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Intensivmediziner & Experten widersprechen: Gezielte PR-Kampagne zum Streeck-Papier

von | Okt 30, 2020 | Aktuelles, Bericht, Medien

Artikel von Philip Kreißel und Andreas Bergholz

Das Streeck-Papier ist eine mediale Astroturfing-Kampagne

Ausgerechnet am Tag, an dem über einen bundesweiten Wellenbrecher-Lockdown entschieden wurde, forderten Wissenschaftler:innen und Ärzt:innen um die Virologen Hendrik Streeck von der Universität Bonn und Jonas Schmidt-Chanasit von der Universität Hamburg eine Abkehr von der bisherigen Pandemie-Strategie. Welch ein Timing. In einem Positionspapier (Quelle) lehnen Streeck, sowie die Kassenärztliche Bundesvereinigung einen Lockdown ab und machen sogenannte „Gegenvorschläge“. Doch die meisten Epidemiolog:innen, Ökonom:innen und Virolog:innen, und auch viele Ärzteverbände, darunter die im Zentrum der Pandemiebekämpfung stehenden Intensivmediziner:innen widersprechen den im Streeck-Papier geäußerten Positionen.

Das Positionspapier wird daraufhin trotzdem von vielen Medien rezitiert. Sie stellen es so dar, als würde eine Mehrzahl der „Ärzteschaft“ dieser Position folgen. Was absolut nicht der Fall ist:

Die Tagesschau titelte irreführend „Kritik aus der Ärzteschaft“.

Das Boulevard-Blatt BILD titelte „Ärzte-Aufstand gegen Merkels Lockdown-Plan!“.

Und viele weiteren Medien fielen auf das Framing herein (oder nutzten es bewusst), um den falschen Eindruck zu erwecken, die Lockdown-Pläne seien von Expert:innen mehrheitlich abgelehnt, obwohl genau das Gegenteil wahr ist. RTL Online schrieb von „Top-Ärzten gegen Lockdown“, die Berliner Zeitung von „Ärzte und Virologen“, die die „Pläne der Regierung“ „scharf“ kritisieren und so weiter. Nirgends wird auf den ersten Blick sichtbar, dass es sich lediglich um Streeck und eine kleine Minderheit handelt.

Streecks Positionspapier ist reinster Corona-Populismus gegen den Wellenbrecher-Lockdown

Durch eine Astroturfing-Kampagne (durch den Springer-Verlag) wurde also die Meinung einer kleinen Minderheit von Forscher:innen und Ärzt:innen in alle Schlagzeilen des Landes positioniert. Wie wir im Folgenden zeigen, stehen diese mit ihrer Meinungen in der Wissenschaftscommunity von mehreren (!) Disziplinen völlig im Abseits. Streeck und Co. haben selbst mit ihren öffentlichen Äußerungen der letzten Wochen dazu beigetragen, dass die Menschen die Pandemie nicht ernst genug genommen haben und wir nun die Kontrolle über das Infektionsgeschehen mit einem Wellenbrecher-Lockdown zurückerlangen müssen.

Statt eines Wellenbrecher-Lockdowns fordert das Papier, folgende Punkte umzusetzen:

  • eher auf Kontaktgebote statt Kontaktverbote setzen
  • auf Sonderschutz bauen für spezielle Gruppen wie Senioren, Pflegepersonal sowie Ärzte und Schwestern mittels gezielter Tests
  • ein spezielles Ampel-Modell , das nicht einseitig auf die Zahl der Neuinfektionen blickt, sondern auch die Belegung der Intensivstation-Betten, die Rate der positiv Getesteten und die stationäre Belegung insgesamt mit einbezieht

Wir gehen diese Punkte durch, zerlegen sie und zeigen euch, was Intensivmediziner:innen, andere Ärzteverbände, Epidemiolog:innen und Ökonom:innen tatsächlich angesichts der Pandemie-Lage in Deutschland fordern und wie sie Streecks Positionspapier widersprechen.

Check: Kontaktgebote statt Verbote?

