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Faktencheck Laschet: Gefährliches Missverständnis über „erfundene“ Grenzwerte

von | Feb 16, 2021 | Analyse

Gefährliches Missverständnis über „erfundene“ Grenzwerte

CDU-Chef Armin Laschet sorgte für große Irritationen über kürzlich getätigte Aussagen über Corona-Grenzwerte und die Maßnahmen. Nur wenige Tage nach dem Corona-Gipfel zieht der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen die Beschlüsse wieder in Zweifel und untergräbt die Bemühungen im Kampf gegen die Pandemie. Dabei spielt eine fahrlässige Aussage Laschets und ein Missverständnis darüber, worauf sie sich bezieht, eine entscheidende Rolle und verschlimmert das Problem auch noch.

Auf dem Corona-Gipfel wurde der Inzidenzwert von 35 als Grenze für Lockerungen vereinbart, nachdem zunächst die 50 als Grenze festgelegt war (Quelle). Grund hierfür ist eine veränderte Pandemie-Lage, unter anderem wegen neuer Mutationen. Am Montag äußerte Laschet beim digitalen Neujahrsempfang des baden-württembergischen Landesverbands des CDU-Wirtschaftsrats jedoch Sätze, für die man ihn jetzt heftig kritisiert.

„Meine Grundposition ist: Wir werden, nachdem wir jetzt die 50 erreicht haben – Baden-Württemberg hat heute 49 erreicht –, in Kürze auch die 35 erreichen, aber man kann nicht immer neue Grenzwerte erfinden, um zu verhindern, dass Leben wieder stattfindet.“

Missverständnis über Grenzwert 35

Zunächst muss man zur Verteidigung Laschets ergänzen, dass dieser Satz aus dem Kontext gerissen missverständlich ist. Tatsächlich meint Laschet gar nicht den Inzidenzwert 35, der „erfunden“ sei. In den Sätzen zuvor (hier nachzulesen) spricht er über die NoCovid/ZeroCovid-Strategien. Er bezeichnet die Forderung, sich an dem Inzidenzwert von 10 zu orientieren, zwar als Ziel von „Aktivisten“, obwohl es sich dabei um eine Forderung aus der Wissenschaft handelt (Quelle, Quelle). Jedoch meinte er aus dem Kontext gesehen den Grenzwert von 10, als er von „erfunden“ spricht.

Nichtsdestotrotz wird die Aussage in der Öffentlichkeit vielfach so verstanden, dass es sich bei dem „erfundenen“ Grenzwert um 35 handeln soll. Allgemein wird durch den Kontext der Eindruck erweckt, der Inzidenzwert von 35 sei aus dem Nichts – „erfunden“ – worden, nachdem zuvor vermeintlich der Inzidenzwert 50 gegolten hätte.

Auch wenn Laschet nicht den Wert 35 mit „erfunden“ meinte, so verstärkt das Missverständnis die Kritik des CDU-Vorsitzenden, die wohl Unzufriedenheit über Maßnahmen auffangen soll. So erklärte Laschet nämlich auch: „Wir können unser ganzes Leben nicht nur an Inzidenzwerten abmessen.“

Grenzwert von 35 steht schon im Infektionsschutzgesetz

Deshalb hier dennoch die Feststellung, dass der Inzidenzwert von 35 auch schon bisher ein Richtwert gewesen ist. Die Zahl von 35 Neuinfektionen findet sich bereits explizit im Infektionsschutzgesetz.

Der Grenzwert 35 galt vielerorts in der Vergangenheit auch bereits als Schwellenwert (Quelle). Neu ist dieser Richtwert, der von Bundeskanzlerin Merkel als „Vorsichtszahl“ bezeichnet wurde (Quelle), also nicht. Allerdings ist es ebenfalls ein Missverständnis zu glauben, man begründe die Corona-Maßnahmen nur am Inzidenzwert. Die Situation im Sommer ist aber aufgrund der Jahreszeit und der Corona-Mutationen eine andere, weshalb nicht die gleichen Richtwerte für die gleichen Maßnahmen gelten können (Quelle). Maßnahmen orientieren sich beispielsweise auch an der Auslastung der Intensivstationen.

Unabhängig von dem Missverständnis ist es gefährlich, dass Laschet die Maßnahmen und die Einschränkungen als Schuld der Inzidenzwerte darstellt. Die Physikerin Viola Priesemann brachte es auf den Punkt: „Die Grenzwerte sind dazu da, die Virusausbreitung einzudämmen. Nach wie vor ist es das Virus, das das gesellschaftliche Leben einschränkt“ (Quelle).

Fazit

Laschet hat die wissenschaftliche Notwendigkeit der Maßnahmen, die sich unter anderem am Inzidenzwert orientiert, untergraben; durch das Missverständnis, dass er mit „erfundenen“ Grenzwerten den Wert 35 meinte, wird die irreführende Darstellung noch verstärkt. Ob gewollt oder nicht hat Laschet die Regelungen, die er bisher noch verteidigt hat, damit untergraben und damit auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Maßnahmen. Das leistet leider denjenigen Vorschub, die die Grundlagen und Notwendigkeit der Maßnahmen infrage stellen. Wie diffus die Debatte teilweise geführt wird, sieht man daran, dass FDP-Chef Lindner die missverständlichen Aussagen Laschets lobt.

Die Verwirrung wird perfekt, wenn man weiß, dass die „Position der FDP“ ein „7-Stufen-Plan“ ist, der unter anderem den Richtwert von 35 und sogar einen Richtwert von 10 für Lockerungen beinhaltet.

Man sieht, dass die Positionierung Laschets durch die Bank zu Verwirrung führt und die Maßnahmen-Strategien untergräbt. Was wir eigentlich brauchen, ist ein gemeinsames Ziel: Die Infektionszahlen so weit wie möglich senken. Das sieht ja auch die FDP ein, weil das am meisten Freiheit bringen würde. Diese diffusen Aussagen Laschets führen deshalb auch zu viel Kritik, weil sie die gemeinsamen Anstrengungen mit missverständlichen Aussagen infrage stellen. Nötig ist, an einem gemeinsamen Strang zu ziehen. Dazu gehört auch eine klare Wortwahl.

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Artikelbild: Fabrizio Bensch/Reuters/Pool/dpa

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