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Faktencheck Laschet: NRW ist Spitzenreiter – bei Emissionen, Klimaschutz nur Mittelfeld

von | Jul 21, 2021 | Analyse

Tut NRW am meisten gegen Klimawandel? Definitiv nicht

NRW-Ministerpräsident und CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet erklärte, er würde den Bund so regieren wollen wie sein Bundesland – und besonders nach der Flutkatastrophe unter anderem in NRW wird viel über dessen Klimapolitik diskutiert. Expert:innen erklären, dass derartige Extremwetterereignisse durch den Klimawandel gehäuft vorkommen und verstärkt werden. Ein einzelnes Ereignis kann immer „Wetter“ sein. Außerdem sind Extremereignisse per Definition selten, was eine Analyse schwer macht. Aber man kann ganz deutlich sagen: Immer öfter werden frühere Rekorde gebrochen:

Dieser Trend wird sich immer weiter fortsetzen und bei Überschreiten des 1.5-Grad-Ziels möglicherweise sogar von selbst immer weiter beschleunigen. Wir würden völlig die Kontrolle verlieren. Daher ist ambitionierter Klimaschutz enorm wichtig. Hier ist es wichtig zu erwähnen: Klimaschutz kann Extremereignisse nicht komplett verhindern. Selbst wenn wir jetzt massiv Klimaschutz betreiben, werden die Extremereignisse dank der Versäumnisse der letzten 30 Jahre erstmal einige Jahre weiter zunehmen. Es geht beim Klimaschutz darum, einen kompletten Kontrollverlust durch Überschreiten der 1.5-Grad-Grenze zu vermeiden (Quelle; Quelle). Dafür müssen CO2-Emissionen drastisch reduziert werden.

Deutschland sollte – als reiches Industrieland – vorangehen und sein diplomatisches und wirtschaftliches Gewicht dafür einsetzen, damit ein Umdenken stattfindet. Deshalb ist im Kontext der Flutkatastrophe die Frage nach der Klimapolitik Laschets in NRW (und auch der nächsten Bundesregierung) so relevant. Die scheidende Bundeskanzlerin Merkel hat nach 16 Jahren CDU-geführter Regierungen selbst festgestellt: „Wenn ich mir die Situation anschaue, kann kein Mensch sagen, dass wir genug getan haben“ (Quelle). Die nächste Bundesregierung muss also definitiv mehr tun. Wird das mit Laschet passieren?

Laschet macht zwei 180-Grad-Wenden in 24 Stunden?

Noch während der Flutkatastrophe blickte die Öffentlichkeit auf Laschet und dessen Kommunikation in Bezug auf die Bewältigung der Klimakrise. Er erklärte deutlich: Diese extremen Wetterereignisse seien „verbunden mit Klimawandel“ (Quelle). Wie ist also seine persönliche Position zu den Anstrengungen Deutschlands in der Klimakrise? Das weiß er offenbar selbst nicht.

Zuerst am selben Tag (!) kritisierte Laschet die – wenig ambitionierte – EU-Klimapolitik als zu forsch (Quelle), noch vor einem WDR-Interview erklärte er mittags dann, es bräuchte „höheres Tempo“ beim Klimaschutz (Quelle). An der Stelle im WDR-Interview, wo viele „junge Frau“ hörten (mehr dazu), widersprach er sich abermals als die Moderatorin ihn frage: „Bedeutet das, Sie haben heute tatsächlich neue Erkenntnisse gewonnen (…) durch dieses Jahrhunderthochwasser?“ Laschet sagte: „Weil jetzt ein solcher Tag ist, ändert man nicht die Politik.“ (Quelle).

