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Abrechnung mit „Aber Nichtdeutsche sind überdurchschnittlich kriminell!“

von | Aug 2, 2019 | Aktuelles, Kolumnen, Schwer verpetzt

Sind Nichtdeutsche überdurchschnittlich kriminell?

Wer diese Tage über Kriminalität spricht, erwähnt meistens Flüchtlinge, Nichtdeutsche oder Menschen mit Migrationshintergrund. Dabei wird immer wieder mit einer aktuelles Tragödie argumentiert oder manchmal auch eine Statistik hergenommen. Es ist wichtig zu wissen, dass diese Menschen beliebig zwischen den drei Einteilungen „Flüchtling“, „Nichtdeutscher“ und „Migrationshintergrund“ hin- und herwechseln. Obwohl das völlig unterschiedliche Dinge sind. Manchmal werden sogar alle zu „illegalen Flüchtlingen gemacht.

Weil es natürlich nicht um diese Einteilungen geht, sondern nur um Rassismus. Es geht um Hautfarbe. Denn sie meinen nicht Russlanddeutsche, sie meinen nicht Europäer, die hier wohnen. Sie meinen nicht amerikanische Touristen. Sie meinen nicht weiße, christliche Flüchtlinge. Denn sie meinen Dunkelhäutige Menschen. Die AfD versteckt das nicht einmal mehr:

Alle aktuellen Fälle, in denen ein Nichtdeutscher eine schreckliche Tat begangen hat, werden herausgepickt und nur diese. Dann wird Empörung und Trauer geheuchelt und Merkel ist Schuld. Alle Taten von Deutschen werden verschwiegen. Mit diesen plastischen Einzelfällen macht man dann Stimmung. Das habe ich heute morgen entlarvt, denn in den letzten zwei Tagen gab es viele Getötete (Hier).

Dazu erzählen sie einem, dass man „sich nicht mehr auf die Straße traue“, weil Deutschland angeblich so unsicher geworden ist. Natürlich wegen der „Dunkelhäutigen“. Dann kann man diesen Mythos schön mit Zahlen entlarven, wie ich es vor kurzem gemacht habe (Hier). Denn Deutschland ist so sicher wie seit 1992 nicht mehr. Auch die Zahl der Tötungsdelikte ist weiter zurückgegangen. Dann müssen sie nach weiteren Rechtfertigungen für Rassismus suchen.



Die proportionalität!

Weil Straftaten in den Polizeistatistiken natürlich nicht nach Hautfarbe aufgeführt werden, müssen sie für diese Rechtfertigung auf zwei Kategorien zurückgreifen. „Nichtdeutsche“ und „Zuwanderer“ (gemeint ist damit in der Statistik anerkannte Schutzsuchenden, Asylbewerber, Menschen mit subsidären Schutz und abgelehnte Asylbewerber, mehr dazu später) Fangen wir mit den „Nichtdeutschen“ an. Da hat uns der Tagesspiegel einen Bärendienst auferlegt.

Der hat die Milchmädchenrechnung gemacht, dass 11,5% der Menschen mit Wohnsitz in Deutschland für 34,5% aller Tatverdächtigen verantwortlich seien. Für Rassisten endet die „Diskussion“ damit hier. Glück gehabt, Deutschland ist zwar nicht unsicherer, es werden nicht mehr Tötungsdelikte begangen, aber die „Ausländer“ sind im Schnitt krimineller, also hatte man mit seinem Rassismus Recht! Doch das ist auch Blödsinn. Denn es gibt nun mal auch viel mehr Nichtdeutsche als Deutsche, nicht? Also, auf der Welt.

Das klingt jetzt erstmal bescheuert, aber es gibt einen guten Grund, warum das BKA mit voller Absicht, nicht die „Tatverdächtigenbelastungszahlen“ für Nichtdeutsche berechnet. Weil sie nicht ermitteln können, wie viele der Nichtdeutschen, die in Deutschland Straftaten begangen haben Touristen, Geschäftsreisende, Besucher, Grenzpendler, Diplomaten, Stationierte usw sind oder sich hier unerlaubt aufhalten.

Das ist beispielsweise für den Täter von Frankfurt sehr relevant, weil dieser als Beispiel aufgezählt wird. Dabei ist er weder illegal nach Deutschland gereist, noch hier anerkannter Flüchtling, sondern in der Schweiz, noch in Deutschland sesshaft, hat aber seine Tat hier begangen. Er fließt in die Statistik ein, gehört aber nicht zu den „hier lebenden Ausländern“. (Danke an Tobias Wilke!)

