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WELT & AFD übernehmen Pro-Kreml-Kampagne gegen Baerbock

von | Sep 1, 2022 | Analyse

manipulativ geschnittenes Video über baerbock im Umlauf

Unter dem Hashtag #BaerbockRücktritt läuft derzeit eine Schmutzkampagne, gestartet von Pro-Putin-Gruppen, gegen Außenministerin Annalena Baerbock heiß. Auslöser ist einer ihrer Auftritte bei einer Podiumsdiskussion in Prag (Quelle), in dem sie unter anderem sagt: „Wir sind solidarisch mit allen in unserem Land wie auch in der Ukraine“. Das ganze Video ist hier zu sehen.

In der Diskussion sagt Baerbock unter anderem, dass man soziale Entlastung für die Deutschen schaffen müsse. Und dass sie bei jeder Maßnahme darüber nachdenke, dass man sie auch so lange durchhalten könne, wie der Krieg dauert. Sie erklärt, warum die Deutschen nicht immer so harte Sanktionen durchsetzen, wie es die Ukraine oder manchmal auch die EU wollen. Sie erklärt, es gebe glücklicherweise Wahlen, wo ihre Wähler:innen zeigen können, was sie davon halten. Der ungeschnittene und vollständige Redebeitrag hier:

In einem kurzen Videoclip, der aus dem Kontext gerissen wurde und von einer Pro-Kreml-Gruppe irreführend zugeschnitten wurde, hört man die Ministerin nun ohne den Kontext sagen: „I will deliver [promises to Ukraine] no matter what German voters think“. Also „Ich werde meine Versprechen [gegenüber der Ukraine] erfüllen, egal was meine deutschen Wähler:innen denken“. Schaut man sich den ganzen Clip an, wird aber klar, dass ihr Statement nicht so gemeint gewesen ist, sondern sie auf mögliche Proteste (von Rechts) gegen Sanktionen im Winter anspielt, die Baerbock offenbar zu ignorieren gedenkt. Sie betont aber im selben Video, dass es einen sozialen Ausgleich braucht. Hier lohnen sich offenbar Proteste.

Pro-Kreml Kanäle starteten die Kampagne, AfD springt auf

Auslöser für das Video war ein kleiner Kanal auf Telegram namens „RussiaUSA“. Der Kanal wird offenbar betrieben von einer Organisation namens „The American Council for U.S.-Russia Engagement“ (Quelle), die unter anderem Namen von einem US-Amerikaner gegründet wurde, der enorm enge Verbindungen zu russischen Offiziellen hat und in dessen Netzwerk das FBI bereits wegen Spionage ermittelte (Quelle).

Daraufhin wurde das Video von einem Twitter-Account geteilt, welcher offenbar den ganzen Tag nichts anderes tut, außer Kreml-Propaganda zu teilen. Das geteilte Video enthält sogar das Wasserzeichen des Pro-Kreml-Telegram Kanals!

In der Folge sprangen nun auch AfD und andere Rechtsextremist:innen auf den Zug auf und vergrößerten die Anfangs geringe Reichweite des Videos enorm. In vielen AfD-Beiträgen ist sogar noch das Logo des Pro-Kreml-Kanals eingebettet, zum Beispiel hier bei Alice Weidel:

Viele reichweitenstarke, rechtsextreme Accounts verbreiten das geschnittene Video.

Weitere Stichproben unter anderem bei Querdenker-Anwalt Haintz. Die Szene der Pandemie-Leugner:innen verbreitet schon lange die gleichen Feindbilder, Lügen und Narrative wie die der Rechtsextremist:innen. Es macht bald wenig Sinn, diese noch lange getrennt zu betrachten.

Auch „WELT“ springt auf das Pro-Putin-Framing auf, verfälscht Zitat

Aber nicht nur rechtsextreme Agitator:innen, Querdenker:innen & andere, klassische Putin-Fans teilen den Clip fleißig um der Reputation der Außenministerin zu schaden. Auch die „WELT“, die sehr oft negativ damit auffällt, Framing und Desinformation zu verbreiten, welche viel Applaus unter jenen Gruppen findet, kann nicht anders und teilt ebenfalls die Geschichte ganz im Pro-Kreml-Framing. In einer ersten Fassung war das Zitat sogar falsch übersetzt. Baerbock sprach von IHREN Wähler:innen, nicht der Wählerschaft allgemein.

