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Kein Scherz: Elon Musk eigener Tweet bekam einen Faktencheck auf Twitter

von | Nov 5, 2022 | Aktuelles

Ich habe erst vor wenigen Tagen einen Artikel verfasst (und ein Video), in welchem ich davor gewarnt habe, zu sehr auf den Hype vom Twitterkauf durch Elon Musk herein zu fallen. Weder dürfte Twitter zu der faschistischen Utopie werden, in welcher alle Andersdenkenden gebannt werden, während Hass und Lügen ungestört stehen bleiben dürfen, wie sich extreme Rechte erhofften, noch weiß Elon Musk, was er da überhaupt verspricht und ob es überhaupt umsetzbar ist.

Ich hätte nicht gedacht, dass ich so bestätigt werden würde. Am Freitag verkündete der „Chief Twit“ selbst auf seiner Plattform, dass Twitter gerade massiv Geld verliert. Laut Musk sollen es 4 Millionen Dollar am Tag sein. Viele spüren die große Abwanderung von Follower:innen. Wir haben unsere Reichweite auf Mastodon enorm gesteigert, und nur unterm Strich mehr Follower auf Twitter, weil uns viele jetzt extra dort folgen, um die Fake News besser bekämpfen zu können. (Könnt ihr im übrigen gerne auch machen, wenn ihr [noch] da seid).

Elon Musk verbreitet Verschwörungsmythen

Dass Elon Musk Teil des Problems ist und es nicht einmal checkt, ist auf mehreren Ebenen wahr. Aber allen voran darin, dass er halt oft falsch liegt und keine Ahnung hat, aber trotzdem sich seiner Verantwortung nicht bewusst ist und so Desinformation verbreitet. Kaum ist er alleiniger Twitter-Entscheider geworden, verbreitet er schon Verschwörungsmythen. Und nein, ich meine nicht (nur) seine rechtsextreme Verschwörungsstory über den rechten Anschlag auf die US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi.

Nein, ganz im Trump-Stil twitterte der Aluhut-Milliardär, dass er genau wisse, warum Twitter gerade so viel Einnahmen verliere: Wegen der „Aktivistengruppen“, die „freie Meinungsäußerung“ „hassen“. Und das, obwohl er noch nichts an der Plattform geändert habe. Alles klar, Elon. Natürlich sind wieder mal alle anderen Schuld. Er realisiert nämlich nicht, dass sich sehr wohl etwas geändert hat: Nämlich wer der Chef der Plattform ist. Und, ihr wisst, massiv Leute feuert gerade.

Faktencheck Auf Twitter

Denn nicht ominöse, freiheitshassende Aktivist:innen sorgen dafür, dass große Firmen ihre Werbung von Twitter (vorläufig) abziehen, wie VW zum Beispiel. Oder General Mills, Pfizer und andere. Sondern weil Elon Musk buchstäblich angekündigt hat, die Richtlinien der Plattformen zu ändern. Und wie ich letzte Woche bereits angekündigt hatte, große Firmen hassen nichts mehr, als ihre Marke mit geschäftsschädigendem Content in Verbindung zu sehen. Das hat VW zum Beispiel erklärt als Grund. Wenn „Aktivistengruppen“ so leicht Druck erzeugen könnten, das wär ja mal was.

Alle Firmen geben das als Grund an: Der Grund ist, dass Elon eben ändern will, was wir auf der Plattform sehen werden (dürfen). Das ist buchstäblich die direkte Folge seiner eigenen Ankündigungen! Das ist der freie Markt, der regelt! Und das ist das, was nicht nur ich, sondern viele andere vorhergesehen haben, aber nicht der reichste Mann der Welt. Und anstatt mal sich zu reflektieren, erfindet er ominöse böse Kräfte, die dafür verantwortlich sind. Die Hundepfeife für extreme Rechte ist klar. Das scheint ihm aber nicht zu gefallen.

