20.150

Coronomics: Warum die harten Corona-Maßnahmen unsere Wirtschaft schützen

von | Apr 8, 2020 | Aktuelles, Analyse, Corona

Coronomics?

Coronomics: Wird unsere Wirtschaft untergehen? Ist das Retten unserer Wirtschaft wichtiger als das Retten von Menschenleben? Müssen wir uns für eins von beiden entscheiden? Unsere Antwort: NEIN.

Längst ist die Frage nach Menschenleben und deren Schutz nicht mehr das bestimmende Narrativ (Erzählung) unserer Gesellschaft, sondern auch die Frage nach dem Zustand unserer Wirtschaft treibt täglich mehr Menschen um und nimmt einen immer weiter größer werdenden Platz in der öffentlichen Corona-Debatte ein („Maßnahmen müssen so schnell wie möglich zurückgenommen werden“). Unter dem Begriff Coronomics betitelte Thomas Pueyo in seinem neuem Artikel „Coronavirus: Out of Many, One“ seine Argumentation, warum die sogenannte „Unterdrückungsstrategie“ (harte Maßnahmen gegen die Pandemie) generell besser für die Wirtschaft ist:

(Seine Artikel zu Corona wurden weltweit millionenfach geteilt und in über 30 Sprachen übersetzt, „The Hammer & the Dance“ behandelten wir hier.)

„Basierend auf dem Wenigen, das wir heute wissen, sieht es so aus, als ob eine Unterdrückungsstrategie wirtschaftlich besser ist als eine Minderungsstrategie, sobald es einen Ausbruch gibt.“

Harte Maßnahmen retten Menschenleben und unsere Wirtschaft

In anderen Worten: Das harte Vorgehen unserer Regierung ist am Ende besser für unsere Wirtschaft, als wenn wir dies nicht tun würden. Wieso das so ist, wollen wir anhand des neuen Artikels „Coronavirus: Aus vielen entsteht eine Einheit“ von Thomas Pueyo kurz und einfach erläutern. Im Großen und Ganzen analysiert sein neuer Artikel die aktuelle Lage der USA mit vielen Grafiken und gibt Handlungsempfehlungen für die US-Regierung ab. Der Artikel ist erneut sehr lang (30 min Lesezeit, hier die deutsche Version), weshalb wir uns auf den Abschnitt 3. Coronomics seines Artikels fokussieren werden.

Basierend auf der Argumentation von Pueyo schreiben wir diesen Artikel, um darzulegen, dass die harten Maßnahmen für unsere Wirtschaft besser sind, als hätten wir diese Maßnahmen nicht ergriffen. Aber fangen wir erstmal bei den Basics an: Welche grundlegenden Strategien kann eine Regierung ergreifen, um sich einer Pandemie entgegenzustellen, und was hatte es nochmal mit dem Hammer auf sich?

(An dieser Stelle Grüße an Christian Lindner, Boris Palmer, die AfD, die entsprechenden Wirtschaftsvertreter und alle sonstigen Fans der „Lockerung der Maßnahmen so schnell wie möglich“ wegen der Wirtschaft – Fraktion. Ich hoffe, sie sind nach dem Lesen dieses Artikels schlauer als zuvor.)

Strategien zur Bekämpfung einer Pandemie

Politiker*innen stehen zur Bewältigung einer aufkommenden Pandemie zwei Handlungsoptionen zur Verfügung (ausgeklammert, dass sie natürlich auch nichts tun könnten). Die Schadensbegrenzung oder der „Hammer“. Die Minderungsstrategie oder die Unterdrückungsstrategie. Politiker*innen müssen bei ihrer Strategie-Entscheidung vor allem zwei Faktoren in Bezug auf die kommende Pandemie beachten und abwägen: Gesundheitssystem (Menschenleben) und Auswirkungen von Maßnahmen auf die Wirtschaft.

