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Faktencheck: Keine 500 Wissenschaftler haben den Klimanotstand widerlegt

von | Sep 27, 2019 | Aktuelles, Analyse, Umwelt/Klima

Wie man den Klimanotstand nicht widerlegt

Ein Argument, welches in letzter Zeit im Internet gern genutzt wird, um den Klimawandel „anzuzweifeln“ oder gar zu „widerlegen“, ist ein Aufruf von angeblich „zahlreichen Wissenschaftlern“ an die UN. Diese sagen „Es gibt keinen Klimanotstand“, so z.B. dieser Artikel.

Im Artikel ist eine Liste verlinkt, auf der alle Unterzeichner vermerkt sind. Tatsächlich sieht man viele Unterzeichner, rund 400 Namen aus vielen Ländern sind zu lesen. Doch schauen wir uns die Unterzeichner, die den Klimanotstand anzweifeln, mal genauer an.



Wer sind die Klimanotstand-Zweifler?

Die Liste ist sortiert nach „scientists and professionals“ pro Land. Einzelne Namen stechen schnell heraus. So ist da Václav Klaus, ehemaliger Präsident der Tschechischen Republik. Oder Fritz Vahrenholt. Der SPD-Politiker, der natürlich „rein zufällig“ den Klimawandel mehr oder weniger offen leugnet, seitdem er mit Shell, RWE und co. zusammenarbeitet. Oder Richard Lindzen, der nicht nur den Klimawandel anzweifelt, sondern auch, ob man von Rauchen wirklich Lungenkrebs kriegen kann. Solche Leute halt.

Die große Mehrheit der Unterzeichner ist mir unbekannt und die meisten (stichprobenartig) haben auch  keinen Wikipedia-Artikel. Was ja erstmal nichts heißen muss.

Auffällig ist jedoch: Diese Liste an Wissenschaftlern, die den Klimanotstand als Unsinn abtun, beinhaltet nur zwei Kollegen, die tatsächlich als „Professor of Climatology“ gekennzeichnet sind. Andere scheinen zwar auch etwas mit Klima zu tun zu haben, aber als wirkliche „Experten“ kann man sie vermutlich nicht zwingend bezeichnen.

Zum Beispiel ist da der Professor für Geologie Stefan Kröpelin, der sich angeblich spezialisiert hat in Bezug auf „Climate Change of the Sahara“. Fakt ist: Der Klimawandel könnte tatsächlich den Effekt haben, dass die Sahara grüner wird (Quelle). In diesem Kontext muss man die Arbeit des Geologen verstehen. Ob der auch den Blick „über den Tellerrand“, also für den globalen Klimanotstand, gegen den er sich ja ausspricht, hat, bleibt anzuzweifeln.

Auch andere Kuriositäten finden sich auf der Liste. Zum Beispiel ein gewisser David Thompson, der als „Tierernährungswissenschaftler“ gekennzeichnet ist. Oder John Harrison, ein australischer Schiffsingenieur in Rente. Und mein persönlicher Favorit: Der Niederländer Kees Pieters. Mathematiker und ehemaliger ICT-Manager bei Shell. Na wenn das keine vertrauenswürdigen Quellen in Bezug auf den globalen Klimanotstand sind…

Die IPCC-Lüge

Immerhin scheint sich doch noch etwas Expertise einzuschleichen: Mehrere Unterzeichner sind als „Expert Peer Reviewer of the IPCC“ gekennzeichnet. Also Peer-Reviewer Experten des Weltklimarats? Klingt doch gut, oder?

Ja, klingt gut. Ist aber nicht ganz so beeindruckend, wie man denkt. Auf der eigenen Website schreibt der Weltklimarat nämlich:

Expert Reviewers can register with a self-declaration of expertise up to a week before the end of the review period. (Quelle).

Also: Die „Peer-Review-Experten“ können sich ganz einfach dort anmelden um den Review durchzuführen. Die einzigen, die ihre Expertise bezeugen müssen, sind sie selbst. Es kann also mehr oder weniger jeder sich dort als Wissenschaftler mit Fachkenntnis ausgeben. Und das dann eben auch stolz auf einer Unterschriftenliste vermerken lassen.

