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Faktencheck Halle & Kassel: Was bei den rechten Demos wirklich passiert ist

von | Jul 21, 2019 | Analyse, Bericht

Fakten zu den rechten demos vom 20. Juli

Am 20. Juli fanden in Kassel und in Halle (Saale) zwei rechtsextreme Demonstrationen statt, die im Vorfeld medial viel Aufmerksamkeit erhielten. Zu beiden gab es große zivilgesellschaftliche Gegendemonstrationen, die sich ihnen entgegenstellten. Zu den Demonstrationen werden von Rechtsextremen jedoch Falschbehauptungen aufgestellt, um zumindest medial Kapital aus den Reinfällen zu schlagen. Hier die Fakten.



Rechtsextreme in Kassel

Ausgerechnet am 20. Juli wollte die neonazistische Kleinstpartei „Die Rechte“ vor dem Regierungspräsidium Kassel aufmarschieren. Nach dem Mord durch einen Neonazi an Walter Lübcke behaupten sie dreist, dass sie das Opfer der Medien seien, weil diese aufgrund des Mordes eine Debatte über die steigende Gefahr des Rechtsextremismus führen. Es war der Versuch einer Täter-Opfer-Umkehr. Doch das Ordnungsamt verlegte die Demo an einen anderen Ort. Und die Demo war alles andere als ein Erfolg.

120 Nazis gegen 10.000 Gegendemonstranten

„Die Rechte“ hatte große Schwierigkeiten, Leute für ihre Demo zu organisieren. Ein großer Teil der Demoteilnehmer wurde mit einem Bus aus Dortmund herangefahren, lediglich 40 Neonazis aus dem Kameradschaftsspektrum kamen hinzu, die meisten aus Rheinland-Pfalz. Es waren kaum lokale Anhänger anwesend. Der kleinen Gruppe stand ein lauter und vehementer Gegenprotest gegenüber.

Die laut Polizeiangaben 10.000 Gegendemonstranten von „Bündnis gegen Rechts Kassel“ übertönten die Parolen der Neonazis mit Rufen wie „Haut ab“, „Nazis raus“ oder Pfiffen, Buhen, Kirchenglocken und Musik. An den Häusern hingen Plakate, überall an der Demoroute bekamen sie zu spüren, dass Kassel sie nicht willkommen heißt. Es gab kaum Störversuche und keinerlei größere Vorfälle.

„GEgen-Ofen-SS-Ive“? Dieses Plakat ist echT!

Während der Demonstration trugen die Neonazis ein Banner u.a. mit der Aufschrift „Nationale Gegenofenssive!“ [sic].

Hier liegt eine versteckte neonazistische Botschaft nahe, da das Wort damit gleichzeitig „Ofen“ und „SS“ enthält. Bei dem Foto handelt es sich um keine Fotomontage. Es existieren weitere Fotos (Hier). Desweiteren hat die Polizei Ermittlungen zu dem Banner aufgenommen.

Die Partei hat die Echtheit ebenfalls bestätigt, behauptet aber auf Twitter, es läge wäre ein unbeabsichtigter Fehler aufgrund von Legasthenie vor (Quelle). Ob sich das als glaubwürdig erweist, bleibt abzuwarten. Es ist in jedem Fall ein gutes Beispiel für „Rechtsschreibung“.

Belege für die neonazistische Ausrichtung

Die rechtsextreme Demo brüllte Parolen wie „Alles für Volk, Rasse und Nation“ oder „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“. Ihre Anmelder Christian Worch und Sven Skoda sind führende Köpfe der Neonazi-Szene. Sie sind Holocaustleugner, haben Kontakte zu NPD und Kameradschaften – und sind regelmäßig in Strafverfahren verwickelt.

Angesichts der offen zur Schau gestellten verfassungs- und menschenfeindlichen Gesinnung und erst recht der Verhöhnung Lübckes durch Ort und Datum der Demo wird die Frage gestellt, warum eine ganze Stadt lahmgelegt werden musste, um ein paar Neonazis marschieren zu lassen. In Kassel fuhren keine öffentlichen Verkehrsmittel, viele Läden wurden geschlossen und Straßen gesperrt. Die Neonazis haben auch bereits eine Rückkehr nach Kassel angedroht. Kassel muss die Frage diskutieren, ob sie das noch einmal zulassen wollen. Stichwort für die zweite medial viel beachtete Demo.

Identitäre in Halle (Saale)

Die „Identitäre Bewegung“ wurde erst kürzlich als rechtsextremistisches Beobachtungsobjekt eingestuft (Mehr dazu). Die verfassungsfeindliche Gruppe, die auch Verbindungen zur AfD hat, wollte ursprünglich in Halle (Saale) in der Nähe ihrer Deutschlandzentrale durch die Straßen ziehen. Doch die Demo konnte nicht stattfinden. Stattdessen hielten sie ein „Sommerfest“ ab. Bis zu 200 Identitäre standen 2000 (Polizei) oder 3000 (Veranstalter) Gegendemonstranten gegenüber (ohne die Veranstaltung auf dem Markt zu zählen).

Straftaten

In der Nacht zu Freitag haben Anhänger der Identitären Bewegung das Gebiet rund um das Steintor mit rechten Parolen beschmiert und einige Anti-Rechts-Banner heruntergerissen (Quelle). Es soll zu kurzen Rangeleien zwischen Gegendemonstranten und der Polizei gekommen sein (Quelle). Der bekannte Rechtsextremist Sven Liebich tauchte dann unangekündigt zur Provokation auf dem Markt auf. Zwanzig Minuten lässt die Polizei seine Spontandemo zu, bei der auch AfD-Stadtratkandidaten anwesend gewesen sein sollen (Quelle), fordert ihn dann auf, zu gehen. Als er sich weigert, wird er vom Autodach geholt.

