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Faktencheck: Die Widerlegung des Fake-Videos „Pandemie in den Rohdaten“

von | Sep 5, 2021 | Aktuelles

So belügt dich das Video „Die Pandemie in den Rohdaten“

Anmerkung: Am 20. September veröffentlichte Correctiv ebenfalls einen Faktencheck zum Video, der diesen Text hier sehr gut ergänzt.

Ein Video des Wirtschaftsinformatikers Marcel Barz, der sich selbst „Erbsenzähler“ nennt, mit dem Titel „Pandemie in den Rohdaten“ gibt vor, eine nüchterne Analyse der Daten zur Corona-Pandemie zu sein und täuscht damit Leute, die sich mit der Materie nicht auskennen oder aus ideologischen Gründen die Existenz der Pandemie leugnen. Leider ist „Pandemie in den Rohdaten“ nicht so sachlich, wie es vorgibt und die Daten sprechen nicht für sich allein, sondern werden missverstanden, unvollständig und falsch dargestellt und so verdreht, um offenbar eine zuvor gemachte Schlussfolgerung zu stützen, die falsch ist. Es gibt eine Pandemie, und das sind die Tricks und Fehler, mit dem der „Erbsenzähler“ sie leugnen möchte. Der Faktencheck.

Es gibt eine Pandemie in den Rohdaten – da gibt es nichts zu leugnen

Die Grundthese des Fake-Videos ist, dass mit Blick auf die Daten die Existenz einer Pandemie widerlegt werden könnte. Das ist völlig unseriöser Quatsch, der gezielt sehr viele Länder, Studien und Statistiken auslässt und cherry picked, um die Wahrheit zu verschleiern. Schauen wir uns zuerst Fakten an, über die Zuschauer:innen des Fake-Videos getäuscht werden sollen:

Weltweit starben gemessen an der weltweiten Übersterblichkeit 15 Millionen Menschen an Corona – 10 Millionen mehr als die offiziellen Todeszahlen, denn im Gegensatz zu der Desinformation von Corona-Verharmloser:innen werden weltweit betrachtet in vielen Ländern Corona-Todeszahlen unterberichtet. Und das trotz teils strengen Maßnahmen auf der ganzen Welt. Ein verengter Blick nur auf Deutschland, das eben wegen seiner Maßnahmen eine vergleichsweise geringe Übersterblichkeit aufweist, kann nicht die ganze Wahrheit zeigen.

In Russland gab es eine Übersterblichkeit von 650.000 Toten (0,42 % der Bevölkerung), in Mexiko eine Übersterblichkeit von 470.920 Toten (0,37 % der Bevölkerung). Und in Südafrika 220.320 Tote (0,37 % der Bevölkerung), Peru: 193.000 Tote (0,6 % der Bevölkerung). In Italien waren es 146.540 Tote (0,24 % der Bevölkerung), allein in der Kleinstadt Nembro, Norditalien waren es 140 Tote – in nur einem Monat sind dort unfassbare 1,3 % der Bevölkerung gestorben (Quellen).

 Ohne Maßnahmen: 700.000 Tote allein unter den über 85-Jährigen in Deutschland

Die Tödlichkeit des Virus war inzwischen wissenschaftlich sehr gut dokumentiert (Studie). Aufgrund von Mutationen ist diese jedoch vermutlich sogar noch gestiegen (Quelle, Quelle), eine mögliche Erklärung dafür ist, dass eine höhere Viruslast einerseits das Virus leichter übertragbar macht (Vorteil für die Variante), aber eben auch tödlicher. Wäre Corona völlig ohne Maßnahmen grassiert, wären die Todesopfer allein in Deutschland allein in der ersten Welle problemlos in die hohen Hunderttausenden gekommen (Quelle) – denn Deutschland hat eine der ältesten Bevölkerungen der Welt – also genau die Menschen, für die Corona extrem tödlich ist. Bei den über 85-Jährigen stirbt mehr als jede:r Vierte. In Deutschland sind 2,5 Millionen Menschen über 85 Jahre alt (Quelle), allein dort gäbe es rechnerisch 700.000 Tote ohne Maßnahmen.

