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Ich hab‘ keinen Bock mehr auf Flüchtlinge

von | Feb 26, 2019 | Kolumnen, Politik, Schwer verpetzt

Ich hab es einfach satt, immer noch mit Rechten zu diskutieren

Jetzt geht das vierte Jahr ins Land, in dem wir über Flüchtlinge diskutieren. Spätestens seit der so genannten Flüchtlingskrise von 2015 ging es in der Öffentlichkeit nie so lange und konsequent um das Asylrecht und Schutzsuchende. Nach der Aufnahme von 800.000 Menschen 2015 und den Schwierigkeiten, die damit einhergingen, verstehe ich das ja noch. Aber dann begannen viele Medien – manche versehentlich, und andere, wie die BILD mit Absicht – pausenlos regelrecht fremdenfeindliche Untergangsszenarien zu malen.

Mit rassistischen Grenzüberschreitungen mobilisierte vor allem die AfD den Teil der Bevölkerung, der für diese Aussagen empfänglich war und radikalisierte sich und sie. Jede Meldung einer echten oder erfundenen Straftat eines Schutzsuchenden wurde durch die Presse gejagt, und das zu einer Zeit, in der es in Deutschland so wenig Straftaten gab wie seit 1992 nicht mehr (Mehr dazu).

Als Folge der eskalierenden Fremdenfeindlichkeit wurde genau wie vor 25 Jahren das Asylrecht zwei mal noch weiter verschärft (Mehr dazu), auf europäischer Ebene wurde die Rettung von Schiffbrüchigen durch die Regierung zuerst eingestellt, und dann die private Seenotrettung mit rechtlichen Tricks behindert (Mehr dazu). Inzwischen kommen kaum noch Schutzsuchende in Deutschland und der EU an (Mehr dazu). Was nicht heißt, dass nicht noch Menschen auf der Flucht sind. Weltweit sind das fast 70 Millionen Menschen, so viele wie niemals zuvor (Quelle).



Mir steht die debatte bis zum hals

Und ich kann es nicht mehr hören. Ein kleiner Anteil der Bevölkerung hatte schon immer ein geschlossen rechtsextremes Weltbild, und die Anzahl an Menschen, die fremdenfeindliche Einstellungen haben, lag schon immer circa zwischen 20 und 25% (Extremismus-Studien). Die halten Flüchtlinge jetzt halt für den Untergang Deutschlands und Frau Merkel für die Antichristin. Und wählen zur Hälfte AfD. Warum der ganze Rest Deutschlands sich mit diesem rechten Steckenpferd beschäftigen muss, bleibt mir aber ein Rätsel.

Flüchtlinge und „der Islam“. Jeder dritte Deutsche hat Vorurteile gegenüber Muslimen (Quelle). Meine Güte, wir haben 6% Muslime im Land. Ungefähr genau so viele wie Nazis übrigens. Mir ist eigentlich völlig egal, ob Islamisten ihren Terror mit ihrer Religion begründen und wie legitim das ist und so weiter. Das ist keine Diskussion, die wir als Gesellschaft führen müssen. Meinen Alltag betrifft das Null. Die Burka sieht man hierzulande eigentlich gar nicht. Außer auf der Titelseite der BILD. Und entgegen der krassen Fehleinschätzung vieler Menschen aufgrund der Über-Berichterstattung ist auch islamistischer Terror kein wirklich akutes Problem für Deutschland. Irak, Afghanistan und Nigeria lachen uns quasi aus (Mehr dazu).

Legitime Religionskritik hin oder her, diese Diskussion haben Muslime und mehrheitlich muslimische Staaten zu führen. Haben wir in Deutschland nichts wichtigeres zu tun, als uns über polarisierenden Schlagzeilen in Leitmedien die Köpfe einzuschlagen und die x-te Talkshow darüber zu bringen (Mehr dazu)? Vor allem, da es am Ende doch sowieso meistens nur um Fremdenfeindlichkeit geht. Können wir endlich als Gesellschaft einsehen, dass diese bescheuerte Hysterie nichts weiter ist als das und weiterziehen? Ich meine, natürlich soll auch darüber geredet werden, aber ist das echt das größte Problem?!