Umso lustiger, dass trotz der massiven Entlassungen auch bei der Content-Moderation, gestern Elon Musks eigener Tweet in den USA für kurze Zeit einen Faktencheck auf Twitter durch das Twitter-Tool Birdwatch erhielt. Genau das wurde als „zusätzlicher Kontext“ zu Elons Tweet hinzugefügt: „Leser fügten den Kontext hinzu, von dem sie dachten, dass die Leute ihn wissen wollen“, hieß es in der Erklärung, und fügten mehrere Links zu Berichten über Werbetreibende hinzu, die „aufgrund von Bedenken hinsichtlich der Ausrichtung der Twitter-Plattform, insbesondere in Bezug auf die Moderation von Inhalten, Anzeigenkäufe aussetzen oder stornieren“.

Faktencheck war aber schnell wieder weg – warum?

Der (richtige!) Kontext-Hinweis verschwand kurz darauf jedoch wieder und es ist erstmal nicht klar, wieso. Kam die Meldung, dass Chief Twit gefälligst ungestört Desinformation verbreiten sollen dürfe? Nochmal: Elon Musk kündigt an, seine Content Moderation zu ändern. Kein Wunder, dass auch Toyota und viele andere erklären, kurzfristig Werbung zu pausieren.

Und es stimmt ja auch nicht, dass noch nichts passiert wäre. Die Richtlinien seien vielleicht noch nicht geändert worden, aber rate mal, was eher NICHT durchgesetzt werden kann, wenn du alle Mitarbeitenden aussperrst oder feuerst, die diese Richtlinien umsetzen sollen. Wissenschaftler:innen zeigen einen starken Anstieg an Hassrede, auch wenn Musk das mitsamt Presse-Schelte geschickt leugnet (Er sagt, „an manchen Zeiten“ sei Hassrede unter Vor-Musk-Niveau gesunken. Das mag sogar wahr sein, widerlegt aber nichts, wenn im Schnitt der Hass zugenommen hat.)

Anwalt Chan-jo Jun, der gerade einen Prozess gegen Twitter vorbereitet, um gegen Twitter die Löschung von strafbaren Inhalten zu forcieren, erklärt: Wenn Twitter gerade nicht moderiert, und illegale Inhalte nach dem NetzDG stehen lässt, könnten massive Bußgelder fällig werden.

Elon Musks Alptraum

Esbestätigt sich, dass Werbetreibende halt nicht gerne ihren Content neben Hassrede sehen. Das ist nicht böse Cancel Culture, sondern der freie Markt. Und man muss die Contentrichtlinien auch nicht ändern, wenn man diejenigen feuert, die sie forcieren sollen, damit Hassrede schon jetzt zunimmt.

Man kann Elon Musk auf Twitter live zuschauen, wie er in Echtzeit ins Schwimmen gerät und Lektionen lernt, die allgemein bekannt waren. Elon Musk ist schließlich nicht der erste, der sich gefragt hat, ob man Social Media irgendwie besser machen kann. Wer nicht hören will, muss zahlen. Warten wir mal ab, welche offensichtliche Lektion Elon Musk als nächstes lernt, und wie viel er in der Zwischenzeit kaputt machen kann. Anstatt eine bessere Plattform anzubieten, will Elon Musk aber stattdessen die Firmen anprangern, die (vorerst) keine Werbung mehr bei Twitter schalten. Firmen mit Schikane drohen und so zwingen wollen, ihm Geld zu geben (Hey, ich dachte die Aktivisten sind Schuld?). So viel zum freien Markt und freier Meinung. Das kann ja heiter werden.

Änderungshinweis 7.11.: Wir haben einige Stellen angepasst, da Birdwatch zwar ein Tool von Twitter ist, der ergänzende Kontext jedoch von der Community eingerichtet wurde. Der Faktencheck also nicht durch einen Twitter-Mitarbeiter durchgeführt wurde.

Artikelbild: thongyhod