Das war rechtens, da Liebich gemeinsam mit anderen Rechtsextremen bereits am Hauptbahnhof einen Platzverweis erhalten hatte. Er hatte somit gegen die Auflagen verstoßen. Das ist nicht undemokratisch, sondern Recht und Ordnung. Im Gegenteil, dass sie ihn 20 Minuten seine Rede halten ließen, war äußert großzügig – und dagegen wurde heftig von Umstehenden protestiert.

https://twitter.com/Nightmare_Keks/status/1152590374839443456

Auch der Inhalt seiner Rede war möglicherweise strafbar. Er verglich darin die derzeitige Regierung mit dem Hitler-Regime und forderte einen Anschlag auf Merkel parallel zum Stauffenberg-Attentat. Es wird wohl ermittelt.

Screenshot Youtube

In der Hollystraße hat ein Auto gebrannt. Ob es einen Zusammenhang mit den Demonstrationen gibt, ist jedoch bisher nicht geklärt. Eine Meldung über einen Brandsatz hat sich nicht bestätigt. Der Großteil der Demonstrationsteilnehmer blieb laut Polizei friedlich, vereinzelt kam es zu einigen Körperverletzungen und Sachbeschädigungen. Auch einige Platzverweise wurden ausgesprochen. Teilweise musste die Polizei zur Durchsetzung der öffentlichen Sicherheit auch unmittelbaren Zwang einsetzen, wie bereits gezeigt.

Blockaden

Friedlich blockierten drei Gegendemos die verfassungsfeindliche Gruppe. Eine erste Demo versammelte sich am Steintor, eine zweite am Rannischen Platz und eine dritte Fahrraddemo „Critical Mass“ am August-Bebel-Platz. Gleichzeitig wurde ein „Bürgerfest für Demokratie“ auf dem Markt abgehalten. Die Polizei stellte ebenfalls rund um das Haus der Rechtsextremen Sperren auf. Ebenfalls gab es eine Sitzblockade vor dem IB-Haus. Nachdem die Gegendemonstranten los liefen, blockierten sie damit die geplante Demoroute der Rechtsextremen:

Wer Blockaden für undemokratisch hält, der soll daran erinnert werden, dass die Polizei hier und auch in Kassel ganze Straßen blockiert, auch für die Rechtsextremen. Es fällt unter zivilen Ungehorsam, ist aber ebenfalls ein demokratisches Recht und legal. Denn Menschen verbieten, sich irgendwo zu versammeln wäre wiederum undemokratisch. Hier stehen sich zwei Demonstrationsrechte gegenüber. Die Blockaden wurden für Straßenbahn und Rettungswagen regelmäßig kurz geöffnet.

Absage der IB-Demo rechtens

Die Situation führte dazu, dass die Polizei die Gruppen voneinander trennen wollte. Sie führte anfangs noch Rechtsextreme unter Schutz zum Veranstaltungsort, später riet sie davon ab, den Weg dahin zu suchen. Anderen Rechtsextremen wurde ein Platzverweis für Halle erteilt. Gegendemonstranten wurden wiederum nicht an den Ort der rechten Veranstaltung gelassen. Nach Einschätzung der Lage verbietet die Polizei einen Aufzug der Rechtsextremen und verfügt, dass eine Abreise möglich gemacht werden soll, die Blockaden lichten sich hierfür. Teilweise fährt die Polizei die Anhänger selbst fort.

Die „Identitären“ kündigten rechtliche Schritte gegen den Polizeieinsatz an, andere prominente Rechtsradikale zeigten sich online höchst frustriert wegen des Scheiterns ihrer Provokationen. Nicht nur stießen sie auf massiven Widerstand durch die Zivilgesellschaft und auch der Polizei, die Anzahl ihrer Teilnehmer ließ auch sehr zu wünschen übrig.

Stellungnahme „Halle gegen Rechts“

„Es ist gelungen, dass nicht die Rechtsextremen, sondern der Widerstand gegen sie den öffentlichen Raum dominiert haben. […] „Mehre tausend Menschen haben sich heute den Identitären in den Weg gestellt, das war eine klare Ansage an die Faschisten“, so Valentin Hacken, Sprecher vom Bündnis Halle gegen Rechts. Das Bündnis freut sich insbesondere über die gute Zusammenarbeit mit der Anwohner*innen-initiative Adam-Kuckhoff-Str und dass viele Menschen in das Viertel gekommen sind, mit den Menschen dort solidarisch gegen die Rechten protestiert haben.

Eine Chance, welche die Stadt Halle (Saale) mit ihrer Verlegung des „Bürgerfests“ verschenkt hat. “Mit den Gegendemonstrationen haben wir uns nicht nur klar gegen die „Identitären“ und ihren Versuch einer Machtdemonstration in Halle (Saale) gestellt, sondern auch an die Seite aller, die für Solidarität ohne Grenzen streiten! Wir danken allen, die dies heute möglich gemacht haben, aus Halle, der Region und dem gesamten Bundesgebiet!“, so Valentin Hacken abschließend.“

Artikelbild: Hanning Voigts (Twitter)