200

Ich war live in Dortmund: Der Polizeieinsatz war katastrophal

von | Sep 23, 2018 | Gastkommentar

Dortmund, Nazis, das Video und die Folgen

1. Der persönliche Blickwinkel

Als ich die Ankündigungen der Nazis aus Dortmund las, war für mich klar, dass ich, wie ich das
immer mache, darüber berichte. Die Demo also begleite, einige Videos mache und wenn es
sich ergibt, etwas Live streame und vielleicht auch ein bisschen erzähle. Alles wie immer also.
Es sollte aber anders kommen.

Mir war schnell klar, dass in der Kürze der Zeit kein nennenswerter Gegenprotest auf die
Beine gestellt werden kann. Dass es am Ende keinen gab, dazu später noch etwas mehr. Das
bedeutete eine andere Gefahrenprognose für mich ganz persönlich. Aus dem Grund war ich froh, dass ich mich mit Christof Voigt vom WDR zusammen tun konnte, wir also schon mal zwei waren, die die Demo begleiten und dokumentieren.



Der Nazi-Kiez, Keine Polizei

Ich wurde bei Twitter wie üblich gefragt, ob es Gegenprotest geben wird was ich nicht
beantworten konnte. Aus dem Grund habe ich dann öffentlich geschrieben, dass Menschen
die dort hinfahren möchten, um sich das anzuschauen sehr vorsichtig sein sollen. Das ist immer
eine gute Maßnahme. Aber in Dorstfeld, welches Nazis als ihren „Kiez“ bezeichnen noch mal
besonders wichtig.

Zwei liebe Menschen haben sich nicht abhalten lassen nach Dortmund zu fahren und das
stellte sich als Glücksfall für Christof und mich heraus. Denn sie begleiteten uns und hatten, während wir filmten und twitterten immer ein Augen auf die Nazis. In Dorstfeld angekommen, Startpunkt der Nazis sollte der S-Bahnhof Dorstfeld sein, fiel uns sofort die Anzahl der Polizei auf – gegen Null.

Es stand ein PKW mit Zivilpolizei dort und vier Motorradpolizisten, die Demos begleiten, um Straßen abzusperren und so Verkehrssicherheit für Teilnehmende herstellt. Normal. Nicht normal war das fehlen einer oder mehrerer Hundertschaften. Die mit Knüppeln und weißen Helmen im Gepäck. Nach sichten des Startpunktes gingen wir, noch zu zweit, auf unsere beiden Begleiter*innen sollten wir erst am Wilhelmplatz treffen, zu dem wir uns nun auf den Weg machten. Auf dem Platz selbst waren mittlerweile bis zu 50 Nazis versammelt. Völlig alleine stehend, keine Polizei und wenn nur umherfahrend im PKW.

Polizeieinsatz-Katastrophe

Das alleine war schon ein Novum Um ca. 19:20 Uhr setzten sich dann die mittlerweile 80 Nazis in unsere Richtung auf, um zum Startpunkt S-Bahnhof zu kommen. Schon an der Stelle wären krasse Übergriffe auf uns möglich gewesen und es wäre keine Polizei dort gewesen um uns zu schützen. Der Beginn einer mehrstündigen Polizeieinsatz-Katastrophe.

Ich kann und werde das nicht anders nennen. Wir wechselten die Straßenseite, mittlerweile zu viert und gingen ebenfalls zum Startpunkt der ersten, für 19:30 angesetzten Demo der Nazis. Erste kleine Pöbeleien in meine Richtung, sie rufen meinen Namen, hauen Sprüche raus, manche sagen „Hallo Robert“. Nichts Besonderes. Also für mich. Michael Brück eröffnete die Demo mit dem Verlesen der Auflagen und nur fünf Minuten später setzten sich die Nazis in Bewegung durch „ihren Kiez“ Dorstfeld.

2. Demo, Medien und Reaktionen

Es wurde im Nachgang viel darüber diskutiert, wie viel Polizei denn nun wirklich vor Ort war und über Zahlen spekuliert. Und auch ich muss spekulieren, weil Einsatzkräfte, die angeblich laut einer Pressemitteilung im Falle einer Eskalation hätte gerufen werden können nicht dort waren. Sie hätten eben nicht eingreifen können. Mein erster Livestream zeigt die Demo in Gänze und dort lässt sich das mit der Nicht-Polizeibegleitung gut erkennen.

Ich bleibe bei meiner grundsätzlichen Kritik an dem Einsatz der Polizei, mit viel zu wenigen Kräften vor Ort gewesen zu sein. Wir reden immerhin von bis zu 100 aggressiven und gewaltbereiten Nazis, die zu jedem Zeitpunkt hätten eskalieren können. Die Aussage, man hätte im Falle der Eskalation weitere Kräfte (Wo waren die?) zur Verfügung ist reine Kosmetik und als Imagekampagne zu sehen. Ich erwarte, dass dieser unsägliche Vorgang im Nachgang hinreichen aufgeklärt wird.

