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Kimmich: Wenn nur „Langzeitfolgen“ euer Problem sind, können wir euch beruhigen

von | Okt 25, 2021 | Analyse

Es gibt keine „Spätfolgen“ bei Impfungen

Fußballer Joshua Kimmich hat eine Kontroverse ausgelöst, als bekannt wurde, dass er sich noch nicht gegen Corona hat impfen lassen. Seine Haltung begründet er mit der Unsicherheit, dass noch keine „Langzeitdaten“ über die Folgen vorlägen. Dafür wird er kritisiert, weil er als Vorbild seiner Pflicht nicht nachkomme und viel Applaus von Querdenkern erhält. Er distanziert sich jedoch vehement von der Gruppe der „Corona-Leugner oder Impfgegner“. Er erklärte, dass es „sehr gut möglich“ sei, dass er sich in Zukunft impfen lasse, er aber „persönlich noch ein paar Bedenken“ habe, „gerade, was fehlende Langzeitstudien angeht“ (Quelle).

Keine Sorge, wir haben alle Daten, die wir brauchen – Impfungen sind keine „klassischen Pharmazeutika“

Hartgesottene Impfgegner:innen nutzen das Argument gerne, um vernünftig zu wirken und ihre Totalopposition zu vertuschen. Doch für den Fall, dass jemand wirklich immer noch Unsicherheiten hat, wie Kimmich, obwohl weltweit bereits 6,8 Milliarden Impfdosen verabreicht wurden (Quelle) und Studien zeigen, dass unmittelbar keine ungewöhnlichen Nebenwirkungen auftreten (Quelle, Quelle), fassen wir alles noch mal zusammen. Wir hatten bereits eine Gutachterin für Impfstoffe gefragt, ob „Langzeitdaten“ für die Impfung relevant sind. Antwort: Sind sie nicht, denn Impfstoffe sind keine klassischen Pharmazeutika. Keine Sorge also,  lieber Kimmich!

Im Gegensatz zu Antibiotika, Wundsalben, Schmerztabletten oder anderen Pharmazeutika werden Impfstoffe nicht „verstoffwechselt“. Sie reichern sich nicht zu verschiedenen Zeitpunkten im Körper an, werden nicht in der Leber metabolisiert oder dergleichen (mehr dazu). Impfstoffe haben quasi nur eine Wirkung: Sie lösen eine immunologische Reaktion aus (mehr dazu) und sind dann weg. Außerdem gibt es einen Impfstoff auch nicht als „Dauertherapie“. Antibiotika nimmt man eine Woche, Schmerzmittel, so lange es weh tut: Eine Impfung gibt es zwei oder drei Mal im Abstand von Wochen und Monaten oder sogar Jahren. Man ist ihnen quasi viel kürzer „ausgesetzt“.

Es gibt keine „Spätfolgen“, die Jahre später „plötzlich“ auftreten können!

Wenn eine Impfung Nebenwirkungen hat, dann treten die binnen weniger Stunden bis einiger Tage nach der Verabreichung auf. Als sehr seltene Nebenwirkungen sind unterschiedliche Autoimmunreaktionen möglich, aber selbst diese treten spätestens nach wenigen Wochen auf. Der Impfstoff ist dann nämlich schon längst wieder „draußen“ und kann nichts mehr in deinem Körper ändern. Die Verwirrung entsteht dadurch, dass man auch bei Impfungen Daten über einen längeren Zeitraum sammelt, nicht, weil man abwarten will, sondern weil man seltenen und sehr seltenen Nebenwirkungen auf die Schliche kommen will.

Es ist nämlich so: Wenn eine bestimmte Nebenwirkung nur bei einer von 20.000 oder einer von 50.000 oder 100.000 Personen auftritt, brauchen wir eine sehr große Anzahl geimpfter Personen, um diese überhaupt zu erkennen. Es geht also nicht darum, eine Zeit zu warten, sondern die Zeit zu haben, genug Menschen zu testen. Denn klassischerweise sind Testgruppen viel kleiner in der Medizin. Nicht aber bei Corona: Hier hatte man wegen der Dringlichkeit schon extrem große Untersuchungsgruppen von 10.000 bis sogar 40.000 Probanden. Wir konnten also sehr schnell sehen, ob es sehr seltene Nebenwirkungen gibt.

