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Die AfD hat den Koalitionsvertrag mitgeschrieben und keiner hat’s gemerkt

von | Feb 13, 2018 | Serie

Dass man die Wähler, die von der Politik frustriert zur AfD laufen, zurückholen muss, ist richtig. Aber das macht man nicht, indem man einfach das umsetzt, was die AfD möchte. Denn damit zeigt man nicht nur, dass sie Recht hatte, sondern hätte sie gleich regieren lassen können. Die drohende Groko verspricht auf der einen Seite AfD Politik, auf der anderen Stillstand.

Umfragen zu Folge klettert die AfD im Schatten der drohenden Groko auf 15%. Und die potentiellen Koalitionspartner grübeln: Jetzt haben sie der AfD doch schon den kleinen Finger gereicht, wieso kommen die nicht zurück? Ich weiß nicht, ob das Naivität, Dummheit oder ein „Nach mir die Sintflut“ ist, aber der Koalitionsvertrag von SPD und Union ist verheerend. Wenn sich die beiden (ehemaligen?) Volksparteien zusammengesetzt hätten, um ein Programm zu entwickeln, die AfD an die Macht zu hieven, dann wäre auch nur dieser Koalitionsvertrag heraus gekommen.

Das ist natürlich alles Zynismus, aber hört mich an: Wie Rehe ins Scheinwerferlicht blickend, lassen sich die Groko-Parteien vor den Rechtspopulisten hertreiben. Und es stimmt: Die Sorgen und Ängste, die sich in der Partei sammeln, kann man nicht (mehr) ignorieren, das wäre fahrlässig und dumm. Deswegen muss „man“ auch etwas machen. Die Groko, und ganz besonders die Union (und ganz ganz besonders die CSU) denkt sich: Wenn die Menschen rechte Politik haben wollen, dann machen wir eben rechte Politik, dann sollten sie zu uns zurück kommen.

Eingeständnisse an die AfD

Deshalb wurde die Aussetzung des Familiennachzugs noch weiter verlängert (die Aussetzung an sich ist schon ein Entgegenkommen an die Rechten), und dann auf ein begrenztes Kontingent limitiert. Auf die tausend Gründe, warum das dumm und sinnlos ist, gehe ich jetzt gar nicht mal ein. Trotz 23.500 rechtsextremen Straftaten 2016 wird nichts gegen die wachsende Gewalt von Rechts unternommen – Außer dass Programme gegen Extremismus ausgebaut werden sollen, aber eben auch (oder vor allem?) gegen Linksextremismus und Salafismus. Von vergangenen Maßnahmen, wie dem Erdogan-Deal, dem Schließen der Balkanroute, Obergrenze, Verschärfung des Asylrechts, etc. einmal abgesehen.

Und der ebenfalls von der AfD geforderte Sozialdarwinismus (den die Groko-Parteien seit Jahren auch erfolgreich selbst betreiben), zieht sich ebenfalls durch das Programm.

Wie wir hier schon argumentiert haben, ist das Problem, dass jetzt kommuniziert wird: Hey, wir kommen euch ja entgegen, wir „machen die Flüchtlinge weg“. Natürlich ist der Koalitionsvertrag noch lange nicht mit dem AfD-Wahlprogramm zu vergleichen (Hier unsere Zusammenfassung), aber gerade in der CSU-Ecke wird AfD-Politik übernommen und normalisiert. Doch jetzt einmal völlig abgesehen davon, wie menschenverachtend es ist, Kriegsflüchtlinge als politisches Instrument zu missbrauchen, hat das folgende Konsequenzen:

  1. Kein Kompromiss wird die AfD zufrieden stellen. Selbst wenn jetzt beschlossen würde, alle Flüchtlinge binnen 24h aus dem Land zu schmeißen und aus der EU auszutreten, würde die AfD noch etwas zu meckern haben.
  2. Man sagt damit doch nur: Die AfD hatte die ganze Zeit recht. Es ist ein Eingeständnis, dass die Forderungen der AfD richtig waren. Dass alle „Mausrutscher“ der AfD nicht nur entschuldbar waren, sondern dass alle Methoden und Forderungen belohnt werden. Dass die AfD alles richtig macht und am Ende das bekommt, was sie will. Man legitimiert sie und ihre Methoden.
  3. Jeder wählt das Original: Wie die SPD bereits in den letzten Jahren feststellen musste, bringt es nichts, das Profil und die Forderungen einer Partei zu kopieren. Wenn die Leute etwas wollen, wählen sie das Original. Die anderen Wähler laufen dir aber dafür weg.
  4. Man setzt am Ende doch genau das um, was man verhindern will: Wenn man das macht, was die AfD will, bekämpft man sie nicht, sondern man wird zum Komplizen dieser Politik. Ich weiß, Politik lebt von Kompromissen, aber wenn man in vorauseilendem Gehorsam ihre Politik umsetzt, verhindert man sie nicht, man macht sie möglich

