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Was geht mich meine Umwelt an?

von | Aug 23, 2018 | Hintergrund

Wie wär’s damit, selbst was zu unternehmen und die Bäume in der Nachbarschaft zu gießen?

Da gab es im Zuge der Dürreperiode im Juli und August im Internet an mehreren Stellen den Aufruf, die Bäume in der näheren Umgebung zu wässern (Aktion #wassermarsch) und was war die Meinung einiger weniger, die dafür umso lauter waren? „Was gehen mich die Bäume an der Straße an, die Stadt hat die schon mit meinen Steuern gepflanzt, dann sollen sie sich auch selbst darum kümmern“ war noch die harmloseste Antwort, wenn vielleicht auch nicht unbedingt weise.

Denn wenn die Bäume vertrocknen, muss ein neuer Baum gepflanzt werden und die Kosten sind deutlich höher, als wenn sich die Nachbarschaft solidarisiert und Verantwortung für die Bäume übernimmt, die ihnen immerhin täglich Sauerstoff und Wasser spenden und dafür sorgen, dass sich vor allem Innenstädte nicht so massiv aufhitzen.



Vergleich Straßentemperatur ohne und mit Bäumen, Researchgate  abgerufen am 18.08.2018

Zur Erinnerung: 1 Liter Leitungswasser kostet circa 0,2ct.

Als weiterer Kommentar fiel beispielsweise „Hätte Merkel nicht falsche Prioritäten gesetzt, könnten sich die Städte jetzt wenigstens noch eigenes Wasser für die Bäume leisten.“ Ein latenter Hinweis auf den Kurs Merkels in der Flüchtlingspolitik. Menschen mit Migrationserfahrung sind also schuld daran, dass Bürger*innen aufgerufen werden Straßenbäume zu gießen?

Ich wage die vorsichtige These aufzustellen, dass die Kosten für Brauchwasser seitens der städtischen Umweltbetriebe und Grünunterhaltungen sogar noch unter den Beträgen für Privatabnehmer liegen. Und diese Summe weniger Grund für das nicht-Gießen ist als viel mehr die Tatsache, dass die Arbeitskraftressourcen in kommunalen Betrieben endlich sind. Im Zuge der Sparmaßnahmen wurden auch die Stellenpläne geschrumpft.

Es gibt nun viel weniger Mitarbeiter für dieselbe Menge an Arbeit

Dennoch ist so eine Dürreperiode (noch) eine absolute Ausnahmesituation. Es ist verständlich, dass die Kommunen für solche Situation kein Personal „auf Halde“ haben. Bei dem aktuellen Fachkräftemangel wäre es auch gar nicht möglich, kurzfristig so viel Personal einzustellen, dass alle Bäume regelmäßig gewässert werden können.

Und selbst wenn, sind damit noch lange nicht alle zusätzlich benötigten Arbeitsmaterialien und Fahrzeuge angeschafft. Außer den Kräften vor Ort benötigt man nämlich auch mehr Personal in Technik und Verwaltung (Wartung der Gerätschaften, Arbeitsverträge schließen, Controlling etc.). Bei bestehenden Ausschreibungsverpflichtungen, Rahmenverträgen und Bestellprozessen wird schnell klar wie absurd die Forderungen der Wassergegner sind.

Man merkt also Mitte Juli, dass es keinen Niederschlag gab und voraussichtlich keiner zu erwarten ist. Wenn man zügig mit den Ausschreibungen beginnt, hat man im November vielleicht alles beisammen, um mit einem großen Team starten zu können. Wie groß wäre dann wohl erst der Aufschrei bezüglich Steuergeldverschwendung?

Was wir im Zuge der #wassermarsch-Aktion erlebt haben, ist kein neues Phänomen

Dahinter steckt nicht gleich Rassismus bzw. eine gruppenbezogene Menschen- bzw. Baumfeindlichkeit, sondern das sogenannte Sankt-Florian-Prinzip. „Heiliger Sankt Florian / Verschon’ mein Haus / Zünd’ and’re an!“ Als ursprünglich frommer Spruch zum Schutz des eigenen Hauses gedacht, wandelte sich die Aussage nach und nach weiter. Im englischsprachigen Raum verwendet man die Redewendung „not in my backyard“ (NIMB). Alles ist also okay, solange es nicht im eigenen Garten / der unmittelbaren Nähe stattfindet. Menschen sind tolerant und akzeptieren alles, so lange sie nicht unmittelbar davon betroffen sind.

