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Elon Musk kauft Twitter: Sorry rechte Trolle, freut euch nicht zu früh

von | Okt 28, 2022 | Aktuelles

Jetzt ist es wirklich passiert: Nach einem halben Jahr Drama hat Milliardär Elon Musk doch die Social-Media-Plattform Twitter übernommen. Bereits nach der ersten Meldung im April habe ich ausführlich geschildert, warum das nur ein Symptom eines viel größeren Problems darstellt, nämlich dass Superreiche sich nicht nur absurd viel Reichweite regelrecht kaufen können, sondern buchstäblich die Plattformen -digital wie Print – besitzen, in welchen öffentlicher Diskurs stattfindet – und ihn damit direkt beeinflussen.

Jetzt, da es wirklich umgesetzt wurde – und Elon Musk bereits mehrere Top-Manager bei Twitter entlassen hat – wird heiß diskutiert, gejammert und gejubelt. Denn nicht nur ist es in meinen Augen grundsätzlich ein Problem, wenn die Plattformen, auf denen öffentlicher Diskurs stattfindet, einer einzelnen Person gehören, Elon Musk ist im besonderen problematisch. Es ist relativ offensichtlich, wo das Problem ist, wenn jemand mit enorm viel Reichweite und Einfluss und ziemlich wenig Ahnung sich zum Beispiel in geopolitische Konflikte einmischt. Diktator Putin bedankt sich.

Eine Gefahr für die Meinungsfreiheit?

Elon Musk hat nicht nur von der russischen Invasion der Ukraine wenig Ahnung, sondern auch von anderen Themen. Reich sein heißt halt nicht automatisch im Recht sein – auch wenn das viele zu denken scheinen. Elon Musk bezeichnet sich selbst als „free speech absolutist“ und dass Meinungsfreiheit für ihn oberste Priorität habe. Er kritisierte, dass Twitter zu viel löschen würde. Twitter geht gegen Posts vor, die Hass schüren, Gewalt androhen, belästigen, erniedrigen oder Desinformation verbreiten. Wie zum Beispiel Antisemitismus von Kanye West.

Elon Musk möchte in Zukunft nur noch Dinge löschen, die gegen Gesetze verstoßen. Lügen und Hetzen ist in den meisten Ländern nicht per se verboten. Und drüben in der realen Welt stellen viele fest, dass die aktuellen Gesetze oft einfach nicht ausreichen, um die Menschen und ihre Freiheiten zu schützen. Expert:innen befürchten daher, dass auf Twitter viel mehr Hass und Desinformation Reichweite bekommen könnte. Das prominenteste Beispiel: Faschist Trump, der nach seinem buchstäblichen Putschversuch in den USA von Twitter gebannt wurde. Musk will ihm wieder seinen Account geben, auf dem dieser pausenlos Hass und Lügen gestreut hatte. Es ist kein Geheimnis, dass das organisierte Verbreiten von Hass und Lügen nicht mehr Meinungsfreiheit bedeutet, sondern für die Opfer dieser Hetze weniger.

Und nicht zu Letzt, wenn Menschen nach der Hetze, Shitstorms und Verschwörungsmythen ihr Leben verlieren wie ein Walter Lübcke oder eine Lisa-Marie Kellermayr.

Faschisten, Rechtsextreme, Rechte freuen sich

Das also die Sorgen vieler heute auf Twitter. Viele kündigen an, die Plattform jetzt zu verlassen und gehen zur Twitter-Alternative Mastodon. Wir sind dort übrigens auch vertreten. Und es kann durchaus sein, dass das Problem mit Hass und Desinformation erst einmal schlimmer wird, wenn Elon Musk einige der Dinge umsetzt, die er geplant hat. Deshalb bleiben wir bei Volksverpetzer natürlich auch weiter vor Ort, schließlich müssen wir da sein, wo die Fakes sind. Wer einen Twitter-Account hat, kann uns ja dort folgen, damit wir mehr Reichweite haben, um die Desinformation besser bekämpfen zu können.

