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Neonazistische Ausschreitungen auf Züge in Zwickau – Hintergrundrecherche

von | Mai 2, 2022 | Aktuelles

Christian Worch

Christian Worch (*1956) ist einer der führenden deutschen Neonazi-Kader seit den späten 1970er Jahren und Gründer der rund 600 Mitglieder starken deutschen rechtsextremen Partei Die Rechte (DR) im Jahr 2012. Die DR hat direkte Verbindungen zu einigen der berüchtigsten Elemente der rechtsextremen Szene in Deutschland. Worch wurde bereits mehrfach wegen Straftaten wie Körperverletzung, Volksverhetzung und Verbreitung von Nazi-Propaganda verurteilt.

Biografie

Worch wuchs in Hamburg-Hamm auf und ist gelernter Rechtsanwalts- und Notarfachangestellter. Durch eine Erbschaft von Immobilien und Kapital wurde Worch in jungen Jahren zum Millionär. Über Worchs Kindheit und Jugend ist wenig bekannt, aber bereits 1974 wurde er in der Hamburger Neonazi-Szene aktiv. ( Jens Mecklenburg, Handbuch Deutscher Rechtsextremismus (Elefanten Press, 1996), 543-544.)

Im Jahr 1977 schloss sich Worch den Kreisen um den damals bekanntesten deutschen Neonazi Michael Kühnen (1955-1991) an. Kühnen hatte in diesem Jahr mit anderen Rechtsextremisten die Neonazigruppe „SA-Sturm Hamburg“ gegründet, eine Unterorganisation der neonazistischen NSDAP-Aufbau- und Auslandsorganisation (NSDAP/AO) von Gary Lauck mit Sitz in den USA, die sich in den Fußstapfen der NSDAP sieht.

Im November 1974 war Lauck als Redner auf einer NSDAP-Veranstaltung in Hamburg aufgetreten, wurde jedoch festgenommen und mit Ausreiseverbot belegt. 1976 gelang Lauck die illegale Einreise nach Deutschland, wurde aber in Mainz erneut festgenommen und zu einer mehrmonatigen Haftstrafe verurteilt.(Mecklenburg, Handbuch Deutscher Rechtsextremismus, 486-487.)

Die NSDAP/AO war besonders aktiv im Druck und in der Verbreitung von NS-Propaganda wie Adolf Hitlers Mein Kampf oder dem antisemitischen Propagandafilm Der Ewige Jude, der in Deutschland, nicht aber in den USA, strafbar ist.

Michael Kühnen und Gary Lauck, interviewt von Michael Schmidt, vermutlich 1990/1991. Screenshot des Dokumentarfilms Wahrheit macht frei von Michael Schmidt aus dem Jahr 1991. – Bildquelle: https://www.youtube.com/watch?v=QsQsgei98sk 

Aktionsfront Nationaler Sozialisten (1977-1983)

Aus dieser Untergruppe ging im November 1977 die neonazistische Organisation „Aktionsfront Nationaler Sozialisten“ (ANS) hervor, die Worch mit aufbaute.

Bei der Gründung der Gruppe erklärte Kühnen: „Wir sind eine revolutionäre Partei, die sich der Wiederherstellung der Werte des Dritten Reiches verschrieben hat“, und nahm eine Version der Nazi-Flagge als Emblem ihrer Organisation an, bei der das Hakenkreuz umgedreht wurde, so dass die Zwischenräume schwarz sind und das eigentliche Kreuz mit dem Hintergrund verschmilzt. (Martin A. Lee, The Beast Reawakens (Warner Books, 1997), 196-197.)

Flagge der ANS/NA

Die ANS fetischisierte die Nazipartei und Ernst Röhms „Sturmabteilung“ (SA), deren Habitus und Ideologie sie übernahm, einschließlich der Unterstützung der Rassengesetze des Dritten Reiches. Um Wissen aus erster Hand von der „alten Garde“ zu erhalten, suchte die ANS den Kontakt zu Veteranenorganisationen der Waffen-SS, indem sie beispielsweise eine Delegation zu den vom Orden der flämischen Militanten organisierten internationalen Neonazi-Kundgebungen in Diksmuide schickte und eng mit der Wiking-Jugend zusammenarbeitete, einer Organisation, die sich in den Fußstapfen der Hitlerjugend sah.(Lee, The Beast Reawakens, 198.)

