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Nein, es wurde kein „geheimes, offizielles EU-Dokument“ zum Migrationspakt geleakt

von | Nov 9, 2018 | Analyse

Wieder Rechte Fake News

Die Rechten haben panische Angst vor dem Migrationspakt der UN, da er wohl ihren politischen Untergang bedeutet. Anders kann man es sich nicht erklären, dass sie keine einzige wahre Aussage darüber treffen. Gestern log die AfD unverhohlen über den Vertrag (Hier), und seit Wochen werden allerlei Unsinnsbehauptungen über den Vertrag aufgestellt. Die leicht widerlegt werden könnten, wenn man einfach das öffentlich einsehbare Dokument selbst liest (Hier).

4 Fakten über den „Migrationspakt“, über die die Rechten lügen



Das angebliche „geheime, offizielle EU-Dokument“

Um was geht’s? Rechte Blogger veröffentlichten gestern Fotografien eines EU-Dokuments. Es sind Bilder des dritten Entwurfs für einen Rahmen der Verhandlungen für das, woraus später der Migrationspakt entstehen wird. Datiert ist der Entwurf vom 20. April 2018. Der ganze Name: „Draft EU Framework Document for the negotiation of a Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration“. Aus diesem Entwurf resultierten die späteren Verhandlungen und daraus noch später der eigentliche Migrationspakt, der im Juli 2018 beschlossen wurde.

Auf der Seite wird extra noch einmal spezifiziert, dass diese dort aufgelisteten Dokumente nicht rechtlich bindend sind, sondern lediglich Entwürfe bzw. Hinweise („notes“) darstellen (Quelle). Es sind also KEINE offiziellen Dokumente zum Migrationspakt. Geheim sind sie auch nicht, da man einfach Einsicht beantragen kann. Ob man das als „geleakt“ bezeichnen kann, sei auch dahingestellt. Das allein wäre schon schlimm genug gelogen, jedoch steht darin nicht einmal das, was behauptet wird, was darin steht. Sondern sogar genau das Gegenteil.

Über den Inhalt komplett gelogen:

Schauen wir uns einfach an, was über den Inhalt behauptet wird und was in den eigens mitgelieferten Screenshots steht (Anklicken zum Vergrößern):

(Screenshot 1)

(Hier Screenshot 2)

(Screenshot 3)

Falschbehauptung 1: „Der Pakt soll RECHTLICH BINDEND sein und VOR NATIONALEN GESETZEN gelten“

Völliger Unsinn. Weder gilt das für den echten Migrationspakt, wie wir hier bereits erklärt haben, noch steht irgendetwas davon in den Screenshots. Im Gegenteil: Dort steht explizit, dass vermieden werden soll, im Pakt Formulierungen zu verwenden, die für einen nicht-legal bindenden Text angemessen sind (Screenshot 1).  Außerdem steht explizit darin, dass vermieden werden soll, dass Verpflichtungen hineingeschrieben werden, die über die existierenden legalen Rahmen für Migration hinausgehen. (Screenshot 2).

Auch soll vermieden werden, dass zu spezifische Ziele formuliert werden, die eine Veränderung nationaler Gesetze erforderlich machen würden. In Screenshot 1 steht außerdem, dass nationale Autoritäten die Hauptverantwortung darin haben, Migrations- und Integrationsmaßnahmen zu definieren. Darin steht also genau das Gegenteil der Behauptung.

Falschbehauptung 2: „Es soll keine illegale Migration mehr geben“

100% falsch. Im Screenshot 1 steht, dass Verwirrung zwischen legalen und illegalen Migranten in Bezug auf Zugang zum Arbeitsmarkt und Integrationsmaßnahmen vermieden werden soll. Im Screenshot 3 steht, dass existierende oder gerade entworfene (nationale) Gesetze vollständig genutzt werden sollen, die dazu gedacht sind, das Schmuggeln von Migranten oder Menschenhandel bekämpfen.

