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Impfstoff gegen Geld schlecht reden – Mr. Wissen2Go „Fürchte, wir werden so was noch öfter erleben“

von | Mai 27, 2021 | Aktuelles

Influencer:innen sollten Impfstoff gezielt schlecht reden

Der mRNA-Impfstoff von BioNTech ist extrem sicher und wirksam, Corona ist gefährlich und die Pandemie ist echt, das ist wissenschaftlich gut belegt. Warum ist es wichtig, das zu betonen? In Deutschland und Frankreich häufen sich derzeit die Meldungen, dass Influencer:innen angeschrieben wurden und ihnen ein vierstelliger Geldbetrag dafür geboten wurde, dass sie den Impfstoff von BioNTech gezielt schlechtreden sollten. Dazu sollten sie einen Link teilen, der zu einem YouTube-Video führte. In diesem Video wurde beschrieben, dass es nach Impfungen mit dem Impfstoff von BioNTech zu vermehrten Todesfällen gekommen sei. Beweise werden in diesem Video jedoch nicht geliefert.

Geheime Daten – die nichts aussagen

Weiterhin wurde den Influencer:innen Zugang zu Informationen versprochen, die bislang noch „geheim“ und „unveröffentlicht“ seien und beweisen sollten, wie gefährlich der Impfstoff angeblich sei.

Nach Einschätzung der Zeitung „Le Monde“ handele es sich dabei aber eher um gehackte Daten der Europäischen Arzneimittelagentur und nicht um „Beweise“ für die oben stehenden Behauptungen. Diese Daten wurden bereits im Dezember abgegriffen und im russischen Darknet angeboten (Quelle: Stern). Auch wurden nur gezielt herausgepickte Teile der Daten veröffentlicht, damit die Arzneimittelbehörde angreifbarer war. Und es durch geschicktes Framing so wirkte, als sei der Impfstoff nicht vertrauenswürdig. Das ist typische Desinformations-Taktik.

Zahlen echt, Ursache nicht

Weiter werden Zahlen genannt, die ebenfalls die Todeszahlen nach Impfungen darstellen sollen. Richtig ist aber, dass es sich dabei um verstorbene Menschen handelt, die innerhalb von 40 Tagen nach der Impfung, nicht DURCH die Impfung gestorben sind. Die Datengrundlage ist echt und fußt auf Daten des Paul-Ehrlich-Instituts, sie haben jedoch NICHT die Impfung als Todesursache. Aber: Die Mortalität bei über 80-Jährigen ist insgesamt höher als bei jüngeren Leuten. Die hier verstorbenen Menschen waren überwiegend hochaltrig und teilweise multipel vorerkrankt, ihre Prävalenz zu sterben war also bereits vor der Impfung höher als in anderen Bevölkerungsgruppen.

Wichtig: Das ist keine Relativierung der Tode, sondern eine Einordnung und Analyse, wie es zu den Todeszahlen kommen konnte.

Die oben erwähnte Strategie ist ein bewährter Mechanismus bei der Verbreitung der Fake News: Ein niedriger Anteil am Fake basiert auf echten Datenlagen, aber drumherum wird eine andere Geschichte gebaut. Sollte also jemand ausnahmsweise einmal eine Quelle anklicken, sieht er die vorangegangenen Aussagen als „bestätigt“ an und vertraut dem irreführenden Bericht noch stärker. Die Fake News beginnt sich in den Köpfen abzusetzen und wird schneller verbreitet, da sie vermeintlich „echt“ und „wissenschaftlich begründet“ ist. Die Strategie ist also immer dieselbe, nur die Geschichte ändert sich.

Zurück zu den Influencer:innen:

Besonders pikant bei der Anwerbung der Influencer:inenn für diese Negativ-Kampagne: Sollten sie auf das Angebot eingehen, sollten sie die Informationen so darstellen, als handele es sich um ihre eigene Meinung. Der Hinweis auf eine Bezahlung/Sponsoring sollte entfallen. Hier will man gezielt die Bevölkerung täuschen.

Der Gesetzentwurf zur Kennzeichnungspflicht bei Influencer:innen besagt jedoch, dass die Postings als Werbung gekennzeichnet werden müssen, wenn es für diese eine direkte Gegenleistung gibt. Sprich: Wenn Sie für den veröffentlichten Beitrag tatsächlich bezahlt wurden oder eine sachliche Gegenleistung erhalten haben. (Quelle: Link zum Gesetzentwurf.)

Das wäre hier der Fall. Sie erhalten Geld dafür, dass sie eine irreführende Negativkampagne unterstützen / bewerben, es gleichzeitig aber aussehen lassen sollen, als wäre es ihre Privatmeinung. Auch sei die Summe laut französischen Influencer:innen sehr hoch gewesen, der Sponsor sollte aber anonym bleiben.

Auch Deutsche angeworben: Interview mit „Mr. Wissen2Go“

In Deutschland äußerte sich Mirko Drotschmann, besser bekannt unter dem Namen Mr. Wissen2Go, zu dem Vorfall. Mirko arbeitet beim Funk und hat beim SWR und ZDF dort nun sein eigenes Format.