In ihrem Positionspapier legen Streeck und Co. viel Wert auf Eigenverantwortung und “Gebote statt Verbote”. Eigenverantwortung setzt aber eine informierte Bevölkerung voraus, die sich bewusst ist, dass die Intensivkapazität der Unerbittlichkeit von exponentiellem Wachstum schlicht unmöglich gewachsen ist. Sie setzt voraus, dass die Bevölkerung weiß, dass das Virus unter älteren Menschen eine extrem hohe Todesrate hat und Deutschland deshalb mit seiner Altersstruktur besonders gefährdet ist. Die Bevölkerung muss wissen, dass die Kontaktverfolgung zusammenbricht, wenn wir zu viele Infektionen haben, und das Virus sich unkontrolliert ausbreitet.

Doch stattdessen war die Diskussion der letzten Wochen geprägt von solchen Überschriften: So hat der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, die Maßnahmen kritisiert:

Dazu sagte Gassen dann: “Selbst 10.000 Infektionen täglich wären kein Drama, wenn nur einer von 1000 schwer erkrankt, wie wir es im Moment beobachten.” An eine Überlastung des Gesundheitswesens glaubte er nicht. ( Quelle ) – Tja nun sind wir bei 18 000 Infektionen am Tag, und die Intensivstationen laufen voll. Sein eigenes Institut (!) berechnet mittlerweile eine Überlastung der Intensivstationen in 21 Tagen voraus, und sagt, dass wir nur noch zwei Tage haben, um zu reagieren ( Quelle ). In sehr vielen Landkreisen können die Gesundheitsämter die Kontakte nicht mehr richtig nachverfolgen ( Quelle ).

Streeck behauptete hier Anfang Oktober maximal missverständlich: die “Sterblichkeit sei niedriger als gedacht”. Was er damit meint ist unklar. Die geschätzte IFR für Industrieländer bewegt sich in allen ernstzunehmenden Studien schon seit Monaten zwischen 0.5 und 1% ( Quelle ), was vermutlich durch die jeweilige Alterszusammensetzung erklärt wird, die besonders unter älteren Menschen bis auf 15% ansteigen kann ( Quelle ).

Dass die Intensivstationen eine endliche Kapazität und nicht mehr Pflegekräfte als im Frühjahr haben, erwähnt er mit keinem Wort.

Bewusst irreführende BILD-Kampagne

Lieber Prof. Schmidt-Chanasit, für Deutschland stimmt das, aber man schaue doch mal in Länder, wo die Lockdowns zu spät kamen. Es ist immer wieder unglaublich, dass immer noch Menschen das Präventionsparadoxon nicht verstanden haben. Wir müssen sehen, wie viele Tote wir mit den Maßnahmen verhindert haben. Und das dürften nach Schätzungen wohl Millionen sein ( Quelle ).

Merkel hat es nun mehrere Wochen lang versucht mit Appellen (=Gebote!) an die Bevölkerung das Virus einzudämmen. Aber die Zahlen steigen immer noch, eben auch weil viele Menschen lieber auf die „Expert:innen“ hören, die ihnen das sagen, was sie hören wollen. Die irreführend Corona verharmlosen. So wie Streeck und andere. Und noch dazu haben die selben Leute, die gern von “Geboten statt Verboten” sprechen, öffentlich dazu aufgerufen, die Gebote von Merkel zu unterlaufen:

“Die Bürger sollen das tun, was sie für richtig halten.” – FDP-Politiker Wolfgang Kubicki regt sich in der BILD über Merkels Appell auf und ruft dazu auf, sich nichts vorschreiben zu lassen ( Quelle ). Was für einen Sinn hat es, „Gebote statt Verbote“ zu fordern, wenn man dann dazu aufruft, sich nicht an die Gebote zu halten? Das ist keine logisch sinnvolle Kampagne der Lockdown-Gegner, sondern nur eine Anti-Haltung.

Sogar jetzt, wo der weiche Lockdown beschlossen ist, rufen (FDP-)Politiker dazu auf, die Zeit bis dahin “zu genießen”. So viel zur „Eigenverantwortung“, auf die man vertrauen soll:

Hier zeigt sich bei vielen das Gegenteil von Liberalismus und Eigenverantwortung – nämlich Dummheit. Sorry, aber Streeck, Kubicki und Co liefern selbst den Beweis, dass „Eigenverantwortung“ nicht funktionieren kann. Und tragen mit dazu bei, dass Gebote eben nicht ausreichen.

