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Moment mal: In Großbritannien sind jetzt Antifa, St. Pauli, Critical Mass & andere linksextrem?

von | Jan 19, 2020 | Aktuelles, Bericht

Streit um Dokument der britischen Anti-Terror-Polizei

Unter anderem Extinction Rebellion, Greenpeace, Antifa, St. Pauli, Anti-AKW-Gruppen, vegane Gruppen und sogar die Radfahrer*innen von Critical Mass sind auf einem Dokument der britischen Anti-Terror-Polizei neben Neonazis und Islamisten aufgelistet worden. Wie der britische Guardian berichtete, handelt es sich bei der langen Liste um ein Dokument der Anti-Terror-Polizei um eine Anleitung, um über mögliche Radikalisierungen aufzuklären, um Terroranschläge zu verhindern.

Doch dass jede Menge friedliche antifaschistische Symbole und Gruppen, sowie Klima- und Friedensaktivist*innen aufgezählt wurden, sorgte für viel Empörung. Sogar der Hamburger Fußballclub St. Pauli schaffte es auf die Liste! Britische Politiker*innen und Vertreter*innen der Gruppen bezeichneten die Liste als „absoluten Unsinn“. Lehrkräfte und medizinisches Personal erhielten die Liste, um auf Menschen aufmerksam zu werden, die diese Symbole zeichnen oder tragen sollten. Und nach Abwägung die Behörden verständigen.

 

„linke Gruppen und Symbole“

„Umweltgruppen und Symbole“



Polizei widerspricht: Nicht alle sind extremistisch

Die Polizei hat später reagiert und darauf bestanden, dass sie nicht alle Symbole und Organisationen als extremistisch einstuft. „Wir betrachten diese Gruppen nicht als extremistisch, wir betrachten sie nicht als Bedrohung für die nationale Sicherheit“, teilte Sprecher Dean Haydon. Sie erklären, dass es Aufklärung sei, damit „unsere Anti-Terrorismus-Polizei, Einsatzkräfte und Partner verstehen“, was dies für Organisationen sind und was ihre Ziele und Aktivitäten sind. Auch wenn sie rechtmäßig und friedlich sind.

So ist es zwar schön, dass die britischen Behörden nicht alle St. Pauli Fans auf eine Terrorliste neben Neonazis und Islamisten gesetzt haben, aber wie britische Aktivisten erklären, ist es dennoch ein beunruhigendes Zeichen: Auch wenn friedlicher und demokratischer Aktivismus (noch?) nicht als Terrorismus wahrgenommen wird, so wird durch so eine Zusammenstellung in der gleichen Liste mit Extremisten dieses Denken in den Köpfen der Menschen vorbereitet. „Friedlicher Protest wird bedroht“, sagt Clare Collier von der Menschenrechtsorganisation Liberty. Vor kurzem wurde auch bekannt, dass die Abteilung für Linksextremismus des Verfassungsschutzes in Oberösterreich eine Demo der „Omas gegen Rechts“ beobachtet hatte:

Der Verfassungsschutz in Oberösterreich stuft „Omas gegen rechts“ als linksradikal ein?

Die Behörden erklärten, dass „Omas gegen rechts“ deswegen nicht als „linksradikal“ eingestuft werden, aber da sie nur Abteilungen für Rechtsextremismus, Linksextremismus und Islamismus haben, steckten sie mangels Alternativen die Omas in diese Kategorie. Das ist deshalb fatal, weil hier ein vereinfachtes Weltbild des Extremismus gezeichnet wird, das friedliche linke Gruppen, Umwelt-, Menschenrechts- und Tierrechtsorganisationen auf eine Stufe stellt wie Neonazis oder Islamisten.

Wenn es nur um Aufklärung geht, warum fehlen libertäre und marktliberale Thinktanks, Lobbygruppen von Unternehmen oder christlich-fundamentalistische Gruppen? Diese verbreiten ebenfalls eine ideologische Agenda und beeinflussen die Politik. Es ist eine simplifizierende Weltanschauung, die willkürlich bestimmte Gruppen zur „Mitte“ erklärt und sie dadurch ent-radikalisiert und ent-politisiert, während sie friedliche und demokratische Gruppen brandmarkt.

Unzureichende Extremismus-Definition

Wenn beispielsweise der Verfassungsschutz nur links, rechts und islamistisch kennt kommt es dazu, dass beispielsweise Klimaaktivist*innen (Ende Gelände, Fridays For Future), antifaschistische Gruppen (und Demos gegen Rechts allgemein), Anarchisten, Kommunisten, Anti-AKW-Proteste, G20-Proteste, Antigentrifizierungs-Demonstrationen, Tierrechtsorganisationen, Anti-Militarismus-Demos und mehr alles unter „Linksextremismus“ fällt. Auch wenn viele dieser Dinge nichts miteinander zu tun haben und völlig unterschiedliche Motivationen darstellen. Während sich Rechtsextremismus beispielsweise auf Neonazis und Reichsbürger beschränkt. Rassismus aber übrigens nicht unbedingt zum Beispiel.

Diese Sicht auf „Extremismus“ führt auch dazu, dass alles, was als „Extremismus“ gebrandmarkt wird, auf eine gleiche Stufe gestellt wird. In Zeiten, in denen die Zahl der Rechtsextremisten in Deutschland um ein Drittel gestiegen ist und offene Faschisten in Deutschland wieder in den Parlamenten sitzen (Quelle), ist so eine Gleichsetzung gefährlich. Es sind einfach unterschiedliche Dimensionen an Kriminalität und Gewalt, die diese Einteilung nicht reflektiert.

Zahlen von 2018, Grafik von Frank Stollberg, Quelle

Fazit

Extremismusexperten kritisieren, dass Todfeinde wie Faschisten und Kommunisten durch diese Definition in einen Topf geworfen werden, aber von ihrer Ideologie dem Faschismus ähnliche Strömungen wie Nationalkonservativismus werden herausgerechnet. Marktradikale Ideologien kommen in der Diskussion überhaupt nicht vor. „Extremismus“ wird somit zum „inhaltsleeren Kampfbegriff“ und „Diffamierungsintrument“, der nicht nur ideologische Differenzen ausblendet, sondern auch die Dimensionen der Bedrohung (Mehr dazu bei der Bundeszentrale für politische Bildung).

Die friedlichen und demokratischen „Omas gegen rechts“ werden in Österreich zum Glück nicht als „linksradikal“ angesehen und St. Pauli und Greenpeace nicht in Großbritannien. Aber bereits jetzt wird von vielen politischen Akteuren diese vereinfachte Weltsicht genutzt, um Klima-Aktivismus oder auch Demonstrationen gegen Rechtsextremisten auf eine Stufe zu stellen mit genau diesen: Rechtsextremisten. Dieses Denken ist höchst gefährlich, weil es demokratischen Widerstand tabuisiert. Und letztlich nur denjenigen hilft, die damit eigentlich bekämpft hätten werden sollen.

Artikelbild: Screenshot guardian.com

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