Alles Weitere, wie die widerliche antisemitische Parole „Wer Deutschland lieb ist Antisemit“ (Quelle) und das Zünden von Bengalos und krassen Knallkörpern ist ja ausreichend auf vielen Plattformen gezeigt und besprochen worden. Das werde ich hier nicht alles noch mal aufwärmen. Stellvertretend möchte ich nur einen der vielen Artikel aufgreifen die Material von mir verwendet haben. Zuerst hatte ich mit wem von „Der Westen“ gesprochen und hier ist der Artikel (Quelle). Zu guter Letzt noch den wie ich finde guten Zusammenschnitt mit Untertiteln von „Der Spiegel“(Quelle).

3. Gegenprotest und Zivilgesellschaft

Es gab auch Kritik in den Netzwerken über den fehlenden Gegenprotest, den ich zum Teil
nachvollziehen kann. Aber mit Kenntnissen vor Ort ist die Situation eben auch speziell, sehr
speziell, auch weil Dorstfeld.

Aktuell können wir das an genau diesem Beispiel festmachen. Diese beiden Demos der Nazis waren eine Reaktion auf sogenannte Polizeirepressionen am 15. September gegen sie. Dort störten sie, weil die Stadtgesellschaft eine Veranstaltung bzw. ein Demokratiefest veranstaltete. Als OB Sierau sprach haben sie Parolen gerufen und einige wurden in Gewahrsam genommen und bekamen Platzverweise. Das läuft da immer so. Seit Jahren. Nichts hat sich geändert. Alle die über Nazis in Dortmund berichten wissen das.

Meine erste Frage ist, wo waren denn diese Demokratiefestivalesen, wo war die Zivilgesellschaft die Nachbarschaftsfeste und ähnliches plant und durchführt, wo haben die gegen Nazis protestiert? Ich werde hier keine tiefgreifende Analyse durchführen, dass kann ich auch gar nicht, aber diese Frage muss gestellt werden. Und sie, die Stadtgesellschaft muss sie sich das gefallen lassen. Es reicht eben nicht, schöne Reden zu schwingen, auch nicht Flyer zu basteln und aufzuklären. Nicht mehr.

4. Die Antifa

Ja, auch ich habe mich am Anfang geärgert, hätte mir einen organisierten Gegenprotest gewünscht. Zum Beispiel auf dem Wilhelmplatz, wo Tage zuvor die Fahne der Demokratie hochgehalten wurde. Aber schon hier wird es schwierig. Alle Formen des Gegenprotestes, die abseits der stadtgesellschaftlichen Formen wie Händchen halten oder lustig bunte Kreide in die Luft werfen, werden kriminalisiert. Das sind die bösen aus dem schwarzen Block, die machen immer nur ärger, mit denen wollen wir nicht gemeinsam.

Mein einschneidendes Erlebnis hatte ich, glaube es war 2016, in Schwerte. Dort fand eine Gegenkundgebung gegen die AfD, die ein sogenanntes Bürgergespräch abhielt, statt. Und die
Anmelderin hatte nichts besseres zu tun, nachdem junge Menschen lautstark ihren Unmut bekundete zur Polizei zu rennen und offiziell zu erklären, dass diese ‚schwarz gekleideten“ Menschen nicht zu ihrer Kundgebung gehören. Entsolidarisierung auf SPD-Niveau. Das ist die verdammte Realität.

Natürlich geht einem da irgendwann die Lust aus, auch sich ohne jeglichen Rückhalt gerade
in dem sogenannten „Nazi-Kiez“ was auf die Beine zu stellen und im schlimmsten Fall sowohl die Nazis, sowie die Polizei UND die Stadtgesellschaft gegen sich zu sehen. Die „Antifaschistische Union Dortmund“, kurz „Audo“ hat dazu etwas geschrieben (Quelle) und auch Sebastian Weiermann hat auf Twitter einige Anmerkungen (Quelle) dazu, die man sich mal durchlesen kann (sollte).

5. Wie weiter?

Ehrliche Antwort – ich weiß es nicht. Wünschenswert wäre ein Brückenschlag zwischen
dieser Stadtgesellschaft also allen Antifaschist*innen, ein aufeinander zugehen. Ich kann
beidseitig die Skepsis und Zurückhaltung verstehen, auch wenn es immer mal wieder Versuche gegeben hat, diese Brücken zu überwinden ist nichts Nachhaltiges daraus entstanden. Wir haben aber verdammt wenig Zeit um uns zusammenzuraufen, nicht nur der Erfolge der AfD wegen. Wir haben weit nach 12 …

6. In eigener Sache

Seit jetzt drei Tagen läuft mein Twitteraccount jetzt auf Hochtouren, knapp 2000 neue Follower*innen und viel positives Feedback. Das und vieles mehr motiviert weiter zu machen. Möchte nach dem Stressabbau hier das auch nutzen um euch allen Mal Danke zu sagen. Danke fürs Unterstützen, fürs Aufbauen wenn nötig und die Unterstützung das ich die Berichterstattung als Ehrenamtlicher auch leisten kann. Danke!

Artikelbild: Robert Rutkowski