Check: Statt Wellenbrecher-Lockdown: Fokus auf den Schutz von Risikogruppen setzen?

Im Kern des Papiers wird gegen einen “Lockdown” und im Gegenzug für einen stärkeren Schutz der Risikogruppen geworben. Der Vorschlag klingt einleuchtend und simpel. Jedoch ist ein solches Unterfangen nicht so einfach umzusetzen. Natürlich muss ein Fokus der Pandemie-Bekämpfung darauf liegen, Risikogruppen explizit zu schützen. Dies kann jedoch kein Ersatz für einen notwendigen Shutdown sein, um die Reproduktionsrate des Virus zu reduzieren. Beim bloßen Schutz von Risikogruppen gibt es Problematiken: Fachleute gehen davon aus, dass es nicht möglich sein wird, Risikogruppen mit absoluter Sicherheit zu schützen (Quelle).

Laut Robert Koch-Institut (RKI) zählen viel mehr Menschen zur Risikogruppe als nur die über 70-Jährigen. Das Institut nennt „ältere Personen ab 50 bis 60 Jahren“. Ab diesem Alter steigt das Risiko, an einer Infektion zu sterben. Wobei es mit Anfang 50 immer noch deutlich geringer ist als mit Anfang 60 oder sogar Anfang 70 (Quelle). Bezöge man zumindest die über 60-Jährigen in die Schutzgruppe ein, müssten 23,4 Millionen Menschen von der restlichen Bevölkerung abgetrennt werden. Hinzu kämen übrigens auch Raucher:innen. Sie zählen laut RKI ebenfalls zur Risikogruppe.

Wie soll man all diese Personengruppen isolieren Herr Streeck? Und das mitten im Anstieg der zweiten Welle?

Sicherlich ist es sinnvoll, Risikogruppen besonders zu schützen, wie die Ärzteverbände es fordern. Es wird – darauf verwiesen Wissenschaftler:innen und Forscher:innen erst vor Kurzem im sogenannten John-Snow-Memorandum – aber immer nur zu einem bestimmten Grad funktionieren. Am Ende sucht sich das Virus, vor allem, wenn es stark zirkuliert, immer seinen Weg durch die verschiedenen Altersgruppen einer Gesellschaft. Das liegt auch daran, dass es sich bei den Risikogruppen eben nicht nur um Bewohner und Bewohnerinnen von Pflegeheimen handelt, sondern im Grunde genommen um alle, die jenseits der Fünfzig oder Sechzig sind. Oder Vorerkrankungen haben (Quelle).

John Snow Memorandum: Der wissenschaftliche Konsens gegen Herdenimmunität

Der beste Schutz für Risikogruppen besteht eben darin, dass das Virus gar nicht mehr zirkuliert. Jede andere Lösung gefährdet die Risikogruppen und ist schwerer umzusetzen.

Check: Spezielles Ampel-Modell?

Streeck und Co. fordern, ein spezielles Ampel-Modell einzuführen, welches nicht nur die Infektionszahlen betrachtet. Dies impliziert jedoch, dass es in der Realität nichts so gemacht werde. Das ist aber falsch (Quelle):

„Etwa der Behauptung, dass politische Entscheidungen allein aufgrund der Infektionszahlen getroffen würden – oder dass die aktuellen Entscheidungen allein auf ihnen fußten. Das entspricht aber nicht der Realität. Schon seit der ersten Welle geht es auch um die Quote an positiven Tests und den Anteil älterer Personen unter den Neuinfizierten. Es geht um die Zahl an Menschen, die in einer Klinik behandelt werden müssen, vielleicht sogar auf einer Intensivstation. Und all diese Werte sind in den vergangenen Wochen in besorgniserregendem Maße gestiegen.“

Also die ganzen Parameter, die laut Streeck und Co. in die „Entscheidungsfindung“ einfließen sollen, tun das längst. Und führen nur noch deutlicher zur Erkenntnis, dass das Infektionsgeschehen in Deutschland außer Kontrolle geraten ist, und die Intensivstationen bald überfüllt sind.

