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Warum keiner den Linksruck im Osten bemerkt hat – und den Niedergang der AfD

von | Jun 13, 2019 | Aktuelles, Analyse, Politik

Der geheime linksruck im osten

Ende April lauteten bereits die Schlagzeilen vieler Medien „AfD jetzt stärkste Partei im Osten“. Auch in den letzten Tagen wird immer wieder vermeldet, dass die AfD in Brandenburg die stärkste Kraft sei. Das ist besonders bedeutend, da in Brandenburg, Sachsen und Thüringen in diesem Jahr gewählt wird. Die AfD hofft auf und alle andere befürchten einen „blauen Herbst“, wie es die Tagesschau gestern schrieb. Man könnte meinen, zumindest in den ostdeutschen Bundesländern würde die AfD immer stärker werden.

Doch das Gegenteil ist der Fall. Wie wir bereits vor ein paar Wochen erklärten: Dass die AfD im Osten stark und auch die stärkste Partei ist, ist nichts Neues. Bereits im Sommer 2018 war die AfD im Osten die stärkste Partei. Die Berichterstattung täuscht darüber hinweg, dass die AfD in einem halben Jahr in Wahrheit 4 Prozentpunkte (2018: 27% – 2019: 23%) verlor.

Die AfD verliert in Wahrheit massiv an Wählern im Osten – Wie Medien Stimmung für die AfD machen



Was uns die Umfragen verraten

Aber schauen wir uns einmal die einzelnen Bundesländer genauer an. Mit den Daten von Umfragen aus den Jahren 2017 bis 2019 von wahlrecht.de haben wir nach einer Idee von „Frank Stollberg“ die wichtigsten Parteien der Übersicht in drei Blöcke zusammengefasst: „Bürgerlich“ (CDU+FDP), „Links“ (SPD+Grüne+Linke) und die AfD, man könnte sie als den „Recht(sextrem)en“ Block bezeichnen. Für die Werte haben wir das arithmetische Mittel aller Umfragen aus den jeweiligen Jahren zusammengefasst.

Selbstverständlich ist die Analyse mit großer Vorsicht zu genießen. Die SPD zum linken Lager zu zählen kann kritisiert werden, doch für die Trends, die aufgezeigt werden sollen, spielt sie sowieso eine geringere Rolle. Darüberhinaus ist es problematisch, einfach den Durchschnitt völlig verschiedener Umfragen mit unterschiedlicher Methodik zu nehmen und diese untereinander zu vergleichen. Diese Methode ist nicht wissenschaftlich, wir wollten nur vermeiden, dass der Zufall oder Vorurteile bei der Auswahl der konkreten Umfragen eine Rolle spielen.

Auch sind teilweise für bestimmte Jahre und Bundesländer nur zwei Umfragen verfügbar gewesen, andere hingegen mit bis zu sechs. Das Ungleichgewicht wird hier nicht korrekt widergespiegelt. Aufgrund des Fehlens an Daten haben wir außer den drei ostdeutschen Bundesländern, in welchen gewählt wird, nur noch Mecklenburg-Vorpommern analysiert, da für Sachsen-Anhalt keinerlei Daten für 2019 verfügbar waren. Auch Berlin wurde wegen seiner Ausnahmestellung ausgelassen.

Brandenburg? Thüringen? SAchsen?

Kommen wir zuerst zu den drei Bundesländern, in welchen dieses Jahr gewählt wird.

Hier können wir sehen, dass vor allem die CDU massiv an Zustimmung verloren hat seit 2017, doch davon profitierte die AfD kaum, sondern vor allem das „linke Lager“, welches einen Zuwachs verzeichnet, was zum Großteil am jüngsten Erfolg der Grünen liegt. Die AfD hat nach einem Höhepunkt 2018 wieder leicht an Stimmen verloren und stagniert bestenfalls.

In Thüringen sieht es genau so aus. Das „bürgerliche Lager“, vor allem die CDU, verliert an Zustimmung, das „linke Lager“ hingegen wächst. Die AfD verzeichnet leichte Einbußen. Ihr Erfolgstrend scheint umgekehrt worden zu sein, oder zumindest gestoppt.

Auch in Brandenburg verliert das „bürgerliche Lager“, und genau wie in den anderen Bundesländern verliert die AfD ebenfalls wieder leicht. R2G legt zwischen 2018 und 2019 wieder zu – auch wenn sie im Gegensatz zu den anderen Bundesländern 2017 einen leicht höheren Wert hatten. Was bei der Ungenauigkeit der Daten jedoch zu vernachlässigen ist.

