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Homburg & Guérot: Uni Witten verteidigt Querdenker-Einladung

von | Okt 11, 2022 | Aktuelles

Gastbeitrag Matthias Meisner

Die Stellungnahme der Universität Witten/Herdecke strotzt vor Trotz. Nach Debatten um am 21. und 22. Oktober geplanten Auftritte von Querdenker-Ikonen und Corona-Verharmloser:innen wie Stefan Homburg und Ulrike Guérot bei einer Tagung an der anthroposophisch geprägten Hochschule fragt die Universitätsleitung rhetorisch: „Wenn der Universität nun in größeren zeitlichen Abständen eine verschwörungstheoretische Nähe, eine Querdenker-Sympathie oder eine weltanschauliche Engstirnigkeit unterstellt werden – sollte uns das verunsichern?“ Das Präsidium gibt zur Antwort: „Nein!“ Die Freiheit der Perspektiven und Meinungen „sollte an keinem gesellschaftlichen Diskursort weiter gefasst sein als an unseren Universitäten und Hochschulen“.

Die Kontroverse an der Universität um die Tagung „Die Würde des Menschen – (un)antastbar?“ hatte vergangene Woche größere Aufmerksamkeit bekommen, als der für eine Teilnahme angefragte Rechtswissenschaftler Stefan Huster, Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und Vorsitzender des im Sommer aufgelösten Corona-Sachverständigenrates, absagte (mehr dazu).

Er wolle kein Feigenblatt sein, sagte er zur Begründung. Er denke beim besten Willen nicht daran, mit „Figuren“ wie Frau Guérot und Herrn Homburg zu diskutieren, die spätestens in der Pandemie völlig falsch abgebogen seien. „Das wertet völlig abwegige und polemische Positionen unnötig auf.“ Huster attestierte sowohl dem Hannoveraner Finanzwissenschaftler Homburg als auch der Bonner Politikwissenschaftlerin Guérot „Querdenkertum, das unsere gesamte politische Ordnung diskreditiert“.

Uni sieht keine Gefahr darin, dass „nachweislich widerlegte Aussagen“ eine Bühne bekommen

Zwar gibt die Hochschulleitung zu, dass es vielen als „pure Provokation“ erscheine, dass an der Universität eine Tagung organisiert werde, bei der voraussichtlich „grundlegende Aspekte“ der gemeinsamen Arbeit gegen die Corona-Pandemie in Frage gestellt würden, heißt es in ihrer Stellungnahme. „Vielleicht ist es daher verständlich, dass mehrere Stimmen in der Universitätsgemeinschaft laut werden, die ein Verbot der Tagung fordern.“ Von einem Veranstaltungsverbot aber werde erst Gebrauch gemacht, wenn Recht verletzt werde, persönlich angegriffen werde „oder wenn die Universität unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit missbraucht wird, um nachweislich widerlegten Aussagen eine Bühne zu geben“.

Das fünfköpfige Uni-Präsidium unter Leitung von Prof. Martin Butzlaff sieht diese Gefahren bisher nicht. Es verteidigt die Einladung an Wissenschaftler:innen wie Homburg und Guérot im Rahmen eines „Wettstreits der Ideen und Perspektiven“. Und spricht davon, dass „das Erkenntnisfundament, auf dem unsere Perspektiven und inhaltlichen Positionen basieren, im Sinne der Aufklärung breiter, tragfähiger und belastbarer wird“. Auch Uni-Vizepräsidentin Petra Thürmann unterzeichnete wie alle anderen Präsidiumsmitglieder die Erklärung. Sie sagte ihre Teilnahme and der Tagung aber ohne Nennung von Gründen ab.

Homburg: „Sklaven-Masken“, Holocaustvergleich, „Verschwörungsmythologe“

Normalisiert die Universität also verschwörungsideologisches Denken? Homburg hat sich mit Beginn der Pandemie ins Abseits begeben. Mit Äußerungen wie „Sklaven-Masken“, „Das hier IST 1933“ und „Bundeskristallnacht“ kritisierte er die Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus. Am 1. April 2021 trat der frühere Direktor des Instituts für Öffentliche Finanzen der Leibniz-Universität Hannover in den vorzeitigen Ruhestand.

In einer gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen der „Achse des Guten“ und dem baden-württembergischen Antisemitismusbeauftragten Michael Blume (Quelle) hatte das Verwaltungsgericht Stuttgart am 22. September beschlossen (Az. 1 K 3675/22), dass Blume den Hannoveraner Finanzprofessor auf Twitter „pointiert und zugespitzt“ als „Verschwörungsmythologe“ bezeichnen durfte (Quelle). Blume hatte in seinem Sachvortrag dargelegt, dass Homburg mit mehreren Tweets die „Blaupause einer antisemitischen Verschwörungserzählung“ geliefert habe. Das Gericht erkannte „ausreichende sachliche Anhaltspunkte“ für Blumes Meinungsäußerung. Und bestätigte ihm, dass er auch in seiner Funktion als Antisemitismusbeauftragter für „aktuelle Formen des Antisemitismus“ durch Öffentlichkeitsarbeit „sensibilisieren“ dürfe – also auch im konkreten Fall Homburg.

Guérot arbeite nicht immer nach wissenschaftlichen Standards

Guérot war im September aus der Jury des Sachbuchpreises des NDR geflogen. Hintergrund der Entscheidung war der Vorwurf, sie arbeite nicht immer nach wissenschaftlichen Standards. Der Leiter der Nominierungskommission, Christoph Bungartz, sagte dazu (Quelle): „In der gesellschaftlichen Auseinandersetzung muss sie ihre Stimme erheben können, sie tritt ja auch in öffentlich-rechtlichen Talkshows auf. Aber in einer Jury zusammen mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sind die Vorwürfe der unwissenschaftlichen Arbeit keine gute Voraussetzung.