Außerdem wird gefordert, „Kontaktverfolgung“ nicht länger zur zentralen Säule der Pandemie-Eindämmung zu zählen, obwohl diese zusammen mit Isolation und Quarantäne fast zwei Drittel der Infektionen verhindern kann (Quelle). Stattdessen sollen nur noch die Kontakte von Personen mit Kontakt zu Risikogruppen verfolgt werden. Wie wir eben schon gezeigt haben: ein völlig unmögliches Unterfangen.

Lauterbach und Drosten schlagen stattdessen vor, dem Beispiel Japans zu folgen und verdächtige Cluster präventiv in Quarantäne zu schicken. So kam Japan bisher ohne Lockdown und dennoch mit niedrigen Zahlen aus.

Was führende Forschungsgesellschaften zum Wellenbrecher-Lockdown sagen:

Ebenfalls in den letzten Tagen veröffentlichten die größten Forschungsinstitute Deutschlands eine Gemeinsame Erklärung der

  • Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Präsidenten von Fraunhofer-Gesellschaft
  • Helmholtz-Gemeinschaft
  • Leibniz-Gemeinschaft
  • Max-Planck-Gesellschaft
  • Nationaler Akademie der Wissenschaften Leopoldina

Darin schreiben die Forscher:innen z.B.:

“Dieser Anstieg ist aufgrund der hohen Fallzahlen an vielen Orten nicht mehr kontrollierbar.”

“Je früher und konsequenter alle Kontakte, die ohne die aktuell geltenden Hygiene- und Vorsichtsmaßnahmen stattfinden, eingeschränkt werden, desto kürzer können diese Beschränkungen sein.” (Quelle).

Die Forscher:innen prognostizieren ohne Eindämmung bis zu 90 000 Neuinfizierte pro Tag (!) für Ende November. Auch international gibt es einen Konsens unter Forscher:innen zu einer Eindämmungsstrategie des Coronavirus. Diesem Konsens wurde im “John Snow Memorandum” Ausdruck verliehen:

“The evidence is very clear: controlling community spread of COVID-19 is the best way to protect our societies and economies until safe and effective vaccines and therapeutics arrive within the coming months.” ( Quelle ).

Der Name “John Snow” bezieht sich übrigens sowohl auf den Epidemiologen als auch auf die Figur aus Game of Thrones (zumindest laut Virologin Sandra Ciesek).

Was sind wir für ein Land, wenn wir nicht mal das hinbekommen, was Länder mit viel schlechteren Voraussetzungen geschafft haben? Japan, Neuseeland, Taiwan und Vietnam haben alle das Virus im Griff durch Eindämmungsmaßnahmen und schnelle lokale Kontakt-Beschränkungen. In Neuseeland finden Rugby-Spiele in ganz normal vollen Stadien statt – weil es dort das Virus quasi nicht mehr gibt.

Auch die deutsche Gesellschaft für Virologie, Christian Drosten und Sandra Cieseck unterstützen das Memorandum in einer eigenen Stellungnahme ( Quelle ) . Sie warnten davor die Infektionszahlen auch dann nicht zu unterschätzen, wenn die Todesrate gerade vermeintlich niedrig ist:

“Bei Überschreiten dieses Schwellenwerts sind die Nachverfolgung einzelner Ausbrüche und strikte Isolationsmaßnahmen nicht mehr realisierbar und eine unkontrollierte Ausbreitung in alle Bevölkerungsteile, einschließlich besonders vulnerabler Risikogruppen, nicht mehr adäquat zu verhindern.”

Intensivmediziner:innen stellen sich gegen Streeck-Papier:

Erst gestern sagte der Präsident der deutschen Intensivmedizin-Vereinigung DIVI:

“Wir Intensivmediziner befürchten, bei weiter steigenden Infektionszahlen die intensivmedizinische Versorgung in Deutschland bald nicht mehr in vollem Umfang gewährleisten zu können!” ( Quelle )

Wir fragten bei der deutschen Intensivmedizin-Vereinigung DIVI nach einem Kommentar zum Positionspapier von Streeck und erhielten diese Antwort:

“…die DIVI hat das Papier von Herrn Streeck bewusst und aus vielerlei Gründen nicht unterzeichnet. Unser Präsident, Herr Prof. Dr. med. Uwe Janssens hat heute in der Bundespressekonferenz noch einmal stellvertretend für mehr als 3.000 Intensivmediziner sehr deutlich gemacht, dass er die Maßnahmen der Bundesregierung ausdrücklich begrüßt und voll unterstützt.”