Die meisten Nichtdeutschen Ausländer sind Europäer

Es gibt in Deutschland sogar 1,5 Millionen Nichtdeutsche OHNE Migrationshintergrund. Von den knapp 10 Millionen in Deutschland lebenden Nichtdeutschen sind 4,3 Millionen EU-Ausländer, 2,8 aus dem sonstigen Europa, 2 Millionen aus Asien. Aber komischerweise werden alle deren Straftaten nur bestimmten Personengruppen zugeschoben. „Dunkelhäutigen“.

„Migrationshintergrund“ ist auch Blödsinn, dazu habe hier mal mehr geschrieben. Du könntest auch darauf hinweisen, dass in Österreich Deutsche weniger als 2% der Bevölkerung ausmachen, aber dafür 4% aller Tatverdächtigen ausmachen. Oh, neigen Deutsche vermehrt zu Kriminalität? Das gleiche Spiel kannst du zum Beispiel mit allen Berlinern spielen. Die sind im Schnitt auch krimineller. Was ist damit bewiesen?

91 Getötete, 607 Vergewaltigungen und sie sind überdurchschnittlich kriminell!

Dann kommen wir mal zu den „Zuwanderern“, zu denen hat das BKA auch die Tatverdächtigen extra ausweist. Deren absolute Zahl an Straftaten ist zwar gesunken, aber sie sind „überdurchschnittlich“ kriminell! Warum das erstmal nichts heißt, habe ich schon erklärt. Aber hier vergleicht man auch Äpfel mit Birnen. Denn nicht Hautfarbe ist für die Anfälligkeit zur Kriminalität entscheidend. Sondern der Penis.

AM KRIMINELLSTEN SIND IMMER JUNGE MÄNNER OHNE PERSPEKTIVE

Wie kriminell ein Mensch ist, hängt nicht damit zusammen, was er für eine Hautfarbe hat. Was nachweislich für Kriminalität relevant ist, sind nun mal das Geschlecht, sprich: Männlichkeit (75% aller Tatverdächtigen der PKS, bei Gewaltkriminalität sogar 86 Prozent und bei Vergewaltigung fast 99 Prozent!), Alter und soziale Situation (ob du arm bist, Arbeit hast, soziale Perspektiven, etc.).

Und demzufolge müssen „Zuwanderer“ rein statistisch gesehen schon krimineller sein, weil ihr Anteil an sozial schlechter gestellten Männern zwischen 20 und 40 größer ist als in der durchschnittlichen deutschen Bevölkerung12% der Deutschen sind zwischen 20 und 40 und männlich. Bei Asylbewerbern liegt der Anteil an Männern im Alter zwischen 18 und 40 bei 30,8%. Unter den Deutschen ist jeder 5. Rentner, bei Asylbewerbern sind es gerade mal 1%. (Stand: 08/17; Deswegen sind übrigens tatsächlich nur weniger als 1/3 der Asylbewerber „junge Männer“, mehr dazu).

Was der dritte der drei stärksten Faktoren ist, die zu Kriminalität führen, ist soziale Stellung und Perspektive: Armut, unsichere Zukunftsaussichten und Perspektivlosigkeit. Asylsuchende haben eine von Krieg verwüstete Heimat verlassen, und dürfen nach der langen Reise nach Europa erst einmal in einem engen Asylbewerberheim unterkommen, zunächst nicht arbeiten und wissen nicht, was mit ihnen passieren wird. Deswegen fällt die Anzahl der Tatverdächtigen, sobald sie Asyl bekommen auf nur 1,9%! Damit sind sie sogar weniger kriminell als Deutsche!

(10.511 Tatverdächtige von 550.411 International/national Schutzberechtigten und Asylberechtigten) 

DEUTSCHE MIT ÄHNLICHEM GESCHLECHT, ALTER UND SOZIALER STELLUNG SIND GENAU SO KRIMINELL

Wie man sieht, werden hier also Äpfel mit Birnen verglichen, denn wenn man die Faktoren Alter, Geschlecht und soziale Perspektive herausrechnet, gleicht sie sich den Deutschen an. Das BKA schreibt dies selbst:

„Diese Ergebnisse dürften „nicht mit der tatsächlichen Kriminalitätsentwicklung gleichgesetzt werden. Sie lassen auch keine vergleichende Bewertung der Kriminalitätsbelastung von Deutschen und Nichtdeutschen zu. Einem wertenden Vergleich zwischen der deutschen Wohnbevölkerung und den sich in Deutschland aufhaltenden Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit stehen (auch) das doppelte Dunkelfeld in der Bevölkerungs- und in der Kriminalstatistik sowie der hohe Anteil ausländerspezifischer Delikte und die Unterschiede in der Alters-, Geschlechts- und Sozialstruktur entgegen.“

Und nur um es nicht ausgelassen zu haben: Es handelt sich um Tatverdächtige, nicht um Täter. Da nur 57,1%  aller Straftaten aufgeklärt worden sind, wissen wir bei etwas weniger als der Hälfte aller dieser Fälle nicht, ob der jeweilige Tatverdächtige auch der Täter war, weswegen wir vorsichtig mit diesen Zahlen sein müssen. Insbesondere da eben aufgrund rassistischer Vorurteile nachgewiesener Maßen Ausländer häufiger angezeigt und verdächtigt werden.