1. Minderung/Schadensbegrenzung/Mitigation (Herdenimmunität)

Das heißt: Einige Maßnahmen ergreifen, aber nicht zu zu viele auf einmal. Einfach nur die Kurve flacher machen, durch die Pandemie kommen, „Herdenimmunität“ aufbauen und schnell zur Normalität zurückkehren. Dies hat den Vorteil, dass ein wirtschaftlicher Schock zu Anfang vermieden wird, da die Wirtschaft einige Wochen oder Monate lang nicht abschaltet. Aber während des Pandemieverlaufs könnten Menschen aus Angst vor einer Infektion (Gesundheitssystem ist überlastet, es ist nicht sicher, ob man behandelt wird, wenn man ins Krankenhaus muss) vermeiden, zur Arbeit zu gehen oder zu konsumieren. Diese anhaltende Panik kann die Wirtschaft belasten, solange die Menschen glauben, dass die Epidemie nicht unter Kontrolle ist. Stellt euch vor, in einer Gesellschaft zu leben, in der täglich ein Haufen von Menschen sterben, und keiner genau weiß, ob man selbst im Zweifel behandelt wird, weil die Krankenhäuser kontinuierlich überfüllt sind. Das Krankenhauspersonal kann das übrigens auch nicht ewig durchhalten. Eine solche Gesellschaft würde sich anders Verhalten, entsprechend hätte das auch negative Auswirkungen auf Konsum und Arbeitsverhalten, was wiederum negative Effekte auf die Wirtschaft hat.

2. Unterdrückung/der Hammer und der Tanz/Suppression

Das  heißt: Frühzeitig einen „Hammer“ anwenden und die Wirtschaft für einige Wochen oder Monate ausschalten. Dadurch werden die Neu-Infektionen schnell reduziert. Der sogenannte Faktor R (Reproduktionszahl) wird auf unter 1 gedrückt und wir können zur Phase 1 „Containment“ zurückkehren. Während der Phase des Hammers bleibt Zeit, alles zu organisieren, vom Testen bis zur Kontaktverfolgung. Sobald die Testdaten zeigen, dass es sicher ist, geht man zum „Tanz“ über. Einem Zeitraum, in dem die Maßnahmen zur sozialen Distanzierung reduziert werden und die Bürger*innen Freiheiten zurückerlangen. Abhängig von der Situation sind jedoch noch weitere Maßnahmen notwendig, die in Kraft bleiben. Politik und Gesellschaft müssen in dieser Phase abwägen, was erlaubt sein darf und was nicht (was soll wieder geöffnet werden, in welcher Gruppenanzahl wird es wieder möglich sein, Leute zu treffen?) Großveranstaltungen müssen zum Beispiel weiterhin lange gesperrt bleiben, weil von diesen immer die Gefahr einer zweiten Infektionswelle ausgeht, die unsere ganzen Bemühungen bis zu diesem Punkt wieder zunichte machen können. Hier ein anschauliches Beispiel vom Spring Break (USA):

Zur Erinnerung hier die Grafik, die wir in unserem Artikel „Was getan werden muss, um bald wieder raus zu können: Der Hammer und der Tanz“ zur Erläuterung der Strategien verwendet haben:

Quelle: Thomas Pueyo

Das große Ganze der Pandemie

Nachdem die Basics geklärt sind, steigen wir in die Argumentation von Pueyo ein, warum harte Maßnahmen (Hammer) auf lange Sicht besser für die Wirtschaft sind. In der folgenden Grafik seht ihr mögliche Szenarien zur Erholung der Wirtschaft nach einer Pandemie. Die Grafik (bloß ein Modell, nicht die Wirklichkeit) zeigt das BIP pro Kopf (die Summe aller produzierten Güter und Dienstleistungen einer Volkswirtschaft, nach Abzug der sogenannten Vorleistungen. Man hat dann eine Gesamtzahl, rechnet die auf jeden einzelnen herunter, hat dann die durchschnittliche „Produktivität“ eines einzelnen Bürgers und kann diese Zahl mit anderen Ländern vergleichen). Das BIP nimmt im Laufe der Zeit zu oder ab während einer Pandemie, je nachdem wie auf die Pandemie reagiert wurde.

„Szenarien der wirtschaftlichen Erholung nach einer Epidemie“ Quelle: Thomas Puyeo

Szenarien:

1. Grüne Linie: Wir können zurück zur Normalität. BCG und der Harvard Business Review nennen dies “V-Form”. Die Wirtschaft kommt wieder auf ein Niveau wie vor der Krise.

2. Orangene Linie: Wir können wieder wie früher wachsen (Wirtschaftswachstum), haben aber zu viel BIP verloren und werden das Niveau unserer Wirtschaftsleistung vor der Krise erstmal nicht erreichen. Es dauert einige Jahre, bis wir wieder auf das gleiche wirtschaftliche Niveau zurückkehren. Dieses Szenario wird “U-Form” genannt.