Das “Datasciencelab” des ZI-Berlins, welches der KBV zugeordnet ist, sagt eine Überlastung der Intensivstationen in 23 Tagen vorher. Da die Intensivbetten sich zeitverzögert füllen, haben wir effektiv aber nur noch einen Tag, um zu reagieren (Quelle). Trotzdem haben ZI-Berlin und KBV offenbar wider besseren Wissens die Erklärung von Streeck unterschrieben.

Im Tagesspiegel warnt der Chef der Intensivmedizin am Uniklinikum Hamburg, Stefan Kluge, vor einer Überlastung: “Wir müssen diesen Trend stoppen, die Politik muss handeln […]. Uns bleibt keine andere Wahl.” ( Quelle ). In ihrem Papier fordern Streeck et al., verstärkt auf andere Faktoren als auf die nackten Infektionszahlen zu schauen. Aber genau die sind Grund für Besorgnis und sollte die Politik zum Gegensteuern motivieren, sagt Stefan Kluge: “Wir müssen auf die Zahl der Intensivpatienten gucken. Dann wissen wir, wohin die Reise geht.”

Bund der deutschen Anästhesisten wird gegen ihren Willen als Unterzeichner aufgeführt!

Außerdem distanziert sich der Bund der deutschen Anästhesisten, der zuerst offenbar ohne gefragt worden zu sein im Papier von Streeck als „Unterzeichner“ aufgeführt wird:

Die PR-Kampagne um das Streeck-Papier stellte also nicht nur eine Minderheitsmeinung irreführend in den Vordergrund, auch die Unterzeichner:innen waren wohl teilweise einfach Fake.

Zuletzt lag die Verdopplungszeit der Zahl der Covid-19 Intensivpatient:innen übrigens bei unter 10 Tagen. Ihr könnt ja selbst mal ausrechnen, wie lange das noch gut ginge.

Ökonom:innen stellen sich gegen das Streeck-Papier:

Die Verharmloser:inn denken binär: Entweder wir fördern die Wirtschaft, oder wir machen Einschränkungen gegen die Ausbreitung des Coronavirus. Dabei hilft es der Wirtschaft rein gar nichts, wenn wir die nächsten 5 (!) Monate des Winters in ständiger Angst vor dem Überschreiten der Intensivkapazität verbringen müssen. Die Ärztin und Journalistin Sahebi formulierte es so:

Das sagen auch Ökonom:innen, hier Marcel Fratzscher, Professor für Makroökonomie an der Humboldt Universiätät und Präsident des DIW (Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung) Berlin:

„Man kann es nicht häufig genug sagen: nicht Regeln und Beschränkungen schaden der Wirtschaft, sondern die Ausbreitung des Virus verursacht den Schaden.“

Bereits im Mai sagte das IFO Institut:

„Bei einer zu starken Lockerung (Rt = 1) müssten die Beschränkungen hingegen so lange bestehen bleiben, dass die wirtschaftlichen Kosten über den gesamten Zeitraum der Jahre 2020 und 2021 insgesamt höher ausfallen würden.“ ( Quelle )

Das IFO Institut hält einen R-Wert von 0.7 für wirtschaftlich optimal. Das hatten wir nicht einmal im Sommer durchgehend erreicht.