Eine weltweite Pandemie ist mit Blick auf die Daten einfach nicht zu leugnen. Wenig verwunderlich also, dass sich der absolute Großteil der Expert:innen darin einig ist, dass wir in einer leben und dementsprechend auch fast alle Verantwortlichen in allen Ländern der Welt, dass man ein Massensterben verhindern musste. Ein Informatiker auf Youtube kann das auch nicht widerlegen. Wie Barz dennoch auf diese absurde Schlussfolgerung kommt, lässt sich nur damit erklären, dass er aus Unwissenheit oder ideologischer Motivation heraus die Daten und Zahlen verzerrt und falsch interpretiert.

Fake 1: Unzulässige Berechnungen, um Übersterblichkeit zu leugnen

Es gibt eine Übersterblichkeit auch in Deutschland und niemand hat „vergessen“, die Altersstrukturen mit einzurechnen. „Die Pandemie in den Rohdaten“ bedient sich dazu eines Rechentricks, der bereits von „Querdenker“ Samuel Eckert genutzt wurde und der bereits ausführlich widerlegt wurde. Wir haben dazu diesen Artikel veröffentlicht, auch Correctiv hat diese Rechnung als fehlerhaft entlarvt (Quelle).

Die Rechnung von Eckert (und jetzt auch Barz) ist laut Statistischem Bundesamt „methodisch unzulässig“. Barz wirft den Forscher:innen vom Max-Planck-Institut vor, die Sterblichkeit ohne Blick auf die Altersstruktur zu betrachten. Das ist falsch, so etwas kann nur jemand behaupten, der sich nicht in der Materie auskennt oder bewusst täuschen will. Das Max-Planck-Institut rechnet die Altersstruktur in einige Modelle explizit mit ein und es zeigt klar die Ausschläge der Übersterblichkeit, genau zu den Zeitpunkten, als auch die Fallzahlen und Corona-Todeszahlen hoch waren (Man kann hier die Age Specific Death Rate auswählen).

Diese zwei Grafiken zeigen nur die 85+ Kohorte im Jahr 2020 und 2021. Man erkennt, dass Anfang 2020, also vor Corona, die schwache Grippewelle eine Untersterblichkeit zur Folge hatte. Man kann außerdem darüber hinaus in vielen Ländern beobachten, dass die Maßnahmen in den Zeiten zur Untersterblichkeit führten, in denen Corona erfolgreich eingedämmt war.

2020
2021

Massive Untersterblichkeit „Zufällig“ nach Beginn der Impfung?

Besonders auffällig: Direkt nach dem Impfstart der älteren Bevölkerung in Deutschland geht die Sterblichkeit steil zurück, um zwischen Februar bis April eine massive UNTERSterblichkeit vorzuweisen. Diesen Fakt für den Faktencheck vom Fake-Video später noch merken. Es kann also definitiv nicht viele Tote aufgrund der Impfung gegeben haben, im Gegenteil, die Wirkung hat offensichtlich viele Leben gerettet.

Zum Vergleich jetzt die Kohorte 15-65, je 2020 und 2021.

2020
2021 bis 1. Sept

Wie man sieht, starben die Menschen „zufällig“ genau in dem Zeitraum der Corona-Wellen und hoher Infektionszahlen und die Übersterblichkeit findet sich auch unter jüngeren und jungen Menschen. Barz wirft also anderen vor, „Äpfel mit Birnen“ zu vergleichen, was diese aber gar nicht machen. Im Gegenteil, er macht das selbst. Er vergleicht Jahre mit starker und schwacher Grippewelle (2020 hatte eine sehr schwache, die oft zitierte, anhand der Übersterblichkeit mit 25.000 Toten geschätzte, Grippewelle von 2017/18 war die schwerste seit 30 Jahren, mehr dazu).

Barz berücksichtigt außerdem nicht, dass die Pandemie in Deutschland erst im März 2020 losging. Das sind alles Faktoren, die die Daten erklären. Und wie wir am Anfang vom Artikel gesehen haben, zeigt die große Übersterblichkeit in anderen Ländern, dass Deutschland vergleichsweise gut durch die Pandemie kam. Der Erfolg der Maßnahmen ist kein Beleg dafür, dass es keine Pandemie gibt.

