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„Indianer“-Kostüm: Warum anscheinend niemand mehr rational diskutieren kann

von | Mrz 8, 2019 | Aktuelles, Kolumnen, Schwer verpetzt

Ein Nachtrag

Gestern habe ich versucht, einen kurzen, sachlichen Überblick zu einem eigentlich doch seltsamen Diskussionsthema zu geben. In diesem Artikel (Hier) habe ich versucht, zwischen Fakt und Fake bei der „Indianer-Kostüm-Debatte“ zu unterscheiden. Ich habe es mit voller Absicht „Pseudo-Debatte“ genannt, weil allein die Tatsache, dass Teile der Öffentlichkeit so vehement darüber streiten, wie sich Kinder an Fasching anziehen dürfen oder nicht, schon seltsam ist.

Nochmal kurz zusammengefasst: Trotz gegenteiliger (Falsch-)Meldungen verschiedener Zeitungen wie BILD und Hamburger Morgenpost hat keine Kita das Verkleiden als „Indianer“ verboten. In zwei Kitas von über 900 in Hamburg gab es ein internes (!) Schreiben, das auf die Problematik hinter dem historisch und klischeehaft aufgeladenen Stereotyp hinwies und darum bat (!), sich vielleicht eine andere Kostüm-Idee zu suchen.

Ich habe kritisiert, dass anstatt die Debatte an dieser differenzierten Darstellung anzusetzen und darüber zu diskutieren, inwiefern so ein Kostüm problematisch sein kann, angeheizt durch die (Sozialen) Medien über ein Verbot diskutiert wird, das niemand gefordert hatte. Aber irgendwie führte das zu genau diesen Diskussionen unter meinem Artikel. Warum? Weil es in diesen Diskussionen eigentlich gar nicht um die Fakten geht.



Der „Die übertreiben total“-Reflex

Es geht überhaupt nicht um dieses Kostüm oder irgendwelche Verbote. Das sind nur Platzhalter, die alle paar Tage wieder ausgetauscht werden. Davor war es der Inter*Sex-Personen Witz der CDU-Vorsitzenden Kramp-Karrenbauer (Mehr dazu), dazwischen Schulstreiks, dann wieder Fahrverbote, Veggie-Day und so weiter. Am Ende geht es doch immer um „Das wird man doch wohl noch sagen/machen dürfen!“

Es sind Symptome einer sich verändernden Welt. Und der Unwillen einiger Teile davon, damit klar zu kommen und gleichzeitig der Versuch anderer Teile, sich daran anzupassen. Egal, ob man zu denjenigen gehört, die nicht verstehen können, warum Dinge, die sie für völlig normal erachten, plötzlich falsch sein sollen, oder zu denjenigen, die sich verändern wollen, um „das Richtige“ zu tun, wir alle ringen mit der Welt. Und verteidigen unser Weltbild, unabhängig davon, ob die Realität zu unseren Argumenten passt oder nicht.

Ich gebe zu, ich gehöre eher zur zweiten Gruppe. Aber wir alle nutzen Empörung. Die einen empören sich, wie „bescheuert“ es ist, dass man glaubt, dass einige ein Verbot von „Indianer“-Kostümen fordern, und die anderen empören sich, dass jetzt Leute mit Absicht genau solche Kostüme anziehen werden. Als ob sie dadurch irgendwas beweisen müssten. Als ob der freiwillige Verzicht auf eine (und seien wir mal ehrlich – völlig ausgelutschte -) Kostümidee einen so großen Freiheitsverlust darstellen würde.

Alle argumentieren für die Freiheit

Wir diskutieren eigentlich immer nur über die individuelle Freiheit. Dass manche auf ihr vermeintliches Recht pochen, 240 km/h zu fahren oder einmal in 10 Jahren ein „Indianer“-Kostüm zu Fasching anzuziehen… weird flex, but ok. Andere würden argumentieren, dass Rücksicht auf historisch einem Völkermord zum Opfer gefallenen Ethnien niemandem weh tut und dass langsameres Fahren sicherer und spritsparender sei und damit doch im Interesse von allen.

