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Die Fälle dieser „Einzellfallkarte“ mit über 90 rechtsextremen Vorfällen in der Polizei sind echt

von | Okt 6, 2020 | Aktuelles, Analyse

Interaktive „Einzelfallkarte“ mit rechtsextremen Vorfällen in der Polizei

Eine rassistische Chatgruppe in der Polizei wurde am 1. Oktober 2020 aufgedeckt (Quelle), eine andere aus NRW erst zwei Wochen vorher (Quelle), auch in Mecklenburg-Vorpommern vor zwei Wochen (Quelle), gegen einen Polizeihauptkommissar und Dienstgruppenleiter in Bielefeld wurden ebenfalls am 1. Oktober 2020 wegen rechtsextremer Umtriebe Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckt (Quelle), ein Polizeianwärter aus Thüringen soll rechtsextremistische Inhalte weitergeleitet haben – Meldung vom 2. Oktober 2020 (Quelle). Das alles in den letzten Wochen. Kein Wunder, dass man den Überblick verliert. Eine interaktive „Einzelfallkarte“ soll das ganze Ausmaß des strukturellen Problems mit Rechtsextremismus in den deutschen Behörden darstellen (Link).

Die Macher:innen der „Einzelfallkarte“ schreiben:

„Alles Einzelfälle. Viele Vorfälle dringen seit Jahrzehnten deutschlandweit als Einzelfälle in die Öffentlichkeit. Doch es bleibt nicht bei Worten, Bildern oder Karikaturen. Im Falle des NSU haben Polizisten und Verfassungsschützer mit Nazis, mit Terroristen kooperiert. 10 Menschen wurden ermordet. Die Polizei schaute zu und machte mit.

Jede Institution, die von außen in die Polizei hineingeschaut hat, hat feststellen müssen, dass sich Rassismus und Rechtsextremismus virulent in der Polizei ausbreiten und kaum sanktioniert werden. Dass sich Polizist:innen derart sicher fühlen, dass sie sich in Terrororganisationen wie “Hannibal”, “Nordkreuz” oder “Gruppe S.” zusammenfinden, wo Patronen, Leichensäcke und Löschkalk beiseite geschafft werden. All dies mit dem Ziel die staatliche Ordnung zu stürzen, Menschen zu töten und vermeintlich Fremde zu vernichten.

Immer wieder heißt es, das alles seien nur Einzelfälle, nicht repräsentativ für einen “latenten” Rassismus unter Sicherheitskräften. Strukturellen Rechtsextremismus gibt es nicht im Polizeiapparat, denn schließlich ist Rassismus verboten, so der Bundesinnenminister. Darum seien “Generalverdacht” und “Pauschalurteile” keinesweg angebracht. Um nicht den Überblick über all die Einzelfälle der vergangenen Zeit zu verlieren, hat die Stay Behind Foundation eine Karte erstellt, die diese aufzeigt.“

Faktencheck: Fälle sind echt

Die Liste wird fortlaufend ergänzt und erweitert. Wir haben uns die zum Zeitpunkt dieses Artikels aufgelisteten Fälle angeschaut: Bei jedem steht dabei, um welche Behörde es sich handelt, welchen Zeitraum, sowie eine kurze Beschreibung und einen Verweis auf einen Artikel. Dieser Fall aus Aachen zum Beispiel über zwei Beamte, die vor einer Synagoge postiert waren und rechtsextreme Aufrufe über Funk verbreitet hatten (Quelle).

Ohnehin scheinen sich viele Einträge auf diese ausführliche Recherche von Belltower News zu stützten (Quelle), der mit allen Quellen rechtsextreme Fälle aus dem Jahr 2020 aufgelistet hat. Nicht jeder Fall der „Einzelfallkarte“ behandelt jedoch nur die Polizei: Einmal ist eine rassistische Chatgruppe des Verfassungsschutzes NRW aufgelistet – allerdings war eine Person Mitarbeiterin der Polizei (Quelle), weshalb der Fall dennoch seinen Platz auf der Liste gefunden hat.

Die meisten Fälle sind aus diesem oder letztem Jahr, einige Fälle gehen jedoch weiter zurück – bis 2005, als der Asylsuchende Oury Jalloh gefesselt in seiner Zelle verbrannte. Der Fall ist bis heute nicht aufgeklärt (Quelle). Bei den über 90 aufgezählten Fällen der „Einzelfallkarte“ handelt es sich allerdings nicht um jeweils nur eine:n Beamte:n, sondern oft um Gruppen mit manchmal nicht exakt bekannter Zahl. Die Personenanzahl dürfte in die Hunderte gehen.

Passend dazu stellte Innenminister Horst Seehofer – der für seine Weigerung, eine Studie über das wahre Ausmaß des Rechtsextremismus-Problems in den Behörden eine Studie in Auftrag zu geben, heftig kritisiert wurde (Quelle) – einen Lagebericht vor. Allein darin finden sich 380 Fälle (Quelle). Die Gruppe freut sich über weitere Hinweise: „Wer einen Einzelfall vermisst, sendet bitte einen Hinweis an: [email protected].“

Zum Thema:

Rechtsextreme Polizisten – einerseits andererseits

Artikelbild: Screenshot google.com


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