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Auf Wunsch der Milchlobby löscht der Bayerische Rundfunk Klimaschutz-Tipps

von | Mrz 29, 2021 | Analyse

Wie der Bayerische Rundfunk nur aufgrund eines Shitstürmchens Fakten löscht

Es ist 2021 und unter der Coronakrise schwelt leider immer noch die noch viel größere Klimakrise bedrohlich vor sich hin. „Wie wäre es also, wenn wir der Bevölkerung ein paar hilfreiche Tipps an die Hand geben, wie sie den eigenen Klimaimpact verringern können?“, dachten sich ein paar verantwortungsvolle Menschen bei Bayern 3.

Das ist die Popwelle des Bayerischen Rundfunks, deren Facebook-Präsenz entsprechend flippig und etwas seicht daherkommt, tiefgründige Dostojewski-Interpretationen finden sich dort eher selten. Anstatt also direkt zu fragen, wann wir das auf Wachstum basierende Wirtschaftssystem beenden wollen, setzten die Kolleg:innen erst mal auf etwas Mitmach-Faktor: So bekommt man seinen Kaffee nachhaltiger.

Tipp 1: Keine Milch im Kaffee. Besser: Milchalternative, z. B.: Soja- oder Hafermilch

Tipp 2: Bio-Kaffee kaufen

Tipp 3: Eigenen Becher verwenden

Total harmlos, könnte man denken. Der Kaffeeanbau selbst ist ja jetzt nicht gerade das ideale Klimavorbild, aber selbst mit dem Minimalkonsens „lasst uns den Kaffee wenigstens etwas klimaschonender trinken“ stößt man in Deutschland schon an Lobbyinteressen. In diesem Fall an die der Milchlobby.

Milchlobby instrumentalisiert die eigenen Kinder für das Geschäft

Die hat sich nämlich aufgrund von Tipp 1 zahlreich und laut eigenen Angaben „eindeutig und unmissverständlich“ zu Wort gemeldet und so für einen „mittelschweren Shitstorm“ gesorgt, auf den sie wohl selbst ziemlich stolz ist. „Milchbauern und Milchbauernkinder“ hätten auf Facebook kommentiert und bei Bayern 3 angerufen, bis der Sender den Post tatsächlich gelöscht hat:

„[…] sorgte Tipp 1 ‚Keine Milch im Kaffee – Besser: Milchalternative z.B. Soja- oder Hafermilch‘ für einen mittelschweren Shitstorm. Das völlig zu Recht und anscheinend nicht nur von den wenigen Milchbauern und Milchbauernkindern, die sich eindeutig und unmissverständlich auf der Facebook-Seite von Bayern 3 zu Wort gemeldet haben. Auch der ein oder andere Anruf ging beim öffentlich-rechtlichen Sender ein!“

Was genau an diesen Nachhaltigkeitstipps nun so schlimm war, dass man die eigenen Kinder in einen peinlichen Medienzirkus mit hineinzieht, hat die Milchlobby leider zu erklären vergessen. Wir können nur noch spekulieren, aber die Formulierung „angeblich ‚nachhaltigen‘ Tipps“ lässt erahnen, dass der Rat, Pflanzenmilch zu benutzen, aus Sicht des Milcherzeugerverbands Bayern gar nicht nachhaltig ist (Spoiler: Ist er doch).

Gut, die Milchbauern und -bäuerinnen verdienen mit ihrem mitunter brutalen Geschäft ja auch 220 Millionen Euro im Jahr, das will man sich natürlich nicht von so ein paar Klima-Naseweisen zerreden lassen. Klimaschutz? Fakten? Pah, davon lassen wir uns doch nicht unser Businessmodel kaputtmachen.

Aus Sicht der Wissenschaft eindeutig: Kuhmilch deutlich klimaschädlicher als pflanzliche Alternativen

Dabei gibt es Dutzende Untersuchungen, die Umweltauswirkungen verschiedener Milcharten miteinander vergleichen. Diese Studie der Universität von Oxford aus dem Jahr 2018 vergleicht gleiche mehrere Aspekte miteinander: Klimaemissionen, Landnutzung, Wasserverbrauch, Schwefeldioxidemissionen und Eutrophierung. Die Ergebnisse sind angesichts der hohen Methanemissionen von Kühen wenig überraschend:

Sieht also so aus, als sei Kuhmilch bezogen auf Klimaschaden, Landnutzung und Wasserverbrauch die schlechteste der 5 Milchsorten. Warum löscht Bayern 3 also einen aus Sicht der Wissenschaft vollkommen zutreffenden Tipp für nachhaltigere Ernährung? Weil ein paar Lobbyvertreter:innen auf ihrer Facebook-Seite rumgepöbelt haben? Was ist das denn für ein journalistischer Selbstanspruch?