Das scheint am Ende die Position Laschets und seines Teams zu sein: Deutschland mache bereits genug. Seine Staatskanzlei betont mehrfach, wo sein Bundesland führend beim Klimaschutz sei, und Laschet sagt den Satz: „Deshalb ist Nordrhein-Westfalen ja eines der Länder, das am meisten tut, gegen den Klimawandel zu kämpfen, CO2-Werte zu senken.“ (Quelle)

Faktencheck: NRW ist kein Spitzenreiter im Klimaschutz

Zuerst: Es gibt einige Aspekte, in denen Nordrhein-Westfalen relativ gut abschneidet. Das sind die Metriken und Zahlen, die von Laschet und seinem Team in den Vordergrund gerückt werden. Im Jahr 2020 belegte NRW zum Beispiel Platz 1 im Ausbau der Windenergie nach Leistung (Quelle).

Das täuscht aber: Die Jahre zuvor fiel der Neubau stark ab. NRW liegt damit im Vergleich der Gesamtleistung der Windanlagen auf Platz 4 der Bundesländer (Quelle), aber das wegen der neuen Abstandsregelung wohl nicht mehr lange. Um Klimaneutralität zu erreichen, müsste laut Klimawandel-Experte Professor Quaschning 2 % der Landesfläche für Windkraft frei gemacht werden. NRW hat unter Laschet kürzlich strenge Abstandsregeln für Windkraftwerke eingeführt, die von Sachverständigen heftig kritisiert werden (Quelle). Eine ähnliche Regel führte in Bayern fast zum kompletten Einbruch (90 %) des Windenergieausbaus (Quelle). Diese Metrik dürfte NRW also nicht mehr lange einen Spitzenplatz bescheren.

NRW: Überdurchschnittlicher Pro-Kopf-Ausstoß von CO2

Ein anderer Aspekt, den auch Laschet betont, ist, dass NRW in den letzten Jahren in absoluten Zahlen mehr CO2 reduzierte als jedes andere Bundesland (45 % Reduktion im Vergleich zu 1990). Das Problem: Kein anderes Bundesland emittiert auch so viele Treibhausgase wie NRW. Wer mehr CO2 ausstößt, kann relativ betrachtet auch mehr CO2 einsparen. NRW muss noch viel aufholen. Außerdem scheinen diese Zahlen auch noch geschönt zu sein. Die Landesstatistikämter haben für NRW bis 2018 einen unterdurchschnittlichen Rückgang von nur 27 % errechnet (Quelle). Die Zahlen Laschets für 2020 sind nur vorläufige Zahlen (Quelle). In den letzten zwei Jahren gab es zwar einen Rückgang, aber nicht wegen Laschets Klimapolitik, sondern wegen einer Steigerung der CO2-Preise im Emissionshandel (Quelle). Doch selbst wenn die 45 % stimmen würden, kann NRW eigentlich nicht Spitzenreiter damit sein, wenn Thüringen 2017 bereits mit 59 % Reduktion auf Platz 1 lag. Diese Behauptung stimmt also offenbar nicht.

Aber NRW ist auch das größte und bevölkerungsreichste Bundesland, deshalb ist hier ein Vergleich der absoluten Zahlen etwas unfair: Laschets Bundesland ist verantwortlich für 27 % der Emissionen, hat aber nur 21 % der Einwohner:innen (Quelle) und nur 9,5 % der Fläche.

Der Pro-Kopf-Ausstoß in NRW liegt nach Zahlen von 2018 bei 13 Tonnen/Person (Drittletzter Platz im bundesweiten Vergleich). Weit über dem Schnitt Deutschlands: 8,5 Tonnen. Brandenburg liegt auf dem letzten Platz mit 22,6 Tonnen (Quelle). Der Bundesdurchschnitt des Anteils an erneuerbaren Energien von 2017 lag bei 34 %. Für NRW waren es nur 12 % (Quelle). Laut Recherchen des ZDF hat sich das bis 2020 auf 46 % vs. 20 % geändert (Quelle). Ein weiterer Pluspunkt: Nordrhein-Westfalen ist das erste Bundesland, das ein eigenes Klimaanpassungsgesetz verabschiedet hat: Aber es wird kritisiert, dass viele Regelungen zu vage bleiben (Quelle).

