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Kein Verbot, Kein Polizeischutz: 8 Fakten zur Schweinefleisch-Debatte

von | Jul 24, 2019 | Aktuelles, Analyse, Umwelt/Klima

Faktencheck zur „Schweinefleisch-Debatte“

Nach einem Bericht der BILD-Zeitung über die Entscheidung zweier Kitas in Leipzig, Schweinefleisch von der Speisekarte zu streichen, ist eine große, hitzige Debatte entstanden. Es gab viel Empörung und auch Hetze, doch viele der Kommentare basieren auf Missverständnissen und Falschmeldungen. Wir haben alle aktuellen Fakten gesammelt und klären über den Stand der Dinge auf.



1. Es gab kein „Schweinefleisch-Verbot“

Entgegen der Darstellung einiger Kommentierenden (CDU Sachsen, AfD), aber auch einiger Medien (n-tv, Münchner Merkur, Süddeutsche) handelt es sich nicht um ein „Verbot“ von Schweinefleisch in den Kindertagesstätten. Der Speiseplan der Einrichtung wurde lediglich geändert und zukünftig werde kein Schweinefleisch mehr serviert werden.

Und natürlich ist das ein Unterschied. Denn privat dürfen die Kinder immer noch an Brotzeit mitbringen, was sie wollen (Quelle). Man würde doch auch nicht von einem sagen wir „Kaviarverbot“ sprechen, weil kein Kaviar auf dem Speiseplan steht. Übrigens eine Praktik, die viele Kitas schon lange pflegen. Ohnehin können alle Kinder schließlich auch zu Hause oder überall anders jederzeit Schweinefleisch essen, wenn sie es denn möchten.

2. Anpassung, um gemeinsames essen zu ermöglichen

Des Weiteren ist Ziel der Speiseplan-Anpassung gewesen, dass es ermöglicht werden sollte, dass alle Kinder gemeinsam Essen können, auch wenn sie kein Schweinefleisch konsumieren. Der Träger der gemeinnützigen Kitas sah es nur als einfacher an, einfach insgesamt schweinefleischfreie Speisen anzubieten, als eben gesonderte Alternativangebote zu beschaffen. Es war eine Entscheidung für Speisen, die am wenigsten Probleme bereitet. Außerdem gibt es weiterhin Fleisch – wenn auch ohnehin nicht jeden Tag. Das wäre dann die beklagte „Extrawurst“ gewesen.

Aktueller Speiseplan eines der Kindergärten. via LVZ

3. Es war keine Forderung von Muslimen

Entgegen einiger Darstellungen, waren es keine Muslime, die diese Anpassung gefordert haben. Es war eine freiwillige Entscheidung der Kita-Leitung. In der E-Mail, in der die Eltern über die Änderung des Speiseplans informiert wurden, tauchte das Wort „Muslime“ auch kein einziges Mal auf. Ein Vater, dessen Sohn in eine der betreffenden Kitas geht, erklärt auf Facebook (via BildBlog):

„Unser Kindergarten tut dies aus Respekt gegenüber anderen Religionen. Damit sind nicht nur Muslime gemeint, sondern auch Juden oder Buddhisten.“

Im Gegenteil, mehrere Muslime betonten öffentlich, dass es nicht in ihrem Interesse sei, wenn andere wegen ihnen auf Schweinefleisch verzichten müssten. „Fragt jemand die Muslimische Community? Wir haben nichts gegen Schweinefleisch. Wir essen es halt nur nicht.“ (Quelle) Auch Sawsan Chebli betonte auf Twitter, dass Muslime sich nicht wünschen, dass andere auf Schweinefleisch verzichten.

4. Keine staatliche Einrichtung

Der Träger der beiden Einrichtungen ist die „Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung berufstätiger und alleinerziehender Eltern mbH“ und damit eine private Einrichtung. Das heißt, die „Wahlfreiheit“, die vielerorts gefordert wird, ist gegeben. Denn wenn eine private Kita gezwungen wäre, Schweinefleisch anzubieten wäre genau diese schließlich nicht gegeben. Mit Trennung von „Staat und Kirche“ hat dies damit auch nichts zu tun. Denn der Staat war nicht an dieser Entscheidung beteiligt.