Umgekehrt jubeln aber wiederum andere. Natürlich nicht ausschließlich diese, aber allen voran: Nazis, Faschist:innen, Demokratiefeinde, Desinformationsverbreiter:innen und Trolle. Sie verspüren Aufwind, freuen sich hämisch, dass Demokrat:innen (nicht die US-Partei) und „Linke“ die Entwicklung mit Sorge betrachten. Faschistin, QAnon-Gläubige und Lügnerin Greene, eine der größten Bedrohungen für die Freiheit in den USA, bejubelte höhnisch den Kauf zum Beispiel.

Nicht nur einmal haben wir heute auf Twitter von Nazi-Troll-Accounts Kommentare bekommen, die von „Abrechnung“ sprechen und dass es uns „an den Kragen gehen“ werde und wir bald gelöscht werden würden. Ihr wisst, „Meinungsfreiheit“ heißt unter den Nazis eben, dass ihre Feinde genau diese eben nicht mehr bekommen sollen. Sie wollen nicht Wahrheit oder Freiheit, sie wollen, dass sie lügen dürfen und ihnen niemand widersprechen darf.

Doch die rechten Trolle freuen sich zu früh

Das war im Grunde der Stand des Diskurses heute in Twitter zumindest. Besonders in „unserer“ Bubble war die Sorge groß. Doch ich war auch ein wenig wegen dieses Doomerismus verwundert. Ihr müsst nicht alle sofort von der Plattform rennen, es ist noch nichts passiert. Wenn Rechte auf eine Alternativplattform wechseln, lachen wir sie doch auch aus, dass sie sich damit ihre eigene Reichweite nehmen.

Das Problem ist eben, dass halt nicht nur die extreme Rechte den Hype des Milliardärs zu ernst nimmt, sondern eben wir alle auch. Wir hatten doch schon etabliert: Elon Musk hat von vielen Dingen keine Ahnung. Und von dem, was er bisher gesagt hat, lässt sich durchaus schließen, dass er auch keine Ahnung hat, wie man eine Social Media Plattform leitet.

Elon Musk wird ziemlich bald auf die Nase fallen. Und dann wird der extremen Rechte das Lachen im Halse stecken bleiben.

44 Milliarden Dollar für einen PR-STunt, der nach hinten los gehen dürfte

Ich stütze mich hier auf Nilay Patel von The Verge, aber er hat die richtigen Fragen stellt: Ist die Utopie-Plattform, die Musk da verspricht, und die die Demokratiefeinde jubeln lässt, überhaupt möglich? Denn das „Problem“ mit Twitter – und mit dem weiteren Diskurs über die Grenzen der Meinungsfreiheit – und umgekehrt der Grund für dessen Erfolg – ist ja nicht nur der Code von Twitter oder so.

Das sind die Nutzer:innen, wie bei jeder Plattform. In Deutschland sind das übrigens extrem wenige. Dass viele und viele prominente Leute dort sind, schafft den ganzen Mehrwert der Plattform. Dass Elon Musk dort ist und sich dort inszeniert ist ihr Wert. Du musst als Plattform Millionen Menschen und den Diskurs unter ihnen regulieren – oder eben nicht – und dann mit den Konsequenzen klar kommen. Elon Musk wäre der erste, der mit seiner Utopie Erfolg hat.

Und wenn Elon Musk zwangsläufig früher oder später an die Grenzen dessen stößt, was man machen kann, um eine Plattform zivilisiert und produktiv zu halten, wird seine Rhetorik von „Meinungsfreiheit“ (und der Traum der Faschist:innen, ihre Feinde ungestört jagen zu können) halt auf die Realität treffen. Und dann wird ab sofort Elon Musk persönlich für alles verantwortlich gemacht.

Der freie Markt regelt (?)

Elon Musk schreibt gerne nette Briefe an die Leute, die Werbung bei Twitter schalten – ihr wisst, die Leute, die mit ihrem Geld die Plattform erst möglich machen – aber große Firmen möchten ihre Werbung halt nicht zwischen Holocaustleugnung und Mordaufrufen stehen haben zum Beispiel. Gut, diese Dinge sind ohnehin (in manchen Ländern) illegal, aber was ist mit – legaler – Desinformation, Rassismus, Sexismus, Hass und anderen Dingen, die normale Menschen nicht nur scheiße finden, sondern die auch dazu führen, dass normale Leute die Plattform verlassen und Werbetreiber abwandern?

