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Faktencheck: Nein, Greta Thunberg wird nicht „ohne Drehbuch erwischt“

von | Okt 2, 2019 | Aktuelles, Analyse, Kommentar, Social Media

Widerlegung des plumpen „Drehbuch“-Arguments

Es kursiert mal wieder ein Video in rechten Kreisen. Ein Video über Greta Thunberg. Der Titel: „September 2019: Greta Thunberg ohne Drehbuch – Deutsch“.

Screenshot aus dem Video (Link)

In dem nur 1:30 Minuten langen Video sieht man, wie Greta scheinbar verwirrt ist, da ihr zwei Fragen gestellt werden. Zuerst bittet sie darum, die eine Frage zu wiederholen, dann lässt sie jemand anderen darauf antworten. Soweit die Darstellung der Ersteller des Videos.

Die Aussage dahinter: Greta Thunbergs gesamtes öffentliches Auftreten sei gescripted. Es wird also der Mythos von einer geheimen Macht im Hintergrund gefüttert. Eine Macht, deren Marionette Greta Thunberg ist. Wir machen den Faktencheck.



Diese Dinge sprechen gegen die „Drehbuch“-Darstellung

Zuerst einmal würde eine „geheime Macht im Hintergrund“, die Greta Thunberg für ihre Kampagne benutzt, niemals einen groben Fehler machen wie diese Pressekonferenz.

Wenn es das „Drehbuch“ wirklich gäbe, warum sollte man dann eine solche Konferenz zulassen? Oder wollt ihr mir erzählen, dass diese ganze „Kampagne“ perfekt vorbereitet ist, samt Protest, Medienecho und Atlantiküberquerung und man sich jetzt durch so einen dummen Fehler „verrät“? Würde man wirklich die eigene Sache dadurch riskieren, dass Greta sich einer derartigen Gefahr der Enttarnung aussetzt?
Wohl kaum.

Auch die Länge des Videos sollte zu Zweifeln anregen. Eine Minute und 30 Sekunden aus einer Pressekonferenz sind in den wenigsten Fällen aussagekräftig für die ganze Pressekonferenz. Das ist auch hier der Fall. Man hat sich, wie wir sehen werden, den Teil ausgesucht, der vielleicht am ehesten in eine Verschwörungstheorie interpretiert werden kann.

Mimikama haben bereits einen Faktencheck über das Video veröffentlicht. Dabei stellten sie klar:
Die „Fragerunde“ begann schon ein paar Minuten eher. Auf die erste Frage antwortete Greta ausführlich und sicher. Wichtiges Detail: Das Wort wurde danach bewusst an die anderen Jugendlichen weitergegeben, sodass diese ebenfalls aus ihrer Sicht antworten können.

Falsche Tatsachenbehauptungen

Im Video sieht es ja zum Schluss so aus, als würde Greta das Wort hilflos den anderen Jugendlichen am Tisch weitergeben. Dazu sagt der Untertitel:

was wir sagen wollen, also unsere…
…also unsere Nachricht ist ist …
wir haben genug…
und äh….sonst jemand….
…der Antworten will….
[sic!]

Abgesehen von der grauenhaften „Rechtschreibung“ bzw. „Grammatik“ im Untertitel ist dieser schlicht falsch. Damit ist keine „kritische“ Interpretation gemeint. Oder ein frei übersetztes Wort. Der Untertitel ist tatsächlich faktisch falsch.

Tatsächlich sagt Greta Thunberg:

I think, what we want to send – the message we want to send, is to say that we have had enough and eh…anyone else wants to answer the question? I can´t speak on behalf of everyone.

Deutsch:

Ich denke, was wir senden möchten – die Nachricht, die wir senden möchten, ist, dass wir sagen, wir haben genug und ehm…möchte noch jemand anders auf diese Frage antworten? Ich kann nicht im Namen aller sprechen.