EU und Marktradikaler Kapitalismus

Ich will endlich über Themen reden, die wirklich für mich relevant sind. Lasst uns über die Zukunft der EU reden. Wir haben demnächst Wahlen, bei welchen voraussichtlich ein großer Teil an Leuten gewählt wird, die dieses Parlament abschaffen wollen. Wie können wir in Europa besser zusammenarbeiten, um Steuerflucht, wachsende Ungleichheit und ja, vielleicht auch das Problem von fliehenden Menschen zu lösen? Bisher arbeiten rechtsextreme Kräfte von innen und außen lediglich nur hart daran, dieses wichtige Instrument zu zerstören. Der Brexit dienedien prominentestes Beispiel.

Können wir über die immer weiter wachsende Ungleichheit reden? Fast jeder 5. Deutsche ist von Armut bedroht (Quelle), die Mieten explodieren (Quelle) und die Realeinkommen der arbeitenden Deutschen sind in den letzte 25 Jahren quasi nicht gestiegen (Quelle). Währenddessen besitzen die 45 reichsten Deutschen mehr Vermögen als die Hälfte der übrigen Bevölkerung und ist die Zahl der Millionäre in den letzten zehn Jahren um fast 60 Prozent gestiegen (Quelle).

Und unsere von ungehemmtem Lobbyismus zerfressene Demokratie ist dabei, die Steuern für Reiche immer weiter zu senken und gleichzeitig den Sozialstaat immer weiter abzubauen. Dabei ist der Mythos vom völlig deregulierten Markt genau so eine Fantasie wie der Kommunismus, die beide an der Gier des Menschen scheitern. Wir haben nicht einmal ein Lobbyregister dank der Groko. (Mit Jamaika hätte es das gegeben.)

Und natürlich die verdammte klimakrise

Ich möchte über klimaneutrale Innovationen reden, über Anreize von Autos, Kohle und Fleisch wegzukommen. Ich möchte darüber reden, wie wir jetzt drastische Maßnahmen gegen Emissionen umsetzen können, am besten nicht auf Kosten der Verbraucher. Und am besten nicht dabei von milliardenschweren Unternehmen behindert zu werden, die Fortschritt ausbremsen oder sich durch schwachsinnige Subventionen und „Entschädigungen“ die notwendigen Maßnahmen bezahlen lassen.

Auf unserem Blog haben wir jetzt quasi vier Jahre lang über Flüchtlinge reden müssen. Und zwar nicht, weil wir dabei so viel Spaß hatten, sondern weil die ganze Gesellschaft um uns verrückt geworden ist und irgendwelchen rechten Hirngespinsten hinterhergejagt ist, die jede sinnvolle Diskussion auf immer das gleiche Thema lenkte. Oh, Altersarmut? Bestimmt Flüchtlinge schuld! Oh, Arbeitslose? Flüchtlinge nehmen uns die Jobs weg! Oh, Fachkräftemangel? Flüchtlinge! Egal, wie widersprüchlich das rechte Gesamtbild am Ende war.

Wir müssen über die Zukunft reden

Wir haben jetzt fast 4 Jahre das Unkraut dieses Schwachsinns herausreißen müssen. Die AfD zerstört sich gerade über ihrer immer weiter ausufernden Spendenaffäre, sowie den inneren Richtungsstreits über ihre Faschisten in ihren Reihen (Mehr dazu) selbst. Das sollten wir nutzen und heimlich den Diskurs weiterbewegen. Greta Thunberg und die #FridaysForFuture-Demos haben damit schon angefangen (Mehr dazu).

Die Deutschen mögen Stabilität, deswegen gibt es heute Kinder, die aufs Gymnasium kommen, die nie eine andere Kanzlerin als Merkel erlebt haben. Aber die gefühlt hundertste Groko verwaltet ein Deutschland, das nicht einmal für die gegenwärtigen Probleme gewappnet ist, geschweige denn für die nächsten 20 Jahre. Kein Wunder, dass es so viel Frust in der Bevölkerung gibt.

Es wird Zeit, dass wir anfangen, in dem Beet des öffentlichen Diskurses endlich eigene Blumen zu pflanzen. Dass wir unsere Themen nicht mehr von rechten Spinnern diktieren lassen. Dass wir aufhören, auf fremdenfeindliche Idioten und Klimawandelleugner zu hören und ihnen keine Bühne mehr bieten. Kümmern wir uns um unsere Wohnungen, um die Klimakrise, unsere Löhne, unsere Bildung und unsere Gesundheit und Renten. Und nicht mehr um Flüchtlinge.

Artikelbild: pixabay.com, CC0