„Pandemie in den Rohdaten“ vergleicht Äpfel mit Birnen

Er berücksichtigt außerdem nicht, dass die Lebenserwartung nun mal kontinuierlich steigt, weniger Menschen rauchen, bessere Luftqualität durch strengere Grenzwerte, nachkommende Generationen sind generell gesünder in jeglicher Hinsicht. Es ist also nicht so, als ob das nur ein „normales“ ohnehin bald zu erwartendes Sterben von Älteren sein kann. Wenn das wirklich alles nur Alterseffekte wären, müsste die Sterblichkeit ja gleichmäßig ansteigen. Das zeigen die Daten aber nicht.

Es gibt klare Peaks, genau dann, wenn auch viele Corona-Toten zu verzeichnen sind. Außerdem gibt es höhere Übersterblichkeit in Bundesländern mit mehr Corona-Toten, was beides nicht durch Alterungseffekte erklärt werden kann. Nehmen wir ein praktisches Beispiel: Mit diesem Trick vom „Erbsenzähler“ könnte man die Todesopfer des Anschlags vom 11. September in New York leugnen. Die Terroranschläge von 2001 in New York City haben fast 3.000 Opfer gefordert. Im September 2001 führte das zu einer Übersterblichkeit von 60 % (ähnlich der in Deutschland Ende des Jahres 2020). Schaut man sich aber das ganze Jahr an, sind die Unterschiede zu den Vorjahren kaum noch vorhanden (Quelle). Niemand, der noch einigermaßen seine Tassen im Schrank hätte, würde jetzt anhand dieser Daten behaupten, dass die Terroranschläge nicht stattgefunden haben könnten.

Es ist schlicht nicht sinnvoll, das auf Jahresbasis zu vergleichen. Die Pandemie war sehr unterschiedlich ausgeprägt. Wir hatten eine vergleichsweise harmlose erste Welle und bis Oktober relativ niedrige Fallzahlen. Ab Oktober steigt die Übersterblichkeit dann massiv an. Die meisten seriösen Wissenschaftler:innen vergleichen daher auf Wochenbasis. Außerdem hat er offenbar numerische Fehler in den Daten.

Fake 2: Intensivbetten

Zu den Intensivbetten wiederholt Barz auch alte „Querdenker“-Fake-News, die schon längst widerlegt wurden. Er behauptet, dass die Intensivbetten nie überlastet gewesen wären, sondern abgebaut wurden. Das ist eine alte „Querdenker“-Lüge. Eine Version von Pandemie-Leugner Hockertz, haben wir hier widerlegt:

Und auch hier haben wir den Fake widerlegt:

Die Argumentation besteht aus völlig falschen Schlussfolgerungen und falschen Zahlen über die Auslastung der Intensivbetten und des DIVI-Registers. Sie basiert auf mehreren Fehlern/Tricks: Zum einen werden seit dem 4. März Kinder-Intensivbetten im DIVI-Register nicht mehr mitgezählt, das heißt nicht, dass die „abgebaut“ wurden. Zum anderen wurde eine hohe Dunkelziffer ignoriert und mit ungenauen Zahlen gerechnet, um eine für Deutschland untypisch hohe Intensivpatient:innenzahl zu unterstellen. Zuletzt wurden Spitzenwerte an einzelnen Tagen als Gesamtwerte behandelt, was offensichtlich extrem falsch ist.

Abbau von Intensivkapazitäten ist erfunden

Viel wichtiger als die Betrachtung der Betten ist die Betrachtung des Personals, was Barz verschweigt oder nicht weiß.

Ein Rückgang an Intensivkapazitäten liegt auch zum Teil daran, dass Corona-Patient:innen mehr Personal als normale Patient:innen benötigen. Intensivbetten, die zwar vorhanden sind, aber aufgrund mangelnden Personals nicht betrieben werden können, sollten nicht mitgezählt werden. Zu Beginn der Pandemie hat man das noch getan, später (Oktober 2020) haben die Krankenhäuser das dann richtig gemacht und bereinigt, auch deshalb sanken die Zahlen der verfügbaren Betten im Sommer 2020. Aber wenn der Anteil der pflegeintensiveren Corona-Patient:innen steigt, wird pro Patient rechnerisch mehr als nur ein Bett „verbraucht“, weil für den Betrieb der restlichen Betten nicht genug Pflegepersonal verfügbar ist. Entsprechend ändert sich auch die Anzahl im DIVI-Intensivregister (Quelle).