3. Rote Linie: Der schlechteste Ausgang. Wir wachsen deutlich langsamer als früher und sind weit unter dem Niveau, welches wir früher erreicht hatten. Dieses Szenario wird “L-Form” genannt.

Welches Szenario eine Volkswirtschaft durchmachen wird, hängt davon ab, wie die Regierung am Punkt „Outbreak starts“ (Start des Ausbruchs der Pandemie) reagiert hat und welche Strategie sie anwendet.

Aber im Großen und Ganzen ist es wahrscheinlich, dass wir nach einem Jahr des Schmerzes wieder zur Normalität zurückkehren werden (Szenario 1). Warum? Zur Erklärung:

Vergleiche von Pandemien

Eine kürzlich durchgeführte Analyse ergab, dass die Pandemie von 1918 (spanische Grippe) generell das Pro-Kopf-BIP eines Landes um 6 % und den Verbrauch um 8 % für ein Jahr senkte.

Dennoch hat sich die Wirtschaft bei den meisten Pandemien des 20. Jahrhunderts danach wieder normalisiert. In der Grafik (Daten zur USA) werden Beispiele anderer Pandemien aufgeführt und deren Auswirkung auf BIP (oberer Teil der jeweiligen Grafik) und Wirtschaftswachstum (unterer Teil der Grafiken).

„Die Auswirkungen vergangener Pandemien auf das BIP und seine Wachstumsrate“ Quelle: Harvard Business Review

An allen Beispielen ist zu sehen, dass die Volkswirtschaft nach einem Jahr wieder auf das Niveau (BIP gleicht sich der blauen Trendlinie an) vor der Krise kommt. Wir können anhand vergangener Pandemien sehen, dass sich die Wirtschaft stets wieder „normalisiert“ hat.

Diese Beobachtung ist wichtig, weil sie die gesamte Diskussion relativiert: Was wir heute entscheiden, wird sich nur für kurze Zeit auf Leben und Wirtschaft auswirken. Die Geschichte lehrt uns jedoch, dass sich die Wirtschaft nach einer Pandemie normalerweise relativ schnell wieder erholt. Die Entscheidungen, die wir treffen, werden in diesem und im nächsten Jahr (kurzfristig) enorme Auswirkungen haben, aber wirtschaftlich gesehen ist es in einigen Jahren wahrscheinlich (langfristig), dass die Auswirkungen kaum spürbar sein werden.

In anderen Worten: Es mag auf kurze Sicht heftig wirken, was unsere Wirtschaft gerade durchmacht, aber auf lange Sicht gesehen wird die jetzige Phase keine so große Auswirkung auf die Wirtschaft haben. Alles was wir an „Schäden“ beobachten sind kurzfristige Effekte. In 5 Jahren wird die jetzige Phase ein Ausreißer sein, der an der Gesamtentwicklung der Wirtschaft nicht viel verändert hat. Machen wir aber erstmal weiter.

Welche Strategie ist besser? Unterdrückung oder Abschwächung?

Laut Puyeo ist es sehr schwierig, zu den wirtschaftlichen Ergebnissen der Abschwächung vs. Unterdrückung Modelle zu erstellen. Schön wäre es, wenn es in der wirklichen Welt ein Beispiel gegeben hätte, wo man beide Strategien anhand von relevanten Daten im Vergleich sieht. Tja, genau dieses Beispiel gibt es.

Bei der Pandemie von 1918 hatten verschiedene US-Städte unterschiedliche Herangehensweisen, um mit der spanischen Grippe umzugehen. Einige machten nicht viel, wie Philadelphia, deren Maßnahmen zu spät und nur für eine kurze Zeit kamen. Andere Städte, wie St. Louis, trafen schnell und für einen längeren Zeitraum Maßnahmen.

Im folgenden schauen wir uns die Handlungen der Städte an und wie sich diese auf die Weiterentwicklung der Wirtschaft ausgewirkt haben. Bevor wir auf die Ergebnisse eingehen, ist es wichtig, sich zu fragen: Was sollten wir erwarten?