Die ANS wurde 1978 durch eine umstrittene Presseveranstaltung bekannt, an der Worch teilnahm, als mehrere Neonazis mit Eselsmasken durch Hamburg marschierten und Plakate mit unverhohlen antisemitischen Parolen trugen, wie z. B. „Ich, Esel, glaube immer noch, dass in Auschwitz Juden zu Tode vergast wurden“.

Presseveranstaltung organisiert von Christian Worch – Bildquelle: https://www.youtube.com/watch?v=QsQsgei98sk 

Dazu empfehlen wir die Dokumentation „Wahrheit macht frei – Dokumentation über Neonazis & Holocaustleugner, Deutschland“.

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In den Jahren 1977 und 1978 raubten ANS-Mitglieder eine Reihe von Banken aus und stahlen Waffen aus Militärstützpunkten. Unter dem Vorwurf, Bombenanschläge auf NATO-Einrichtungen und eine Gedenkstätte für die Opfer des Konzentrationslagers Bergen-Belsen geplant zu haben und den ehemaligen Nazi-Politiker Rudolf Hess aus dem Gefängnis befreien zu wollen, wurden sechs Mitglieder festgenommen und zu elf Jahren Gefängnis verurteilt.

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Kühnen selbst wurde 1979 wegen Aufstachelung zu Rassenhass und Gewalt inhaftiert, nachdem ihm die Gründung einer terroristischen Vereinigung zur Last gelegt worden war. Nach Kühnens Inhaftierung übernahm Worch die Leitung der ANS. Im Jahr 1980 wurde Worch jedoch mehrfach verurteilt, unter anderem wegen seiner Teilnahme an einer Razzia, die zu einer dreijährigen Haftstrafe zusammengefasst wurden. Seine Verteidigung wurde von dem rechtsextremen Prominentenanwalt Jürgen Rieger geführt.3

1981 wurde Johannes Bügner, ein ehemaliges Mitglied der ANS, von fünf ANS-Mitgliedern ermordet, weil er aus der Gruppe ausgetreten und angeblich schwul war.9 Unter den fünf Tätern war auch der Neonazi Michael Frühauf, der im Prozess behauptete, er habe mit dem Hamburger Verfassungsschutz zusammengearbeitet, also dem Inlandsgeheimdienst. Sein Verbindungsmann habe ihm Straffreiheit zugesichert, wenn er sich nicht aktiv an Straftaten beteilige. Die beiden Haupttäter, darunter Frühauf, wurden jedoch zu lebenslanger Haft verurteilt, die drei Mitangeklagten zu geringfügigen Haftstrafen.

Mitglieder der ANS

 

Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF)

Die Mitglieder der GdNF entstammten den Kameradschaften der 1983 verbotenen Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten (ANS/NA).

»Die Gesinnungsgemeinschaft gruppiert sich um den Informationsbrief zur Lage der Bewegung “Die Neue Front”, nach dem sie sich benennt, und findet ihr Fundament in den Leserkreisen der Neuen Front.« (Quelle: Vgl. M. Kühnen: Politisches Lexikon der Neuen Front. Butzbach 1987, S. 187 f.)

Getreu ihrem historischen Vorbild, der NSDAP, gliederte sich die Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF) in sieben Bereiche, die sich in Gaue, Kameradschaften und Stützpunkte teilen, darunter auch die ANS-Niederlande unter Eite Homann und die österreichische Volkstreue Außerparlamentarische Opposition unter Gottfried Küssel.

Der innere Kreis der Kameradschaft wurde von 1984-1986 vom Komitee zur Vorbereitung der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag Adolf Hitlers (KAH) gebildet. Die GdNF-Mitglieder traten ab 1984 in die Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) ein und übernehmen sie.

Nach der Veröffentlichung eines schwulenfeindlichen Anti-Kühnen-Manifestes durch einen Teil der GdNF spaltet diese sich 1986 in einen Flügel um Kühnen und einen um den FAP-Generalsekretär Jürgen Mosler. Während der Mosler-Flügel die organisatorischen Strukturen in FAP und KAH übernimmt, bildet die GdNF um Kühnen in der Folgezeit neue Vorfeldorganisationen und regionale Wahlparteien.

Mit dem Tod Kühnens am 25. April 1991 geht die faktische Führung der GdNF an eine Troika aus Christian Worch, Gottfried Küssel und Arnulf Winfried Priem über. Ende November 1994 wird Christian Worch wegen Leitung der GdNF zu zwei Jahren Haft verurteilt. Das Gericht stellt fest, daß die GdNF eine Nachfolgeorganisation der verbotenen ANS/NA sei.