Zum 1.2.2021 haben sich die Personaluntergrenzen von 2,5 (Tag) bzw. 3,5 (Nacht) auf 2:1 und 3:1 geändert, sprich weniger Patient:innen kommen auf eine Pflegekraft. Wenn weniger Patient:innen durch eine Pflegekraft versorgt werden dürfen, sind entsprechend weniger betreibbare Betten im System verfügbar. Dazu kommt, dass Intensivmediziner:innen sich selbst infizieren oder wegen Burn-out abbrechen müssen (Quelle). Bei WELT und Schrappe et al. wird aber so getan, als stecke ein perfider Plan dahinter, um die Anzahl der freien Intensivbetten zu manipulieren.

DIVI und andere Verbände erklären :

„Für den Rückgang der Intensivbettenzahl im weiteren Verlauf des Jahres gibt es mehrere Gründe. Bereits Anfang August kam es im DIVI-Intensivregister zu einem Rückgang der Intensivbettenzahl. Dieser ist auf eine Änderung bei der Abfrage der intensivmedizinischen Kapazitäten sowie dem Einsetzen der Pflegepersonaluntergrenzen zurückzuführen. In der Konsequenz haben zahlreiche Kliniken ihre Bettenmeldungen an diese Personalvorgaben angepasst. Außerdem werden seitdem die Notfallreservekapazitäten separat abgefragt.

Die Angaben zur Anzahl der freien betreibbaren Bettenkapazitäten haben sich in den folgenden Meldungen entsprechend reduziert. Die Daten legen nahe, dass ein Teil der vorher gemeldeten freien Bettenkapazitäten nun als Notfallreservekapazität gemeldet wird. Die Notfallreserve kann stückweise aktiviert werden, indem andere Behandlungen abgesagt bzw. verschoben werden.“ (Quelle)

Die Quelle des „Erbsenzählers“? Ein „Ufologe“, der an „Raumenergie“ glaubt

Eine Quelle für die Fake News des „Erbsenzählers“ ist ein Sender für Ufologen und andere Verschwörungsgläubige. Barz nutzt das Video. Blendet er das Logo aus, um den Ursprung zu vertuschen? Seine Quelle ist also buchstäblich ein Ufologe, der an „Raumenergie“ glaubt, also daran, dass man Energie aus dem Nichts erzeugen könne. Mit Rohdaten oder Fakten hat der Unsinn herzlich wenig zu tun.

Auch Sahra Wagenknecht verbreitete den Fake von den abgebauten Intensivbetten, und der „Erbsenzähler“ nimmt sie – explizit keine Expertin – als Beleg her. Wagenknecht erweist damit den Pflegekräften einen Bärendienst. Man kann die Bedingungen für Pflegekräfte eben nur verbessern, indem man sich an der Realität orientiert, nicht an populistischen Fake News:

Apropos: Wer wissen will, ob die Intensivstationen überlastet waren, kann gerne die Pfleger:innen fragen, die ans Ende ihrer Kräfte kamen. Diese Lügen spucken auf die extrem wichtige Arbeit des Gesundheitspersonals.

Fake 3: Viel Unsinn über PCR-Tests

Zuerst Fakten zu den PCR-Tests:

  • Die PCR-Tests sind validiert,
  • Die PCR-Tests testen ausschließlich SARS-Viren und keine harmlosen Erkältungsviren und
  • Und die PCR-Tests sind extrem genau, viel genauer als Pandemie-Leugner behaupten.