Und das ist ein himmelweiter Unterschied. Besonders der letzte Satz ist wichtig. Greta Thunberg gibt, nachdem sie eine prägnante Antwort auf die Frage gegeben hat, das Wort weiter. Nicht, weil sie hilflos ist, sondern weil sie sich nicht als „Anführerin“ oder „Chefin“ der Bewegung sieht. Das ist wohl auch der Grund, warum dieser Satz nicht im Untertitel übersetzt wurde. Er hätte nämlich das rechte Narrativ von Greta als „Klimaheilige“ gestürzt. Tatsache ist: Die einzigen, die Greta als „Heilige“ bezeichnen, sind ironischerweise rechte Hetzer.

Weitere falsche Darstellung und fehlerhafte Implikationen

Auch die Unsicherheit, die im Untertitel besonders durch die zahlreichen Punkte („…“) impliziert wird, gibt es im Original so nicht. Natürlich überlegt Greta sich ihre Worte sehr wohl. Einerseits, weil wahrscheinlich jeder vor den Kameras und Mikros der Welt überlegen würde, was er sagt.

Andererseits aber natürlich auch, weil Greta in Englisch spricht. Was nicht ihre Muttersprache ist. Wie viele 16-Jährige aus Deutschland könnten das wohl besser? Und wie viele Erwachsene? Ich schaue Sie an, Herr Oettinger.

Außerdem fanden die Kollegen von Mimikama noch heraus, dass Autisten öfter solche Momente haben, in denen sie eine Reizüberflutung erleben und deswegen in der Situation überfordert sind. Die genauen Zusammenhänge erklären sie auch in ihrem Artikel, schaut unbedingt vorbei!

Fazit

Mit den „Fakten“ und „Nachrichten“ über Greta Thunberg halten es die Rechten immer so wie sie wollen.
Sie schwänzt die Schule, um für das Klima zu kämpfen? „Soll sie mal lieber in die Schule gehen und was „Ordentliches“ lernen.“

Sie hält Reden vor Millionen Zuschauern in nahezu perfektem Englisch? „Ja, aber what about diese 1:30 Minuten, wo sie sich mal verhaspelt? Tja, wäre sie mal in die Schule gegangen!“ Sie segelt über den Atlantik, um ein Zeichen zu setzen? „Ja, aber what about die Leute, die die Segelyacht zurückfahren?“
Sie rüttelt Leute wach und hat es geschafft, Klimapolitik zum wichtigsten Punkt für alle Regierungen zu machen? „KLIMAHEILIGE!!!!“

Sie zeigt sich bescheiden und sagt, sie könne nicht für alle sprechen? „Tja, so ist das wohl ohne DREHBUCH Greta!!!!“ Greta kann machen was sie will. Am Ende wird sie immer als die Schlechte dargestellt. Zumindest in rechten Kreisen ist da jedes Mittel erlaubt. Dabei zeigt das Video doch umso mehr, dass sie NIE ein Drehbuch nutzt, und sie selbst ist. Ihre Auftritte sind spontan und echt. Das Gegenteil dessen, was das Video angeblich „beweisen“ sollte. Dass es offensichtlich kein „Drehbuch“ gibt, kann doch nicht der Beweis sein, dass es sonst eines gibt. Das ist Unsinn.

Was können wir tun?

1. Teilt diesen und andere Artikel, die rechte Hetze widerlegen unter AfD-Posts und auch überall sonst!

2. Seid euch im Klaren: Es ist eine schreiende Minderheit, die den menschengemachten Klimawandel „anzweifelt“, Greta Thunberg mit Hass und Häme bekämpfen (siehe hier) und „hier bleibt alles so wie es ist“ propagieren. Die Mehrheit der „echten“ Menschen (außerhalb des Internets) erkennen an, dass wir etwas verändern müssen.

3. Respekt an Greta Thunberg, dass sie trotz des Hasses und der Anfeindungen durchhält. Vielen Dank, Greta!

Artikelbild: Screenshot youtube.com