Zwischenfazit

Ja, es gibt eine Liste unterzeichnet von rund 400 Personen, die den Klimanotstand für „übertrieben“ halten. Und ja, einige (wenige) davon haben immerhin halbwegs etwas mit dem Anliegen der Liste zu tun.
ABER: Die große Mehrheit der Unterzeichner kennt sich mit dem Thema nur wenig mehr aus, als die breite Öffentlichkeit es tut. Warum sollte ein Ernährungswissenschaftler mit Spezialisierung auf Tiernahrung Ahnung vom Klimawandel haben? Oder ein Rentner in Australien, der früher mal Schiffe gebaut hat?

Und selbst die „IPCC-Reviewer“ sind kein illustrer Zirkel von Klimatologen. Sondern nur Leute, die sich selbst genug Expertise anmaßten, um sich mit den Berichten des Weltklimarats auseinanderzusetzen. Summa Summarum eher eine traurige Versammlung von Wissenschaftlern, die vielleicht auch endlich einmal Aufmerksamkeit haben wollten.

Schauen wir zum Abschluss noch einmal auf die 6 „Thesen“, die die „Wissenschaftler“ ans Ende ihres Aufrufs stellten.



Die Thesen gegen den Klimanotstand einzeln analysiert

1. „Die Erderwärmung wird durch natürliche und menschliche Faktoren verursacht“

Richtig. Daran gibt es nahezu keinen Zweifel mehr.

2. „Die Erderwärmung verläuft viel langsamer als vorhergesagt.“

Leider ist diese These natürlich sehr ungenau formuliert. Es ist schwer nachvollziehbar, worauf genau sie sich bezieht. Langsamer als vorhergesagt von wem?

Wir können nur vermuten, dass es sich auf die sogenannte „Pause der globalen Erwärmung“ bezieht. Zwischen 1998 und 2013 sind die Durchschnittstemperaturen auf der Erde nämlich scheinbar nicht angestiegen. Doch der, selbst von Wissenschaftlern, oft begangene Fehler ist, dass man die Temperaturen an Land untersucht hat. Diese unterliegen naturgemäß größeren Schwankungen als die Temperaturen des Wassers. Hätte man letztere beobachtet, dann wäre man zu einem anderen Schluss gekommen: Die Erwärmung der Erde vollzog sich sogar schneller als in den Dekaden ab 1950 (siehe hier).

3. „Die Klimapolitik verläßt sich auf unzulängliche Modelle.“

Ein weiteres, oft von „Klimawandelskeptikern“ genutztes Argument: Der Klimawandel sei nie in einem realistischen Experiment nachgewiesen worden. Stattdessen basiere unser gesamtes Wissen auf Computermodellen.

Und gewissermaßen stimmt das sogar – und ist auch völlig logisch. Denn es geht hier immerhin um ein komplexes Zusammenwirken mehrerer physikalischer Effekte. Und das über den gesamten Planeten verteilt. Es ist schlicht unmöglich, ein solches Phänomen experimentell nachzubauen.

Dass die Ergebnisse der Klimatologie „unzulänglich“ wären stimmt aber auch nicht. Die einzelnen Effekte, die den Klimawandel verursachen, zum Beispiel den Treibhauseffekt, hat man sehr wohl intensiv untersucht – zum Teil schon seit mehr als 100 Jahren. In der Folge daraus ist in der Wissenschaft ein breiter Konsens über Ursachen und Wirkung in Bezug auf den Klimawandel entstanden.

4. „CO2 ist die Nahrung für Pflanzen, die Basis allen Lebens auf Erden.“

Inhaltlich korrekt, aber: Es suggeriert, dass die Menge der Pflanzen proportional zu der Menge von CO2 steigt. Was viel zu vereinfacht ist.