Und noch eine kleine Anmerkung: Eine Groko an sich weiterzuführen ist das deutlichste Signal an alle, dass unsere Politik knöchern und starr ist und dass sich nichts verändern wird. Noch einmal Merkel, noch einmal Groko, die mit eiserner Faust nichts tut, das ist gefundenes Fressen für die Rechtspopulisten.

Doch selbst wenn alles umgesetzt wird, was die AfD möchte, werden ihre Wähler nicht zufrieden sein

Ok, was ist die Alternative (pun intended)? Ich sage einerseits, man soll die Sorgen und Ängste der AfD-Wähler ernst nehmen, aber andererseits nicht ihre Forderungen umsetzen? Wie soll das gehen? Ok, hier ist der Clou: Auch wenn Rechte es so sehen, weil sie die Welt nur schwarz-weiß sehen, „Linke“ oder das, was sie als Linke bezeichnen verteidigen nicht Merkel oder den status quo. Aufmerksame LeserInnen unseres Blogs dürften festgestellt haben, dass ich viel an der Politik der letzten Jahre zu meckern habe.

Ich sage nicht, dass alles gut ist, wie es ist. Ich sage nicht, dass wir keine Herausforderungen bewältigen müssen. Ja, Deutschland mag es gerade wirtschaftlich gut gehen, aber 12 Jahre Konservativismus haben den status quo einfach erhalten, Merkel hat die letzten Jahre verwaltet. Aber keine Politik für die Zukunft gemacht. Es gibt immer weniger LehrerInnen, immer weniger Kita-Plätze, die Rente wird immer weniger, immer weniger PflegerInnen und immer mehr Menschen, die Pflege brauchen werden, und vergessen wir nicht den Klimawandel und all jene Dinge, die damit folgen werden. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander und nichts im derzeitigen Koalitionsvertrag sorgt ernsthaft dafür, dass sich irgendetwas davon ändern wird.

Und die Leute laufen der AfD nach, weil sie Veränderung möchten, weil sie das Gefühl haben, von der Politik, von „denen da oben“ vergessen worden zu sein. Weil ihre Löhne seit 20 Jahren stagnieren, während die Reichen immer reicher werden. Aber die AfD sagt: Ihr kriegt nichts, nur die Flüchtlinge. Und das macht natürlich wütend. Doch wenn die AfD argumentiert, dass die Probleme verschwinden würden, wenn auch die Flüchtlinge verschwinden, dann ist das natürlich Schwachsinn. Die haben nichts damit zu tun.

Wir brauchen echte politische Alternativen

Die AfD sammelt also alle Protestwähler und alle, die Veränderung wollen. Und der geneigte Wähler hat dann plötzlich die Wahl zwischen Groko: Weiter so! und AfD: Wir machen was anderes! Doch wir lösen unsere Probleme nicht damit, dass wir alle rausschmeißen, die anders aussehen als wir. Wir brauchen ein Lobbyregister, eine Pflegereform, eine Bürgerversicherung, eine EU-Reform der Flüchtlingspolitik, Erhöhung des Mindestlohns, mehr Geld für Bildung und Polizei, echte Maßnahmen gegen den Klimawandel, ganz dringend eine Rentenreform. Ich habe extra ein paar Dinge aufgezählt, die die SPD in der Koalition sinnvollerweise umsetzen wollte, aber dann gestrichen hat.

Wenn man unsere Gesellschaft gerechter macht, wenn sich Arbeit wieder lohnt, wenn jeder von uns die gleichen Chancen bekommt, dann muss niemand mehr das Gefühl haben, mit Flüchtlingen um die paar Brotkrumen kämpfen zu müssen, die „die da oben“ fallen lassen. Anstatt einfach ein „Weiter so!“ zu betreiben, wie es die Groko tun wird, oder so zu tun, als sei die Alternative der „Alternative“ ein legitimer Weg, um den status quo zu ändern, sollten wir Veränderungen umsetzen, die eben genau denen zu Gute kommen, die Sorgen und Ängste haben, ohne auf die Kosten derjenigen, die noch viel weniger haben.

Artikelbild: pixabay.com, CC0