Autorin: Hanna Welte. Dieser Artikel erschien zuerst bei Verfassungsblog. Überschriften zur besseren Lesbarkeit teilweise ergänzt von Volksverpetzer.
In Deutschland versucht jeden Tag ein (Ex-)Partner, die (Ex-)Partnerin zu töten, jeden zweiten Tag ist dieser Versuch „erfolgreich“. Doch noch immer wird dieses Problem in Deutschland viel zu wenig thematisiert. In den Medien und auch seitens staatlicher Organe wird oft von „Beziehungstaten“ gesprochen. Diese Bezeichnung wird aber dem eigentlichen Problem nicht gerecht, sondern verharmlost es vielmehr. Auch in der Öffentlichkeit gibt es kaum Hinweise auf die tägliche tödliche Gewalt gegen Frauen (anders z.B. in Spanien, wo die nationalen Fahnen halb abgesenkt und schwarze Bänder aufgehängt werden, wenn ein Femizid begangen wird).
Die zwei tödlichen Gewalttaten gegen Frauen vor zwei Wochen in Berlin bilden dabei eine Ausnahme. In den Medien wurde von „Femiziden“ berichtet und verschiedene Politikerinnen, unter anderem Bundesfamilienministerin Lisa Paus, haben sich zu dem Thema geäußert. Die Debatte zum Umgang mit geschlechtsspezifischer Gewalt in Deutschland wurde dadurch erneut in den Fokus gerückt. Der Druck auf die Politik wächst, endlich wirksame Maßnahmen gegen die alltägliche Gewalt gegen Frauen zu ergreifen.
Um insbesondere die tödliche Gewalt zukünftig angemessen verurteilen zu können, erscheint die Einführung eines neuen Mordmerkmals, das die „Tötung aufgrund geschlechtsspezifischer Motive“ erfasst, sinnvoll. Die hier vorgeschlagene Formulierung wäre nicht nur ein Schritt in Richtung einer konsequenten Ahndung solcher Taten, sondern würde auch zur Sichtbarmachung dieses Problems beitragen und den Weg für tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen ebnen. Die erfolgreiche Umsetzung müsste dabei von Bildungsangeboten und Informationskampagnen begleitet werden. Die Effektivität einer solchen Maßnahme zeigt sich insbesondere im Vergleich mit Lateinamerika, wo bereits zahlreiche ähnliche Gesetze erlassen wurden (ECLAC, Preventing Femicides, S. 2).
Der Begriff des Femizids
Der Begriff des Femizids geht zurück auf Diana Russell und Jill Radford, die in ihrem Buch „Femicide: The Politics of Woman Killing“ ursprünglich formulierten:
„Femicide is the misogynist killing of women by men“ (S. 3).
Heute gibt es zahlreiche Ansätze, Femizide zu definieren. Es geht dabei um tödliche Gewalt, die direkt (bspw. die Tötung des Intimpartners, der sog. Intimizid) oder indirekt (bspw. genital cutting) zum Tod einer weiblichen oder als weiblich gelesenen Person führt. Dabei wird die Gewalt meist von Männern, insbesondere von intimate partners, verübt, beschränkt sich jedoch nicht auf eine männliche oder männlich gelesene Tätergruppe. Femizide haben ihren Ursprung in einer misogynen Gesellschaftsstruktur, die nicht ausschließlich von Männern, sondern auch von Frauen unterstützt wird (so wird das genital cutting oft von Frauen an Frauen der jüngeren Generation durchgeführt).
Schlussendlich, und hierbei bestehen die meisten Unterschiede, bedarf es auch eines subjektiven Elements. Einige Definitionen fordern eine Tötung gerade aufgrund des Geschlechts, andere beziehen den Vorsatz auf die geschlechtsspezifische Dimension der Tat (näher hierzu: Streuer, Feminizid, S. 235 ff.). Das Phänomen des Femizids lässt sich dabei nicht auf eine soziale Herkunft, eine Ethnie, eine Kultur oder Religion beschränken. Vielmehr kommt die tödliche Gewalt gegen Frauen in allen sozialen Schichten, in allen Ländern, in jeder Kultur und jeder Religion vor. Dabei nimmt sie verschiedene Formen an, die von den genannten Intimiziden bis hin zu Hexenverfolgungen reichen (hierzu ebenfalls: Streuer, Feminizid, S. 59 ff.).