Denn: Pflanzen brauchen sehr wohl CO2. Und können auch mit viel CO2 besser wachsen. ABER: Die anderen Effekte, die ein hoher CO2-Gehalt der Atmosphäre hat, werden nicht bedacht. Zum Beispiel führt eine Erwärmung der Erde zu immer mehr Dürren. Und wie jeder weiß, brauchen Pflanzen auch Wasser, um z.B. Nährstoffe aus den Böden aufnehmen zu können. Das bedeutet also: Mehr CO2 bedeutet nicht (oder nur sehr kurzfristig) mehr Pflanzen. Langfristig schaden die Folgen des Klimawandels der Vegetation. Mehr dazu haben wir auch in diesem Artikel geschrieben:

Mit diesen Fakten & Strategien zerlegst du AfD-Klimaskeptiker in Diskussionen (Teil 1)

5. „Die Erderwärmung hat nicht zu einer Zunahme von Naturkatastrophen geführt.“

Schon wieder so eine schwierige Aussage. Es ist richtig, wie in den (sehr knappen) Ausführungen zu den Thesen gesagt wird, dass bis jetzt noch keine gefestigte Statistik das belegen kann. Was daran liegt, dass der vorliegende Untersuchungszeitraum, für den es gesicherte Wetteraufnahmen der ganzen Welt gibt, noch nicht einmal 100 Jahre lang ist. Alle statistischen Auffälligkeiten in dieser Zeit könnten natürlich auch purer Zufall sein und nichts mit dem Klimawandel zu tun haben. Hier aber mal ein paar Punkte, die zumindest stark darauf hinweisen, dass sich gerade in den letzten Jahren doch etwas getan hat:

  • Von den 10 heißesten Jahren in Deutschland seit Beginn der Wetteraufzeichnungen (1881) waren 9 unter den letzten 25 Jahren, 8 seit 2000 (Quelle)
  • Seit 1880 sind die 5 Jahre mit der weltweit höchsten Abweichung vom globalen Durchschnitt: 2014, 2015, 2016, 2017, 2018 (Quelle)
  • Die NASA erklärt, dass die Erwärmung des Ozeans in den letzten Jahren dazu führt, dass  Hurrikans zerstörerischer und unberechenbarer würden. Der Grund: Aus „normalen“ Hurrikans können schneller tödliche Kategorie-5-Hurrikans werden (Quelle).
  • Der Anstieg des Meeresspiegels hat mit der Bramble-Cay-Mosaikschwanzratte tatsächlich bereits eine Tierart ausgelöscht (Quelle). Das ist das erste Mal, dass eine Tierart ausschließlich wegen des Klimawandels ausgerottet wurde. Forscher befürchten, dass weitere folgen werden.

6. „Klimapolitik muß wissenschaftliche und wirtschaftliche Realitäten respektieren.“

Noch so eine suggestive Aussage. Es klingt so, als würde die Klimapolitik rücksichtslos radikal, gegen jegliche Vernunft gemacht werden. Tatsache ist: Es wird bislang sogar eher zu wenig als zu viel gemacht.

Fazit Klimanotstand

Allein im deutschsprachigen Bereich hingegen  bestätigen nicht nur 26.000 Wissenschaftler den Klimanotstand, sondern unterstützen auch FridaysForFuture. Und dort sich echte Klima-Experten dabei. Der Klimanotstand ist real. 400 „Wissenschaftler“ (von denen rund 350 wenig bis gar keine Ahnung vom Thema haben) können das nicht widerlegen. Schon gar nicht mit falschen Aussagen, FakeNews und verdrehten Fakten. Am wissenschaftlichen Konsens kann und wird dieser Aufruf nichts ändern.Auch wenn die Rechten sich das noch so sehr wünschen.

Mehr zum Thema:

Menschengemachter Klimawandel: Der Mythos, dass sich 97% der Forscher einig sind

Update 6.10:

In einer wissenschaftlichen Studie (Hier) wurden die Falschaussagen des offenen Briefes ebenfalls überprüft und mit wissenschaftlichen Studien widerlegt.

„The claims contradict or misrepresent the evidence uncovered by geoscientists, failing to provide support for its conclusions downplaying the threat of climate change. The letter claims, for example, that climate models ignore the benefits of increased CO2 on plant growth. This is false, as many climate models simulate the response of vegetation to increased CO2—and the climate change it causes.“

Artikelbild: Mark Nazh, shutterstock.com