Wir haben bereits in einem Artikel (im Oktober!) lang und breit und ausführlich mit vielen Quellen erklärt, dass das so ist. Dass es wirklich nicht so viele „falsch positive“ Tests gibt, wie immer herbeifantasiert, zeigt zum Beispiel Neuseeland: Von 328.000 Tests in Mai-Juli waren 81 positiv. Es gab sogar 26 aufeinanderfolgende Tage mit insgesamt 65.000 Tests, von denen kein einziger positiv war. Hier liegt die Rate so niedrig, dass maximal 2-3 von 10.000 Tests falsch positiv wären. Und das auch nur unter der unrealistischen Annahme, dass ALLE positiven Corona-Tests in Neuseeland von Mai bis Juli falsch positiv waren. Das wäre dann eine Spezifität größer als 99.97 %. Aber lest gerne ausführlich hier alles:

„Drosten-Test“ weist Corona nach – wissenschaftlich bestätigt

Über PCR-Tests verbreitet der „Erbsenzähler“ jede Menge Falschinformationen, die offenkundig zeigen, dass er entweder wirklich keinerlei Ahnung vom Thema hat oder sich nur bewusst Dinge herauspickt, um die Pandemie zu leugnen. Er hängt sich, wie so viele Pandemie-Leugner:innen am von Dr. Drosten im Januar 2020 entwickelten PCR-Test (Quelle) auf, was völlig unsinnig ist, da dieser schon lange von niemandem mehr genutzt wird, es wurden buchstäblich Hunderte neue entwickelt, die inzwischen Anwendung finden (Quelle).

Völlig unabhängig davon, dass niemand mehr den PCR-Test von Drosten nutzt und eine Diskussion darüber keinerlei Aussagekraft zur aktuellen Situation gibt, erwähnt Barz den „Corman Drosten Review Report“, der angeblich Fehler in Drostens Arbeit gefunden haben wollte. Was Barz verschweigt oder nicht weiß: Der „Drosten-Test“ wurde einstimmig wissenschaftlich bestätigt, der Review wurde von der wissenschaftlichen Community völlig als heiße Luft zerrissen.

Die Autoren des Reports, darunter „Wissenschaftler:innen“, die wohl teilweise nie jemals wirklich relevant zu Corona oder Viren überhaupt geforscht haben (mehr dazu) wollten, dass Drostens Studie zu seinem PCR-Test zurückgezogen wird. Das wurde einstimmig zurückgewiesen. Der Report hat viele Dinge einfach falsch wiedergeben oder offensichtlich selbst nicht verstanden, wie ein Virologe erklärt. Die Anmaßung, Drosten et al. Unwissenschaftlichkeit vorzuwerfen, scheint echt spektakulär. Hier haben wir alles ausführlich belegt:

Barz stützt sich in einer unwissenschaftlichen Argumentation also auf andere unwissenschaftliche Argumentationen und verschweigt dabei die Blamage der „Kritiker:innen“. Das ist blanke Täuschung und eine Blamage für den „Erbsenzähler“ und zeigt, wie unehrlich das ganze Video von vorne bis hinten argumentiert.

Positivrate: Mehr Tests machen die Zahlen genauer

Erinnert ihr euch noch an die Anfangszeit der Pandemie? Damals war ein Hauptargument der Leugner:innen, dass Corona ja nicht so gefährlich sei, weil es auch eine große Dunkelziffer gibt. Sie argumentierten: Ja, viele Menschen sterben, aber es werden viel mehr infiziert als wir eigentlich messen und deshalb erscheint Corona viel tödlicher. Nun, das war in der Dimension tatsächlich falsch, Corona ist auch enorm tödlich, wenn man die Dunkelziffer berücksichtigt, wie wir oben bereits beschrieben haben. Ironischerweise widersprach sich dieser Fake mit der gleichzeitigen Behauptung, dass die meisten PCR-Tests falsch positiv wären, was eine enorm viel höhere Tödlichkeit von Corona bedeutet hätte. „Querdenker:innen“ müssen sich entscheiden, welche von beiden Lügen wahr sein soll.

In letzter Zeit drehen die Pandemie-Leugner also das Argument um, und behaupten das Gegenteil: Durch zu viel (!) Testen würden wir zu viele Fälle finden und dadurch wäre die „Inzidenz“ nicht aussagekräftig.