Am häufigsten begegnen wir dem Prinzip im Alltag bei Bauprojekten. Niemand spricht sich öffentlich gegen eine neu zu bauende Kindertagesstätte aus. Oder günstigen Wohnraum, Hochbahnsteige zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, eine Schule oder ein Krankenhaus. Solange diese Projekte nicht nebenan realisiert werden. In der Situation sind den Betroffenen dann alle Mittel Recht, um dagegen vorzugehen.

Kampf gegen den Gemeinnutz

Von Einsprüchen gegen die Planfeststellung, Bürgeranregungen und Beschwerden z.B. nach § 24 GO NRW Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) gar gefälschten Bürgerbegehren wird seitens der Gegner alles an Munition abgefeuert, ganz gleich welch hohe Relevanz die Projekte für einen Teil der Gesellschaft haben mögen (z.B. Inklusion).

Die rechtlichen Überprüfungen zur Genehmigungsfähigkeit fanden jedoch meist bereits zuvor in der Fachverwaltung statt und ein Großteil der Beschwerden muss im Nachhinein ohnehin abgelehnt werden. Das Einzige, was man mit der Art von Verhinderungstaktik erreicht, ist maximale Konfrontation. Verhärtete Fronten und massiver Zeitverzug. Sowie exorbitant gestiegene Kosten aufgrund von Preissteigerungen und Prozesskosten.

Kurz: Man muss mehr Steuern aufwenden. Die Verärgerung, wenn ein Projekt realisiert werden soll, ist die übrigens nicht weniger groß im Verhältnis zur Verärgerung wenn eine Stadt an einer Unterversorgung von Kitaplätzen, Krankenhäusern oder barrierefreien Haltestellen zu leiden hat.

Viele Menschen reflektieren vielleicht auch nur aus ihrer derzeitigen Lebensphase heraus

Und denken vielleicht aufgrund der immer komplexer werdenden Gesellschaft nur an den Status quo. Vielleicht ist es einfach ein Problem der Überreizung. Man ist mit so vielen Dingen gleichzeitig beschäftigt, dass man sich nun nicht noch in ein weiteres Projekt einarbeiten möchte.

Um zu verstehen brauchen Dinge Zeit. Zeit, in der man sich über pro und contra informieren kann, in der man Alternativen ausdiskutieren kann etc. Zeit, von der wir gefühlt viel weniger haben, obwohl wir doch alle eigentlich viel länger leben als noch vor ein paar Jahrzehnten.

Unser Leben besteht aus Stress und da ist dann keine Zeit für noch mehr Stress. Lieber lehnt man alles ab. Aus den Augen, aus dem Sinn. Sollen sich doch die anderen Gedanken darüber machen. Als 25jähriger Anwohner mag man den Sinn und Nutzen eines barrierefreien Hochbahnsteiges für sich selbst nicht erkennen. Sechs Wochen später mit Sprunggelenkfraktur und temporärer Gehbehinderung hingegen schon.

Dabei können alle profitieren

Als kinderlose und ruheliebende Anwohnerin mag die Kindertagesstätte nebenan eine Zumutung aufgrund der zu erwartenden Lärmemissionen sein. Für ein zugezogenes junges Paar, aber womöglich die Entlastung schlechthin, um Familie und Beruf vereinbaren zu können. Des Weiteren können von der Neuerrichtung einer Kindertagesstätte weitere positive Seiteneffekte hervorgehen:

Eine einzurichtende Tempo 30 Zone bzw. Verkehrsberuhigung auf Spielstraßengeschwindigkeit. Das führt auch für den Rest der Nachbarschaft zu weniger Lärm, Feinstaub und mehr Sicherheit im Straßenverkehr. Es ermöglicht potenzielle Straßenfeste für die gesamte Nachbarschaft (vielleicht sogar ausgehend von der Kita?). Und schafft die Möglichkeit einer besseren Vernetzung, so dass auch die alleinstehenden Anwohner*innen Kontakte knüpfen können. Und somit im Bedarfsfall Hilfe von anderen erhalten können.

Die Lösung für unsere Gesellschaft ist nicht das Prinzip Sankt Florian, sondern das Prinzip Solidarität.

Artikelbild: pixabay.com, CC0