Weitere Mediziner:innen, die sich vom Streeck-Papier distanzieren:

Der Ehrenpräsident der Bundesärztekammer Montgomery: „Nach meiner Auffassung kommen sie auf den allerletzten Drücker. Ich frage mich auch, warum wir dem Virus jetzt noch bis Montag Zeit geben müssen.“ ( Quelle ). Auf Twitter äußerten sich weitere Ärzt:innen und Mitglieder der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ablehnend und mit Beschwerden, das in ihrem Namen gesprochen wurde:

Außerdem gibt es eine gemeinsame Erklärung vieler Ärzt:innen, die sich gegen die Spitzen der Spitzen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung stellen:

„Wir kritisieren die jüngsten Stellungnahmen der Spitzen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) durch Herrn Gassen, der Bundesärztekammer (BÄK) durch Herrn Reinhardt, sowie das gemeinsame Positionspapier mit den Virologen Streeck und Schmidt-Chanasit. Im Gegenzug unterstützen wir ausdrücklich die aktuelle Entscheidung der Bundesregierung für einen Wellenbrecher-Lockdown und stellen uns auf die Seite der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensivmedizin (DIVI), der Leopoldina, Deutscher Forschungsgemeinschaft, Fraunhofer-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Leibniz-Gemeinschaft und Max-Planck-Gesellschaft.“ (Quelle)

Weitere Verbände, die wohl ungefragt als Streeck-Unterstützer Aufgelistet wurden:

Außerdem scheinen ganze Verbände ungefragt mit ihm Positionspapier aufgelistet zu sein. So wurde anscheinend der Bundesverband der Deutschen Internisten e.V. zunächst ungefragt als Unterstützer aufgelistet, wurde dann aber heimlich wieder gestrichen:

Fazit: Die Mehrheit der Expert:innen spricht sich für Wellenbrecher-Lockdown aus – Gezielte Astroturfing-Kampagne

Es gibt einen klaren Konsens der Ökonom:innen, Ärzt:innen, Epidemolog:innen und Virolog:innen in Deutschland: Das Virus muss eingedämmt werden, bis bessere Medikamente oder wirksame Impfstoffe breit (!) verfügbar sind. Und wir müssen jetzt handeln, bevor es zu spät ist und uns in ein paar Wochen die Intensivbetten ausgehen.

Der Plan von Streeck und Co. würde eine Überlastung der Intensivstationen nicht verhindern, sondern eher noch befeuern. Er würde zu massiver Belastung von Millionen von Menschen aus der Risikogruppen führen, die den dunklen Winter in sozialer Isolation verbringen müssten.

Gezielte, mediale PR-Kampagne zum Streeck-Papier

Für uns macht dieser Vorstoß den Eindruck, als würde hier eine Stimmungskampagne gefahren werden, die für Uneinigkeit und Verunsicherung in der Bevölkerung sorgen soll. Nicht nur wird eine Minderheitsmeinung in der Wissenschaft und unter Expert:innen derart medial gepusht und (teilweise wohl bewusst) irreführend mit Schlagzeilen verbreitet, die diesen Umstand durch das Framing verschleiern. Die Verbände, die es unterzeichnet haben, taten das teilweise unter massivem Protest ihrer Mitglieder. Und teilweise anscheinend sogar gegen ihre Willen.

Es wäre nicht das erste Mal, dass hinter einer Veröffentlichung von Dr. Streeck eine gezielte PR-Kampagne steckte: „Der deutsche Rat für Public Relations rügte die Kommunikations-Agentur Storymachine, die unter anderem dem ehemaligen Bild-Chef Kai Diekmann und dem Event-Unternehmer Michael Mronz gehört, wegen ihrer dubiosen Rolle bei der medialen Begleitung der Corona-Studie des Virologen Hendrik Streeck.“

Die Heinsberg-Studie wurde – wie in der Wissenschaft völlig unüblich – medial regelrecht vermarktet. Noch dazu als „Entwarnung“ für die Gefährlichkeit des Virus. Obwohl die Heinsberg Studie Streecks diese Schlussfolgerung überhaupt nicht zuließ. Wir hatten das seinerzeit analysiert:

Warum die Heinsberg-Studie keinen Grund für Entwarnungen gibt

Um Streeck scheint es ein großes PR-Team zu geben, das gezielt Minderheitenmeinungen in der Wissenschaft sowie seine Aussagen inszeniert und für Schlagzeilen sorgt, die bei Maßnahmen-Gegnern gut ankommen. Die mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnete Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim hatte sich die Außenkommunikationen unter anderem von Streeck bereits angeschaut und ihn dafür kritisiert:

Drosten, Streeck, Kekulé: MaiLab erklärt, welche Virologen Corona gut erklären

Artikelbild: Federico Gambarini/dpa


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