„Hypothetische Veranschaulichung der aktuellen Besorgnis: Könnten sich die Maßnahmen negativ auf die Wirtschaft auswirken?“ Quelle: Thomas Pueyo

In dieser Grafik versucht Pueyo, die gängigen Bedenken vieler zu illustrieren: „Harte Maßnahmen schaden der Wirtschaft.“ Die grünen Punkte (Unterdrückung/Hammer) stehen hypothetisch für Städte, die demnach eine niedrige Sterblichkeitsrate, aber auch ein niedriges Wachstum haben (tendenziell weiter links unten = wenig Tote, wenig Wirtschaftsleistung).

Die roten Punkte (Minderung/Herdenimmunität) stehen für Städte, in denen deutlich mehr Menschen sterben, aber auch die Wirtschaft besser funktioniert (tendenziell rechts oben = viele Tote, viel Wirtschaft). Pueyo meint, so würde es aussehen, wenn die Bedenken der Kritiker*innen der harten Maßnahmen zutreffend wären. Aber was beobachten wir in der Wirklichkeit? Das genaue Gegenteil.

Auswirkung von Maßnahmen zur Bekämpfung einer Pandemie und ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft

Wie sich Maßnahmen zwischen 1914 und 1919 auf die Sterblichkeit und die Beschäftigung in US-Städten auswirkten Quelle: Sergio Correa, Stephan Luck, und Emil Verner (angepasst von Thomas Pueyo).

Was ihr hier sehen könnt, ist der direkte Vergleich zwischen US-Städten, die jeweils den Hammer (Social Distancing, Schließung von Veranstaltungen etc.) herausgeholt haben (grün) und denen, die wenig Maßnahmen (Mitigation) ergriffen haben (rot). Während die Sterblichkeitsrate in den roten Städten in der Tendenz deutlich höher liegt als bei den grünen (je weiter rechts auf der Grafik = mehr Tote) ist nicht zu erkennen, dass sich deren Strategie auch positiv auf die Wirtschaft ausgewirkt hätte (Entwicklung der Zahl der Beschäftigten in 5 Jahren = weiter oben bedeutet positiver für die Wirtschaft).

Eher ist es zu sehen, dass gerade die grünen Städte (je weiter links in der Grafik = weniger Tote) ein tendenziell höheres oder gleichbleibendes Wachstum der Beschäftigten aufweisen als die roten Städte. Die Trendlinie zeigt uns aber die generelle Richtung: Je mehr Menschen sterben, desto negativer ist die wirtschaftliche Entwicklung.

Gehen wir ein wenig tiefer:

„Wie die Wirtschaft durch die Anzahl der Tage, die die Maßnahmen dauerten, beeinflusst wurde“ Quelle: Sergio Correa, Stephan Luck, und Emil Verner (für Leserlichkeit angepasst von Thomas Pueyo).

In diesen Grafiken wird gezeigt, wie sich die Länge der verhängten Maßnahmen („Number of days the measures lasted“, weiter nach rechts = Maßnahmen gingen länger) auf die jeweiligen Wirtschaftssektoren ausgewirkt hat. Die Grafik links zeigt die Entwicklung der Beschäftigten im Zeitverlauf, die in der Mitte den steigenden Wert (Value) des produzierenden Gewerbes und rechts das wachsende Bankguthaben. An allen Grafiken und anhand der Trendlinie (Durchschnitt aller Punkte) ist abzulesen: Je länger die Maßnahmen angehalten haben, desto besser war die Entwicklung im jeweiligen Wirtschaftsbereich in der Tendenz.

„Wie sich die Zügigkeit der Maßnahmen auf die Wirtschaft auswirkte“
Quelle: Sergio Correa, Stephan Luck, und Emil Verner (für Leserlichkeit angepasst von Thomas Pueyo)

Das gleiche gilt, wenn wir uns anschauen, „wie schnell“ gehandelt wurde („How fast measures were enacted“). Auch hier zeigt die Trendlinie deutlich, dass es sich positiv auf die Wirtschaft ausgewirkt hat, je schneller man gehandelt hat.

Hier sind einige Zitate direkt aus dem Artikel:

(Pandemics Depress the Economy, Public Health Interventions Do Not: Evidence from the 1918 Flu)

„Städte, die früher und aggressiver eingriffen, erlebten nach der Pandemie einen relativen Anstieg der realen wirtschaftlichen Aktivität“.

„In den stärker betroffenen Gebieten ist ein relativer Rückgang der Beschäftigung in der verarbeitenden Industrie, der Produktion, der Vermögenswerte der Banken und der Gebrauchsgüter zu verzeichnen.