Ein weiterer Pluspunkt für NRW, den Laschet aufzählt: Die Klimaschutzsumme wurde versiebenfacht. Die 171,1 Mio € sind aber offenbar Addition aller Haushaltsposten. Darunter aber z. B. Sonderfinanzierung Aufbaukosten Forschungsfabrik Batteriezellfertigung mit 20 Mio. Euro. Bis das Früchte trägt, dauert es noch. Oder Strukturentwicklung in der Braunkohleregion mit 29 Mio. Euro. Das habe mit Klimaschutz erst einmal rein gar nichts zu tun, kritisiert der BUND (Quelle).

Viele Metriken, in denen NRW hinten liegt

Die positiven Zahlen und Positionen, die Laschet und NRW dem Anschein nach auf die führenden Plätze in Sachen Klimaschutz positionieren, sind also mit Vorsicht zu genießen und scheinen teilweise nicht zu stimmen. In weiteren Aspekten zeichnet NRW ein viel schlechteres Bild. Der „Bundesländerindex Mobilität & Umwelt“, unter anderem herausgegeben vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), sieht Nordrhein-Westfalen beim Klimaschutz im Ländervergleich immerhin auf Platz 6 (Quelle).

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung DIW Bericht 2019 („Sechster Bundesländervergleich erneuerbare Energien: Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg an der Spitze“) zeigt NRW in fast allen Kategorien auf  hinteren Plätzen (Quelle). Anstrengungen zur Nutzung erneuerbarer Energien: Platz 8. Anstrengungen zum technologischen und wirtschaftlichen Wandel: Platz 12. Erfolge bei der Nutzung erneuerbarer Energien: Platz 12. Erfolge beim technologischen und wirtschaftlichen Wandel: Vorletzter Platz 15. Die Gesamtbewertung ist gar Platz 13 von 16. Schlimmer: Zwischen 2017 und 2019 ist NRW von Platz 10 auf Platz 13 GEFALLEN. Fazit des Berichts: Dass nur ein Bundesland noch weniger „Erfolge beim technologischen und wirtschaftlichen Wandel“ verzeichnen kann – das Saarland.

Auch die installierte Photovoltaik-Leistung in kW pro Einwohner:innen zeigt NRW hinten: Auf Platz 13 in Deutschland, (wie eine Berechnung des Fraunhofer Institute for Solar Energy Systems ISE ergab, die ZDFheute vorliegt, Quelle). Das Kohlekraftwerk Datteln 4 ist erst 2020 ans Netz gegangen und läuft bis 2038 (Quelle). Datteln 4 erzeugt 780 g CO2 pro KWh (Quelle), moderne Gaskraftwerke allerdings eher gut 400 g CO2 pro KWh (Quelle), das Kraftwerk ist also wirklich komplett sinnlos, selbst unter „Grundlast“-Erwägungen. Die „Leitentscheidung“ von Laschet ermöglicht RWE Abbau von 830 Millionen Tonnen CO2 (Quelle). Das ist schwer vereinbar mit der anvisierten Klimaneutralität.

Fazit: NRW ist kein Spitzenreiter im Klimaschutz – aber immer noch in Emissionen

Auch wenn NRW in den letzten Jahren in absoluten Zahlen mehr CO2 reduziert haben sollte als jedes andere Bundesland, was zweifelhaft ist und auch nicht der Klimapolitik des Bundeslandes zu verdanken ist, liegt das Bundesland in vielen anderen Metriken im Deutschland-Vergleich hinten oder im Mittelfeld. In absoluten Zahlen und in relativen Zahlen ist NRW immer noch ein überdurchschnittlicher CO2-Emittierer. Wichtige Faktoren und Trends sprechen nicht dafür, dass das Bundesland sich kurzfristig verbessern wird, mit der Blockade des Windkraftausbaus sogar eher im Gegenteil.

