390

Wie ein rechter Shitstorm versuchte, diesen G20-Journalisten zu vernichten

von | Jul 8, 2018 | Aktuelles

Ein Jahr nach G20 schreibt Soeren Kohlhuber wie er durch seine Berichterstattung zur Zielscheibe gezielter rechter Hassnachrichten wurde.

Vor einem Jahr fand der G20-Gipfel in Hamburg statt. Er war der Anlass für Proteste und Ausschreitungen. Für mich persönlich endete der Gipfel bereits Freitagnacht während großen Ausschreitungen vom Schulterblatt. Gegen 21:30 Uhr begann ein siebentägiger internationaler Shitstorm gegen mich, initiiert von US-Amerikanischen Rechten. Das Finale waren Hetze, öffentliche Outings, Morddrohungen, Solidarität, aber auch ein großes Schweigen.

Bislang gab es nur wenige Menschen, die mich direkt fragten, wie ich die Zeit erlebte. Besonders in der Zeit nach dem Gipfel wurde nur über und nicht mit mir gesprochen. Lange hatte ich überlegt, ob ich mich äußern sollte, doch seit einem Jahr ist das Arbeiten nicht mehr wie vorher. Es vergeht keine Woche, in der Rechte mich nicht wissen lassen, dass der G20-Gipfel mich mein Leben lang wohl begleiten wird.

Was war nochmal geschehen?

Rechte Aktivistin mit Shirt der Identitären Bewegung auf G20-Demonstration © Sören Kohlhuber

Am Donnerstag den 06.07.2017 wollten internationale Linke durch die Hamburger Hafenstraße und die Innenstadt ziehen. Unter den zehntausenden Menschen sollen nach Darstellung der Polizei einige hundert vermummt gewesen sein. Sie werden als Grund herangezogen, um zehntausende Menschen zu entrechten. Die Demonstration wurde nicht angegriffen, um Straftäter festzunehmen, sondern um sie zu zerschlagen. Mit Reizstoffen und Wasserwerfern wurde das Gebiet großflächig geräumt. Erst viel später konnte eine Demonstration durch die Straßen ziehen.

Ebenfalls vor Ort waren Aktivisten der „Alt-Right“-Bewegung, sowie anderen rechten Strömungen. Als Medienaktivisten sind sie besonders in den USA bereits bekannt gewesen. So gibt es Videos, wie Personen dieser Gruppe, besonders Lauren Southern, gezielt versuchen, Antifas in den USA aber auch Europa zu provozieren, in der Hoffnung auf einen Übergriff, um sich darauf folgend zu victimisieren.

Auch in Hamburg war das offenbar das Ziel der Gruppe. Ausgestattet mit einem T-Shirt der „Identitären Bewegung“ zog man in Gruppenstärke durch die linke Demo. Die Personen stellen sich seit einigen Jahren vor die Kameras, präsentieren sich mit rechten Aktivisten von der „Identitären Bewegung“ bis zu den „Proud Boys“. Eine Sichtbarmachung von rechten Protagonisten bei den G-20-Gipfeln ist nach wie vor für einige ein Thema.

Meine auf Twitter veröffentlichten Bilder der Gruppe sollen in Folge für einen körperlichen Übergriff gesorgt haben

Wer mit einem T-Shirt einer rechten Gruppe in einer linken Demonstration umherzieht, dem sage ich Kalkül nach, so dass er zumindest davon nicht überrascht sein kann, wenn die Demonstrationsteilnehmenden aggressiv reagieren. Der erfolgte Übergriff wurde entsprechend dankbar von diesen Alt-Right-Kandidaten angenommen. Sofort veröffentlichten sie, wie sie es immer machen, Youtube-Videos und beschuldigten mich der Hetze.

Ihre Fangemeinde sprach davon, ich hätte dazu aufgerufen, die Gruppe anzugreifen und hätte sie als Neonazis bezeichnet. Beides ist aber falsch. Ich habe auf eine Person mit entsprechenden Shirt und das Umfeld hingewiesen. Mit keinem Wort habe ich dazu aufgefordert, die Gruppe anzugreifen. Auch wurden keine Persönlichkeitsrechte verletzt – wie auch, wenn Personen sich 24/7 in Bild und Ton darstellen und die öffentliche Präsentation ihr Kapital ist. Doch dies ist unerheblich. Der Stein rollte und war nicht mehr aufzuhalten.