„Die Rückgänge in allen Ergebnissen sind anhaltend und die stärker betroffenen Gebiete sind im Vergleich zu den weniger exponierten Gebieten von 1919 bis 1923 weiterhin depressiv.

„Wenn man 10 Tage früher auf die Ankunft der Pandemie in einer bestimmten Stadt reagiert, erhöht sich die Beschäftigung in der verarbeitenden Industrie in der Zeit danach um etwa 5 %. Ebenso erhöht die Einführung von NPIs (Anm. VVP Redaktion: „Nonpharmaceutical Interventions“ / „Nicht-pharmazeutische Interventionen“) für weitere 50 Tage die Beschäftigung in der verarbeitenden Industrie nach der Pandemie um 6,5 %.“

Was wir jetzt wissen

Jetzt gibt es natürlich Unterschiede zwischen der Grippepandemie von 1918 und der Coronavirus-Pandemie von 2020: Diese Pandemie betrifft ältere Menschen, sie hat eine niedrigere Sterblichkeitsrate, das Gesundheitssystem ist stärker. Die Menschen können mehr von zu Hause aus arbeiten, wir sind aber auch viel stärker vernetzt, sodass sich das Virus überall schneller ausbreitet.

Wir wissen nicht, ob die zuvor getroffenen Annahmen auch für die Corona-Pandemie gelten. Aber der einzige wirtschaftliche Beweis, den wir für Social Distancing Maßnahmen haben, ist, dass sie der Wirtschaft eher geholfen als geschadet haben.

Welche anderen Daten können wir betrachten, um zu beurteilen, wie schlecht die  Maßnahmen für die Wirtschaft sein könnten? Wie sieht es mit den Aktienmärkten aus?

Lockdown in Hubei – wie reagierte der Aktienmarkt?

„Wirtschaftliche Aspekte der Schadensbegrenzung VS. Unterdrückung in China“ Quelle: Thomas Pueyo (für Leserlichkeit angepasst von Andreas Bergholz).

China ist ein gutes Beispiel, um zu verstehen, wie die Märkte einen massiven Ausbruch eines tödlichen Virus bewerten, weil China einen gewaltigen Ausbruch hatte und (anscheinend) in der Lage war, diesen unter Kontrolle bringen zu können.

Als Hubei den Hammer herausgeholt hat und es zum Shutdown kam, gerieten die Märkte in Panik (#1). Aber sobald sie tief unten waren, begannen sie wieder zu steigen (#2). Anfang März waren sie wieder nahezu normal, auf ihr Niveau vor der Abschaltung und auf ein ähnliches Niveau wie im Vorjahr zurückgegangen (#3). Das bedeutet, dass die Investoren einer vollständige Schließung eines Gebiets von 60 Millionen Menschen kaum eine große Bedeutung beigemessen haben.

Erst als das Coronavirus zu einer weltweiten Pandemie wurde, begannen sich die Investoren wieder Sorgen zu machen (#4). Aber hier kommt es darauf an, wie sie die Kosten für die Sperrung einschätzten (Schritte #1 – #3). Die Antwort scheint zu sein: Nicht viel. An dem Tag, an dem Präsident Donald Trump den nationalen Notstand verkündete, stiegen die Märkte übrigens wieder an.

Hierzu Pueyo:

„Das sind nicht viele Informationen, aber wir müssen uns bewusst sein, dass wir mit sehr wenigen Daten Entscheidungen treffen, die Millionen von Menschenleben kosten könnten. Alle Informationen, die wir haben, müssen Teil unserer Analyse sein. Und bis jetzt legen alle uns vorliegenden Beweise nahe, dass eine Unterdrückungsstrategie nicht teurer wäre als eine Abschwächung, sondern eher das Gegenteil.“

Kurzes Zwischenfazit.

Jetzt haben wir einige Indizien dafür, dass:

  • Pandemien tendenziell nur kurzfristige Auswirkungen auf die Wirtschaft haben
  • Schnellere und längere soziale Distanzierungsmaßnahmen der Wirtschaft nutzen statt schaden
  • Ein Lockdown (Hammer), der einen Ausbruch kontrollieren kann, ausreichte, um das Vertrauen der Anleger*innen zu stärken, den chinesischen Aktienmarkt wieder auf das Niveau vor der Isolierung zu bringen.

