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Täter-Opfer-Umkehr: Die Enkel, die den Kontakt zu den rassistischen Großeltern abbrechen

von | Sep 11, 2019 | Aktuelles, Kolumnen, Schwer verpetzt

Wer grenzt hier wen aus?

Vor wenigen Tagen gab es auf Twitter wieder einmal die Diskussion, ob man AfD-Wähler diskriminiert und ausgrenzt. Diesmal ging es um die bösen Enkel, die den Kontakt zu ihren Großeltern abbrechen. Beinahe jeder AfD-Wähler hat den Opfer-Mythos seiner Partei übernommen.

Die eigene Opferinszenierung ist ein essentieller Bestandteil (krypto-)faschistischer Parteien und rechtsextremer Gruppen und ist ein fester Bestandteil dieser Weltanschauung. Nicht nur werden echte Benachteiligungen jeglicher Art ausgeschlachtet, über eigene Fehler wird gelogen:

Eklat in Berlin: Wie die AfD ihre eigenen Fehler nutzt, um sich als Opfer darzustellen

Und manchmal werden die Diskriminierungen auch gleich vollkommen gestellt:

Was für „Opfer“: „Identitäre Bewegung“ inszeniert eigenen „Rauswurf“

Um kurz auf das „Warum“ zu sprechen zu kommen: Um die Anhängerschaft fester an sich zu binden, um den politischen Gegner zu dämonisieren. Und um seine Anhänger stärker zu mobilisieren. Wer ein Unrecht verspürt, wird dagegen ankämpfen. Und wie man schon lange gesehen hat, oft mit Gewalt. Aber halten wir fest: Dass AfD-Wähler denken, sie werden ausgegrenzt, ist fast allgemeingültig – und vollkommen in ihren Sinne.



Respekt an die enkel

Auf die Frage eines ZEIT-Journalisten, ob jemand „wegen seiner Meinung“ bereits berufliche Nachteile erfahren habe, fiel diese Antwort:

„Es geht nicht nur um berufliche Nachteile. Es geht bis ins Familiäre. Mir haben schon zwei Rentner erzählt, mit den Tränen kämpfend, dass ihre Enkel den Kontakt mit ihnen abgebrochen haben, weil sie Sympathien für die AfD haben. Was für eine vergiftete Atmosphäre in unserem Land!“

Die armen Großeltern, sie wählen doch einfach nur eine in großen Teilen rechtsextreme Partei, die bereits teilweise vom Verfassungsschutz beobachtet wird, und dafür werden sie diskriminiert. Es vergiftet die Atmosphäre in unserem Land, wenn man mit Menschen, die regelmäßig Lügen und Falschdarstellungen verbreiten, um ihre politischen Gegner und Minderheiten zu dämonisieren, den Kontakt abbricht?

Um Anna Aridzanjan zu zitieren: „Wenn Enkel den Kontakt zu Großeltern abbrechen, weil diese eine rassistische, menschenverachtende Partei knorke finden, ist das keine vergiftete Atmosphäre, sondern ihr gutes Recht und ihre freie Entscheidung. Die Atmosphäre vergiften nicht die Enkel, sondern die Nazis.“ Anders herum wird ein Schuh daraus.

Ausgrenzung muss teil einer freien gesellschaft sein

Bei dieser Zwischenüberschrift sehe ich schon die rechtsextremen Trolle geifern. „Höhö“, denken sie sich,  „diese linksgrünen Faschisten spucken auf ihre liberalen Werte und die Meinungsfreiheit!“. Aber das ist pure Heuchelei und absichtliche Ignoranz. Denn eine liberale Demokratie muss diejenigen ausgrenzen, die sich nicht an die Spielregeln von Fairness und Ehrlichkeit halten. Diejenigen, die intolerant sind, dürfen nicht toleriert werden. Das ist keine Heuchelei, sondern ein Widerspruch, der wesentlicher Bestandteil einer offenen Gesellschaft sein muss.

Dieses „Toleranz-Paradoxon“ wurde bereits von Karl Popper 1945 beschrieben und ist seitdem eine Selbstverständlichkeit. Wer sich erinnern mag, was 1945 passiert ist, weiß auch um die Hintergründe. Denn Menschen, die den rationalen Diskurs verweigern, indem sie absichtlich Lügen und Dinge falsch darstellen und die zur Gewalt gegen Andersdenkende aufrufen und diese ausüben, haben ihren Platz im freiheitlich-demokratischen Diskurs nun mal verspielt. Sie haben sich selbst ausgeschlossen.

Wer darauf pocht, mitzuspielen, nur um dann die Regeln zu brechen, muss ausgeschlossen werden. Denn er macht das Spiel kaputt. Und wer unpolitische Straftaten und ihre Opfer schamlos instrumentalisiert, Lügen und Falschdarstellungen über politische Gegner verbreitet und zu Gewalt aufruft, diese gutheißt oder ignoriert und wessen Anhängern in unvergleichbarem Ausmaß Straftaten verübt und sogar Menschen ermorden, auf den trifft das zu.

Aber die Großeltern haben vor 10 Jahren noch CDU gewählt…!

An dieser Stelle kommt dann die Ablenkung. Das ist doch alles nur die böse Nazi-Keule, und die AfD ist eine „bürgerliche Partei“, und überhaupt, die armen Großeltern wollen doch nur eine Partei wählen, wie es die CDU vor 10 Jahren war. Aber dann frage ich mich, wieso sie die AfD wählen. Denn die Großeltern müssen keine Nazis sein, um die AfD zu wählen. Aber die AfD beherbergt zu großen Teilen Menschen mit rechtsextremen Einstellungen und distanziert sich nicht davon, und stellt sie sogar als Spitzenkandidaten auf.

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So war die CDU auch vor 10 Jahren nicht. Vor 10 Jahren war Merkel übrigens auch schon jahrelang Kanzlerin und Parteichefin. Entweder wissen die Großeltern das nicht – und dann wählen sie die falsche Partei – oder sie wissen es und es ist ihnen egal. In allen Fällen bekommen Faschisten Stimmen. Und dafür gibt es keine Entschuldigung. Ohnehin ist die Ausrede des „Protestwählens“ sowieso schon lange überholt und widerlegt (Mehr dazu). Wer die AfD wählt, wählt auch Nazis. Und wer darin kein Problem sieht oder darin das kleinere Übel, ist Teil des Problems.

Wer die AfD wählt, stärkt unabsichtlich oder wahrscheinlicher absichtlich eine Partei, die die Atmosphäre des Landes vergiftet, indem sie kategorisch Lügen und Falschdarstellung verbreitet, politische Gegner und Minderheiten dämonisiert und auffällig viele Sympathien für den Nationalsozialismus zeigt. Wer dafür den Kontakt zu seinen Enkeln verliert, ist hier nicht das Opfer. Sondern der Täter. Oder zumindest dessen williger Helfer. Wer damit nichts mehr zu tun haben möchte, das ist dessen gutes Recht und dessen Freiheit, die niemand einschränken darf.

Artikelbild: Ruslan Huzau, shutterstock.com