Außerdem sind inzwischen ja auch schon hunderte Millionen Menschen geimpft und Forscher:innen konnten live seit Monaten überprüfen, ob irgendwelche Krankheiten sich häufen im Vergleich zu den Vorjahren. In „Personenjahren“ haben wir mehr als genug Daten, um Nebenwirkungen zu finden (Quelle). Gäbe es auch sehr seltene Nebenwirkungen, die noch nicht bekannt sind, hätte man sie gefunden. Man hat zum Beispiel die sehr seltenen Sinusvenenthrombosen vor allem bei AstraZeneca gefunden – nach 500.000 Personenjahren – und dann reagiert (mehr dazu).

Und was ist mit Antikörpern?

Einige könnten sich fragen: Wenn die Impfung so schnell verschwindet, ohne viel zu verändern, wie wirkt sie dann? Was ist mit den Antikörpern? Klar – die Antikörper bleiben (auch wenn sie mit der Zeit etwas nachlassen, Quelle). Die hat dein Körper aber selbst gebildet. Und wer Sorgen wegen der Antikörper hat, für den haben wir schlechte Nachrichten: Wenn er oder sie sich mit Corona infiziert, bilden sich die Antikörper auch. Nur halt mit allen unangenehmen Nebenwirkungen, Folgen, die Corona noch so mit sich bringt, oder sogar dem Tod. An den Antikörpern wird leider kein Weg mehr vorbei führen – früher oder später wird sich jede:r mit Corona anstecken, leider. Wir können nur unsere Risiken stark senken, indem wir uns vorher impfen.

„Und was ist mit…?“

An dieser Stelle werfen Verunsicherte gerne ein, dass es doch in der Vergangenheit Fälle von „Langzeitschäden“ nach Impfungen gegeben habe. Ja, aber hier gibt es ein Missverständnis: Die Schäden nach Nebenwirkungen können lange andauern, aber sie treten nicht lange danach auf. So gab es die Pockenimpfung in den 1970ern, die in seltenen Fällen auch Impfschäden durch eine impfbedingte Encephalitis (Gehirnentzündung) verursachte. Übrigens: Diese damalige Impfung (und auch andere) würden unter anderem deshalb auch gar nicht mehr zugelassen werden, wie uns die Gutachterin schrieb.

Das zweite Beispiel ist Narkolepsie beim Impfstoff Pandemrix© für die sog. „Schweinegrippe“. Die Folgen traten bei einer Seltenheit von 1:20.000 innerhalb weniger Wochen bis 4 Monate danach auf. Bemerkt hatte man diese Nebenwirkung aber auch erst nach einem Jahr – und gesichert noch später – weil erst dann genügend Personen geimpft waren, um diesen Zusammenhang zu erkennen. Die Schäden traten aber nicht erst zwei Jahre später auf, wie manche sich vielleicht falsch erinnern. Bei Corona wurden viel früher schon viel mehr Menschen getestet, sodass man so seltene Fälle viel früher entdecken konnte.

HINTERGRUNDINZIDENZ

Um herauszufinden, ob Krankheiten, Todesfälle oder andere Dinge, die auftreten, auch eine Folge der Impfung sind und keine Zufälle, gibt es die Analyse der sog. „Hintergrundinzidenz“. Die Gutachterin schreibt: Das ist „die Menge an Fällen einer bestimmten Erkrankung, die auch in einer ungeimpften Population innerhalb eines bestimmten Zeitraumes auftreten würde. Hier gibt es auch etwas Aktuelles vom ersten zugelassenen COVID – Impfstoff Comirnaty©. Es traten während der Studien 4 Fälle von Gesichtslähmung auf.“

