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Umstrittene Masken-Studie zurückgezogen: Die Peinlichkeiten des Journals

von | Jul 21, 2021 | Analyse

Die falsche Maskenstudie – und die Peinlichkeiten des Journals

 Gastbeitrag von Dr. Janosch A. Priebe (Instagram: dr.JAP_)

Das nächste wissenschaftliche Luftschloss des klinischen Psychologen und Tausendsassas Harald Walach ist eingestürzt: Nach seiner „Impfungen töten 2 Menschen für 3 Gerettete“ Studie hat das Journal nun auch die Aufsehen erregende Masken-Studie kassiert. Die Hintergründe erklärt Dr. Janosch A. Priebe – bewusst neutral und ohne prominente Hinweise auf die Geisteshaltung der Autoren.

„Wenn‘s Scheiße läuft, läuft‘s Scheiße!“ Das hat Oliver Kahn zu seiner aktiven Zeit als Torwart des FC Bayern mal einem Reporter geantwortet, als dieser anmerkte, der Titan wäre bei zwei Bällen auf sein Tor unsicher gewesen. Und das Zitat wird sicherlich dem Harald Walach in den letzten Tagen durch den Kopf gegangen sein. RETRACTED steht nun in fetten Lettern über zwei seiner Papers, die im Netz auf den Seiten der Journals natürlich noch zugänglich sind. Transparenz, das ist wichtig. Eine Retraction ist die Höchststrafe für einen Wissenschaftler. Nur wenige erleben es.

Und noch weniger gleich zweimal und schon gar nicht innerhalb von weniger als 4 Wochen. Erst hat das Journal Vaccines die Studie, in der merkwürdige Kausalbeziehungen aus retrospektiven Daten abgeleitet wurden, kassiert (Quelle, der VVP berichtete) – wenn auch erst auf Druck der Wissenschaftscommunity und einiger Rücktritte im Editorial Board.

Walach-Studie zurückgezogen: Wie ein Impfkritiker mit schlechten Studien die Wissenschaft aufmischt

Die nächste zurückgezogene Studie

Nun muss Walach, klinischer Psychologe und – neutral ausgedrückt – Kritiker von Corona-Impfungen und Corona-Maßnahmen, besonders der Masken, den nächsten Tiefschlag einstecken. Nachdem seine Studie zur angeblich gesundheitsgefährdenden CO2-Bleastung von Kindern unter der FFP2-Maske mehrere Tage gewackelt hat, ist diese nun ebenfalls eingestürzt. Das Journal – dieses Mal mit JAMA Pediatrics ein echter Hammer – hat sie zurückgezogen und auch hier den Retraction Stempel drauf gepresst.

Was war passiert? Der Reihe nach. In JAMA Pediatrics ist ein Paper erschienen, in dem die Autoren anhand einer empirischen Studie (!) zeigen, dass Kinder unter der FFP2-Maske einer gesundheitsschädlichen CO2-Belastung ausgesetzt sind. Zum Hintergrund: JAMA ist quasi das amerikanische Ärzteblatt, also ein wissenschaftlicher Hammer! JAMA Pediatrics gehört zur Familie und hat ebenfalls einen hohen Impact in der Wissenschafts-Community. Es ist also kein Pappenstiel.

Die Studie wird bezeichnet als „randomisierter klinischer Trial“ (der Begriff ist angreifbar, aber dazu später mehr) und ist als Research Letter erschienen. Research Letter sind bei JAMA kurze Beiträge, die etwa kleine Untersuchungen präsentieren. Es findet sich auf der Homepage des Journals kein Hinweis, dass diese Form der Beiträge nicht durchs Peer Review geht (Quelle). Man muss also im – für das Wissenschaftssystem schlimmsten Fall – davon ausgehen, dass wie üblich externe Gutachter mit Expertise das Paper beäugt haben – und es dann durch gewunken. Also muss die Studie doch was taugen. Leider ist das gleiche passiert wie in Walachs Impfstudie: Gerade veröffentlicht, fallen Wissenschaftler über die Masken-Studie her. Gut zwei Wochen nach der Publikation am 30. Juni zieht das Journal nach inhaltlicher Shitstorm-Welle am 16. Juli die Reißleine und retractet das Paper.

Was war passiert? Dafür müssen wir uns die Methode ansehen

Die Wissenschaftler haben Kindern nacheinander FFP2 und OP-Masken aufgesetzt und dann den CO2 Gehalt mit einem Messfühler, der zwischen Nase und Oberlippe angebracht war, gemessen. Dann wurde über drei Minuten mehrere CO2-Messungen vorgenommen. Das Ergebnis – erschütternd: sechsmal höher als in Deutschland als „akzeptabel“ eingestuft soll die C02-Belastung unter der Maske sein. „Wir vergiften unsere Kinder“. Der Artikel endet mit den Worten „…Kinder sollten nicht gezwungen werden, Masken zu tragen“.

Warum wird die Studie nun zerlegt? Die Methode ist das Problem, und zwar besonders das Messinstrument. Das Gerät ist nicht dazu konstruiert, die Zusammensetzung der Luft unter einer Maske zu messen, sondern wird zur C02-Messung in Inkubatoren genutzt. Außerdem kann das Gerät die angegebene Messfrequenz gar nicht abbilden, weil es immer Mittelwerte über bestimmte Zeiträume ausgibt, für die es eine gewisse Messzeit braucht.