Auch steht darin, dass der Text beinhalten soll, dass man es vermeidet, dass die Opfer des Menschenhandels kriminalisiert werden. Und dass man Hilfe und Schutz den Opfern bietet. Die Behauptung lässt sich in keiner Lesart darin finden.

Weitere Falschbehauptungen

Alle anderen Behauptungen aus dem Text sind völlig erlogen, erfunden, falsch dargestellt oder tauchen nicht mal im Ansatz im Text auf. Es ist bemerkenswert, dass man geschafft hat, dass keine einzige Aussage aus dem Text nicht mal per Zufall ehrlich war. Um diese Behauptungen zu widerlegen, muss man einfach nur (englisch) lesen können.

Was wirklich in diesem Entwurf steht:

Es ist nur ein Auszug aus dem Dokument, das auch nur einen Entwurf zum eigentlichem Migrationspakt darstellt und damit rechtlich überhaupt keine Rolle spielt. Aber dort steht neben den bereits erwähnten Passagen, dass denjenigen Migranten voller Zugang zum Arbeitsmarkt gewährt werden soll, die legal eingereist sind und eine Arbeitserlaubnis haben. Was selbstverständlich sein sollte.

Es wird erwähnt, dass die Ursprungsländer miteinbezogen werden sollen, dass Integrationsmaßnahmen verbessert werden sollen, auch mit Blick auf die Abschiebung irregulärer Migranten. Dass alle Mitglieder einer Gesellschaft, einschließlich Migranten, alle Gesetze und Werte eines Landes zu achten haben. Dass Auswanderung auch zu positiven Effekten in Bezug auf Talente und Arbeitskraft führen kann.

Und explizit, dass vermieden werden soll, dass „Regularisationsoptionen“ als Einwanderungspolitik enthalten sein sollen. Und es soll eben NICHT DRIN stehen, dass Familienwiederzusammenführung ein effektives Mittel zur Integration von irregulären Migranten ist. Außerdem steht darin, dass man Menschenschmuggel und Menschenhandel bestmöglich nach bereits existierenden internationalen Werkzeugen bekämpfen soll. (Screenshot 3)

Fazit

Es ist fast eine Frechheit, dass ich 2 Stunden meines Lebens damit verschwenden musste. Um zu erklären, dass jemand auf ein weißes Auto zeigt und behauptet, es sei ein schwarzes Pferd. Absurd, dass solche blanken Lügen so willentlich geglaubt und weiter verteilt werden. In Anbetracht des Ausmaßes des Betrugs, der hier stattfindet, ist es völlig unverständlich, wie sehr sich die Kommentierenden davon aufpeitschen lassen. Und traurig, dass sie glauben, sie würden irgendetwas sinnvolles tun.

Der Text beweist sogar, dass die Rechten komplett lügen

Dieser Entwurf ist eigentlich sogar der beste Beweis dafür, dass sich der EU-Präsident große Mühe gegeben hat, eben genau jene Dinge, die man dem Vertrag jetzt vorwirft, zu vermeiden. Der Text – ein längst überholter Entwurf noch dazu! – sagt explizit, dass man illegale Migration NICHT einfach legalisieren will. Der Text weist deutlich darauf hin, dass er NICHT rechtlich bindend ist und der Pakt NICHT nationale Gesetze umgehen soll.

Dieser Pseudo-„Leak“ ist kein Beweis der Lügen der Rechten. Er ist eigentlich der beste Beweis dafür, dass alle Behauptungen von Rechten über den Pakt mutwillig gelogen sind. Und es lässt mich fast verzweifeln, dass man hier eine riesige Kampagne recht erfolgreich damit führt, dass man das exakt das Gegenteil dessen behauptet, was in den Dokumenten steht, auf die man verweist.

Artikelbild: Screenshot facebook.com, Alex E. ProimosFlickr,  (CC BY 2.0), changes were made