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„Wer hat uns verraten“ ist KEINE Nazi-Parole: Faktencheck zum Fridays For Future-Spruch

von | Okt 26, 2021 | Analyse

Faktencheck zum Fridays For Future-Spruch

„Wer hat uns verraten“ ist keine Nazi-Parole, sondern originär links, aber auch nicht zu unbelastet. Vergangenen Freitag veranstaltete die Klima-Gruppierung „Fridays For Future“ in Berlin wieder einen Klimastreik. Unter anderem demonstrierten sie vor dem Willy-Brandt-Haus, der Parteizentrale der SPD. Ihre Kritik richtete sich an die abzeichnende Klimapolitik der Ampel unter Scholz: 20.000 Menschen demonstrierten dagegen, dass das 1,5-Grad Ziel so nicht eingehalten werde, Gas als „nachhaltig“ bezeichnet oder Nordstream 2 behalten werde solle. Sie blockierten auch das Willy-Brandt-Haus (Quelle).

In einer dazugehörigen Instagram-Story schrieb der Account auch „Wer hat uns verraten…?“

Heftige Kritik und Nazi-Keule

Darauf reagierten viele Sozialdemokrat:innen, aber auch Politiker:innen anderer Parteien empört. Also nicht (nur) auf die Kritik, sondern auf die konkrete Wahl des Spruches „Wer hat uns verraten…?“ Die FDP-Politikerin Karoline Preisler kritisierte „Nazi-Sprech“ und argumentierte mit einem slippery slope-Argument „Rhetorik aus der Hölle“ und zog einen DDR-Vergleich.

SPD-Politiker Robert Pietsch holte dazu ein NSDAP-Wahlplakat heraus, um die Parole „Wer hat uns verraten“ auch im NS-Kontext zu belegen und zu kritisieren.

Und offensichtlich existierte ja auch ein Wahlplakat der Nazis mit diesem Spruch. Dennoch stammt die Parole „Wer hat uns verraten“ nachweislich nicht von den Nazis, diese haben sich diesen nur aneignet, wie so viele Symbole und Begriffe, wie die Swastika oder das „Sozialismus“ in „Nationalsozialismus“. Er ist abzugrenzen von anderen Begriffen wie „Jedem das Seine“, das ebenfalls von den Nazis für das KZ Buchenwald missbraucht wurde und viel prominenter damit assoziiert wird (mehr dazu).

Faktencheck: Die Zerstörung vom „Die Nazis waren links!“-Bullshit

Ursprünglich von enttäuschtem, linken SPD-Flügel nach dem 1. Weltkrieg

Der Hintergrund der Parole geht zurück auf den ersten Weltkrieg und die Novemberrevolution 1918, als die SPD, die Partei der schon seit Jahrzehnten existierenden sozialdemokratischen Bewegung, unter anderem im so genannten „Burgfrieden“ für die Kriegskredite stimmte. Damals spalteten sich damit Unzufriedene ab und bereits da soll jene Parole geprägt worden sein. 1917 ging aus der SPD die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) hervor, dann 1919 auch die KPD, und nach der auch der SPD zugeschriebenen Kapitulation war dies eine Parole, die von Kritik links von der SPD gegen sie verwendet wurde, und dann vor allem auch von den Kommunist:innen (Quelle).

Seit jeher wurde der Spruch regelmäßig recycled, in der Weimarer Republik war er sehr beliebt und auch rechtsradikale Demokratiefeinde und die Nazis nutzen ihn. Es ist unbestritten, dass auch die NSDAP ihn für ihre Propaganda nutzte. Natürlich ist das ein wichtiger historischer Kontext, allerdings ist es auch keines der weit zirkulierten Parolen der NSDAP gewesen und wird im Allgemeinen mit linker und linksradikaler Politik assoziiert. Es kann ja auch nicht jeder Satz, den Nazis einmal verwendet haben, automatisch unsagbar werden. „Schluss mit der Korruption“ wäre damit zum Beispiel ebenfalls „Nazi-Sprech“.

Auch nach dem Weltkrieg wurde der Spruch wieder weiter von linken und linksradikalen Kräften genutzt, so von den 1968er-Bewegung, Kabarettist Marc-Uwe Kling nutzte die Parole 2008 in einem gleichlautenden Lied (Quelle). Auch 2003 veröffentlichte die Bochumer Punkband „Die Kassierer“ einen Song namens „Das politische Lied“ mit dem Text: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten! Wer war mit dabei? Die Grüne Partei!“ (Quelle). Es ist also unbestreitbar ein in linken Kreisen verbreiteter Spruch und nicht als dezidierte „Nazi-Parole“ bekannt.

definitiv Keine Nazi-Parole

Die Parole wird also seit jeher und auch in den letzten unbestreitbar als linke Kritik an der SPD (und auch den Grünen) genutzt und ihn als „Nazi-Sprech“ zu bezeichnen ist historisch überwiegend falsch. Preisler kommentierte nach Kritik ihren Tweet noch mit dem Hinweis: „Ergänzung: Neben der Erinnerung an den Wahlslogan der Nazis (Hitlerpartei), fehlt hier der Hinweis von mir, dass Linke (schon länger) die Formulierung ebenfalls verwenden.“ (Quelle), löschte ihre Kritik aber nicht. Dass es sich aber um eine durchaus radikal konnotierte Parole handelt, auch im Kontext des Kommunismus, ist natürlich nicht so falsch. Personen, die die Parole verteidigen argumentieren, dass zumindest im derzeitigen Kontext der Klimakrise diese Radikalität auch angebracht sei und die Kritik an der SPD berechtigt.

Artikelbild: Philipp Znidar/dpa / Screenshot

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