Gerät gar nicht zur Messung geeignet

Warum das wichtig ist? In der Forschung haben wir verschiedene Gütekriterien, denen Tests – seien es psychometrische, etwa zur Messung von Depression, aber auch physikalische – gerecht werden müssen. Wichtig sind in dem Zusammenhang der Walach-Studie die Reliabilität (Misst unser Messinstrument, was es misst, genau) und die Validität (Misst es, was es messen soll, genau). Die Reliabilität – und damit die Validität auch nicht – ist hier nicht gesichert. Wir wissen nicht, ob unser Messinstrument genau misst. Weil es eben für die Atemluft unter Masken nicht „validiert“ ist, wie man es in der Fachsprache sagt. Warum ist das so wichtig? Ist das nicht wissenschaftliche Korinthenkackerei? Mitnichten.

Man stelle sich vor, in einer Klinik für Menschen mit starkem Untergewicht würde der Behandlungsfortschritt mit einer Waage geprüft – gehen wir davon aus, die Leute sollen zunehmen. Einmal in der Woche wird gewogen. Nehmen wir eine Waage, die wir kaufen, und die für Menschen gedacht ist, oder eine Waage für Autos? Ersteres natürlich, denn eine Autowaage wäre für den niedrigen Gewichtsbereich gar nicht ausgelegt (reliabel). Bei einem Studienergebnis von derartiger Tragweite wäre ein adäquates Messinstrument doppelt wichtig. „Außerordentliche Behauptungen bedürfen außergewöhnlicher Evidenz – und das ist eine außergewöhnliche Behauptung ohne Evidenz“ wird etwa die Wissenschaftlerin Eve Bloomgarden, die die Studie öffentlich kritisiert hat, zitiert.

Walach konnte EInwände nicht entkräften

Das Journal hat ein Einsehen. Wie üblich gibt es den Autoren die Möglichkeit, die Vorwürfe zu entkräften. Das sei den Autoren aber laut der Retraction-Mitteilung nicht gelungen. Harald Walch hat die Korrespondenz mit dem Journal vor der Retraction veröffentlicht. Geht man davon aus, dass diese Dokumente korrekt sind – und das tue ich – entdeckt man jedoch auch wieder einige Peinlichkeiten des Journals. So kritisieren die Editoren die Bezeichnung als randomisierte Studie, was den Vergleich zweier Interventionen impliziert. Randomisierung bedeutet, dass die Patient:innen zufällig den Interventionen zugewiesen werden. Hier wurde randomisiert, in welcher Reihenfolge die Proband:innen die experimentellen Bedingungen durchlaufen, entweder OP-Maske à FFP2 oder FFP2 à OP-Maske.

Ist also nicht ganz falsch, aber ein ungewöhnlicher Ausdruck. Das Problem: Die Bezeichnung als randomisierte Studie wurde laut Walach vom Journal angemahnt. Weiterhin fragt das Journal in der Bitte um Stellungnahme nach der Publikation, worum es sich bei dem Verein “Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie eV” handelt. Was wirklich peinlich ist, denn der Sponsor einer Studie sollte immer vor der Veröffentlichung durch das Review geprüft werden. Es wäre übrigens völlig OK, wenn eine Studie von diesem Verein finanziert wird, weil Studien eben finanziert werden müssen. Dass da eine Agenda verfolgt wird, steht auf einem anderen Blatt Papier. Hier wäre dann etwa nachzufragen, welche Rolle der Sponsor der Studie beim Design bzw. der Methode spielt. Transparenz!

Wie der Artikel geprüft wurde, ob Peer Review oder Editorial Review, ist unklar

Es findet sich, wie erwähnt, kein Hinweis, dass kein Peer Review stattgefunden hat. Was es doppelt peinlich machen würde. Denn Walach hätte dann das System zweimal überwunden – mit der Impf- und der Maskenstudie. Es sei angemerkt, dass die Studie auch ein positives Ethikvotum von einer entsprechenden Kommission bekommen hat, auch hier ist alles korrekt gelaufen. Und auch, wenn es mancher nicht lesen mag: Obwohl Walach et al. natürlich eine Agenda verfolgen, man darf nicht unterstellen, dass Daten gefälscht wurden. Er hat sich wissenschaftlich nicht unredlich verhalten, er hat nur schlechte Wissenschaft gemacht. Wobei schlechte Wissenschaft keine Wissenschaft ist.

Aber einreichen darf man jedes Manuskript (sofern die Angaben korrekt sind, und das – da gibt es keine gegenteiligen Anzeichen – sind sie). Für die Selektion ist das Journal zuständig. Das sei der Fairness halber gesagt. Walach ist ein Wissenschaftler, der eine Menge Publikationen hat. Er weiß, wie Forschung geht. Das sollte bei der Diskussion nicht vergessen werden. Ihn als inkompetenten Spinner hinzustellen, macht keinen Sinn. Die Wissenschaft tut sich nämlich keinen Gefallen zu ideologisieren. Das ist nur Wasser auf den Mühlen der Querdenker.

Die beiden Walach-Studien wurden mit den wissenschaftlichen Waffen zerlegt. Damit sollten wir happy sein – bei aller Schadenfreude. Es zeigt sich jedenfalls eines: Peer Review System – halte die Augen auf. Denn Walach hat angekündigt, die Studie in der Langfassung woanders einzureichen (Quelle). Wahrscheinlich läuft er jetzt QUER durch die ganze wissenschaftliche Publikationslandschaft. Zumindest könnte man sich das DENKEN.

Zum Thema:

Die Wahrheit hinter Walach-„Studie“: Querdenker erfinden Masken-Gefahr für Kinder

Dr. Janosch A. Priebe ist Neurowissenschaftler und Psychologe. Sein Herz schlägt für die neurowissenschaftliche Grundlagenforschung und die klinische Forschung. Außerdem ist er Experte für wissenschaftliche Methodik. Artikelbild: pixabay.com, CC0/Screenshot

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