Ausgehend von dem Wenigen, was wir heute wissen und in der Wirklichkeit beobachten können, sieht es so aus, dass die Unterdrückung (Hammer) wirtschaftlich besser ist als die Eindämmung, wenn es erst einmal zu einem Ausbruch eines Virus kommt.

Aber es gibt noch ein Argument, warum der Hammer besser ist als die Abschwächung:

Der Preis eines Lebens

Eine der zentralen Herausforderungen, die die Politik beim Vergleich von Unterdrückung und Milderung hat, besteht darin, dass es schwierig ist, einen Kompromiss zwischen Menschenleben und Wirtschaftlichkeit zu finden. Der Hauptvorteil der Unterdrückung, die geretteten Leben, lässt sich nicht in Geld ausdrücken.

Oder doch?

Das wird die ganze Zeit gemacht. In der Versicherungsbranche oder im Gesundheitswesen muss entschieden werden, wie viel ein Leben wert ist. Das ist die schmerzhafte Realität im Gesundheitswesen: Es gibt keine unendlichen Ressourcen. Man kann nicht jeden und alles behandeln. Andernfalls würde man bankrott gehen. Man ist gezwungen, Entscheidungen zu treffen: Wie sollen wir die begrenzten Ressourcen ausgeben, die wir haben? Welche Maßnahmen sind es wert, bezahlt zu werden, und welche sind zu teuer?

Die Art und Weise, wie das  berechnet wird, ist, dass wir uns fragen: Wie viel ist man bereit zu zahlen, um das Leben um ein Jahr zu verlängern? Im Gesundheitswesen in den USA liegt diese Zahl zwischen 50.000 und 150.000 Dollar pro Jahr.

Wenn wir das durchschnittliche Sterbealter für das Coronavirus mit 78 Jahren annehmen, haben diese Menschen im Durchschnitt noch 10 Jahre zu leben, was bedeutet, dass der / die durchschnittliche Coronavirus-Patient*in normalerweise bis zu 1,5 Millionen Dollar in 10 Jahren zahlen würde, um den Tod zu vermeiden (10 Jahre * 150.000 Dollar pro Jahr).

We don’t live to make money. We make money to live.

Anders ausgedrückt: Das Geld, um sich seine Gesundheit leisten zu können, muss erwirtschaftet werden. Stirbt man vorzeitig, wird auch keiner Arbeit mehr nachgegangen, um sich seine Gesundheit leisten zu können. Ergo ensteht ein Schaden an der Wirtschaft. Klein, wenn man vom einzelnen Individuum ausgeht, gigantisch, wenn man die Todesopfer nicht in ein paar Tausend, sondern in ein paar Millionen rechnet.

In seinem Artikel „Coronavirus: Why You Must Act Now“ erläutert Puyeo, wie die direkten Todesfälle durch eine Minderungsstrategie in den USA zwischen 500.000 und über 10 Millionen betragen können. Zur Erinnerung: Wenn man davon ausgeht, dass der Anteil der US-Bevölkerung, der sich infiziert, zwischen 40 % und 75 % liegt und die Sterblichkeitsrate zwischen 1 % (derzeit 1,5 % in Südkorea, dem Land mit einem der besten Test- und Gesundheitssysteme) und 4 % (Region Hubei) liegt, dann ist das das Ergebnis. (Zu beachten ist, dass die aktuelle Sterblichkeitsrate in Italien ~10 % beträgt).

Das berücksichtigt nicht die Kollateralschäden (andere Menschen, die sterben, weil sie keinen Zugang zu einer dringenden medizinischen Versorgung haben), die die Sterblichkeitsrate stark erhöhen könnten. Für Deutschland haben wir das hier errechnet:

Um nicht der Wirtschaft zu schaden eine „Durchseuchung“ erreichen? Reiner Wahnsinn!

Wenn man berücksichtigt, wie viel das Leben in den USA wert ist, würden die Kosten des Coronavirus bei Todesfällen für die USA zwischen 750 Milliarden und 15 Billionen Dollar betragen. Für den Kontext sind das zwischen 4 % und 75 % des BIP der USA. Die Gegenüberstellung ist schwindelerregend.