Screenshot WELT

Zwischenzeitlich wurde die falsche Übersetzung ausgebessert.

Die WELT liefert erneut eine nützliche Vorlage für viele Extremist:innen, die das Framing der Pro-Kreml-Kampagne dann über die vermeintlich seriöse Zeitung verbreiten. Es reiht sich ein in eine inzwischen lange Reihe an Fällen, wo dies ähnlich lief, wir berichteten sehr häufig. So landete dann das gleiche Framing und aus dem Kontext gerissene Zitat via WELT in den Kanälen der professionellen, rechtsradikalen Desinformationsverbreitern wie Eva Herman und Boris Reitschuster.

Screenshot Telegram Kanal Reitschuster

Screenshot Telegram Kanal Herman

Und nur der Vollständigkeit halber: Natürlich wird dies von Wagenknecht & Co. verbreitet, die inzwischen regelmäßig gleiche und ähnliche Desinformation zu Russland verbreitet wie die AfD.

Baerbock: „Wir sind solidarisch mit allen in unserem Land, wie auch in der Ukraine“

Wie bereits erwähnt, ist das Video manipulativ zugeschnitten und das Zitat aus dem Kontext gerissen. Derzeit treffen sich die EU Außenminister:innen in Prag, um unter anderem die Lage in der Ukraine zu besprechen. Vor Ort ist Außenministerin Baerbock und war bei der Eröffnungszeremonie auf der Bühne. Hier das ganze Video.

YouTube player

Schaut man sich den aus dem Kontext gerissenen Teil von Frau Baerbock an und hört weiter zu, was sie konkret sagt, wird klar, was sie kommunizieren wollte. Unsere Sanktionspolitik gegenüber Russland müsse hart bleiben und die sozialen Folgen vom Staat abgefedert werden, erklärt sie:

Bevor sie zu ihrem Statement ausholt, geht Frau Baerbock auf die Solidaritätserklärungen gegenüber der Ukraine ein, die immer wieder von allen europäischen Ländern geäußert werden und für die es keinen Applaus brauche – dass man an der Seite der Ukraine stehe, sei klar. Wenn sie als Politikerin ein Versprechen gebe, sei klar, dass in einer Demokratie ihr Menschen widersprechen und in vier Jahren sagen würden, man hätte nicht die Wahrheit gesagt. Hier folgt das komplette Zitat auf Englisch und auf Deutsch zum selbst überzeugen:

Baerbocks ganzes Statement (englisch)

But if I give the promise to people in Ukraine: „We stand with you as long as you need us.“ then I want to deliver. No matter what my German voters think, but I want to deliver to the people of Ukraine. And this is why for me its important to be always very frank and clear. And this means, every measure I’m taking, I have to be clear that this holds on as long Ukraine needs me. And this is why I think its so important that we have to be frank. Yes, everybody wishes from us that tomorrow the war stops, but in case tomorrow it would not stop I will be also there in two years time. And then sometimes it sounds a bit difficult on the EU level, and this is also were we (zeigt auf andere EU-Außenminister) disagree, sometimes on measures the EU is taking, because every sanction package we have to prepare that it holds also for the next MAYBE two years. If we don’t need it two years long, well this is great. But if we would need it, it has to hold as long as Ukraine needs us.

We are facing now winter time, where we will be challenged as democratic politicians. People will go on the street and say „we cannot pay our energy prices“ and I will say „yes I know so we help you with social measures“. But i dont wanna say, „ok then we stop the sanctions against Russia“. We will stand with Ukraine, and this means the sanctions will stay also in winter time, even if it gets really tough for politicans and we have to find good solutions all over Europe to balance the social effects.