Und kommen wir zum letzten verzweifelten versuch, den Rassismus zu verteidigen

An diesem Punkt angekommen wird der letzte Versuch unternommen, den Rassismus und die Vorurteile zu verteidigen: Wären diese Menschen gar nicht erst in Deutschland, wären diese Straftaten gar nicht erst passiert. Deutschland soll deswegen seine Grenzen schließen und sich am besten vollkommen hermetisch abriegeln, damit wir uns in Ruhe selbst gegenseitig umbringen können, ohne dass „Nichtdeutsche“ daran beteiligt sind. Ich habe offensichtlich hier übertrieben, um die Absurdität aufzuzeigen. Leider ist das eine reale Argumentation.

Nach der Logik sind alle Nichtdeutschen und Flüchtlingen nur erlaubt, wenn kein einziger von ihnen jemals eine Straftat verübt. Dass überschlagen 98% aller Menschen, egal welcher Hautfarbe und Nationalität in Deutschland heutzutage nie tatverdächtig werden, spielt keine Rolle. ALLE Nichtdeutschen und Flüchtlinge müssen das Land verlassen, weil einige von ihnen Straftaten begehen könnten. Dass das absurd ist, muss man sich nicht extra ausmalen. Aber es ist auch die absurde Unterstellung, dass Morde von Deutschen anscheinend kein Problem sind, gegen welches man etwas unternehmen müsste, oder?

Deutsche begehen immer noch die meisten Morde, Vergewaltigungen und Straftaten allgemein. Wenn man am Wohlergehen aller Menschen interessiert ist, sollte man doch dafür sorgen, dass so wenig Menschen wie möglich Opfer werden. Und warum sollte man sich da auf die Gruppe konzentrieren, die die weniger Straftaten begeht? Warum keine Lösungen suchen, die die wirklichen Ursachen bekämpft? Warum tut die AfD nichts gegen deutsche Mörder?

unrealistische lösungen

„Abschiebungen“ rufen und auf die „Willkommenskultur“ zu schimpfen ist nicht die Lösung, um die Straftaten zu verringern. Sondern die Straftaten sind die vermeintliche Rechtfertigung für diese rassistischen Forderungen. Denn wenn wir natürlich alle Nichtdeutschen und mit Migrationshintergrund aus dem Land werfen würden (Ich will ja keine Nazi-Keule bringen, aber was hat Hitler nochmal versucht? Wofür war der Arierausweis gut?), verüben Deutsche immer noch Straftaten. Wie will man die verringern? Nach der Logik könnte man das Kinderkriegen verbieten, weil es potentielle Mörder werden könnten. Wer sich um Sicherheit sorgt und deutsche Straftäter verschweigt, lügt.

Tatsächlich führt Familiennachzug und Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für Asylsuchende dazu, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sie straffällig werden, drastisch sinkt. Wer Familie hat, treibt sich nicht so oft in alkoholisierten Männergruppen herum. Wer arbeitet, kann sich integrieren und muss nicht Stehlen. Mehr Plätze in Psychiatrien und Betreuung von psychischen Krankheiten könnte nicht nur nichtdeutsche Täter verhindern, sondern alle Täter, die deswegen zu Gewalt neigen.

Warum hört man von denen, die angeblich nur um die Opfer von Nichtdeutschen trauern, nicht solche Lösungen? Warum spricht die AfD nie von deutschen Mördern oder Tatverdächtigen?

Links: Realität, Rechts: AfD-Auswahl Mehr dazu (PKS = Polizeiliche Kriminalstatistik)

Weil es überhaupt nicht um Sicherheit geht. Kann es auch gar nicht, wenn alle Straftaten auf historischem Tiefstand sind und auch Mord und Totschlag weiter zurückgegangen sind. Ja, Nichtdeutsche sind überdurchschnittlich kriminell. Berliner auch. Junge, perspektivlose Männer begehen die meisten Straftaten, egal welche Hautfarbe sie haben. Damit ist auch nichts bewiesen. Außer, dass es Menschen gibt, die um jeden Preis versuchen, ihre rassistische Politik zu rechtfertigen.

Artikelbild: Aaron Amat, shutterstock.com