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Faktencheck: AfD hat keine Ahnung, wie Diesel funktionieren (nicht unter Wasser)

von | Jul 19, 2021 | Analyse

AfD verbreitet peinlichen Hochwasser-Fake als E-Auto-Kritik und macht sich komplett lächerlich

Die Hochwasser-Katastrophenmeldungen sind nicht nur für die Menschen in den Krisenregionen eine Gefahr für die Existenz, auch die AfD leidet mit jedem gebrochenen Damm und jeder weggerissenen Häuserfassade ganz besonders. Allerdings nicht aus Empathie mit den Flutopfern, sondern weil so eine Katastrophe erst mal die Medien beherrscht und sie sich nur schlecht als Hetze gegen Minderheiten einsetzen lässt.

Es verwundert schon etwas, dass die AfD noch keine Kampagne gegen ausländische Regenwolken gestartet hat, aber vielleicht kommt das ja noch. Auch der immer heftiger diskutierte Umstand, dass die Klimakrise solche Ereignisse in Zukunft noch wahrscheinlicher macht, hilft wenig, wenn die Klimaschutz-Strategie im eigenen Wahlprogramm vorschlägt, „dem Klimawandel positiv [zu] begegnen“. Ja Leute, eure Häuser sind eingestürzt und Menschen sind tot, aber seht es doch einfach positiv. Wäre das Thema nicht so bitterernst, könnte ich mich darüber kaputtlachen.

Rechte Forderungen nach Unterlassen von „Instrumentalisierung“ – und instrumentalisieren selbst

Die Devise aus der rechten Klimaleugnungsecke war also schnell, dass die tödliche Hochwasserkatastrophe nicht für politische Forderungen „missbraucht“ werden dürfe. Der auf dem Klimaauge blinde Julian Reichelt vom BILD-Hetzblatt skandierte in seinem Kommentar: „Der Anstand gebietet, den Wahlkampf ruhen zu lassen – und einfach nur zu helfen!“ und fand damit entsprechend Anklang.

Verbrenner im Wasser?

Pikant daran: Die Leute, die solche Forderungen teilten, hinderte das nicht daran, die Hochwasserkatastrophe höchstselbst politisch auszuschlachten. So fand sich auf Facebook mehrere Bilder von zwei durch tiefes Wasser fahrenden Rettungsfahrzeugen im Rheinland-Pfälzischen Kordel, beschriftet mit vollkommen konfusen Vorwürfen an E-Autos und erschreckend hohen Share-Zahlen:

„Stellt euch mal vor, künftig werden bei solchen Katastrophen nur noch E-Autos eingesetzt. Da würden mal kurz ein paar Funken sprühen, es gäbe einen Kurzschluß (sic) und das war’s dann.“ (knapp 90.000 mal geteilt, mittlerweile aber gelöscht)

Eine Petra S. teil Reichelts Statement, dass der Wahlkampf nun ruhen müsse, nur 20 Stunden, nachdem sie das hier schrieb:

„So, ihr Lieben Grünen! Wie soll eine solche Katastrophe mit Fahrzeugen ohne Benzin oder Diesel bewältigt werden, wenn es keinen Strom mehr gibt!???“ (50.000 mal geteilt)

Oder auch ganz offiziell vom AfD-Landtagsabgeordneten Andreas Winhart, er schreibt am 16. Juli 2021 auf Facebook: „Künftig mit E-Autos in die Flutkatastrophe? Funken, Kurzschluss, Feierabend! Folgen wir dem grünen Wahn der Altparteien, werden wir bei Hochwasser und Stromausfall in Zukunft keine einsatzfähigen Verbrenner mehr haben!“

Nur zwei Tage später fragt er „Missbrauchen Fridays for Future (FFF) und die Grünen die Flutkatastrophe zu ihrem eigenen Vorteil?“. Auch die Junge Alternative NRW teilt das Bild und schreibt dazu: „Diesel-Motoren retten Leben!“

Ist Heuchelei offenbar egal: Winhart (AfD)

AfD hat von Verbrennern oder E-Autos wohl keinen blassen Schimmer

An diesen Behauptungen ist nur leider (oder zum Glück) alles falsch. Es ist so himmelschreiend falsch, dass wir, wären das Klassenarbeiten, die Notenskala von 1 bis 6 um die Noten 7 (postfaktisch) und 8 (kompletter Schwachsinn) erweitern müssten. Solche Behauptungen kann eigentlich nur eine Person zu Papier bringen, die weder von E-Autos noch von Verbrennern auch nur ansatzweise Ahnung hat.