Totschlag oder Mord
Bislang werden Femizide in Deutschland als Tötungsdelikte nach § 212 StGB (Totschlag) oder § 211 StGB (Mord) bestraft. Für eine Verurteilung nach § 211 StGB ist erforderlich, dass die Tötung in Verbindung mit einem der acht Mordmerkmale erfolgt. Im Zusammenhang mit Femiziden kommen dabei insbesondere zwei Mordmerkmale in Betracht: Heimtücke und niedrige Beweggründe. Auch die anderen Mordmerkmale können in bestimmten Fällen zutreffen. Diese beziehen sich jedoch auf die Art der Tat selbst und nicht auf das geschlechtsspezifische Verhältnis zwischen Täter und Opfer, wie es bei den Merkmalen Heimtücke und niedrige Beweggründe der Fall ist.
Heimtückisch handelt, wer die Arg- und daraus folgende Wehrlosigkeit seines Opfers bewusst ausnutzt, um das Opfer zu töten (st. Rspr., vgl. z.B. BGH 24.1.2024 – 1 StR 363/23, Rn. 9). In Fällen von Femiziden kann dies vorkommen, ist aber oft unwahrscheinlich. Der Täter geht in der Regel von einer physischen Überlegenheit aus und übt gezielt Gewalt gegen das Opfer aus (hierzu: Schneider, Trennungstötung als Mord, ZRP 2021, S. 183).
Das weitere mögliche Mordmerkmal ist das Merkmal der „niederen Beweggründe“. Diese liegen vor, wenn die Tat nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist (st. Rspr., vgl. z.B. BGH 28.3.2024 – 4 StR 370/23, Rn. 30). Allerdings hat der Bundesgerichtshof in seiner Rechtsprechung festgestellt, dass Eifersucht wegen des Endes oder eines eventuellen Endes einer Beziehung – ein häufiges Motiv bei Femiziden – nachvollziehbar sein kann und daher nicht immer als niedriger Beweggrund gewertet wird (vgl. z.B. BGH 7.5.2019 – 1 StR 150/19, Rn. 8). Dies zeigt, dass Mordmerkmale zwar in Betracht kommen können, eine Verurteilung wegen Mordes jedoch oft aus den soeben skizzierten Gründen ausbleibt.
Ein neuntes Mordmerkmal
Vor diesem Hintergrund wird die Einführung eines neunten Mordmerkmals in § 211 StGB diskutiert (zuletzt auch im Gesetzesentwurf der CDU/CSU, S. 15 ff.). Anders als die CDU/CSU Fraktion, die die Einführung des Merkmals „unter Ausnutzung der körperlichen Überlegenheit“ vorschlägt (zur Kritik: Gmelin, Muskelkraft als Mordmerkmal), empfiehlt dieser Beitrag die Einführung des Merkmals „Tötung aufgrund geschlechtsspezifischer Motive“.
Damit wäre Deutschland kein Vorreiter, sondern würde sich vielmehr an einer Vielzahl von Staaten aus Lateinamerika orientieren. Dort haben seit den 1990er Jahren alle Staaten, mit Ausnahme von Kuba und Haiti, spezielle Tatbestände für Femizide eingeführt (ECLAC, Preventing Femicides, S. 2). Das vorgeschlagene Mordmerkmal würde im Vergleich zu diesen jedoch eine geschlechtsneutrale Formulierung nutzen und so auch männliche Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt schützen, statt sich ausschließlich auf Femizide zu konzentrieren. Es ist in diesem Zusammenhang jedoch zu erwähnen, dass von den insgesamt 179 Tötungen durch eine:n (Ex-)Partner:in im Jahr 2023 87 %, d.h. 155 Fälle, weibliche Opfer betrafen. Dieses Ungleichgewicht zeigt, dass die Regelung in erster Linie der Gleichstellung von Frauen dienen soll, indem sie geschlechtsspezifische Gewalt, die vor allem gegenüber Frauen erfolgt, gezielt bekämpft.
