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Heftige Kritik: Warum Bodo Ramelow für die AfD gestimmt hat

von | Mrz 7, 2020 | Aktuelles, Kommentar

Heftige Kritik von allen Seiten für Bodo Ramelow

In den Krisen Thüringens, die zuerst aufgrund der schwierigen Mehrheitsbildung nach der Landtagswahl und dann nach dem Skandal der Wahl Kemmerichs mit Stimmen der AfD entstanden sind, wurde oft versucht, das hohe Ansehen von Bodo Ramelow in der Bevölkerung (60%-70% Zustimmungswerte) anzugreifen. Es wurden Fake News verbreitet, die ihn in die Nähe vom Kommunismus rücken sollen (Wir berichteten), sein souveräner Auftritt bei Maischberger wurde kritisiert (Mehr dazu) und auch den Handschlag, den er Höcke verweigerte, erhielt trotz versuchter Kritik vor allem Zuspruch.

Doch die Wahl des AfD-Vizepräsidenten Michael Kaufmann für den Thüringer Landtag scheint das geschafft zu haben, was Teile der Medien und der politischen Konkurrenz nicht geschafft haben: Das Ansehen von Bodo Ramelow zu beschädigen. Kurz nachdem der AfD-Mann zum Vizepräsidenten mit 45 von 89 Stimmen gewählt worden ist, erklärte Bodo Ramelow, seine Stimme sei eine davon gewesen (Quelle).

Dafür wird er jetzt heftig kritisiert – von allen Seiten. FDP-Politiker*innen reagieren hämisch, nachdem sie bei der Kemmerich-Wahl bereits heftige Kritik dafür einstecken mussten, bewusst in Kauf genommen zu haben, sich von Faschisten wählen zu lassen. Und jetzt soll ausgerechnet ein Linker direkt für diese gestimmt haben? Doch auch aus dem linken Spektrum wird viel Unverständnis und Entsetzen geäußert, insbesondere aus der eigenen Partei. Sogar die eigene Landesvorsitzende, Hennig-Wellsow, die Kemmerich einst den Strauß vor die Füße warf, erklärte, sie vertrete nach wie vor die Position: „Keine Stimme für die AfD“.

Desaster für Ramelow

Ohne Frage war die Entscheidung von Bodo Ramelow mindestens symbolisch ein Desaster. Sie wird Kritik an FDP und CDU (die in großen Teilen übrigens auch für den AfD-Mann gestimmt haben) bei Zusammenarbeit mit den Faschisten nachhaltig abschwächen. Und auch die großen Sympathien im linken Spektrum für Bodo Ramelow sind geschmälert worden. „Hast du den Verstand verloren?“ fragen jetzt auch Personen, die bisher Ramelow verteidigt hatten.

Das Problem scheint auch zu sein, dass vor allem berichtet wird, Ramelow habe das aus naiven Fairness-Vorstellungen getan. „Ich verweigere Herrn Höcke meinen Handschlag, aber den Parlamentsrechten der AfD nicht meine Stimme“, wird er prominent zitiert. Und ja, allen Fraktionen stehen Vizepräsident*innen zu, dennoch kann keiner zu einer Wahl gezwungen werden – ein Grund, warum es im Bundestag immer noch keinen AfD-Vizepräsidenten gibt.

Es gibt auch gute Gründe, der AfD so eine einflussreiche Position zu verweigern: Er oder sie könnte die anderen Parteien behindern und Regelverstöße der AfD durchgehen lassen. Ein jüngstes Beispiel aus Brandenburg: Der AfD-Landtagsvizepräsident versuchte widerrechtlich, eine Debatte über den Rechtsterrorismus in Hanau zu verhindern (Mehr dazu).  Bei aller Fairness muss jede*r Demokrat*in verhindern, die AfD in Machtpositionen zu verhelfen, die sie garantiert missbrauchen wird. Auch Kaufmann hat schon NS-Verbrechen relativiert und ist Höcke-Unterstützer.

