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Mit diesen rhetorischen Mitteln hat Özdemir die AfD genial zerlegt

von | Feb 23, 2018 | Aktuelles

Die AfD wollte im Bundestag zwei Texte des deutschen Journalisten Deniz Yücel öffentlich missbilligen lassen. Özdemir platzt der Kragen.

Cem Özdemir (Grüne) hielt eine Rede vor dem deutschen Bundestag, welche immer wieder durch tosenden Applaus unterbrochen wurde – und durch empörte Aufschreie der AfD. Denn diese Runde hat sie definitiv verloren. Wer sie noch nicht gesehen hat, sollte das noch definitiv nachholen:

Genau so besiegt man nämlich die AfD: Gegen-Framing

Das große Glanzstück, das Özdemir hingelegt hat, hat er mit Rhetorik geschafft. Er hat die AfD mit ihren eigenen Waffen geschlagen: Diese Tricks hat er verwendet, um die Weltsicht, die die AfD unserem Land schleichend unterjubeln will, völlig zu dekonstruieren.

Gleich zu Anfang benutzt er Framing: „So etwas kennen wir eigentlich sonst nur aus autoritären Ländern.[…] Bei uns in Deutschland gibt es keine oberste Zensurbehörde.“ Er hat den Versuch der AfD, die ganz normale Arbeit eines deutschen Journalisten zu einem No-Go zu erklären und wiederum kritischen Journalismus als etwas Schlechtes zu framen als das bezeichnet, was es ist: Der Versuch eines Eingriffs in die Pressefreiheit. Die Schlagworte „autoritäre Länder“ und „oberste Zensurbehörde“ lassen uns jetzt im Kontext von Diktaturen und Unrechtsregimen denken.
Und er legt direkt nach: Mit direktem Blick nach rechts, zur AfD, sagt er: „Das gibt’s in den Ländern, die sie bewundern, Deutschland gehört da nicht dazu!“ Dieses negative Framen wird dann sofort mit der AfD verknüpft – berechtigt, schließlich war es ihr Vorschlag. Somit hat er die Narrative der AfD, dass es Journalismus gibt, den der Staat bewerten kann und der offiziell als schlecht erklärt wird, auf den Kopf gestellt: Es gibt Politik, die das Menschenrecht der Pressefreiheit angreift und die betreibt die AfD.

Er macht das mehrfach in seiner Rede: Auf laute Proteste der AfD sagte er ihr: „Sie können mir mein Mikrofon nicht abstellen, ich weiß, von dem Regime, von dem sie träumen, könnt mer mir’s abstellen […] und sie werden es nicht schaffen.“

„Die AKP, die hat ’nen Ableger in Deutschland. Sie heißt AfD, und sie sitzt hier.“

Die AfD gewinnt deshalb so an Stärke, weil sie eine Rhetorik und eine Narrative aufbaut, die ein Wir-gegen-die aufbaut. Das sind „Deutsche“ gegen „Ausländer“ oder „Asylbewerber“, oder manchmal auch „Patrioten“ und diejenigen, die dem Land etwas schlechtes wollen. Anstatt den Fehler zu machen, diese absolut fiktiven Gruppeneinteilungen zu übernehmen, um ihr zu widersprechen, zieht Özdemir einfach neue Grenzen: „Diese Pressefreiheit werden wir ihnen gegenüber genauso verteidigen, wie ihren Genossen gegenüber, die Deniz Yücel in der Türkei ein Jahr seines Lebens geklaut haben.“ Und ein paar Sätze später bezeichnet er alle Parteien außer der AfD als den „demokratischen Teil dieses Hauses“, der sich gegen die türkische Regierung auch für die Freiheit aller Journalisten einsetzt.

Die neuen Grenzen zieht er jetzt zwischen „Rassisten“, wie er die AfD betitelt und den „Demokraten“. Die AKP, die türkische Regierungspartei Erdogans und die AfD stellt er rhetorisch auf eine Ebene durch Begriffe wie „Genossen“ und der Aussage: „Sie sind aus demselben, faulen Holz geschnitzt, wie Erdogan, der Deniz Yücel ein Jahr seines Lebens verhaftet hat!“ und am Ende ganz deutlich: „Die AKP, die hat ’nen Ableger in Deutschland. Sie heißt AfD, und sie sitzt hier.“ Er hat die Eigengruppen und Fremdgruppen neu festgelegt.