Screenshots von Nachrichten

Als am Freitag neben mir auf dem Schulterblatt die Feuer meterhoch in den Himmel ragten, das Adrenalin konstant hoch war, bekam ich die ersten Nachrichten. Wegen mir seien Journalisten angegriffen worden. Ich hätte die Gesundheit von Kollegen auf dem Gewissen. Minütlich kamen Nachrichten vor allem aus dem englischsprachigen Raum bei mir an. War es anfangs noch ein Shitstorm, der auf Alt-Rights und deren europäischen Freunde beschränkt war, sickerte die Meldung eines linken Journalisten, der „die Antifa“ auf rechte „Kollegen“ gehetzt hat auch in das deutschsprachige neurechte/konservative Milieu hinein.

Die sahen sich nun meinen Twitteraccount genauer an. Gefunden wurden „Aufrufe zur Gewalt“ in Form von zwei zentralen Tweets. „Die Gewalt ging von Staat und Polizei aus. Jede Flasche, jeder Stein hat heute seine Berechtigung.“ ist der zentrale Aufreger-Tweet. Der Tweet wurde u.a. im Nachhinein mit den Ausschreitungen auf dem Schulterblatt in Verbindung gebracht, obwohl dieser 24 Stunden vorher, nämlich im Nachgang der „Welcome-to-hell“-Demonstration abgesetzt wurde.

Grundrechte mit Füßen getreten

In dem Tweet wird nicht Gewalt verherrlicht, wie es gerne dargestellt wird, sondern die Legitimität einfacher Gewalt beschrieben. Grundrechte wie das Versammlungsrecht, teilweise die Pressefreiheit, das Recht auf körperliche Unversehrtheit, die Möglichkeit des Rechtswegs – all diese in den Artikeln 1-19 beschriebene Grundrechte wurden den Menschen auf der Welcome-to-hell-Demonstration durch staatliche „Paramilitärs“ entzogen.

In Artikel 20 ist geregelt, dass, wenn Protagonisten versuchen diese Ordnungen zu beseitigen, „alle Deutsche das Recht zum Widerstand“ haben. Während antistaatliche Gewalt auf dem Maidan noch von der deutschen Politik hofiert oder staatliche Repression auf Taksim und Tahir sogar kritisiert wurde – und zwar zurecht – gilt in Deutschland ein anderes Prinzip.

Im Kontext des Angriffs auf Grundrechte sehe ich es auch weiterhin als legitim an, dass man bewusst das Recht bricht. Insbesondere, wenn es keinen Schutz durch Legislative und Judikative geben kann, da die Gewaltenteilung faktisch abgeschafft wurde, bzw. Gerichtsentscheidungen übergangen wurden. Menschen sollen sich entsprechend ihrer zur Verfügung stehenden Mittel gegen autoritäre und unterdrückerische Aktivitäten wehren.

Dies schließt explizit nicht die später am Abend oder in den Folgetagen stattgefunden Ausschreitungen mit ein, sondern bezieht sich einzig und allein auf die Situation im Vorfeld der Welcome-to-hell-Demo und ihrer Auflösung. Dennoch schafften es rechte Journalisten wie Alexander Wendt im Focus oder Rainer Meyer in der FAZ meine Person und meine Tweets aus ihrem Kontext zu ziehen, in einen weiteren zu setzen und so zu verfremden.

Der rechte Mob bekommt freie Hand

Rechte Promis und Blogs

Vom rechten Mob bis hin zur CDU Brandenburg hatte ein gefundenes Fressen für die Agitation gegen die Anti-G20-Proteste gefunden. Besonders die Tweets von Jakob Augstein, einem weiteren ehemaligen Störungsmelder-Kollegen und mir wurden 24/7 durchgekaut. Die Zeit.Online, bei welcher der Störungsmelder-Blog angesiedelt ist, sah sich ebenfalls einem massiven Druck ausgesetzt.

Es war offenbar nicht möglich, sich inhaltlich kritisch zu mir zu äußern ohne mich dem rechten Mob auszuliefern. Mit der Distanzierung aufgrund vermeintlich „unethischem Verhalten“ war klar, dass es keinen Schutz von ihnen gibt. Der rechte Mob sah sich bestätigt und es war erst Tag zwei des Shitstorms. Durch die Statements von Zeit.Online und PNN wurde dem rechten Mob signalisiert, sie seien im Recht und ihre Diffamierungen führen zum gewünschten Ziel.

Dachte ich anfangs, dass die Distanzierungen dafür sorgen würde, dass es ruhiger würde, wurde es nur doller. Die Morddrohungen wurden heftiger, meine Wohnanschrift fand ihren Weg ins Internet. Ein extra erstelltes Bild mit meinem Gesicht, meiner Anschrift und den Tweets ging viral um die Welt.

Was folgte war der erzwungene Wohnortwechsel, da nicht klar war, ob nach der Veröffentlichung meiner Adresse die Bedrohungen nicht doch noch in die Tat umgesetzt werden würden. Danke an die Menschen, die mir sofort Unterschlupf boten.