Der Reflex ist die jeweilige Einstellung, was man denn als wichtiger erachtet. Ich persönlich denke, bevor ich Menschen mit indigener Abstammung verletze, zieh ich halt lieber was anderes an. Schadet mir ja nicht. Aber dann wiederum lebe ich in keiner (digitalen) Welt, in der ich von Influencern von BILD bis zum Nazi-Blog erzählt bekomme, dass es die „Linksgrünen“ auf mich abgesehen haben und mir alles wegnehmen wollen, was mir lieb ist. Wegen dem Islam oder irgendwie so.

In den Kommentaren zu meinem Artikel las ich häufig etwas wie. „Ja, selbst wenn kein Verbot gefordert wurde, das ist doch trotzdem noch völlig übertrieben von der Kita!“ Und ich meine, ich will nicht sagen, dass der Standpunkt der Kita über jede Kritik erhaben ist. Aber hey, es war nur eine interne Bitte um Rücksicht und ein Versuch der Sensibilisierung für das Thema. Es war nicht dazu gedacht, als „Indianer“ verkleidete Kinder auszuschließen, und auch nicht, dass es an die Öffentlichkeit geleakt wird. „Übertrieben“ sieht für mich anders aus.

Können wir uns einfach alle einfach mal Zeit nehmen, um den anderen ernst zu nehmen?

Ich weiß, es ist der Reflex, dass man das Gefühl hat, man wird angegriffen. Man war als Kind als „Indianer“ verkleidet und allein die vage Unterstellung, dass darin ein Problem liegt, greift das persönliche Verständnis von einem Selbst an. Und bedroht das eigene Weltbild. Ich versteh das. Andersrum funktioniert das auch so. Ich habe letzten Monat fast schon widerwillig darauf hinweisen müssen, dass Jens Spahn in einem Tweet (ausnahmsweise mal) auch was Sinnvolles gesagt hat. Obwohl meine Filterblase ihn fast schon aus Gewohnheit kritisierte (Mehr dazu).

Das Grundproblem liegt meiner Meinung nach darin, dass wir unsere vorgefertigten Meinungen über Personen oder vermeintlich dahinterstehende Ideologien der sachlichen Einschätzung zuvorkommen lassen. Das Kostüm ist entweder absolut unschuldig oder ein „politisch inkorrekter“ Affront. Kein Platz für eine ganze Wissenschaft, die dazwischen passt. Manchmal sollten wir vielleicht unsere ganzen Vorurteile ablegen, auch wenn es sehr schwer fällt. Dazu fand ich diesen Kommentar zu meinem Artikel sehr schön.

Screenshot facebook.com, Danke für den Kommentar!

Es ist kompliziert. Wie gesagt, ich würde Erwachsenen empfehlen, lieber aus Rücksicht auf so ein Kostüm zu verzichten. Kostet ja nichts. Wenn man Kindern die Möglichkeit gibt, sich differenziert mit dem Thema auseinanderzusetzen und das vielleicht als Lehrstunde in Geschichte zu nehmen, ist das sicherlich auch ein positiver Beitrag. Rassistisch tradierte und historisch falsche Klischees unkritisch an Kinder weiterzugeben ist daher wiederum problematisch. Und nein, das trifft nicht im gleichen Maße auf „den Cowboy“ zu. Aber von einem Verbot hat trotzdem keiner gesprochen.

Nur von Rücksicht. Und ist es wirklich schon „zu viel“, ist das diese böse „politische Korrektheit“, auf andere Rücksicht zu nehmen? Ja, früher war manches anders. Noch früher noch mehr. Wir sind mit dem vertraut, womit wir aufgewachsen sind. Egal, ob das Aufwachsen vor 15 oder 45 Jahren war. Der Schlüssel zum gegenseitigen Verständnis ist Respekt und Rücksicht. Vielleicht versteht ihr die „Linksgrünen“ besser, wenn ihr einmal ihr Kostüm anprobiert.

Artikelbild: S.Borisov, shutterstock.com