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Querdenker Schiffmann Verbreitet Fake über 2 Jahre altes Gesetz aus Neuseeland

von | Aug 20, 2022 | Aktuelles

Bodo Schiffmann verbreitet Fake News von evangelikalen Abtreibungsgegner:innen

In Querdenken-Kreisen sorgt die zwei Jahre zurückliegende neuseeländische Entkriminalisierung von Abtreibungen aktuell für Aufsehen. Die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen geht zwar bereits auf das Jahr 2020 zurück, aber Fake News zum neuseeländischen Gesetz lassen sich ganz offensichtlich unter Abtreibungsgegner:innen immer noch gut verbreiten. Und dazu gehören jetzt offenbar auch Querdenker:innen. So behauptet der radikale Querdenken-Wortführer Bodo Schiffmann in einem Video vom 28. Juli 2022, Neuseeland würde Abtreibungen auf Verlangen über die 20. Schwangerschaftswoche bis zur Geburt und sogar darüber hinaus zulassen – unter Anwendung brutaler Methoden ohne qualifizierte Mediziner:innen. Dass das glatt gelogen ist, verrät ein einfacher Blick in die neuseeländische Gesetzgebung.

Quelle: Screenshot Telegram

Schiffmann wärmt zwei Jahre alte Fake News auf

Bodo Schiffmann beginnt sein Video mit den Worten: „Hallo und herzlich Willkommen zu einem unglaublichen Gesetz.“ Sein darauffolgendes „heute ist Donnerstag, der 28. Juli 2022“ lässt die neuseeländische Gesetzesänderung höchst aktuell wirken – obwohl das Gesetz schon am 24. März 2020 verabschiedet wurde. Als Quelle für seine Behauptungen wählt Schiffmann ein Video des evangelikalen US-amerikanischen Fernsehnetzwerks Daystar, das er schließlich Wort für Wort übersetzt. Der christliche Kanal ist in der Vergangenheit bereits häufiger mit seinen kontroversen Einstellungen aufgefallen. So bezeichnete er Covid-19 als satanistische Attacke, sprach sich gegen Schutzimpfungen aus und untermauerte seine Anti-Abtreibungs-Ideologie mit religiösen Narrativen.

In besagtem Video des US-amerikanischen Netzwerks trägt Sprecherin Joni Lamb vermeintliche Fakten zum Abtreibungsgesetz in Neuseeland vor. Gemeinsam mit ihrem inzwischen an Covid-19 verstorbenen Ehemann Marcus Lamb hat sie Daystar 1993 gegründet. Seitdem positioniert sie sich mit diskriminierenden Aussagen gegenüber der LGBTQ+-Community und bekundet regelmäßig ihre Unterstützung für Donald Trump. Ganz ohne ihre Desinformationen zu reflektieren oder gar kritisch zu hinterfragen, übersetzt Schiffmann das Gesagte aus dem Englischen.

Die verschwörerischen Behauptungen

Achtung, alles gelogen: Demnach seien unter dem 2020 verabschiedeten neuseeländischen Gesetz geschlechtsselektive Abtreibungen möglich. Weiterhin würden angeborene Fehlbildungen wie eine Lippen-Spalte oder ein Klumpfuß sowie Behinderungen wie das Down-Syndrom ausreichen, um Abtreibungen bis zur Geburt durchzuführen. Jene Schwangerschaftsabbrüche müssten laut Schiffmann nicht von Ärzt:innen durchgeführt werden. Zudem müsse den Föten per Gesetz auch bei Abtreibungen während der Geburt keine Schmerzlinderung verabreicht werden. Es folgen noch viele weitere Lügen über angebliche Methoden, die brutale Folter und Mord an Neugeborenen darstellen würden. Wir möchten diese ekelerregenden Lügen hier nicht unnötig wiederholen. Zum Glück existierten diese Szenarien jedoch nur in den Köpfen der Fake-Verbreiter:innen.

Querdenken spielt „Stille Post“ mit evangelikalen Abtreibungsgegner:innen

Schiffmann hat mit seinem Video Fake News ausgegraben, die bereits seit Verabschiedung der neuseeländischen Abortion Legislation Bill unter Abtreibungsgegner:innen die Runde machen. Eine der frühesten Quellen scheint von der Anti-Abtreibungs-Organisation Right To Life aus dem Vereinigten Königreich zu stammen. Schon im März 2020 veröffentlichte diese einen Text, der exakt die gleichen Behauptungen anführt, welche Daystar kurz darauf in ihrem Ministry Now Programm wiederholen (Faktencheck „Right to Life“).