Wir haben Bodo Ramelow gefragt

Doch das ist nur die halbe Antwort. Wir haben Bodo Ramelow gefragt, warum er im Angesicht der heftigen Kritik diesen Schritt tat. Er erklärte uns, es sei ein pragmatischer Schritt gewesen. Dazu ist ein wichtiger Hintergrund entscheidend: Damit neue Richter*innenposten besetzt werden können, muss der Richterwahlausschuss diese ernennen. Die AfD blockiert seit bald zwei Jahren die Ernennung neuer Richter*innen in Thüringen. Denn dort *muss“ laut Verfassung jede Fraktion vertreten sein.

Der AfD-Mann Brandner ist nämlich vor zwei Jahren in den Bundestag gewechselt und hat diese Stelle damit frei gelassen. Weil die AfD keinen Landtagsvizepräsidenten gestellt bekommen hat, hat sie sich geweigert, einen Abgeordneten für den Richterwahlausschuss aufzustellen. Ergo kann keine*r gewählt werden, ergo kann der Ausschuss nicht tagen, ergo können keine Richter*innen ernannt werden. Die AfD hat den Landtag erpresst.

Bodo Ramelow hat jetzt nachgegben: „Ich wollte diese Erpressungssituation durch meine Stimmabgabe und den offenen Umgang damit beenden.“ Zur heftigen Kritik, auch aus den eigenen Reihen sagte er uns: „Ich respektiere die Kritik daran. Als Antifaschist und Demokrat habe ich eine Abwägung getroffen.“ War seine Stimmabgabe also notwendig, um die Situation zu lösen? War es ein  Zeichen von staatsmännischer Größe? Ja, ABER

Fatales Signal

Nichtsdestotrotz ist die Wahl eines AfD-Kandidaten ein Tabubruch. Denn eine pragmatische Begründung für die Wahl der AfD finden CDU und FDP schließlich auch. Die (bei aller Kritik an Bodo Ramelow jetzt) ebenfalls für Kaufmann gestimmt haben, was nicht vergessen werden sollte. Es hat wahrscheinlich nachhaltig jede kompromisslose Haltung von Antifaschist*innen untergraben. Eben weil ein Kompromiss gemacht wurde. Einer, der pragmatisch war, aber auch symbolisch verheerend.

Zumal unter Umständen auch ein anderer Ausweg existiert hätte: Eine Verfassungsänderung, die das „muss“ in ein „soll“ abändert, um derartige Blockaden durch eine Fraktion zu verhindern. Und der AfD Werkzeuge aus der Hand zu nimmt, die Demokratie und die parlamentarischen Prozesse zu untergraben. Es wäre allerdings fraglich, ob die CDU auch diese Notwendigkeit gesehen hätte. Und es hätte die Erpressungssituation der AfD auf unvorhersehbare Zeit hinausgezögert.

Die Wut und Enttäuschung vieler Antifaschist*innen, die erst wenige Tage zuvor die tolle Haltung Ramelows bei der Verweigerung des Handschlags bejubelten (Höcke war 2014 nicht einmal aufgestanden, um Ramelow zu gratulieren) ist groß. Die FDP wirft Bodo Ramelow Doppelmoral vor. Mit dem gesamten Hintergrund ist die Entscheidung Ramelows vielleicht nachvollziehbarer, es ist auch lobenswert, wie transparent er damit umgegangen ist und dass er staatsmännische Größe zeigen wollte. Und ich finde, das sollte man ihm anrechnen.

Dennoch überwiegt meiner Meinung nach der Schaden, den Ramelow allen antifaschistischen Politiker*innen damit angerichtet hat, und das Zeichen an die AfD, dass sie mit parlamentsschädigendem Verhalten durchkommt. Es ist nicht vergleichbar mit der Kemmerich-Wahl. Aber hat leider Ramelows Image geschadet.



Artikelbild: Matthias Wehnert, shutterstock.com