Wer mehr testet, kriegt genauere Ergebnisse…

Nun, das ist natürlich ebenfalls falsch. Wenn wir mehr testen, finden wir erstmal mehr aus der „Dunkelziffer“. Das heißt erstmal nur, dass uns WENIGER FÄLLE durch die Lappen gehen. Der FEHLER wird kleiner. Das ist GUT: Dadurch haben wir ein besseres Bild der Pandemie und wissen, wo die Ansteckungen gerade stattfinden. Es ist ja nicht so, als ob wir mehr Infizierte finden könnten, als es gibt.

Natürlich führt es auch dazu, dass die Zahlen z. B. in der zweiten Welle nicht mit denen in der ersten Welle vergleichbar wären. Klar, das muss man im Hinterkopf behalten bei der Beurteilung der Zahlen und auch bei Vergleichen zwischen Ländern und Landkreisen. Nur, was der „Erbsenzähler“ hier behauptet, ist nicht richtig: Doppelt so viel testen findet nicht automatisch doppelt so viele Fälle. Wenn ich doppelt so viel angele, dann krieg ich auch nicht doppelt so viel Fische, denn irgendwann ist der Teich nun mal leer gefischt. Und wie oben gezeigt gibt es praktisch keine falsch positiven PCR-Tests.

Quatsch-Vorschläge

Seine „Lösung“, Zahlen nach Positivrate zu normieren, ist ebenfalls ziemlicher Unsinn, weil es ja auch darauf ankommt, WEN ich teste. Teste ich nur Leute mit Symptomen? Einfach zufällig Leute auf der Straße? Das macht einen riesigen Unterschied für die Positivrate. Wirkliche Vergleichbarkeit zwischen den Zahlen ist nur mit großem Aufwand erreichbar. Und es wird auch nicht mehr benötigt. Dank der hohen Impfquote schauen wir aktuell sowieso vor allem auf die Zahl der (größtenteils ungeimpften) Hospitalisierten.

In den Daten zeigt sich deutlich: 94 % der Corona-Fälle auf deutschen Intensivstationen sind Ungeimpfte. Das ist umso beeindruckender, wenn man sich deutlich macht, dass gerade in der besonders gefährdeten Gruppe der über 60-Jährigen 86 % bereits mindestens eine Dosis des Impfstoffs erhalten haben (und 83 % beide) (Quelle). Die Gruppe der Geimpften unter besonders Gefährdeten ist also viel größer, trotzdem ist ihr Anteil an den Todesfällen viel kleiner. Der Impfstoff wirkt offensichtlich extrem gut.

„Erbsenzähler“ erfindet viele Todesfälle nach Impfungen – Realität zeigt massive Untersterblichkeit

Wir haben eben schon gesehen, dass es unter alten Menschen nach Beginn der Impfkampagne zu einer massiven Untersterblichkeit kam. Der „Erbsenzähler“ behauptet nun aber, dass Impfstoffe zu vielen Todesfällen geführt haben. Dabei verwendet er aber Zahlen, die das gar nicht beweisen (Quelle). Hier sieht man, wie in dem Video überhaupt nicht mit Daten und Fakten argumentiert wird, sondern nur Impfgegner-Propaganda fabriziert wird.

Um auch seltene Nebenwirkungen frühzeitig zu finden, versuchen die Behörden Todesfälle nach (!) der Impfung zu erfassen. Nun ist es aber so, dass gerade unter älteren Menschen eine natürliche Grundsterblichkeit existiert. Jedes Leben endet nun mal irgendwann. Erfasst man jetzt Todesfälle nach der Impfung ist ganz klar, dass man dabei eben auch diese natürliche Grundsterblichkeit mit erfasst. Aus diesen „Verdachtsfällen“ machen die Impfgegner:innen und auch der Erbsenzähler jetzt aber völlig unseriös Impftote (Quelle). Trotz Millionen Impfdosen gab es ja eine starke Untersterblichkeit. Wo sind denn diese ganzen angeblichen Toten?