Die neue Grenze verläuft jetzt zwischen demokratischen Parteien und undemokratischen Parteien, die Deutschlands Grundrechte abschaffen wollen und autoritäre Regime zum Vorbild haben. Die AfD spielt sich als Verteidiger gegen andere Länder auf, doch Özdemir hat genial aufgezeigt, dass diese mit autoritären Regimen Geschwister im Geiste sind und sich derselben Methoden bedienen: Die AfD kämpft nicht gegen Unrecht im Ausland, die AfD will das Unrecht aus dem Ausland kopieren. Der Rest ist Rassismus.

Und der Sargnagel: Die AfD hasst Deutschland

Nachdem er diese Gruppenzugehörigkeit festgelegt hat, ist die Kür seiner Rede, die Weltsicht der AfD völlig auf den Kopf zu stellen. Nicht nur hat er der AfD die Illusion genommen, die Bürger unseres Landes nach ihren Vorstellungen einzuteilen, danach zerstört er auch noch ihre Selbstdarstellung: „Sie wollen bestimmen wer Deutscher ist und wer nicht. […] Wie kann jemand, der Deutschland, unsere gemeinsame Heimat so sehr verachtet wie sie, drüber bestimmen wer Deutscher ist?“ und „Sie alle, die sie da sitzen von der AfD, wenn sie ehrlich sind, dann würden sie zugeben, dass sie dieses Land verachten.“

Er erklärt weiter, dass die AfD alles verachtet, „wofür dieses Land in der ganzen Welt geachtet wird und respektiert wird“: Die Erinnerungskultur, die Vielfalt des Landes, auch Menschen mit Vorfahren aus Russland oder Anatolien, die stolz darauf seien, Bürger dieses Landes zu sein. Er wirft außerdem der AfD vor, den Bundestag zu verachten, die Werte der Aufklärung, aus der die Idee der Menschenrechte entsprang und sogar die Deutsche Fußballnationalmannschaft, deren Spieler bereits öfter rassistisch von der AfD angegriffen wurden. Und damit hat er der AfD ihre stärkste Selbstdarstellung zerstört: Die Behauptung, sie seien die „wahren Patrioten“ und müssen Deutschland „retten“.

Er hat diese Behauptung auf den Kopf gestellt. Die AfD ist der Feind Deutschlands, der unsere Heimat „kaputt machen“ möchte, der Deutschland hasst und alles schöne zerstören will. Das ist genau das Gegenteil dessen, was die AfD von sich predigt. Und durch die aufgezeigten Parallelen zwischen autokratischen Regimen, durch die Erinnerungen an die Hetzen gegen die Deutsche Fußballnationalmannschaft, an die Angriffe auf Yücel oder auf Özdemir selbst, hat er das auch deutlich gezeigt. Die AfD als Vorreiter Deutschlands, der es vor bösen Asylbewerbern schützen will: Das ist die fiktive Narrative, die die Rechtspopulisten etablieren wollen, doch Özdemir hat diese Illusion als solche entlarvt.

Und genau so muss man der AfD entgegentreten

Wir müssen gewaltig aufpassen, wenn wir der AfD widersprechen: Wir dürfen nicht die Gruppeneinteilungen und Lügen der AfD wiederholen. Wenn die AfD sagt, „Ausländer“ sind die „Anderen“, die schlecht sind, dürfen wir nicht versuchen, die „Anderen“ als etwas positives darzustellen, denn damit werden wir scheitern und der AfD in die Hände spielen. Nein, wir müssen, wie es Özdemir gemacht hat, klar stellen: Die „Anderen“, das ist die AfD. Man muss der AfD ihre Deutungshoheit wegnehmen. Die Einteilung: Deutsche vs. Türken muss ersetzt werden durch: AKP und AfD gegen Demokraten beider Länder. Denn diese haben in ihren Methoden und Zielen viel mehr gemein, wie Özdemir zeigte.

Und darin liegt das große rhetorische Kunstwerk des Grünen-Politikers: Er hat die vorgebliche Heimatliebe der AfD als Heimathass demaskiert. Und so gewinnt man gegen die AfD. Seine Rhetorik wird keinen glühenden AfD-Anhänger überzeugen. Aber vielleicht diejenigen, die sich noch nicht sicher sind, wofür die AfD wirklich steht, zeigen, zu welcher ideologischen Gruppe sie wirklich gehört.

P.S.: Was es mit den betreffenden Texten Yücels auf sich hat, könnt ihr hier nachlesen.

Artikelbild: phoenix, Bildzitat