Das hätte im NDR früher auffallen müssen – das ist bedauerlich.“ Schärfer noch hatte Huster formuliert – und Guérot „schlimmste verschwörungstheoretische Hetze“ vorgeworfen. Guérot äußerte sich zu der Kontroverse um ihren Auftritt an der Universität Witten/Herdecke nicht. Homburg lobte die Stellungnahme der Hochschule als Bekenntnis „zur Wissenschaftsfreiheit“. In einem Nebensatz machte er deutlich, welches Ziel mit der Tagung in Witten verfolgt werde: Husters Absage sei „durchdacht“ gewesen, „weil er komplett untergegangen wäre“.

Uni findet bisher keinen Ersatz für Wissenschaftler:innen

Ist das letzte Wort gesprochen? Intensiv wird versucht, Ersatz für die Wissenschaftler:innen zu finden, die inzwischen abgesagt haben. Die Debatte jedenfalls läuft weiter. Der FAZ-Redakteur Reinhard Bingener twitterte: „Homburg ist harter Querdenker, hat mit universitären Qualitätsstandards völlig gebrochen.“ Der Verweis der Universitätsleitung auf Meinungspluralismus sei in diesem Fall völlig abwegig: „In Hannover brüllen die Homburg-Fans Veranstaltungen nieder, er distanziert sich null davon.“

Besonders spannend ist die Reaktion von Janosch Dahmen – nicht nur, weil er gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag ist. Der Arzt ist Alumnus der Universität Witten/Herdecke und sitzt in deren Aufsichtsrat. Er sagt dem Volksverpetzer: „ich war und bin immer ein Verfechter des offenen, auch streitenden wissenschaftlichen Diskurses gewesen, aber der gemeinsame Nenner von Stefan Homburg und Ulrike Guérot ist offensichtlich die Delegitimierung von seriöser Wissenschaft, freier Presse und dem Staat beziehungsweise der freilich-demokratischen Grundordnung einschließlich der Menschen und Institutionen, die für sie stehen.“ Es gehe um die „gezielte Diskreditierung all jener, die ihre kruden Ansichten und unseriösen Methoden nicht teilen“.

„der gemeinsame Nenner von Stefan Homburg und Ulrike Guérot ist offensichtlich die Delegitimierung von seriöser Wissenschaft, freier Presse und dem Staat“

Dahmen wirft Guérot und Homburg gezielte Angriffe auf Wissenschaftler:innen, Hetze gegen Politiker:innen und das Verbreiten von Hass und Falschinformationen vor. „Auch Universitäten und wissenschaftliche Einrichtungen müssen sich die Frage gefallen lassen, ob solche Menschen weiter mit ihnen assoziiert bleiben sollen und ob es richtig ist, ihnen eine Bühne zur Aufwertung ihrer skurrilen Thesen zu bieten.“

Die Veranstalter der Tagung eine Initiativgruppe an der Universität Witten mit dem Namen „Das Ich im Wir“ äußern sich nicht zu der Auseinandersetzung. Die Gruppe hat sich vor gut einem Jahr gegründet. Eine maßgebliche Rolle spielt Professor Peter Gaidzik, Leiter des Instituts für Medizinrecht und geschäftsführendes Mitglied der Ethikkommission der Hochschule.

Weitere „wissenschaftsbefreite Theorien“

Zur Arbeit der Initiativgruppe hier nur eine Kostprobe: Im Mai lud sie den Parapsychologen Harald Walach zu einer Videokonferenz ein, Gaidzik damals mit im Publikum. Es moderierte Bettina Berger vom Lehrstuhl für anthroposophische Medizin. Sie schaltete sich zu von einem Symposium der vom Altbundespräsidenten und seiner Frau gegründeten Karl-und-Veronica-Carstens-Stiftung, laut einem „Spiegel“-Bericht aus dem Jahr 2010 (Quelle) ein Lobbyverein der pseudowissenschaftlichen Homöopathie.

Berger lobt Walach als „Vordenker in vielen komplementärwissenschaftlichen Forschungszusammenhängen“. Der wiederum klagt über einen „Propaganda-Radau“ im Zusammenhang mit positiven Corona-Tests. Was am Abend unerwähnt blieb: 2021 war eine maßgeblich von ihm verfasste „Studie“ zu Maskenschäden bei Kindern vom ARD-Faktenfinder als „Lehrbeispiel für Manipulation und methodische Fehler“ bezeichnet worden (Quelle). Und schon 2012 hatte die Gesellschaft für Kritisches Denken Walach, damals noch Professor an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder, das „Goldene Brett vorm Kopf“ verliehen (Quelle) – als Anerkennung für sein „einzigartiges Bemühen, wissenschaftsbefreite Theorien in die akademische Welt hineinzubringen“.

Update 14:20: Veranstaltung wurde abgesagt

Die umstrittene Veranstaltung an der Uni Witten, an welche Querdenker Homburg und Guérot eingeladen wurden, wurde abgesagt. Der Grund: Zu viele Referent:innen hatten ihre Teilnahme abgesagt. Als Grund wird die Absage maßgeblicher Referent:innen genannt. Wir haben hier ausführlich berichtet.

Artikelbild: Olaf KosinskyCC BY-SA 3.0 de