Solidarität und das große Schweigen

Die neue Rechte ist besonders stark in den sozialen Medien präsent und das bekam ich zu spüren. Gegen die Flut an Hassnachrichten konnte ich nur dank Freunden ankommen, die die Administration meiner Social Media Accounts übernahmen. Ich selber konnte weder alleine filtern, noch reagieren, zu viel und zu extrem waren die Nachrichten. Meine Arbeit einstellen- das gab es nicht als Option.

Dazu passend kamen die ersten Solidaritätsbekundungen, verrückterweise waren die ersten aus den USA. Antifagruppen von New York bis keine Ahnung wohin bekamen noch vor mir mit, was passiert. A special thanks to the New York City Antifa, die mich mit entsprechenden Informationen versorgte und auf die kommenden Tage exakt vorbereitete.

Die virtuellen Shitstorms der neuen Rechten sind dort ein länger bekanntes Phänomen. Sie konnten vorraussagen wie lange, wie stark der Shitstorm agiert und welche Netzwerke, wann wie wo zuschlagen werden. Selbst die Angriffe auf meine verschiedenen Accounts wurden vorrausgesagt. Gleichzeitig gab es eine breite auch in Teilen kritische Solidarität aus linksradikalen, antifaschistischen Zusammenhängen. Per Privatnachrichten äußerten sich auch Redakteure sog. „seriöser Medien“. Sie wollten mir beistehen, trauten sich dies aber nicht öffentlich aus Angst davor, ebenfalls in den Abgrund gezogen zu werden.

Dennoch gaben genau diese Bekundungen die Kraft weiterzumachen. Und mir war es wichtig zu zeigen, dass die Solidarität gegen rechte Angriffe, ob virtuell oder real nicht verpufft, sondern wirkt. Bereits am 11.07. noch mitten im Shitstorm fuhr ich nach Halle. Antifas demonstrierten gegen die Eröffnung einer Zentrale der „Identitären Bewegung“. Meine Anwesenheit sollte einen Mittelfinger gegen die Rechten senden und die Dankbarkeit an die antifaschistische Bewegung für die gebende Kraft in Form der Solidarität signalisieren.

Dennoch sitzen einige Stacheln tief

Und zerschnittene Tischtücher sind auch ein Jahr später nicht genäht. Dass linke Medien, Institutionen, Parteien und Verbände schwiegen, während zwei linke Journalisten öffentlich an den Pranger kamen und ohne Verteidigung dem Mob ausgeliefert wurden, ist für mich bis heute nur schwer zu verstehen. Dass es sogar linke Medien, wie das Neue Deutschland, schafften in den Reigen des rechten Mobs einzustimmen verwunderte sogar. Plötzlich war man eine Persona-non-grata. Gegebene Interviews wurden nicht veröffentlicht, niemand wollte mit dem Schmuddelkind in Verbindung gebracht werden. Und das von denjenigen, die sich sonst das Wort Solidarität groß auf die Fahnen schreiben.

Nach den erfolgreichen Angriffen auf meine Person, haben rechte Medienaktivisten verstanden, wie sie antifaschistische Journalismus destabilisieren können. Es sind dieselben Blogs und Autoren, die im Jahr 2018 gegen Patrick Gensing agierten – diesmal zum Glück ohne Erfolg.

Ein Kollege bei ver.di meinte, wenn der Sturm vorbeigezogen ist, wird sich die neugewonnene Aufmerksamkeit positiv auszahlen. Vielleicht erst ein halbes Jahr später, vielleicht ein ganzes. Nun ist ein ganzes Jahr vergangen. Die Erde dreht sich weiter. Die Rechten hetzen ebenfalls weiter. Es ist ein wenig wie vor dem G20. Mit einem Unterschied. Ich weiß auf wen ich mich in Zukunft verlassen kann und für wen ich diese Arbeit mache.

An dieser Stelle nochmal Danke an die Menschen, die mir in dieser schweren Woche im Juli 2017 beistanden, mich nicht alleine ließen. Ich werde dies nicht vergessen. Di eingeschränkte Solidarität war aber auch erschreckend. Gerade in der Zeit es Rechtsrucks, ist es wichtig, dass die emanzipatorischen, antifaschistischen Kräfte solidarisch zueinander sehen, auch wenn es inhaltliche Differenzen geben mag.

Autor: Soeren Kohlhuber, Link zum Original auf seinem Blog. Sören Kohlhuber beobachtet als freier Journalist die Entwicklung der rechten Szene in Deutschland und dokumentiert regelmäßig deren Aufmärsche.

Artikelbild: pixabay.com, CC0, restliche Bilder: Soeren Kohlhuber (c)