Gastbeitrag von Dr. Janosch A. Priebe
Wie ein Impfkritiker mit schlechten Studien die die Wissenschaft aufmischt
Harald Walach treibt die Corona-Maßnahmen und das Wissenschaftssystem vor sich her. Nach seinem skandalösen, methodisch desaströsen Masken-Artikel über angeblich hohe CO2-Exposition von Masken tragenden Kindern hat er auch noch gezeigt, dass für 3 durch die Impfung gerettete 2 Menschen sterben. Warum das Unsinn ist und was das Wissenschaftssystem hier falsch gemacht hat, beschreibt Dr. Janosch A. Priebe (IG: dr.JAP_)
Was ist los mit dem wissenschaftlichen Publikationssystem? Der klinische Psychologe Harald Walach, der sonst viel zu Alternativmedizin forscht (wogegen es erstmal nichts einzuwenden gibt), der aber auch Verbindungen zu merkwürdigen Querdenkerkreisen pflegt (der VVP berichtete), hat mit Kolleg:innen zwei Fachartikel in hochklassigen Journals publiziert. Diese haben Aufsehen erregt, zeigt doch der eine, dass Kinder unter den FFP2-Masken angeblich einer stark gesundheitsgefährdenden CO2-Konzentration ausgesetzt sind. Das Paper hat es in JAMA Pediatrics geschafft – ein Flaggschiff in der Wissenschaftswelt (Link). Der Artikel wurde bereits ausgiebig – auch im Volksverpetzer – kritisiert: Große methodische Mängel enthält er, die Ableitungen sind damit zumindest fragwürdig.
Die Wahrheit hinter Walach-„Studie“: Querdenker erfinden Masken-Gefahr für Kinder
Wie kommen die Autoren auf so einen – das darf man vorwegnehmen – Stuss?
Der zweite Streich der Walach-Gruppe hat es mindestens genauso in sich: Der Artikel, der am 2. Juni im renommierten Journal „Vaccines“ eingereicht und am 24. Juni an gleicher Stelle veröffentlicht wurde, hat zu einem wissenschaftlichen Krimi geführt. Die Aussage ist brisant: Für drei durch die Corona-Impfung gerettete Menschen würden zwei an der Corona-Impfung versterben. Daher „we should rethink the Policy“, schreiben die Autoren im Titel. Und um es gleich vornweg zu nehmen: Das Paper hat den Peer Review Prozess durchlaufen, wurde also von unabhängigen Gutachtern geprüft, kritisiert und von den Autoren anhand der Kritik überarbeitet. Mehr Kontrolle geht im wissenschaftlichen Publikationssystem nicht.
Wie kommen die Autoren auf so einen – das darf man vorwegnehmen – Stuss? Objektiv und ohne einer politischen Agenda zu folgen – lässt sich nach wissenschaftlichen Kriterien aufzeigen, dass die Schlussfolgerung „2 Tote für 3 Gerettete“ Unsinn ist. Was haben die Autoren gemacht? Aus den Daten einer israelischen Feldstudie haben Walach & Co. berechnet, wie viele Impfungen nötig seien, um einen Corona-Todesfall zu verhindern (nebenbei bemerkt werden die Todeszahlen so ggf. unterschätzt, da die Autoren sich auf einen definierten Zeitraum beziehen, was aber erstmal nicht ungewöhnlich ist.). Dann wurde anhand eines völlig anderen Datensatzes aus europäischen Datenbanken, die unerwünschte Wirkungen von Medikamenten (adverse drug events) erfassen, die Anzahl der Todesfälle – angeblich – DURCH Corona-Impfungen erfasst. Und am Ende stehen 2 Tote für 3 Gerettete. Das Problem: Der Kausalschluss „Impfung führt zum Tod“ ist anhand der Datenbanken nicht zulässig und wurde auch nicht von irgendeinem Arzt „zertifiziert“, wie es herumgeistert.
Scheitern an kausalen Grundregeln
Adverse Events und deren Erfassung sind ein völlig normaler Parameter in einer klinischen Studie – unabhängig vom Kausalzusammenhang. Nimmt man in einer Studie ein Medikament gegen hohen Blutdruck und entwickelt während der Behandlung damit Hodenkrebs, dann wird das erstmal als adverse event geführt – unabhängig davon, ob ein kausaler Zusammenhang besteht oder nicht. Das übrigens zeigt am Rande, wie konservativ und zurecht vorsichtig bei Medikamentenstudien vorgegangen wird. Nochmal: Auch die von Walach herangezogenen Daten geben den Schluss auf einen kausalen Zusammenhang zwischen Impfung und Tod nicht her. Diese Kausalität wäre aber entscheidend, um diese Aussage „für 3 Gerettete durch sterben 2 an der Impfung“ wissenschaftlich zu legitimieren. So bleibt sie – das muss man so sagen – Blödsinn.
Nun, dieser unzulässige kausale Schluss fällt eigentlich jedem Psychologie-Studi nach dem ersten Semester Methodenlehre auf. Wie konnte so ein wissenschaftlicher Stuss nun publiziert werden? Das fragen sich viele – und besonders auch Teile des Editorial Boards des Journals Vaccines.
