4.320

Sensations-Umfrage: Grüne bei fast 30%! Ist das Ende der AfD nah?!

von | Nov 17, 2019 | Analyse, Politik

So lautete keine Überschrift in den letzten Tagen. Warum?

Und es wundert niemanden. Denn wenn es in den letzten Monaten und Jahren um politische „Sensationen“ ging, dann waren immer irgendwelche „spektakulären“ Erfolge der AfD gemeint:

Quelle: merkur.de

Quelle: zdf.de

Quelle: rnz.de

Wenn aber mindestens ebenso spektakuläre Statistiken über z.B. die Grünen vorliegen, berichtet keines der großen Medienhäuser in ähnlicher Aufmachung darüber. Darum mag sich der ein oder andere Leser auch die Frage stellen: Warum sollten sie denn?

Laut neuesten Umfragen der Demoskopen von INSA haben die Grünen einen ähnlichen Aufstieg hingelegt, wie es die AfD in vereinzelten Bundesländern tat.

In Hamburg bewegen sie sich mittlerweile in dem Bereich knapp unter 30%, die Werte liegen zwischen 26% und 29%. In Rheinland-Pfalz waren es zuletzt 20%, in NRW 23%. Die Sonntagsfrage in Baden-Württemberg, wo die Grünen den Ministerpräsidenten stellen, zeigt sogar über 30%.

Das sind, für eine Partei, die lange als Mehrheitsbeschaffer für die Volksparteien galt, sensationelle Werte. Doch in den Medien wird über die Partei, deren Personal und deren Inhalte wenig berichtet. Weniger als über jeden Stadtrat-Streit der AfD. Auch wenn rechte Verschwörungstheorien etwas anderes sagen, aber die AfD wird weitaus öfter erwähnt als die Grünen – von wegen „grüne Mainstream-Medien“.

Der Mythos der „grünen Mainstream-Medien“: AfD häufiger erwähnt als die Grünen

Namen wie „Jörg Urban“, (Fraktions)vorsitzender der AfD Sachsen geisterten monatelang durch die Medien. Von Anjes Tjarks, Grünen-Chef in Hamburg, spricht hingegen kaum jemand. Obwohl er gute Chancen hat, erfolgreicher zu sein, als die AfD es jemals war. Wie kommt das?



Die Skandalsucht der Medien und ein „Glücksfall“

Es kommt, einfach gesagt, daher, dass tendenziell „Medien“ (gemeint sind dabei alle Medienhäuser Deutschlands mit großem Einfluss) unter schwerer Skandalsucht leiden. Es muss immer etwas möglichst Überraschendes, Skandalöses passieren, damit es viele Leute lesen, sehen oder hören wollen. Das ist ja auch noch irgendwo nachvollziehbar – aber wieso passt der Erfolg der AfD da eher als der der Grünen?

Zuerst müssen wir festhalten, dass die AfD einen Glücksfall ganz besonderer Art erlebt hat:

Diesen Herbst fanden 3 Wahlen relativ zeitnah statt: Die Bundestagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen. Diese 3 Bundesländer waren erwartungsgemäß die, in denen die AfD die höchsten Stimmanteile erwarten konnte. Außerdem saß die AfD hier bereits im Landtag. Allerdings zu Zeiten, als sie noch eine kleinere Oppositionspartei war.

Damit konnten „Phänomen“ wie Stimmverdopplungen beobachtet werden – und medial an die große Glocke gehängt. Denn eine Partei, die „völlig überraschend“ ihre Stimmen verdoppelt oder gar „mehr als verdoppelt“, das ist ja wohl etwas ganz Tolles. Zwar bemerkt jeder, der die ostdeutsche Parteienlandschaft genauer verfolgt, dass es nicht so sehr aus dem Nichts kam, wie man denkt. Aber wen juckt das schon, wenn man dafür eine neue Schlagzeile hat. Auch wenn die AfD seit zwei Jahren bei Stimmanteilen eigentlich stagniert:

Wie keiner bemerkt hat, dass die AfD im Osten seit zwei Jahren stagniert

Der „Aufstieg“ der AfD wirkt also deswegen so überwältigend, weil er durch die zeitliche Nähe der drei ostdeutschen Landtagswahlen dieses Jahres künstlich gepusht wird. Wären diese drei vermutlich höchsten AfD-Ergebnisse über vier Jahre verteilt gewesen, wir würden kaum so viel darüber reden.

Doch dieses Argument allein reicht nicht zur Erklärung. Es gibt noch einen anderen Grund.

Warum ausgerechnet die AfD die Skandalsucht bedient

Rein von den Fakten her betrachtet sollten also eigentlich die Grünen die Partei sein, die einen Hype erlebt. Der Hauptgrund, weswegen diese Hype ausbleibt, hat wiederum mit der bereits erwähnten Skandalsucht der Medien zu tun.

Besonders, wenn etwas außerhalb des Erlaubten liegt, ist es besonders reizvoll. Mit diesem Motiv des Tabubruchs arbeitet die AfD ganz bewusst, wenn sie davon spricht, die political correctness auf die „Müllhalde der Geschichte“ zu werfen. Für die Medien ist das gefundenes Fressen. Eine als Plattform für das Comeback des Faschismus – das ist eine spektakuläre Story. Auf Netflix würde eine solche Serie vermutlich viele Fans finden.

Die Grünen hingegen stehen „nur“ für die Umweltbewegung. Irgendwie. Klar, da geht es auch um die Rettung unserer Zivilisation. Und ja, gewissermaßen ist es ja schon Konsens, dass wir da alle mitmachen müssen. Aber irgendwie ist die Storyline nicht so toll. Es gibt keinen greifbaren Feind und außerdem kann man nicht bequem zuschauen und mitfiebern, sondern muss selbst etwas an seinem Verhalten ändern.

Total öde. Ich hoffe, man bemerkt, wie zynisch dieses Verhalten ist. Im Zuge der Verwechslung von Politik und Unterhaltung mag das ja noch irgendwo erklärbar sein. In Ordnung ist es deswegen jedenfalls noch lange nicht.

Fazit

Wie geht man mit dieser Skandalsucht um? Wie zieht man die Aufmerksamkeit wieder auf das, was wirklich wichtig ist, ohne dabei aus den Augen zu verlieren, dass die AfD ohne Zweifel eine Gefahr für unsere Demokratie darstellen kann (was übrigens auch uns nicht immer gelungen ist)?

Das ist eine schwierige Frage, die keine einfache Antwort hat. Es kann hier nicht darum gehen, das Ganze in einem Artikel oder einer Doku aufzuarbeiten. Es muss vielmehr ein Konsens unter Journalist*innen entstehen, dass wir sachlich über die AfD berichten – auch in den Clickbait-Überschriften, die Gefahr, die von ihr ausgeht, klar aufzeigen, aber auch vom Pessimismus wegkommen und lieber zeigen, welche positive Alternativen es gibt.

Das fängt schon bei solch kleinen Dingen wie der Wortwahl an. Nicht jeder AfDler, der irgendwo eine Wahl gewinnt, muss eine „Sensation“ sein. Aber auch bei der Wahl der Interviewgäste könnte man überlegen, wem man wirklich eine Bühne bieten muss und wem nicht.

Doch zumindest der künstlich erzeugte AfD-Hype sollte mal ein wenig zur Beruhigung kommen. Wie wärs, wenn wir uns mehr mit den Problemen auseinandersetzen, die die AfD in einzelnen Bundesländern stark gemacht haben? Das wäre doch mal ein positives, unaufgeregtes Signal.

Artikelbild: Roman Samborskyi, shutterstock.com