Warum Femizide in Deutschland oft nicht als Morde verfolgt werden
Für Mord ist in Deutschland die Verurteilung zu einer lebenslangen Haftstrafe vorgesehen, § 211 Abs. 1 StGB. Diese Strafe ist den schwersten Verbrechen vorbehalten und erfordert eine restriktive Auslegung der Mordmerkmale, um ein angemessenes Verhältnis zwischen der Strafe und dem begangenen Unrecht zu gewährleisten (z.B. bei der Heimtücke, BGHSt 30, 105). Im Hinblick auf geschlechtsspezifische Taten ist jedoch auf den misogyn geprägten, strukturellen und gesamtgesellschaftlichen Kontext hinzuweisen, aus dem solche Verbrechen hervorgehen. (Tödliche) geschlechtsspezifische Taten stellen die tragischste Ausprägung der aus diesem Kontext fließenden Unterdrückung von Frauen dar und sind daher als besonders schwerwiegend einzustufen. Wie bereits aufgezeigt, sind die Mordmerkmale „niedrige Beweggründe“ und „Heimtücke“ in Fällen von Femiziden aber oft nicht erfüllt, sodass Femizide meist nur als Totschlag nach § 212 StGB verfolgt werden.
Die Einführung eines spezifischen Mordmerkmals für Tötungen aufgrund geschlechtsspezifischer Motive würde diese Lücke schließen. Es würde der besonderen Dynamik von geschlechtsspezifischer Gewalt, insbesondere gegenüber Frauen, Rechnung tragen, die in der bestehenden Rechtsprechung bislang oft unberücksichtigt bleibt. Darüber hinaus würde die Einführung sicherstellen, dass diese Taten rechtlich als besonders verwerflich eingestuft und konsequent als Mord geahndet werden. Dies wäre ein entscheidender Schritt, um geschlechtsspezifische Tötungen angemessen zu bestrafen und den Opfern sowie ihren Familien Gerechtigkeit zu verschaffen.
Gesetze gegen Femizide: Lateinamerika als Vorbild?
Auf den ersten Blick kann jedoch der Eindruck entstehen, die Einführung eines solchen Mordmerkmals führe in der Praxis keine tatsächlichen Änderungen herbei. Es gibt Beispiele aus Lateinamerika, wo ähnliche Gesetze zwar eingeführt wurden, jedoch aufgrund von Vorurteilen und dem mangelndem Verständnis der Rechtsanwender:innen nicht konsequent angewendet werden. In vielen lateinamerikanischen Staaten wird daher weiterhin auf allgemeine Tötungstatbestände zurückgegriffen, was die erhoffte Wirkung der neuen Gesetze abschwächt. Zudem hat der Erlass solcher Gesetze bislang nicht zu einem umfassenden strukturellen Wandel in den lateinamerikanischen Gesellschaften geführt. Es bestehen weiterhin tief verwurzelte patriarchale Normen, die Femizide fördern (hierzu: Streuer, Feminizid, S. 187 ff.).
Das lässt jedoch die symbolische Dimension eines solchen Mordmerkmals außer Acht. Die Einführung kann den Beginn eines größeren gesellschaftlichen Wandels markieren. Zentral hierbei ist insbesondere die erhöhte Sichtbarkeit von Femiziden in Deutschland. Die Einführung eines eigenen Mordmerkmals würde nicht nur die gesellschaftliche Wahrnehmung geschlechtsspezifischer Gewalt schärfen, sondern auch die Berichterstattung und die strafrechtliche Verfolgung solcher Taten. Eine Gesetzesänderung würde ein starkes Signal an die Gesellschaft dahingehend senden, dass Gewalt gegen Frauen aufgrund ihres Geschlechts ein besonders schwerwiegendes Verbrechen ist und als solches behandelt werden muss.
