experiment‘ wie eine wirtschaftliche Rezession und eine geringere Industrieproduktion oder einen Arbeitsstreik.

5. Dreckige Luft macht krank. Und wenn Autos nicht Höchstgeschwindigkeit fahren, brauchen sie weniger Ressourcen, machen weniger Dreck und töten weniger Menschen. Punkt.

Die Studien hat er unter seinem Beitrag beigefügt, hier nachzulesen.

4. Initiatoren der Initiative auch für Automobilindustrie tätig

Wie LobbyControl kritisiert, hat man nicht alle Initiatoren der Unterschriftenliste genannt. Einige sind nicht einmal Lungenärzte. Die Autoren sind neben Dieter Köhler und Martin Hetzel (beide Lungenärzte), Matthias Klingner (Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme) und Thomas Koch (Karlsruher Institut für Technologie, früher über 10 Jahre Daimler AG).

Die vollständige Liste der Autoren der Initiative wird auffälligerweise nicht genannt, und lediglich im Begleittext auf „lungenaerzte-im-netz.de“ mit Nachnamen erwähnt. Ohne Vornamen und ohne Angabe der beruflichen Hintergründe. Ihre Namen tauchen aber in der Unterschriftenliste auf. Das heißt, dass mindestens zwei Unterzeichner nicht einmal Lungenärzte sind. (Quelle)

5. Von 3800 gefragten Ärzt/innen haben nur 110 unterschrieben

Dass es sich bei der Liste der Unterzeichner/innen auch um eine Minderheit unter Lungenärzt/innen handelt, wird bei den öffentlichen Darstellungen ebenfalls nicht genannt. So waren die 3800 Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie dazu aufgerufen worden, den Text zu unterzeichnen. Wenn dem Aufruf nur 112 (oder, siehe Punkt 4, maximal 110) Lungenärzt/innen nachkamen, dann handelt es sich um eine deutliche Minderheit (Quelle).

2 Seiten ohne belege vs 50 Seiten mit 451 Quellen

Fassen wir zusammen: Eine Unterschriftenliste von Laien, von denen einige anscheinend nicht einmal Lungenärzte sind und sowieso schon die Minderheit unter den Pneumolog/inn/en ausmachen, prangert ohne jeglichen wissenschaftlichen Beweis und entgegen unzähliger Studien an, dass die Debatte unwissenschaftlich geführt wäre. Die Ironie ist nicht zu übersehen.

Die deutsche Gesellschaft für Pneumologie, also genau die Gruppe, von denen sich nur ein Bruchteil dazu entschloss, den Aufruf zu unterzeichnen, hat erst im November 2018 ein Positionspapier veröffentlicht, das den der Stand der Wissenschaft dargestellt und die aktuellen Grenzwerte im Wesentlichen stützt. Dieses wiederum ist 50 Seiten lang und hat 451 Quellenangaben (Man fordert sogar eine Senkung der Grenzwerte, mehr dazu).

Natürlich sagt das noch gar nichts über die Qualität der Studien und deren Wissenschaftlichkeit aus. Aber nachdem die „renommierten Wissenschaftler“ („Die Welt“), die gar keine Wissenschaftler/innen und nur eine Minderheit sind, gar keine Studien auf 2 Seiten als Belege aufgeführt haben, spricht es doch eine deutliche Sprache.

Da ignoriert man 50 Seiten offizielles Positionspapier der deutschen Gesellschaft für Pneumologie, um lieber ein paar Laien mit verdächtigen Verknüpfungen zur Automobilindustrie und ohne Belege als „Expert/inn/en“ darzustellen. Die Ärzt/innen, die sich bedauerlicherweise dafür einspannen haben lassen, haben jedoch vielleicht mehr Schaden angerichtet, als sie sich hätten vorstellen können

Bärendienst für die wissenschaft, gefundenes Fressen für Klimaleugner und lobbyisten

Was die Unterzeichner/innen, im Zusammenspiel mit einschlägigen Medien jetzt erreicht haben? Dass jegliche reproduzierbare Evidenz, die nicht in das politische Weltbild passt, mit den üblichen „Fake News“-Vorwürfen ignoriert werden kann. Es wird der Eindruck vermittelt, „die Wissenschaft“ sei über die Sache viel gespaltener als sie ist. Doch das stimmt nicht.

Einer ohnehin stark politisierten Debatte wird es unmöglich gemacht, sachlich und wissenschaftlich geführt zu werden. Wenn solche Ablenkungsmanöver für die Öffentlichkeit als wissenschaftlicher Standpunkt herhalten müssen. Klimaleugner/innen und Lobbyist/inn/en der Autokonzerne jubeln. Die Ärzt/innen, die den Aufruf unterschrieben haben, haben unbewusst ihre Stimmen denjenigen gegeben, die wahnwitzige Behauptungen aufstellen, wie dass es überhaupt keine Feinstaubbelastung gäbe oder gar keine gesundheitlichen Folgen.

Eine Debatte über Grenzwerte und Verhältnismäßigkeit von Fahrverboten kann und soll man führen. Doch dann aufgrund von Studien und wissenschaftlicher Evidenz, am besten von Expert/inn/en, die sich mit dem Thema auskennen. Doch das Thema entwickelt sich zu einem weiteren Schauplatz ideologischen Anschreiens, in der die mediale Diskussion nichts mit Wissenschaft gemein hat.

Artikelbild: pixabay.com, CC0