Die CDU unter Laschet spricht sich für die Klimaneutralität bis 2045 aus, was immer noch nicht ausreichend ist, um das 1.5-Grad-Ziel zu erreichen. Auch mit Blick auf das CDU-Wahlprogramm und der Wendigkeit und der Politik Laschets ist unklar, wie die angekündigten Ziele erreicht werden sollen, da keine konkreten Maßnahmen vorgeschlagen werden, die ausreichend wären. Beispielsweise ist Windkraft dringend notwendig für Erreichen der Ziele, aber Laschets 10H-Regel ist damit vollkommen inkompatibel.

Deutschland tut bisher viel zu wenig gegen die Klimakrise

Laschets Aussage, NRW sei führend in der Bekämpfung der Klimakrise, stimmt nicht. Wie die CDU derzeit aufgestellt ist, wird ihre Politik nicht ausreichen, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, was auch Merkel selbst zugab. Auf EU-Ebene gibt es in der Klima-Politik kaum Unterschiede zwischen Konservativen Parteien (EPP) und Rechtsradikalen (ENF), beide fallen in die „Dinosaurier“-Kategorie (Quelle). Auch im EU-Rat bremst Deutschland, besonders wenn es um die Autoindustrie geht. Öffentlich hatte Ministerin Schulze (SPD) für eine Reduktion der Autoabgase um 40 Prozent oder mehr bis 2030 geworben. Doch die CDU bremste – aus Sorge um die deutsche Automobilindustrie – und verhandelte runter auf einer Senkung um höchstens 30 Prozent (Quelle).

EU-weit ist Deutschland mit Pro-Kopf-Emissionen mittlerweile im unteren Bereich – Platz 8 der größten Verschmutzter mit 10,4 Tonnen CO2 pro Kopf. Der EU Schnitt liegt bei 8,4 (Quelle) in. 2019 immerhin nur noch 7,9 Tonnen Quelle). 2020 wurde das Klimaziel erreicht, aber auch nur „dank“ Corona und Lockdown (Quelle). Der Windkraftausbau stockt derzeit massiv (Quelle), 40.000 Jobs gelten als verloren (Quelle). Die Pleitewellen der Solarindustrie fällt in Merkels Amtszeit, wo es keine Rettung wie bei Lufthansa gab, stattdessen geringere Förderung (Quelle, Quelle). In Folge ein Verlust von 30.000 Stellen (Quelle).

Zum Vergleich: Im Braunkohlebergbau (einschließlich Beschäftigter in den Braunkohlekraftwerken der allgemeinen Versorgung) waren 2020 19.500 Menschen beschäftigt. Die CDU-Politik opfert ein Vielfaches an Arbeitsplätzen in den EE für Kohlearbeitsplätze, die bald verschwinden (müssen) (Quelle).

„Klimaunion“ könnte die Wende bringen – wird sie auch von Laschet unterstützt?

Die „Klimaunion“ – eine Gruppe innerhalb der CDU – könnte die Antwort der CDU auf ihre Mängel in der Klimapolitik sein. Diese fordert bis 2030 eine 100%ige Versorgung durch erneuerbare Energien (Quelle, Quelle). Bemerkenswert ihr Argument: „Lieber 63 Milliarden von Sonne und Deich als für Putin oder’n Scheich.“ Sie fordern, durch EE unabhängig von fossilen Energieträgern aus Autokratien zu werden. Eine derartig ambitionierte Klimapolitik könnte Laschet die Glaubwürdigkeit verleihen, die Klimakrise auch ernsthaft anzugehen. Die wechselhafte Position in Sachen Klimaschutz und das Präsentieren irreführender Metriken für NRW, um eine bessere Klimapolitik zu suggerieren, als für die man steht, tut das nicht. Laschet täte gut daran, lieber auf seine eigenen Parteimitglieder der „Klimaunion“ zu hören.

Artikelbild: photocosmos1

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