Wir hatten die Möglichkeit, mit Mr. Wissen2Go zu sprechen und von ihm einige Fragen beantwortet zu bekommen:

VVP: Wie schnell war für dich klar, dass du da nicht mitgehst und was war dein erster Gedanke, als du die Anfrage bekommen hast?

Mirko Drotschmann: „Das war für mich von Anfang an klar. Bei YouTube gehe ich generell keine kommerziellen Kooperationen ein, mein Kanal ist öffentlich-rechtlich. Und selbst, wenn das nicht so wäre: Sich an einer Desinformationskampagne zu beteiligen, finde ich absolut nicht okay. Nicht nur als Journalist, sondern ganz grundsätzlich.“

VVP: Wie sehr hast du dich geärgert über die?

„Geärgert habe ich mich am Anfang nicht so sehr – ich war eher schockiert, dass jemand versucht, mit so etwas durchzukommen. Der Ärger kam dann, als ich einige Tage später gesehen habe, dass es tatsächlich Leute gegeben hat, die darauf eingestiegen sind. Das ist für mich nicht nachvollziehbar.“

VVP: Meinst du, solche PR-Aktionen gibt es öfters unter Influencer:innen?

„Ich habe schon von einigen absurden oder fragwürdigen Kampagnen mitbekommen – aber so etwas ist neu für mich. Ich hoffe, dass es nicht so häufig vorkommt, fürchte aber, dass wir so etwas noch öfter erleben werden.“

Wer steckt dahinter?

Bislang gibt es keine genauen Informationen über die Drahtzieher:innen der Kampagne, es führen lediglich Spuren nach Russland. Ob eine gezielte Kampagne zugunsten des Sputnik V-Impfstoffes dahintersteckt, kann weder bestätigt noch dementiert werden. Recherchen von netzpolitik.org legen den Verdacht jedoch nahe.

Unser Dank geht auch an die Kolleg:innen von netzpolitik.org, Daniel Laufer hat zusammen mit ARD Kontraste versucht, die Hintermänner zu recherchieren. Was bislang feststeht: Dahinter soll eine Werbeagentur mit Sitz in London stecken, ihr Name: Fazze. Auffällig: Laut Recherchen von netzpolitik.org haben die Mitarbeitenden der Agentur alle zuvor in Russland gearbeitet. In London soll es sich vielmehr um eine Scheinfirma handeln. Deutsche Sicherheitsbehörden, allen voran das Bundesinnenministerium, seien ebenfalls bereits auf die gezielte Kampagne gegen Pfizer aufmerksam geworden und ermitteln.

Wie dreist kann man eigentlich sein?

Die Werbeagentur Fazze gibt wie gesagt an, in London ansässig zu sein. An der Adresse sind auch weit über 500 Firmen angemeldet, aber: keine Firma namens Fazze. Jetzt geben sie schon eine Briefkastenfirmenadresse an und haben noch nicht einmal eine Firma angemeldet? Das erscheint nicht nur dreist, sondern auch extrem unprofessionell. Mirko Drotschmann hat sich selbst gewundert, wer alles angeschrieben wird und ob man sich im Vorfeld so gar nicht mit den Personen, die man anwerben wollte, auseinandergesetzt habe. Da ist die nicht-angemeldete Firma nur konsequent im unprofessionellen Vorgehen. Gleichzeitig fragt man sich aber auch, wie dubios das ganze Vorgehen ist. Das Gute: Sie zeigen selbst, wie wenig vertrauenswürdig sie sind. Immerhin.

Ihr findet den Artikel mit weiteren Informationen hier und wir empfehlen euch dringend, ihn zu lesen: ausführliche Netzpolitik.org-Recherche.

Bislang keine Erkenntnisse über deutsche Influencer:innen

Derzeit wissen wir nur von indischen und brasilianischen Influencer:innen, die diese Kampagne unterstützen und dazu auch dieselben Grafiken und Tabellen einblenden, die Fazze ihnen im internen Bereich angeboten hat. Ausgerechnet Indien, das aktuell mit extrem hohen Inzidenzwerten und extrem vielen Corona-Toten zu kämpfen hat, aber auch Brasilien, das bis vor Kurzem ebenfalls schwer betroffen war. Beide Influencer:innen haben ihre Videos mittlerweile gelöscht bzw. gekürzt. Ob sich deutsche Influencer:innen auf die Kampagne eingelassen haben, wissen wir derzeit noch nicht. Mirko Drotschmann (Mr. Wissen2Go) hingegen hat sich auf seine journalistischen Grundprinzipien berufen und erst geprüft, wer sich da so dubios gemeldet hat und seinen Anspruch an qualitativ hochwertigen Content aufrecht erhalten.

Artikelbild: pixabay.com, CC0, Screenshot twitter.com

Unsere Autor:innen nutzen die Corona-Warn App des RKI.