Wenn Bayern 3 nächste Woche ein Schaubild postet, aus dem hervorgeht, wie viele Menschen an Lungenkrebs sterben und der Verband der Tabakindustrie orchestriert einen Shitstorm, wird das dann auch wieder gelöscht? Und gibt es dann auch so eine unterwürfige Entschuldigung? Ja, Bayern 3 hat sich bei der Milchindustrie dafür entschuldigt, Fakten genannt zu haben, welcome to 2021.

„Es war nicht unsere Absicht, die wertvolle Arbeit, die in der Landwirtschaft geleistet wird, zu kritisieren. Und wir wollten auch nicht dazu aufrufen, landwirtschaftliche Produkte zu boykottieren. Es tut uns leid, wenn das durch die stark verkürzte Darstellung auf dem Bildpost so rüberkam. […] sorry dafür“

Bayern 3 entschuldigt sich für die Wahrheit – Ist das auch schon Cancel Culture?

Wow, das schreibt ernsthaft ein gebührenfinanzierter Sender als Antwort auf eine vollkommen haltlose Beschwerde, die auf den finanziellen Interessen des Beschwerdeführers beruhen. Und wie kommen die darauf, dass der Post eine pauschale Kritik an der Landwirtschaft ist? Als ich das letzte Mal nachgeguckt habe, stellten die meisten Firmen Sojamilch und Hafermilch aus Erzeugnissen der Landwirtschaft her. Damit die Interessen der Haferbauern gehört werden, die die Milchlobby hier einfach zur Seite schiebt, müssen die jetzt hoffentlich nicht auch ihre Kinder zwingen, bei Radiosendern anzurufen, damit die in ihrem Sinne berichten.

Sitzt da zufällig irgendein Molkereibesitzer im Rundfunkrat, der objektive Berichterstattung verhindert oder wie kommen die auf so eine absurde Idee? Niemand hat da zu Boykott aufgerufen, es ist einfach nur eine Information, wie Kaffeekonsum nachhaltiger sein kann. Das ist doch genau diese sagenumwobene Transparenz, die die Milcherzeuger angeblich immer wollen.

Die wollen alles so transparent und verbraucherfreundlich, dass sie Hersteller von Käsealternativen schon verklagen, weil diese das Wort „Käse-Alternative“ auf ihre Verpackung schreiben. Begründung: In dem Begriff ist das Wort „Käse“ enthalten. Ja, kein Witz, nach Logik der Milchleute impliziert der Begriff „Käse-Alternative“, es handele sich um Käse. Sie scheinen die eigenen Kund:innen für so verdammt doof zu halten, dass die das nicht von allein kapieren.

Milchlobby ansonsten immer so für Verbraucherschutz, aber jetzt auf einmal nicht mehr?

Also bitte alles transparent hoch 10, Verbraucherschutz ist uns voll wichtig und so bla bla, aber … WENN IHR DIE MENSCHEN ÜBER KLIMASCHÄDEN INFORMIERT GIBT ES EINEN SHITSTORM! Komplett lächerlich.

Und was ist da eigentlich bei den Öffentlich-Rechtlichen los? Wer entscheidet da, wann Beiträge gelöscht werden? Wir erinnern uns: Dieser unfassbar populistische Quatsch des SWR ist seit 2,5 Jahren online, auch nach Tausenden Beschwerden über die fehlerhafte Berichterstattung wird er nicht korrigiert oder um eine entsprechende Anmerkung ergänzt:

Das Lied „Meine Oma ist ‘ne alte Umweltsau“ wurde hingegen gelöscht, WDR-Intendant Tom Buhrow entschuldigte sich sogar persönlich.

Köln: Wer gegen „Umweltsau“ protestiert, hat das Video nicht verstanden

Die ARTE-Doku „Die verborgenen Seiten der grünen Energien“ wurde in breitem Konsens als unwissenschaftlicher, irreführender Unsinn kritisiert, blieb unverändert online und wurde nun in einer noch blöderen, zusammengeschnittenen Version bei ZDF Info hochgeladen, Originalzitat: „Die Energiewende ist reinstes Greenwashing. Man gibt sich einen sauberen Anstrich, aber die Verschmutzung wird nur verlagert.“

Öffentlich-Rechtliche geben chaotisches Bild ab

Ein sonderlich kohärentes Bild gibt das nicht ab. Die öffentlich-rechtlichen Sender scheinen sich hier daran zu orientieren, wie laut eine Interessengruppe ihrem Unmut Luft macht und nicht daran, wie berechtigt die Kritik ist.

Das ist für gebührenfinanzierte Sender mitten in einer Pandemie und einer Klimakrise einfach inakzeptabel.

Artikelbild: Screenshot

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