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SOHO Minden, Amberg, Bottrop: So extrem sind rechte Verdrehungen & Verharmlosungen

von | Jan 4, 2019 | Kommentar

Das Facebook-Jahr hörte auf, wie das neue nun beginnt: Mit Verdrehungen und breit angelegter Verharmlosung.

Drei Beispiele innerhalb von einer Woche.

1. Beispiel: Das SOHO Minden postet am 24.12. ein Foto. Auf dem Foto ist eine Tafel zu sehen, auf der steht: „Wenn Sie AfD wählen, dann trinken Sie Ihr Bier bitte woanders. Sie fühlen sich diskriminiert? Dann wissen Sie endlich mal wie das ist.“

Das SOHO Minden erlebt daraufhin einen Shitstorm, der mittlerweile fast 3.000 Hass-Kommentare enthält. Der Post wurde über 3.300 Mal geteilt. Darunter in sehr vielen rechten Facebook-Gruppen.

Natürlich kann man darüber diskutieren, ob die Idee gut ist, Menschen auf Grund Ihrer politischen Einstellung, die man rein äußerlich eh nicht überprüfen kann, auszuschließen. Meiner Meinung nach wollte der Wirt ein Zeichen gegen die häufig diskriminierenden und rassistischen Kommentare einiger AfD-Politiker oder ihrer Facebook-Anhänger setzen. Wie gesagt, kann man diskutieren.

Was man nicht diskutieren kann, sind die Kommentare unter dem Post. Häufigster Tenor: Der AfDler ist der neue Jude. Es wird ernsthaft gefragt, wie lange es noch dauert, bis Menschen in Anlehnung an den Judenstern einen blauen Stern tragen sollen. Das ist nicht nur ein hanebüchener Vergleich, er ist auch an Widerwärtigkeit nicht zu übertreffen. Die Juden wurden auf Grund ihrer Religion enteignet, gejagt und systematisch und zudem staatlich gefördert industriell ermordet. Allein die Gleichsetzung des einen mit dem anderen ist eine nicht zu akzeptierende Verharmlosung der Novemberpogrome und des Holocausts.



Warum machen Menschen so etwas?

Sehen die „Verteidiger der christlichen Werte“ nicht die Ironie, wenn sie ausgerechnet an Weihnachten Heinrich Bedford-Strohm für seine Kritik an den Kommentaren auf AfD-Facebook-Seiten, auf denen „ein Ausmaß von Menschenverachtung und sozialer, aber auch menschlicher Kälte zum Ausdruck [kommt], das schon Sorgen macht.“  Bedford-Strohm und auch der Papst warben für Nächstenliebe und Barmherzigkeit, für Frieden und Brüderlichkeit. Dafür werden sie angegangen?

Das zweite und das dritte Beispiel können wir zusammenfassend darstellen, weil sich beide Ereignisse zeitlich überschneiden.

Am 29.12. verprügeln vier junge angetrunkene Asylbewerber aus Afghanistan, Syrien und dem Iran im Amberg wahllos Passanten. Die 17- bis 19-jährigen verletzten dabei 12 Menschen. Während man in den Facebook-Kommentaren zu Chemnitz tagelang stritt, ob nun „Hetzjagden“ stattfanden, beurteilen sowohl Herr Wendt und als auch viele Accounts die Situation in Amberg recht zügig und sind sich sicher, dass sich nun wirklich um eine „Hetzjagd“ handelte. Rainer Wendt kannte auch schon die Motivation der vier: „Es ist eine tiefe Verachtung für unseren Staat und für die Menschen, die bei uns leben.“ Bitte was?

Am 31.12. fuhr ein 50-jähriger Deutscher mit seinem Auto in Bottrop eine Menschengruppe, offenbar mit dem Ziel, Ausländer zu töten. Menschen aus Syrien und Afghanistan wurden zum Teil schwer verletzt. Eine Frau schwebte in Lebensgefahr. Er agierte ohne Netzwerk, sei psychisch krank. Laut NRW-Innenminister Herbert Reul mache der Mann „Ausländer für alles verantwortlich“. Man stelle sich nur die Reaktionen in den sozialen Medien vor, wenn das ein islamistischer Anschlag gewesen wäre.

Stattdessen: „Aber Amberg…“

Oder gar: „Wird auch mal Zeit, dass der Spieß umgedreht wird.“ (Gesehen bei der Bild, die das unkommentiert stehen lässt.)

Screenshot facebook.com

Es ist nur zu vermuten, dass sich der Mann aus seiner Echokammer dazu berufen fühlte, zu handeln. Irgendwo muss er ja die Erkenntnis gewonnen haben, dass „Ausländer für alles verantwortlich“ seien. Am „interessantesten“ äußert sich Herr Meuthen dazu: Im Grunde konnte der Mann aus Bottrop gar nicht anders handeln, da die Bundesregierung Täter wie die aus Amberg ins Land gelassen hat.

So redet man einen Anschlag klein. Vermutlich aus Gründen.

Die Süddeutsche schreibt dazu: „Diese Entpolitisierung rechter Gewalt – und die Amokfahrt des Mannes aus Bottrop war eine politisch motivierte Tat – ist aber alles andere als ein Einzelfall. Die Bundesregierung selber teilte im Juni mit, seit dem 3. Oktober 1990 seien 76 Menschen durch rechte Gewalttäter ums Leben gekommen, andere Berechnungen gehen von mehr als 150 aus.“

Und weiter: „Und selbst, wenn die rechtsextremen Motive der Gewalt offenbar sind, erscheint sie in der Öffentlichkeit in eigentümlicher Weise in ihrer Unausrottbarkeit vertraut. Die Gewalt der Fremden dagegen bricht brutal ins Vertraute ein; sie besetzt die Angsträume des Landes. Es hätte sich ja auch die Amberger Tat entpolitisieren lassen: Junge Männer im Suff benehmen sich am Neujahrstag krass daneben. Zu Recht ist das nicht passiert. Zu Recht verbindet sich mit den Prügelattacken die Frage, wie der Staat, die Gemeinschaft mit Asylsuchenden umzugehen hat, die gewalttätig werden – wobei die Abschieberegelungen mittlerweile scharf sind wie nie und sich kaum ein Gewalttäter von ihnen abschrecken lässt.“ (Quelle)

Man darf gespannt sein, wie die rechte Blase reagiert, wenn vier deutsche angetrunkene Jugendliche wahllos Menschen verprügeln, während ein Islamist ein Auto in eine Menschengruppe steuert.

Artikelbild: Master1305, Shutterstock.com