Die AfD hat also Sorgen, dass in Zukunft keiner mehr mit den Rettungsautos zu den Opfern kommt? Gut, sollte sie auch, denn laut eines DLRG-Augenzeugen sind die Autos auf diesen Bildern angeblich nach weiteren 50 Metern Fahrt stecken geblieben, so dass die Insassen dieser Wagen ebenfalls gerettet werden mussten.

Zwischenzeitlich hat eine Anwohnerin uns das mit Fotos bestätigt. Selbst die Bundeswehrfahrzeuge auf diesem Bild sind liegen geblieben. Auch die Bundeswehr bestätigte uns auf Anfrage, dass zwei KrKw-Fahrzeuge in zu tiefes Wasser fuhren und wegen eines Wasserschadens ausfielen. Der wichtigere Fakt ist aber: Normale Verbrenner bleiben unter Wasser stecken.

Verbrenner saufen im Hochwasser ab, ihr Genies

Es ist nämlich so: Verbrennungsmotoren und Hochwasser sind in der Regel eine eher schlechte Kombination. Damit im Innern ein Benzin- oder Dieselgemisch verbrannt werden kann, braucht der Motor wie jeder andere Verbrennungsvorgang Sauerstoff. Dieser Sauerstoff wird aus der Umgebungsluft angesaugt. Es sei denn, das Auto steht bis zur Motorhaube unter Wasser. Dann saugt der Motor naheliegenderweise Wasser an, was für ihn eher suboptimale Folgen hat, die ihr bei Interesse im Wikipedia-Artikel zu „Wasserschlag“ inkl. Bildern vollkommen verbogener Pleuel gerne mal nachschlagen könnt.

Dass ein Verbrennungsvorgang Sauerstoff benötigt ist übrigens Wissen aus der Mittelstufe. Ja, es gibt auch Jeeps, die durch sehr hohes Wasser fahren können, weil sie einen Ansaugschnorchel verbaut haben, der die nötige Luft auf Höhe des Daches ansaugt. Ein handelsüblicher Opel Corsa hat so was in der Regel nicht, damit ist eine Fahrt ins tiefe Wasser ein kurzer und auch teurer Spaß.

Nur fürs Protokoll: Die AfD, die sich ständig gerne als große Verbrennungsmotor-Partei in Szene setzt, muss jetzt also von mir veganem Fahrrad-Hippie erklärt bekommen, wie so ein Motor überhaupt funktioniert. Allein das ist schon facepalmesk im Quadrat.

E-Autos funktionieren im Hochwasser vielleicht sogar besser

So, und was ist jetzt mit den E-Autos? Gibt es da sofort einen Kurzschluss, weil die elektrisch funktionieren? Nun, wir schreiben glücklicherweise das Jahr 2021, in dem die Menschheit bereits erforscht hat, wie Batterien und Stromkreisläufe isoliert werden können. Wäre das nicht so, würde auf dem Bild ja auch das Blaulicht nicht funktionieren, das über eine konventionelle Autobatterie Strom zieht. Oder meint die AfD, der Beifahrer tritt in ein paar Pedalen und lässt das Licht per Dynamo leuchten?

Genau das wird in E-Autos gemacht. Aus naheliegenden Gründen ist die Batterie isoliert, so dass die zuallerletzt aufgeben würde, wenn der Innenraum längst durch undichte Stellen oder die Belüftungsanlage vollgelaufen ist. In der Praxis kommen diese Autos daher noch am besten durch stark überflutete Straßen.

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Mit einem E-Auto kann man ja auch durch Regen, in Waschanlagen oder durch Pfützen fahren, ohne dass auch nur ein Tropfen Wasser in die Batterie gelangen würde. Extra-Lektion für AfD-Mitglieder: Auch in Verbrenner-Autos ist heute kiloweise Elektronik verbaut. Wäre es nicht möglich, diese vernünftig zu isolieren, dann wäre eine Fahrt durch ein Gewitter auch mit einem handelsüblichen Erdöl-Auto nahezu unmöglich.