Screnehsot „RightToLife“

Ein wenig Recherche hätte wohl keinem der Beiträge geschadet, aber davon hat sich Schiffmann schon lange verabschiedet. Denn die neuseeländische Abortion Legislation Bill gibt kaum eine der Behauptungen her. Stattdessen legt sie fest, dass Frauen über die 20. Schwangerschaftswoche hinaus Abtreibungen durchführen lassen können, nachdem sie mindestens zwei Mediziner:innen konsultiert haben. Beide müssen die Abtreibung aufgrund der physischen und mentalen Gesundheit der schwangeren Person unter Betrachtung des Gestationsalters des Fötus für notwendig halten. Letzteres tritt lediglich dann außer Kraft, wenn ein medizinischer Notfall vorliegt. Weit und breit kein Wort von kontroversen Abtreibungsmethoden, Schwangerschaftsabbrüchen ohne anwesende Ärzt:innen oder unterlassene Hilfeleistungen für bereits geborene Kinder.

Kaum Neuerungen im Neuseeländischen Recht

Bereits Ende 2020, als die Fake News über das neuseeländische Abtreibungsgesetz erstmals kursierten, stellte Janet Downs gegenüber AFP klar, dass es die von Schiffmann geschilderten brutalen Abtreibungsmethoden nicht gebe. Die Dozentin für Gesundheit von Frauen und Kindern an der University of Otago sagte damals: „Das […] beschriebene Verfahren der so genannten ‚Teilgeburt‘ wird in Neuseeland (und meines Wissens auch anderswo) nicht durchgeführt.“ (Quelle Zitat)

Zudem widerspricht sie der Behauptung, Ärzt:innen seien nicht verpflichtet, den Fötus schmerzlindernd zu behandeln. Bei Abtreibungen nach der 22. Woche sind Mediziner:innen in Neuseeland tatsächlich verpflichtet sicherzustellen, dass der Fötus bereits tot ist, bevor er herausgeholt wird. Bisher gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass Föten bereits vor der 24. Schwangerschaftswoche in der Lage sind, Schmerz zu spüren. Darüber hinaus ist die schwangere Person während operativer Eingriffe ohnehin sediert. Diese Betäubung wirkt sich mit großer Wahrscheinlichkeit auch ausreichend auf den Fötus aus.

Auch die Aufregung um Abtreibungen nach der 20. Schwangerschaftswoche sind nicht ganz verständlich. Zumindest handelt es sich dabei um keine sonderliche Neuerung in Neuseeland. Denn bereits vor 2020 konnten ungewollt Schwangere Abbrüche auch nach der 20. Woche durchführen lassen, wenn der Fötus Behinderungen aufwies, die die mentale oder physische Gesundheit der Schwangeren in Gefahr brachten.

Dass Abtreibungen auch nach der Geburt möglich seien, indem dem überlebenden Kind medizinische Unterstützung verweigert würde, ist völlig an den Haaren herbeigezogen. Selbstverständlich ist es die Pflicht einer medizinischen Fachkraft, dem lebenden Baby zu helfen. Schließlich erhält es mit der Geburt dieselben Rechte, die seinen Eltern zukommen.

Die Realität: Sinkende Abtreibungsraten und immer mehr Eingriffe im ersten Trimester

Was Querdenker und nun wohl auch Abtreibungsgegner Schiffmann als „das [wahrscheinlich] Satanischste und Teuflischste, was ich bisher sehen musste“ darstellt, feierten Feminist:innen vielerorts als längst überfälligen Schritt in die richtige Richtung. Anders, als es in Deutschland aktuell der Fall ist, ermöglicht das Gesetz ungewollt Schwangeren vor der 20. Schwangerschaftswoche, ganz ohne ein Beratungsgespräch oder Wartezeit entkriminalisiert eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Und tatsächlich trägt es nicht dazu bei, dass vermehrt späte Abtreibungen auf von Schiffmann geschilderte grausame Art durchgeführt werden. Ganz im Gegenteil: Während 2019 nur 27 Prozent der Abbrüche vor der achten Schwangerschaftswoche stattfanden, waren es 2020 ganze 45 Prozent. Zudem hat sich der bestehende Trend der sinkenden Abtreibungsraten im Jahr 2020 fortgesetzt (PDF-Quelle).

Das neuseeländische Abtreibungsgesetz sorgt also weder dafür, dass Föten auf grausame Arten umgebracht werden, noch für einen begeisterten Ansturm auf Schwangerschaftsabbrüche. Stattdessen ermöglicht es ungewollt Schwangeren eine informierte, entkriminalisierte Entscheidung. Viel Lärm um nichts, könnte man sagen. Dass Schiffmann blanke Lügen verbreitet, um von dem Entsetzen zu profitieren ist auch längst keine Meldung mehr, aber dass er jetzt aber die Fake News von evangelikalen Christen nachplappert und offenbar unter die Abtreibungsgegner geht, ist dann wohl doch eine Meldung wert.

Welch ein Kipppunkt das Abtreibungsrecht in den USA sein könnte, zeigte unsere Gastautorin Annika Brockschmidt schon im Juni:

Das Ende von Roe v Wade ist der Anfang vom Ende der US-Demokratie

Artikelbild: Markus Scholz/dpa