„Ich kann nicht glauben, dass das durch das Peer Review gekommen ist“
Kurz nach der Publikation dieses Hammers – wäre es eine solide Studie mit diesem Ergebnis, wäre es ein solcher – passiert, was passieren musste: Für „Querdenker“ und Anti-Impf-Kreise ist der Artikel gefundenes Fressen und kriegt Rucki-Zucki mehr als 300.000 Views (Quelle). Allerdings bricht – beruhigenderweise – auch bei Twitter ein Shitstorm los. Einige Mitglieder des Editorial Boards von Vaccines treten aus Protest gegen die Veröffentlichung der methodisch insuffizienten Studie zurück und weisen darauf hin, dass sie mit Derartigem nichts zu tun haben wollen. „Ich kann nicht glauben, dass das durch das Peer Review gekommen ist“, schreibt etwa die Immunologin Katie Ewer, die ihren Posten als Editorin ebenfalls niedergelegt hat.
Was macht das Journal? Was einmal publiziert ist, kann schwer zurückgenommen werden – und wenn, dann muss das Journal einräumen, dass es Fehler gemacht hat. Höchstgradig peinlich. Das Journal reagiert. Wenige Tage nach der Veröffentlichung wird ein „Expression of Concern“ veröffentlicht (Quelle). Das Journal gibt bekannt, dass Bedenken aufgekommen sind, ob die Methode die Schlussfolgerungen erlaubt. Better late than never. Die Autoren werden um Stellungnahme gebeten, um die Zweifel des Journals auszuräumen. Dies gelang den Autoren nach Angaben des Journals nicht, sodass der Artikel zurückgezogen wurde (Quelle), wobei die Autoren dem widersprachen. Der Artikel bleibt nun verfügbar, ist aber klar gekennzeichnet als „retracted“. Maximal transparent!
Wissenschaftliche Höchststrafe: Studie wegen gravierender Mängel zurückgezogen!
Insgesamt gibts nur Verlierer: Man mag es den unseriösen Autoren gönnen – jedenfalls ist die Retraction eines Artikels die Höchststrafe für einen Wissenschaftler. Kommt man nicht durchs Peer-Review, dann ist das ok, passiert dauernd –und da weiß ja noch niemand von dem Artikel. Aber was mal publiziert ist, wird eigentlich NIE, und wenn, dann eben nur aus triftigem Grund, zurückgezogen. Auch das Journal, das wissenschaftliche Publikationswesen und die Wissenschaft in Gänze hat Federn gelassen. Das Peer-Review System, bei dem mindestens 2 externe Experten („Peers“) einen Artikel begutachten und diesen wirklich kritisch sezieren, galt nicht nur als sicher, sondern fast als überpenibel. Ich selbst publiziere wissenschaftlich und kenne die Erfahrung des „gereviewed“ werdens, aber auch die Funktion als Peer Reviewer, der also Papers begutachtet.
Harter Job, in beiden Fällen, aber effektiv und qualitätssichernd. Nun aber ist hier ein wissenschaftlicher Unsinn durch dieses strenge Verfahren in einem sehr guten Journal gerutscht. Menschen machen Fehler, ja. Aber warum besonders bei diesem Thema? Warum haben die Editoren nach Eingang der Reviews nicht nochmal kritisch hinterfragt? Bei so einem Hammer muss man doppel-checken um sich als Journal nicht den wissenschaftlichen Relotius ins Haus zu holen. Auch beim als „Research Letter“ veröffentlichen Masken-Artikel ist bisher nicht klar, ob dem ein Peer Review zu Grunde liegt. Normalerweise werden solche Research Letter jedenfalls genauso begutachtet.
Walach – der wissenschaftliche Relotius?
Die Schadensbegrenzung mit dem zurückgezogenen Impf-Tod-Artikel mag auf den ersten Blick gelingen, doch schafft sie ein anderes Problem: Eine Studie, die auf Gefahren des Impfens hinweist, passiert zunächst das Peer-Review und wird dann doch – auch auf Druck der Wissenschafts-Community – zurückgezogen. Walach wird zum Märtyrer der Anti-Impf-Bewegung. Und Walach bedient dieses Narrativ genüsslich: Er hat auf angebliche Interessenskonflikte der Vaccines-Editoren hingewiesen (retractionwatch.com). Die hätten teilweise Impfstoffe mitentwickelt und seien nicht neutral. Das Argument zählt nicht: In einem Journal das Vaccines heißt, erwartet man Experten für Impfungen im Editorial Board. Kein Wunder also, dass diese Leute auch Impfstoffe mitentwickelt haben. Wir Wissenschaftler machen solche Board Mitgliedschaften nebenbei, nicht hauptberuflich. Es ist keine Redaktion wie in der „klassischen Presse“. Klar haben die Hauptjobs.
Moment, sowas hatten wir doch schon mal. Als Wakefield im Jahr 1998 in einer Studie behauptete, Impfungen führten zu Autismus, musste er diese aufgrund von methodischen Mängeln (seine Anhänger behaupten „auf Druck der Pharma“) zurückziehen. Hochklassige Studien haben in der Folge belegt, dass es in der Tat KEINEN Zusammenhang zwischen Impfung und Autismus gibt. Doch die Wakefield-Studie lebt in den Herzen der Impfkritiker weiter. Lassen wir Walach und seinen Stuss nicht auch noch in deren Herzen einziehen. Wir müssen aus den Fehlern lernen! Führen wir das Peer-Review System zurück zu altem Glanz, der so manchen Autor in der Revision zur Weißglut getrieben hat und treiben wird. Und das ist gut so.
Zum Thema:
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Autor: Dr. Janosch A. Priebe ist Neurowissenschaftler und Psychologe. Er arbeitet unter anderem in der klinischen und grundlagenorientierten Neurowissenschaft. Bei Instagram ist er unter dr.JAP_ zu finden. Artikelbild: pixabay.com, CC0
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