Elon Musk kann so viel von „free speech“ reden, wie er will, wenn er nicht ein gewaltiges Minusgeschäft mit der Plattform machen will und viele Nutzer:innen verlieren, wird er viele Dinge löschen müssen, die auch legal sind. Und wenn er das tut, werden seine menschenfeindlichen neuen Fans ihn zerfetzen. Das hat doch schon Trumps Nazi-Twitter erleben müssen. Und so sehr die libertären Musk-Fanboys es sich wünschen, er wird auch nicht Volksverpetzer löschen können, nur weil wir eure Lügen entlarven.

Und auch ohne die Werbetreiber ist es nunmal so, dass die meisten Menschen der Plattform den Rücken kehren werden, wenn sie nichts anderes mehr als Hass, Lügen und Verschwörungsmythen lesen müssen. Die Leute sind ja auf Twitter, weil sie eine positive Erfahrung haben wollen. Und nicht von Nazis und Impfgegner:innen niedergebrüllt werden. Jede „alternative“ Plattform hat diese Erfahrung immer und immer wieder machen müssen.

Und dann.. gibt es halt auch noch Gesetze

Auch wenn sie etwas anderes sagen – aber hey, Nazis lügen, wow – viele der Dinge, von denen Rechtsextremist:innen gerade träumen, dass sie dann auf Twitter wieder sagen dürfen sind tatsächlich halt nicht erlaubt. Und ob man seine Meute auf eine Kinderarztpraxis hetzen darf, weil die Kinder gegen Masern impft, oder ob man Hass-Pranger auf Twitter erstellen darf, das finden wir demnächst heraus. Gerade gestern hat der Bundestag den Volksverhetzung-Paragraphen um die Leugnung von Kriegsverbrechen erweitert. Wenn das auch eine eher symbolische Änderung war, wie ein Rechtsprofessor für uns analysiert hat.

Und ich möchte gar nicht erst davon anfangen, was Elon Musk eigentlich machen will, wenn zum Beispiel die iranische oder die chinesische Regierung ankommen mit Forderungen an Musk, bestimmte Dinge zu löschen. Darf man ungestört über Gewerkschaften bei Tesla sprechen? Was, wenn China auf Musk Druck ausübt, Kritik am Völkermord an den Uiguren zu zensieren & mit der Enteignung seiner dortigen Tesla-Fabriken droht? Wird man wieder die Lügen-Schleudernden russischen Staatsaccounts über die Twitter-Suche finden? Elon Musk weiß noch gar nicht, was er sich da eingebrockt hat.

Wir werden sehen

Die grundlegende Wahrheit ist, dass der Kern jeder Plattform darin liegt, wie sie ihren Content moderiert. Und zu sagen, was illegal ist, wird gebannt, alles andere nicht, scheitert an beiden Enden des Spektrums. Was wenn auch legale Sachen die Plattform unnutzbar machen und was wenn der Kampf um die Freiheit, die Wahrheit oder bestimmte Meinungen von autoritären Staaten verboten wird? Die Wahrheit ist, dass „Gesetz“ alleine nicht die Richtlinie sein kann. Und selbst diese wird den rechten Trollen nicht gefallen.

Die Moderation der Beiträge macht eine Plattform erst nutzbar, unterhaltsam, produktiv – und werbefreundlich. Musk wird entweder Twitter ruinieren – finanziell ebenso wie in Sachen Nutzerzahl – oder er wird sein großes Gerede nicht einhalten können. In beiden Fällen können die rechten Trolle, die sich jetzt hämisch freuen, das gerne tun. Ist ein freies Land. Es ist zwar noch nichts passiert, aber ihr könnt die „Linken“ und Faktencheck-Seiten gerne auslachen. Doch wer zu Letzt lacht…

Artikelbild: Sergei Elagin