Fast nur extrem seltene Todesfälle bei Astra Zeneca bestätigt – mRNA-Imfpstoffe haben keine tödlichen Nebenwirkungen – bei Milliarden Impfungen

Damit aus diesen Verdachtsfällen nun bestätigte Todesfälle DURCH die Impfung werden, müsste es ein bestimmtes Muster bei den Todesfällen geben. Das gab es auch: Bei dem AstraZeneca-Impfstoff wurde festgestellt, dass in enorm seltenen Fällen Sinusvenenthrombosen auftreten, die auch in mehreren Fällen zum Tod geführt haben. Das muss man sich erstmal klarmachen: Das Monitoring ist so genau, dass selbst Nebenwirkungen, die nur einmal unter mehreren Hunderttausend Impfungen auftreten, gefunden wurden. Für mRNA-Impfstoffe wurden bisher KEINE tödlichen Nebenwirkungen gefunden (Quelle). Trotz Milliarden Impfungen.

Der „Erbsenzähler“ vergleicht bei der Wirksamkeit der Impfstoffe sodann nicht die Zahl der Infizierten in Kontrollgruppe und Impfstoff-Gruppe, wie es üblich wäre (Quelle), sondern die Zahl der Nicht-Infizierten. Und stellt wenig überraschend fest: Da ist der Unterschied nicht so groß. Hier mal ein anschauliches Beispiel, wie dumm diese Argumentation ist: Niemand würde anzweifeln, dass Sicherheitsgurte im Auto Tausende Leben retten. Schaut man sich aber eine gleich große Gruppe von Autofahrern mit und eine ohne Sicherheitsgurte über einen Zeitraum von 12 Wochen an, stellt man am Ende fest, dass in beiden Gruppen ziemlich viele Leute nicht an Autounfällen gestorben sind.

Die Zahlen dürften etwa gleich groß sein, in der Gruppe mit Gurt nur geringfügig höher. Diese Zahl zu vergleichen ist aber sinnlos. Wir wollen vergleichen, wie viele nun ohne Gurt GESTORBEN sind und wie viele Todesopfer das über einen längeren Zeitraum nun verringert, hier sind die Unterschiede ohne Zweifel immens groß. Oder eben sich mit Corona infiziert haben, wie in den Impfstoff-Studien. Man muss ohnehin davon ausgehen, dass sich alle Menschen über kurz oder lang mit dem Virus und seinen Varianten anstecken werden (Quelle). Wichtig wird dann die Wirksamkeit gegen schwere Verläufe und Tod.

Fazit: „Pandemie in den Rohdaten“ ist voller Fakes und Unsinn

Das Video „Die Pandemie in den Rohdaten“ tut so, als würde es sich um eine nüchterne Betrachtung der Datenlage rund um die Pandemie handeln, ist jedoch schrecklich unwissenschaftlich argumentierter Pandemie-Leugner-Unsinn. Es werden lauter Daten aus dem Kontext gerissen, jede Menge Studien und Fakten verschwiegen, und falsche Schlussfolgerungen gezogen, alles mit dem ideologisch motivierten Ziel, die nachweislich existierende Pandemie zu leugnen. Barz hat sich nicht unvoreingenommen mit den Daten beschäftigt, sondern sich bereits vorhandene und widerlegte Fake News von „Querdenker:innen“ & Co. zusammenkopiert und die Fakes einfach in eigenen Worten wiederholt.

Fragt euch selbst: Wer wird es wohl wissen? Hunderttausende Wissenschaftler:innen und Expert:innen weltweit, Hunderte Studien, alle Entscheider:innen aller Länder der Welt – oder ein Wirtschaftsinformatiker auf Youtube? Der Äpfel mit Birnen vergleicht, Fakten verschweigt, unzählige Statistiken, Tatsachen und Daten unter den Tisch fallen lässt, die seine „Querdenker“-Thesen widerlegen würden? Der „Erbsenzähler“ ist nur ein gewöhnlicher, ideologisch motivierter Pandemie-Leugner, der die längst bekannten Lügenmärchen der „Querdenker“ einfach nur hübsch aufbereitet hat, hinter seinen Schlussfolgerungen und Behauptungen steckt aber nur Unsinn.

Impfungen sind extrem sicher, sie wirken sehr gut. Corona ist sehr tödlich, PCR-Tests sehr zuverlässig und es gibt eine Pandemie. Das ist eindrucksvoll erwiesen. Daran kann auch kein unwissenschaftliches Video etwas ändern. Marcel Barz sollte lieber echte Erbsen zählen, als Desinformation über Corona und Impfungen zu verbreiten.

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Artikelbild: Screenshot

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