Was glauben die von der AfD denn, wie ein Scheibenwischer funktioniert? Oder haben die aus Angst vor Kurzschlüssen die Elektromotoren an den Wischern durch kleiner Verbrenner-Aggregate ersetzen lassen, die an der Tankstelle extra befüllt werden müssen?

Fun fact: U-Boote laufen unter wasser… elektrisch

Ach und hat irgendwer in der AfD mal die Funktionsweise von U-Booten kapiert? Uiuiui, die sind ja unter Wasser! Das geht nur mit einem guten deutschen Dieselantrieb, sonst gibt es ja sofort einen Kurzschluss und die Alliierten gewinnen schon wieder. Tatsächlich haben die meisten deutschen Uboote dieselelektrische Motoren: Fahren sie nahe der Wasseroberfläche, wird der Diesel-Motor mit Luft versorgt. Sollen sie tief tauchen, stellen sie komplett auf einen elektrischen Antrieb um. Hey, Junge Alternative, wie wäre es mit ein paar Sharepics dazu?

Ja, so ein E-Auto muss ich irgendwo aufladen, damit es fährt. Hat der Supercharger aufgrund der vollgelaufenen Trafo-Station keinen Strom, könnte das in der Tat kompliziert werden. Nun ist so eine Aral-Tankstelle unter Wasser aber halt auch kein Garant für ein sonderlich vergnügliches Tankerlebnis, wenn man keine Taucherausrüstung im Kofferraum hat.

Ganz grundsätzlich bergen Tankstellen, Ölheizungen und andere fossil betriebene Maschinen bei Hochwasser auch die Gefahr, dass sie das umgebene Wasser zusätzlich kontaminieren. Geplatzte Öltanks in Trier führten zum Beispiel dazu, dass über dem gesamten Ort ein schwerer Geruch von Benzin und Öl lag (Ab Minute 32:00).

Unter Wasser funktioniert auch eine Tankstelle nicht

Das vielleicht wichtigste Argument: Und selbst wenn das Stromnetz in solchen Situationen anfälliger wäre, spräche ja erst mal nichts dagegen, für den Notfall ein paar Diesel-Einsatzfahrzeuge bereitzuhalten. Bei der Energiewende geht es ja darum, die vielen Millionen PKW auf elektrisch umzustellen. Das hat eine große Wirkung, selbst wenn es ein paar wenige Spezialfahrzeuge gibt, bei denen das länger dauert.

Es sind übrigens auch schon vollelektrische Notfall-Fahrzeuge im Einsatz: Auf Borkum fährt seit Juni 2020 ein E-Krankenwagen. Die Berliner Feuerwehr nutzt einen E-Löschfahrzeug und in Wiesbaden nutzen Verkehrspolizei und Feuerwehr Nissan Leafs.

Fazit: Mit E-Autos kommt man in Hochwasserkatastrophen im Zweifel sogar ein Stück weiter

Fazit: Mit E-Autos kommt man in Hochwasserkatastrophen im Zweifel sogar ein Stück weiter, weil diese Technologie einfach etwas robuster ist als ein auf Verbrennung basierender Antrieb. Laut ADAC können aber beide genau so gut kaputt gehen (Quelle). Wegen Flutkatastrophen, die durch den Klimawandel schlimmer werden, also keine E-Autos anzuschaffen, ist ein Sinnlos-Argument. Andreas Winhart von der AfD jedoch, der Fridays for Future und den Grünen vorwirft, die Flutkatastrophe zu ihrem eigenen Vorteil zu missbrauchen, begründet mit genau dieser Flutkatastrophe, dass Deutschland weiter Diesel- und Benzinfahrzeuge braucht.

Abgesehen vom Heuchelei-Level 9.000 und davon, dass dieser Plan weitere Flutkatastrophen wahrscheinlicher macht, wäre das auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland ein Arbeitsplätze vernichtender Plan:

Ungefähr zwei Drittel der deutschen Autoexporte innerhalb Europas gingen 2019 in Länder, in denen diese ab 2032 komplett oder mindestens in den größten Städten verboten sein werden. Die AfD fordert hier also mehr Hochwasser. Und mehr Firmenpleiten in Deutschland.

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Artikelbild: Cookie Studio / Screenshot facebook.com

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