Because this is the other part of this war, it’s a hybrid war, the second strategy is to split our democracies saying „ok now the poor people are being left behind“ and we have to give the anwers „no we stand in solidarity, with everybody in our country, as we stand with everybody in Ukraine.“

Baerbocks ganzes Statement (Übersetzung)

„Wenn ich aber den Menschen in der Ukraine das Versprechen gebe. „Wir stehen zu euch, solange ihr uns braucht.“ Dann will ich das auch halten. Egal, was meine deutschen Wähler denken. Ich will den Menschen in der Ukraine etwas liefern. Und deshalb ist es für mich wichtig, klar zu sein. Bei jeder Maßnahme, die ich ergreife, muss ich mir sicher sein, dass sie so lange hält, wie die Ukraine mich braucht. Und deshalb denke ich, dass es so wichtig ist, ganz klar zu sein. Ja, jeder von uns hofft, dass der Krieg morgen aufhört, aber wenn er morgen nicht aufhört, werde ich auch in zwei Jahren noch da sein. Dann klingt es manchmal schwierig auf der EU-Ebene, auch da sind wir (zeigt auf andere EU-Außenminister) uns manchmal nicht einig über die Maßnahmen, die die EU ergreift, denn jedes Sanktionspaket müssen wir darauf vorbereiten, dass es auch für die nächsten VIELLEICHT zwei Jahre gilt. Wenn wir es nicht zwei Jahre lang brauchen, wäre das toll. Aber wenn wir es brauchen, dann muss es so lange gelten, wie die Ukraine uns braucht.

Wir stehen jetzt vor der Winterzeit, in der wir als demokratische Politiker herausgefordert werden. Die Menschen werden auf die Straße gehen und sagen: „Wir können unsere Energiepreise nicht bezahlen“, und ich werde sagen: „Ja, ich weiß, also helfen wir euch mit sozialen Maßnahmen“. Aber ich will nicht sagen, „ok, dann stoppen wir die Sanktionen gegen Russland“. Wir werden an der Seite der Ukraine stehen, was bedeutet, dass die Sanktionen auch im Winter bestehen bleiben, auch wenn es für die Politiker sehr schwer wird und wir in Europa gute Lösungen finden müssen, um die sozialen Auswirkungen auszugleichen.

Denn das ist der andere Teil des Krieges, es ist ein hybrider Krieg, die zweite Strategie ist es, unsere Demokratie zu spalten und zu sagen „Ok, jetzt bleiben die armen Leute zurück“ und wir müssen antworten „Nein, wir sind solidarisch, mit jedem in unserem Land, so wie wir es mit jedem in der Ukraine sind.

Fazit: Baerbock spricht Klartext über Sanktionen

Im Kern sagt Frau Baerbock also, dass wenn wir an der Seite der Ukraine stehen, wir auch die Sanktionen gegen Russland durchalten müssten. Was man Frau Baerbock ankreiden kann, ist die Formulierung, „egal was meine deutschen Wähler denken“, die sie im Kontext betrachtet nicht genauso gemeint hatte, wie ihr von Extremist:innen unterstellt wird, sondern eher, dass die Sanktionen auch durchgehalten werden müssen, selbst wenn massiv Stimmung dagegen gemacht werde. Eine solche ungeschickte Formulierung sollte ihr nicht unterlaufen und darf man daher sicherlich kritisieren. Was jedoch nicht geht, ist das gerade ein Internet-Mob, angeheizt von einer pro-russischen Gruppe und rechtsextremistischen Accounts – und der WELT – ihre Aussagen ins Unkenntliche verzerren.

Dass die Frau Außenministerin aber explizit betonte, dass die sozialen Konsequenzen für die eigene Bevölkerung vom Staat abgefedert werden müssen, wird von den Desinformationsverbreiter:innen hier gezielt weggelassen. In den Zitaten und Sharepics ist genau dieser Satz ausgelassen. In den Sozialen Medien ist gerade zu beobachten, wie eine Mischung aus rechten Multiplikatoren und Putin-Trollen (Accounts, die gezielt Stimmung im Sinne Putins erzeugen) versuchen, eine Hetzjagd auf Frau Baerbock zu eröffnen. Die Aktivität von russischer Propaganda ist bei uns zuletzt wieder angestiegen (Quelle):

Screenshot T-online.de

Es ist auch nicht das erste Mal, dass Frau Baerbock Ziel einer solchen Schmutzkampagne wird. Sie ist eines der großen Feindbilder der Neuen Rechten in Deutschland:

Man kann ihr also vorwerfen, sich ungeschickt ausgedrückt zu haben, nicht aber ihr eigenes „Volk“ zu verraten. Das ist gelogen. Mit ihrer Haltung bleibt sie klar und ist der russischen Führung offensichtlich ein Dorn im Auge.

Autoren: Philip Kreißel, Thomas Laschyk, Artikelbild: Screenshots