Minderung oder Unterdrückung? Der Hammer ist eindeutig besser

Pueyo bringt alle Informationen in der folgenden Grafik zusammen:

„Ökonomie der Schadensbegrenzung vs. Unterdrückung“ Quelle: Thomas Pueyo

Bei der Mitigation (Herdenimmunität) sterben mehr Menschen, die ökonomischen Kosten der Gesamtzahl der Toden für unsere Volkswirtschaft sind enorm hoch und der ökonomische Effekt auf unsere Wirtschaft ist schlecht.

Bei der Unterdrückung (Hammer) sterben deutlich weniger Menschen, dementsprechend sind die ökonomischen Kosten der Gesamtzahl der Toden niedriger und die Auswirkung auf unsere Wirtschaft ist positiv.

Das Ergreifen von harten Maßnahmen ist also am Ende die bessere Strategie für unsere Wirtschaft, als dass wir kurzfristig denken und die Schadensbegrenzung wählen.

Fazit: Unsere Wirtschaft wird wegen den Maßnahmen nicht untergehen 

Alle hier aufgeführten Argumente und Beispiel zeigen, dass es besser für unsere Wirtschaft gewesen ist, harte Maßnahmen zu ergreifen und große Teile der Wirtschaft vorerst herunterzufahren. Die sogenannte Minderungsstrategie verursacht deutlich mehr Tote und wirkt sich gleichzeitig negativer auf die Wirtschaft aus als der Hammer. Natürlich versucht unsere Regierung, den kurzfristigen wirtschaftlichen Schäden des Hammers so gut es geht mit Hilfsprogrammen und Rettungspaketen entgegenzuwirken. Die derzeitige Phase scheint hart, wenn man sie auf kurze Sicht betrachtet, der Hammer wird dennoch dafür sorgen, dass sich unsere Wirtschaft schneller erholen wird als andere Wirtschaften, die zögerlicher reagiert haben (zum Beispiel UK, USA oder Brasilien, die wollten am Anfang alle die Mitigationstrategie anwenden, sind aber alle irgendwann doch zum Hammer umgestiegen).

Wieso sollten wir dann unsere Strategie wechseln? Das ergibt einfach keinen Sinn. Wird unsere Wirtschaft untergehen? Ist das Retten unserer Wirtschaft wichtiger als das Retten von Menschenleben? Müssen wir uns für eins von beiden entscheiden? Unsere Antwort bleibt: NEIN. Wir haben die Wirtschaft und Menschenleben schon mit dem Hammer gerettet, wenn wir die Maßnahmen noch beibehalten.

Wer wissen möchte, wie lange das alles noch dauern wird, kann das hier nachlesen:

Der beste Weg, wie wir Corona schlagen: Wir müssen zurück zu Phase 1

Zum Schluss möchte ich hier die Abschlussworte von Pueyo aus seinem Artikel zitieren, die zwar nicht eins zu eins auf uns in Deutschland zu übertragen sind, aber dennoch ein Gefühl dafür geben, mit welcher Motivation er seine Texte schreibt:

Aus vielen entsteht eine Einheit

„Wir stehen vor der größten Schlacht unserer Generation, und der heutige Tag ist wichtiger denn je. Wir haben zwei Möglichkeiten: Entweder wir vereinen uns als Land oder wir werden als einzelne Staaten zusammenbrechen.

Der Raum für Fehler ist gering. Ein paar Tage ohne Maßnahmen und tausende US-Amerikaner*innen sterben. Unsere Mitarbeiter*innen im Gesundheitswesen sterben bereits an der Front. Sie sind bereit, ihr Leben für uns alle zu geben. Denn darum geht es beim Leben. Auch wir müssen um jedes Leben unserer Landsleute kämpfen. Weil wir wissen, wenn wir diese Leben zusammen zählen, wird das den Unterschied zwischen Gewinnen und Verlieren ausmachen. Zwischen dem Leben oder dem Sterbenlassen unserer Liebsten.

Ich möchte im Gewinnerteam sein. Und du?“

PS: Coronomics zeigt, dass unsere Wirtschaft aufgrund der Maßnahmen nicht untergehen wird. Teilt den Artikel oder diese verkürzte Textversion mit Freund*innen und der Familie, stellt ihn gerne in eure WhatsApp Gruppen. Und falls ihr nicht davon überzeugt seid, dass gewisse Politiker*innen (zum Beispiel euer / eure Wahlkreisabgeordnete*r) diese Informationen haben, schickt auch ihnen den Artikel. Danke.



Artikelbild: Thomas Pueyo