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#ichbinhier-Studie deckt geheimes rechtes Netzwerk auf, das uns über Social Media manipuliert

von | Jul 7, 2018 | Analyse

Über gezielte Manipulation der Kommentarspalten Bestimmt eine kleine Minderheit an rechtsextremen Social-Media-Hetzern seit Jahren die politischen Diskurse,

Am 05.07.2018 setzte der ichbinhier e.V. mit der Veröffentlichung der Studie „Hass auf Knopfdruck“ einen weiteren Meilenstein in seiner Geschichte. Zusammen mit dem Institute for Strategic Dialogue (ISD, London) und der dort tätigen wundervollen Julia Ebner wiesen wir nach, dass ein kleiner Teil von Nutzern den Diskurs in eine bestimmte Richtung lenken will und rechtsextreme Narrative ins Netz gießt.

Dem zu erwartenden Gegenwind haben wir so gut es geht argumentativ den Wind aus den Segeln genommen. Der Hauptkritikpunkt wird sein, dass wir den Unterschied zwischen freier Meinung und Hetze nicht beachten. Weiterhin wird vorgeworfen werden, dass #ichbinhier auch organisiert ist. Und es wird wohl mit Sicherheit der Einwurf kommen, dass wir Meinungen unterdrücken. Und was ist eigentlich mit „Links“ und „Islamisten“? Alles Punkte, aber in diesem Zusammenhang nicht relevant. Warum? Das erkläre ich euch.

Es ist schlimmer als gedacht

Die Kernaussagen der Ergebnisse sind dramatisch. Denn es ist viel schlimmer als gedacht. Wir wundern uns seit Monaten, wo diese ganzen aufhetzenden Kommentare herkommen und ob die Mehrheit wirklich so denkt. Auffallend war immer schon, dass nur zu bestimmten Themen so emotional diskutiert wurde. Ausländerkriminalität, alles über Geflüchtete, soziale Themen, die dann wieder auf Geflüchtete zurückgeführt wurden.

Um das genauer zu verstehen, wurden diese Kommentarspalten untersucht. Ich möchte jetzt nicht auf die genaue Methodik eingehen, die steht in der Studie. Ich würde stattdessen lieber darauf eingehen, was daraus folgt, dass ein sehr kleiner Anteil sehr aktiver Accounts für 50% der Likes für aufhetzende Kommentare verantwortlich ist.

Dazu möchte ich kurz einen Schwenker nach Berlin machen. Dort habe ich auf einem Podium Frau Prof. Naika Foroutan kennengelernt. Sie kannte unsere kleine Studie nicht. Noch nicht. Als sie aber von ihren Erfahrungen bzw. Untersuchungen berichtete, wie kleine Gruppen offline den Diskurs drehen und bestimmen können, sah ich sofort unsere Ergebnisse bestätigt.

Nazis versuchen Muslime und Flüchtlinge für alles verantwortlich zu machen

Ganz augenscheinlich ist dabei die Strategie der Wortergreifung. Stellen wir uns einen Raum vor, in dem ein Thema diskutiert werden soll. Meinetwegen eine Bürgerversammlung, die darüber redet, was für Freizeitveranstaltungen angeboten werden können. Sport, Musik, Kochen, Schwimmkurse. Zwischen den Bürgern sitzen gezielt die Störenfriede. Lassen wir es 50 Bürger sein, 4 Störenfriede. Die Bürger überlegen sich was, und da ruft ein Störenfried dazwischen: „Müssten wir nicht auch Kochkurse für Muslime anbieten? Die essen doch etwas anderes!“

Und natürlich wird darauf abgezielt, dass Muslime eine Extrawurst wünschen. Ruft ein zweiter aus einer anderen Ecke: „Dürfen die Frauen da überhaupt mit teilnehmen?“ Schon verschiebt sich ein ganzer Diskurs in eine bestimmte Richtung. Und wenn das nicht genug wäre, werden Muslime geframed: Extrawürste und frauenfeindlich. Obwohl das Thema eigentlich gar nichts mit Muslimen zu tun hat. Übrigens: genau diese Strategie bzw. Taktik sehen wir auch in den Bundestagsdebatten.

5% der Accounts liken 50% der Hetz-Kommentare

Nun werden einige sofort an die Kommentarspalten denken und eine Parallele erkennen.
5% der Accounts (wobei ein Nutzer mehrere Accounts führen kann) sorgen für 50% der Likes für aufhetzende Kommentare. Was folgt daraus?

Nicht nur, dass bestimmte Gruppierungen und Organisationen ihre Narrative und Frames in den Mainstream (hier: große Medienseiten) kippen, die Veröffentlichungspolitik der Medien orientiert sich auch noch daran! Mehr Klicks, mehr Werbeeinnahmen. Basierend auf rechtsextremen Narrativen. Entsprechend reißerisch wird berichtet, und scheinbar gibt es keine anderen Probleme mehr in Deutschland. Das sieht der Postillon genauso:

„Das ergab ein Blick auf die seit Monaten herrschende politische Debatte in Parteien, Medien und sozialen Netzwerken. Demnach existieren Missstände wie Altersarmut oder Obdachlosigkeit hierzulande schlicht nicht. Auch einen Mangel an Pflegepersonal oder eine immer weiter auseinandergehende Schere zwischen Arm und Reich sucht man vergeblich.

Stattdessen geht es seit Monaten ausschließlich darum, eine immer kleiner werdende Anzahl von Flüchtlingen durch immer umfangreichere Maßnahmen von der Einreise abzuhalten. Nicht existent sind dagegen soziale Ungleichheit, Umweltverschmutzung, Lohndumping, exzessiver Lobbyismus, marode Infrastruktur, Rassismus, Waffenlieferungen in Krisengebiete und zahlreiche weitere Missstände, die so viele andere Länder plagen.“

Gleichzeitig warnt dort eine Expertin davor, die Einreise weiter zu erschweren: „Nicht, dass am Ende die alten Probleme aus der Zeit vor der Flüchtlingskrise plötzlich alle wiederkommen.“

Angriff auf Demokratie und Menschenrechte

Diese Gruppierungen und Organisationen sägen an den Säulen unseres Zusammenlebens. Meinungsfreiheit, Pressefreiheit („Lügenpresse“), Schutz von Minderheiten und Unabhängigkeit der Justiz („Kuscheljustiz“). Wenn ich mir die Sprache einiger Politiker*innen anschaue, dann hat das bisher gut geklappt. Gleiches gilt für die bewusste oder unbewusste Verbreitung von Hashtags oder Narrativen über die entsprechenden Kanäle.

„Asyltourismus“. Das hat die NPD vor Jahren schon so formuliert. Das Framing führt soweit, dass Menschen, die andere Menschen vor dem Ertrinken oder Folter retten, als Kriminelle bezeichnet werden! Der Mythos des „Bringt sie zurück“ hält sich weiter hartnäckig, und selbstverständlich hat das System.

Auch auf dem Podium war die Frage, wie wir aus alledem wieder rauskommen. Meine Antwort bleibt: Laut sein und all das aufdecken.

Artikelbild: ichbinhier e.V