Städtische Einrichtungen, sowie die evangelischen Kindertagesstätten in Leipzig streichen Schweinefleisch hingegen nicht grundsätzlich vom Speiseplan. Das ist dort auch nicht nötig, wie Martina Menge-Buhk vom Referat Kommunikation und die Kita-Fachbereichsleiterin der Diakonie Leipzig, Christiane Michalski respektive mitteilen (Quelle). Denn dort gibt es meistens ohnehin mehrere Gerichte zur Auswahl, auch für Allergiker und Vegetarier.

5. Drohungen gegen Kinder wegen berichterstattung

Inzwischen erhalten die Kita und ihre Mitarbeiter Drohungen. Auch in den Gruppen und Kommentarspalten werden viele beleidigende und volksverhetzende Aussagen getroffen. Entgegen der Formulierungen der BILD, die diese unbedeutende Speiseplanänderung erst publik machte, ist dieser Hass jedoch nicht die Folge der Änderung. Sondern ihrer Berichterstattung.

Denn die Änderung fand bereits am 15. Juli statt, über eine Woche vor dem Bericht. Vor der tendenziösen Berichterstattung gab es keinerlei Beschwerden von den Eltern, den Kindern oder sonst wem. Erst Recht gab es keine Drohungen gegen die Kita. Auch andere Kitas, die das bereits seit Jahren so handhaben, erleben nicht derartige Drohungen.

6. kein polizeischutz

Obwohl die BILD davon berichtete, gab es allerdings keinen Polizeischutz für die Kitas. Die LVZ berief sich sogar auf einen Behördensprecher, doch die Polizei dementierte uns gegenüber so eine Aussage.

Laut Polizei waren lediglich Beamte vor Ort, um Kontakt mit der Leitung wegen der Drohungen aufzunehmen. Vermutlich wurde deren Anwesenheit als „Polizeischutz“ fehlinterpretiert. Noch sieht die Behörde dafür (zum Glück) keinen Bedarf.

7. Streichung inzwischen ausgesetzt

Inzwischen hat die Kita-Führung die Streichung von Schweinefleisch von der Speisekarte jedoch aufgrund der öffentlichen Empörung ausgesetzt. Sie möchten diese Entscheidung beim nächsten Elternabend erneut besprechen.

8. weniger fleisch ist gesund und gut für die umwelt

Unabhängig vom konkreten Fall bieten viele Kitas kein (Schweine-)Fleisch an. Begründet wird das vielfältig, so ist Fleischkonsum äußerst schlecht für die Umwelt, ist einer der Hauptverursacher von Emissionen, Landerosion und Regenwaldrodung (Mehr dazu). Auch aus gesundheitlichen Gründen ist weniger Fleischkonsum sinnvoll.

Die DGE empfiehlt lediglich 300g bis 600g Fleisch pro Woche. Bisher essen Deutsche mehr als das doppelte (Mehr dazu). Auch bringt es großes Leid für die Tiere mit sich. Erst gestern wurde ein Tiertransport mit 143 Schweinen auf der A2 gestoppt. Bei 41° waren die Tiere „völlig dehydriert und in einem äußerst schlechten Gesundheitszustand“, einige Tiere waren bereits gestorben.

Kommentar: Sollte man aus religiösen gründen verzichten?

Es ist richtig, dass niemand zur Einhaltung irgendwelcher religiösen Vorschriften „gezwungen“ werden sollte, wenn er oder sie nicht möchte. Jedoch ist das auch nicht der Fall, weder möchten Muslime, dass andere dies tun, auch nicht „aus Rücksicht“, noch ist das der Fall bei Speiseplänen in Kitas, die versuchen müssen, die Bedürfnisse aller Kinder wirtschaftlich zu befriedigen. Etwas anderes wäre durchaus nicht sinnvoll. Das gleiche gilt aber auch für Diskussionen beispielsweise über ein Tanzverbot an Karfreitag.

Eine Verminderung des Fleischkonsums auch in öffentlichen Einrichtungen ist gesundheitlich und umwelttechnisch durchaus sinnvoll und hat den schönen Nebeneffekt, dass eine größere Anzahl an Menschen mit unterschiedlichen Ernährungsweisen bedient werden kann. Ohnehin ist die Diskussion und die Reaktion auf diese eine Speiseplanänderung völlig überzogen. Denn diese Praktik ist längt an vielen Kitas Realität. Und stört auch niemanden – denn es ist kein „Zwang“ und kein „Verbot“.

Unser Kommentar zum Thema:

BILD zündelt, das Land dreht durch: Warum die Schweinefleisch-Debatte so irre ist

Artikelbild: pixabay.com, CC0