Aber im gleichen Zeitraum bei einer ungeimpften Bevölkerung treten genau so viele Fälle auf, weshalb es erst einmal nicht ungewöhnlich ist. Impfgegner:innen skandalisieren zum Beispiel bösartig jeden Todesfall eines Geimpften, um Angst zu verbreiten. Aber auch vor der Corona-Impfung sind knapp eine Millionen Menschen jährlich in Deutschland gestorben. Nach der Impfung wurde es nun mal aber nicht mehr, wie Studien zeigen. Im Gegenteil, eine Studie aus den USA hat gezeigt, dass Geimpfte ironischerweise sogar seltener gestorben sind als Ungeimpfte:

Geimpfte haben geringeres Sterberisiko von ALLEN Todesursachen, nicht nur Corona – Studie

Wenn man danach sucht, gibt es wenig überraschend auch Todesfälle, die unmittelbar VOR ihrer Impfung gestorben sind. Beispielsweise ist eine Frau im Impfzentrum Lippe gestürzt und verstorben (Quelle). In Wien starb eine Frau in der Warteschlange im Impfzentrum (Quelle). Wären diese Fälle nur wenige Minuten später aufgetreten, würden Impfgegner:innen das sofort zu einem Skandal breittreten, obwohl es genauso Zufall sein kann, wie hier eben auch. Ein Geimpfter aus Großbritannien wurde nach der Impfung vom Blitz getroffen (Quelle). Solche Dinge passieren eben, wenn man enorm viele Menschen impft. Sie haben aber nichts mit der Impfung zu tun.

Keine Sorge lieber Kimmich, du kannst dich impfen lassen!

Ein Jahr schon bekommen wir Daten über die Sicherheit und Wirksamkeit der Impfung. Die Wirksamkeit ist übrigens auch gut belegt: Die Impfungen schützen zu etwa 90 % davor, dass ein schwerer Verlauf von Covid-19 auftritt (Quelle). Studien zeigen eine Effektivität gegen Hospitalisierung von über 90% in den USA und in Großbritannien (QuelleQuelle). Das relative Todesrisiko sinkt auch enorm, seit Februar wurde in Deutschland lediglich ein Corona-Todesfall eines Geimpften unter 59 Jahren registriert, bei der Gruppe über 60 schützt sie zu 91% vor tödlichen Verläufen (Quelle).

Und die Forscher:innen und Entscheider:innen passen höllisch auf. Im März hatte man ja schon die Sinusvenenthrombosen gefunden – mit 7 Fällen nach 1,6 Millionen Impfungen (mehr dazu). Gäbe es noch mehr Nebenwirkungen, man hätte sie höchstwahrscheinlich schon gefunden. Sollte es bei Kimmich und anderen wirklich nur die Sorge wegen der „Langzeitdaten“ gewesen sein, gibt es Entwarnung: Ihr könnt euch ruhig impfen lassen, wie Milliarden andere. Bei Kimmich wäre es sogar sehr sinnvoll, um als Vorbild vielen anderen zu zeigen, dass die Daten allen Grund zur Beruhigung geben. Wir brauchen nämlich dringend mehr Geimpfte, um endlich diesen Ausnahmezustand der Pandemie zu beenden.

Was ist mit den Langzeitfolgen von LongCovid?

Die Impfverzögerungen verlangsamen das Ende der Pandemie und gefährden viele Menschenleben. Allein in USA sind seit 1. Juli 90.000 Menschen unnötig an Covid-19 verstorben – weil ungeimpft. Darunter enorm viele Eltern, die Kinder und Familien zurücklassen. Und worüber wir wirklich noch nicht genug „Langzeitdaten“ haben, ist LongCovid. Die neuesten Daten sehen übrigens nicht gut aus. Wenn schon verunsichert, dann wohl eher deswegen- also warum nicht einfach impfen lassen? Angst vor „Langzeitfolgen“ war einer der Hauptgründe. Also, lieber Joshua Kimmich und andere – lasst euch impfen! Schützt euch und andere. Und klärt andere Verunsicherte am besten auch auf.

Artikelbild: katatonia82

Unsere Autor:innen nutzen die Corona-Warn App des RKI.