Mecklenburg-Vorpommern und „der Osten“

Auch in Mecklenburg-Vorpommern, wo erst 2016 gewählt wurde, zeichnet sich ein ähnlicher Trend ab, hier legt jedoch das „bürgerliche Lager“ ganz leicht zu, während das „linke Lager“ ebenso leicht verliert. Aber die AfD verliert auch hier wieder an Zustimmung, ausnahmsweise sogar weiter als 2017. Hier sind die Unterschiede jedoch eher marginal. Fassen wir die Ergebnisse der vier Bundesländer zusammen, kriegen wir ein Bild für den ganzen Osten (ohne Berlin und Sachsen-Anhalt, für das wie erwähnt keine Umfrage für 2019 verfügbar war).

Die zuvor erfassten Trends bilden sich wie erwartet auch hier wieder ab. Insbesondere für die drei Länder, in welchen 2019 gewählt wird, steht fest: Es hat eher einen Linksruck gegeben als einen Rechtsruck. Das bürgerliche Lager verliert bemerkbar an Zustimmung, doch diese Wähler*innen scheinen kaum zur AfD zu wandern, die ihren Zenit bereits überschritten zu haben scheint. Auch im Osten. Überall hat sie derzeit weniger Stimmen als im Vorjahr 2018.

Die Netto-Gewinne scheinen sich überall mehr oder weniger im „linken“ Lager wieder zu finden. (Oder bei den „sonstigen“ Parteien.) Und darum ist es weniger relevant, ob die SPD dazugezählt wird: Die Gewinne gehen vor allem auf das Konto der Grünen. Also: Die AfD verliert den Osten wieder langsam. Doch warum ist sie dann in den Medien immer als „stärkste Partei“ und große zukünftige Wahlsiegerin beschrieben?

Wie die Presse die AfD hochschreibt

Eine Antwort ist: Die AfD verliert weniger stark als die CDU und damit rutschen die Konservativen quasi an der AfD vorbei. Die Wähler*innen der Konservativen wandern unterm Strich aber eher zu den Grünen als zu den Rechtsextremen. Und zu den „sonstigen“ Parteien, die wir hier der Einfachheit halber ausgelassen haben, aber in der Regel ebenfalls zugenommen haben. Außerdem verteilen sich die „linken“ Stimmen auf drei Parteien – Obwohl sie seit 2019 in jedem Bundesland der stärkste Block sind. Die AfD hingegen versammelt alle Stimmen nur auf sich. Der Eindruck täuscht also.

Also ist es kein Wunder, dass die Schwäche der CDU und die Zersplitterung des „linken Lagers“ dazu führt, dass die AfD im Vergleich viel stärker wirkt – Obwohl sie auch Zustimmung verliert. Der andere Faktor ist, dass der Schock-Faktor in der Berichterstattung Geld bringt. Es ist eben das „aufregendere“ Framing, zu berichten, wie stark die AfD ist. Die Zeitungen werden mit Likes und Klicks aus der teilungsfreudigen rechten Blase belohnt, die die Schlagzeilen feiert – Obwohl es keinen Grund zum Feiern gibt. Und „die andere Seite“ teilt ebenfalls, aber um sich darüber zu ärgern. Dahinter steckt keine geheime rechte Agenda, sondern nur Wirtschaftlichkeit. Es führt auch zu der ein oder anderen Anwandlung von Größenwahn bei der AfD, die diese Darstellung selbst glaubt. Oder glauben möchte.

Die AfD Berlin dreht durch: Die Wahnvorstellungen der AfD

Der Linksruck im Osten

Doch einen Nachteil hat es: Wahlumfragen beeinflussen nachweislich das Wahlverhalten. Solche Schlagzeilen hinterließen (auch bei mir) zunächst den Eindruck, dass die Zustimmung zur AfD im Osten Deutschlands zunehme und sie Wähler*innen hinzugewinnen würde. Dass sie in einem Aufwärtstrend steckt. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Die Gründe dafür habe ich hier erklärt. Das beeinflusst Wähler*innen und die Politik.

Deshalb ist es wichtig, sich bewusst zu sein, dass trotz des Framings der Medien die AfD in einem Abwärtstrend steckt. Wegen FridaysForFuture, Greta, dem Klima, den inneren Streitereien und der drohenden (und teilweise bereits existierenden) Überwachung durch den Verfassungsschutz. „Der Osten“ ist nicht „verloren“, Rufe nach einem Mauerbau sind geschmacklos – und auch gar nicht nötig. Der Osten hat einen kleinen Linksruck erlebt.

Artikelbild: Roman Samborskyi, shutterstock.com /Volksverpetzer