Schärfere Gesetze gegen Femizide als erster Schritt des gesellschaftlichen Wandels
In Lateinamerika wurde das gesellschaftliche Bewusstsein für Femizide durch Bewegungen wie NiUnaMenos vorangetrieben. Die Bewegung half, die Einführung von Femizid-Gesetzen auf den Weg zu bringen und dadurch Gewalt gegen Frauen als gesamtgesellschaftliches Problem in das öffentliche Bewusstsein zu rücken. Auch wenn in Lateinamerika der Wandel nur langsam vonstattengeht, zeigt sich, dass mit den Gesetzen der erste Schritt getan wurde, um strukturelle Ungleichheiten anzugehen. Darüber hinaus werden die Prozesse durch Bildungsmaßnahmen, Schulungen und öffentliche Kampagnen unterstützt.
Solche wären in Deutschland ebenfalls notwendig, um die Einführung eines neuen Mordmerkmals zu begleiten. So wurden z.B. in Guatemala nach der Häufung von Femiziden Anfang der 2000er neben dem Gesetz gegen Femizide unter anderem eine Koordinierungsstelle für die Verhütung, Bestrafung und Beseitigung von Gewalt in der Familie und Gewalt gegen Frauen sowie ein nationaler Aktionsplan zur Verhütung und Beseitigung von Gewalt in der Familie und Gewalt gegen Frauen eingeführt (IACtHR, Véliz Franco v. Guatemala, Rn. 263).
Darüber hinaus bestünde bei der Einführung des Merkmals der geschlechtsspezifischen Motive auch nicht die Schwierigkeit, den subjektiven Tatgrund, also das explizit frauenfeindliche Motiv des Täters oder der Täterin, eindeutig zu beweisen. Im Strafrecht sind nicht zwingend absolute Beweise für jeden Tatbestand erforderlich. Vielmehr könnte es genügen, den gesamtgesellschaftlichen Kontext von struktureller Ungleichheit und geschlechtsspezifischer Gewalt mit spezifischen Indizien des Einzelfalls – wie Hinweise auf vorangegangene Bedrohungen, Gewaltakte oder eine Vergewaltigung – zu verknüpfen. Dadurch würde der Zusammenhang zwischen der Tat und der strukturellen Gewalt gegen Frauen als ausreichender Hinweis auf ein geschlechtsspezifisches Motiv gewertet werden können, ohne dass ein direkter Nachweis des Motivs der Tötung notwendig wäre. Dieses Vorgehen nutzte bspw. der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte (IACtHR) im Fall Véliz Franco v. Guatemala (Rn. 178 f., 186 f.).
Fazit
Zusammenfassend wird deutlich, dass die Einführung eines eigenen Mordmerkmals für geschlechtsspezifisch motivierte Tötungen eine notwendige und sinnvolle Maßnahme wäre, um diese in Deutschland gezielter zu bekämpfen. Die vorhandenen Mordmerkmale stoßen in diesen Fällen an ihre Grenzen. Ein Mordmerkmal mit der diskutierten Formulierung könnte sicherstellen, dass Femizide angemessen erfasst und bestraft werden.
Die Erfahrungen aus Lateinamerika lassen erkennen, dass derartige rechtliche Reformen eine Schlüsselrolle bei der Bekämpfung struktureller Gewalt spielen können. Sie schaffen den notwendigen Rahmen, um geschlechtsspezifische Gewalt effektiv zu adressieren und bilden die Grundlage für einen langfristigen gesellschaftlichen Wandel.
Der Artikel erschien zuerst auf verfassungsblog.de, CC BY-SA 4.0. Überschriften ergänzt durch Volksverpetzer. Verfassungsblog ist ein Open-Access-Diskussionsforum zu aktuellen Ereignissen und Entwicklungen in Verfassungsrecht und -politik in Deutschland, dem entstehenden europäischen Verfassungsraum und darüber hinaus. Er versteht sich als Schnittstelle zwischen dem akademischen Fachdiskurs auf der einen und der politischen Öffentlichkeit auf der anderen Seite.
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