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Tödlicher Messerangriff in Hannover: Wo ist der Trauermarsch der AfD?

von | Nov 12, 2018 | Kolumnen, Politik, Schwer verpetzt, Social Media

Wo sind die Reaktionen?

Heute morgen erfuhr ich eher durch Zufall, dass gestern morgen tragischerweise ein Mann nach einem Messerangriff seinen Verletzungen erlegen ist. Schweren Herzens malte ich mir aus, dass die rechte Hetzmaschinerie wieder heiß läuft: Ein AfDler postet wieder ein „ironisches“ „Wir schaffen das!“ mit einem Screenshot zur Meldung, wie Alice Weidel bei dem mutmaßlich von Rechtsextremen begangenen ICE-Anschlag oder Beatrix von Storch bei der Münster-Amokfahrt (von einem Deutschen, falls da Unklarheiten bestanden).

Ich regte mich darüber auf, dass mir keine Zeit bleibt, traurig über einen Toten zu sein. Sondern dass ich gleich im nächsten Schritt über die Herkunft des Täters nachdenken muss. Dass die AfD den Diskurs soweit vergiftet hat. Wie immer recherchierte ich nach den Reaktionen auf die Tat. Und fand: Nichts. Artikel zum Thema: Nur eine handvoll. Außer BILD, FOCUS und WELT berichtete eigentlich keine große Zeitung über den Messerangriff. AfD-Reaktionen: Null. Selbst in den geheimen rechten Gruppen kein Wort dazu. Warum plötzlich?



Gesuchter Täter hat „BLonde Haare“

Ich meine, versteht mich nicht falsch. Ich bin froh, dass eine Tragödie ausnahmsweise mal eine Tragödie sein kann, ohne dass irgendjemand sie instrumentalisiert. Im Schnitt gibt es jeden Tag ein Opfer eines vollendeten Mords oder Totschlags, so eine Meldung ist leider immer noch buchstäblich alltäglich. Und dabei sind diese Taten auf einem historisch niedrigen Niveau, zum Glück.

Ursprünglich hatte ich mir überlegt, die Instrumentalisierung solcher Taten – egal ob durch Rechte, oder wen auch immer – in diesem Artikel kritisieren. Aber dann kam es gar keine Reaktionen zum Messerangriff. Von niemandem. Was ja gut ist. Aber dann stellte ich fest, dass die Polizei nach einem Tatverdächtigen mit „blonden, gewellten Haaren“ sucht. Ist das euer Ernst?

Oh, der Täter war blond. Fall abgeschlossen. Meldung nicht weiter interessant? Ich beschwere mich wirklich nicht, dass der Fall nicht instrumentalisiert wird. Das ist sehr gut. Aber genau hier liegt doch auch das Problem: Solange der Täter nicht für ein politischen Ausschlachten taugt, ist der Messerangriff und das Opfer völlig uninteressant. Weder für die Medien, noch für die AfD. Einen Trauermarsch gibt es nur, wenn dein Täter keine blonden Haare hat anscheinend.

Braucht es mehr Beweise?

Natürlich meint die AfD nicht, dass sie irgendetwas instrumentalisiere. Für sie gibt es eine „Messer-Migration“. Dass bei 80% der Fälle, die sie auf ihrer eigenen Seite aufzählt, der Täter kein Mensch mit Migrationshintergrund war, sondern unbekannt, ist ihnen egal. Das hindert ja sonst nicht daran, eine Tat zu instrumentalisieren. Wenn der Täter blonde Haare hat, aber anscheinend schon.

UPDATE: So dreist belügt die AfD uns über angebliche Messerangriffe

Übrigens, weil es bereits vorgekommen ist: Sollte sich in einigen Tagen oder Wochen doch herausstellen, dass der mutmaßliche Täter einen Migrationshintergrund hat, wird sofort die Diskussion beginnen. Versprochen. Im Gegenteil, sie werden sogar empört rufen, warum es zuvor „verschwiegen“ wurde. Genau so war es bei der Vergewaltigung in Freiburg. Erst 9 Tage nach der Tag begann die Empörung in rechten Kreisen. Und zwar keine 3 Stunden nachdem die Herkunft der Täter bekannt wurde.

So feiern Rechte die Gruppenvergewaltigung in Freiburg – Euer Ernst?

„Woher kommt der Täter?“

„Woher kommt der Täter?“ – Die erste Frage bei jeder Tragödie. Inzwischen stelle ich sie mir auch. Und es kotzt mich an. Herzlichen Glückwunsch, AfD. Du hast es geschafft. Egal ob Fans oder Feinde, alle denken nur noch wie ein AfDler. Wo Herkunft für eine Verteufelung oder Schadenfreude entscheidend ist. Wenn gerade ein Mensch gestorben ist. Wenn nur noch ein „anderer, nicht-deutscher“ Täter Schlagzeilen machen kann.

Wenn ein Mensch gestorben ist, kann es nicht darum gehen, anhand der Haarfarbe des Täters Seitenhiebe zum politischen „Gegner“ zu verteilen. Und ja, ich weiß, indem ich auch darüber schreibe, kann man mir auch „Instrumentalisierung“ vorwerfen. Und ein „Ätsch, es war doch nur ein Deutscher!“ ist natürlich keinen Deut besser. Aber vielleicht können wir ja jetzt mal über das Thema reden, wenn gerade keine heftige Aufregung in den Kommentarspalten tobt.

Das Problem ist weniger, dass solche Taten passieren. Das haben sie schon immer und historisch betrachtet niemals weniger als jetzt. Zum Glück. Aber dass zunächst die in Deutschland lebenden Menschen und sogar die Deutschen selbst in „Wir“ und „Die“ aufgeteilt wurden. Und nur die Taten der eine Gruppe interessant genug sind, um über sie zu berichten. Und blonde Täter völlig egal sind. Wo ist der ernst gemeinte Trauermarsch für diesen Toten? 

Artikelbild: pixabay.com, CC0