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Reichelt, Nüßlein, Löbel: Verschwörungsideologen verteidigen Korruption & Machtmissbrauch?

von | Mrz 10, 2021 | Aktuelles

Aluhüte verteidigen Korruption?

Nachdem Verschwörungsideolog:innen, extreme Rechte und Pandemie-Leugner:innen seit Monaten versuchen, ihre kruden Weltanschauungen dadurch zu rechtfertigen, dass sie dauernd irgendwelche Skandale oder Betrug der Regierung in Zusammenhang mit Corona und den Maßnahmen erfinden, könnte man meinen, die aktuelle Masken-Affäre der Union um Nüßlein, Löbel & Co., in der es um Korruption geht, wäre gefundenes Fressen. So erfand die AfD letzten Mai Vorwürfe gegen CSU-Chef Söder und seine Frau, dass sie angeblich direkt von der Maskenpflicht profitieren würden, was sich als falsch herausstellte (mehr dazu).

Zuerst einmal, worum es geht: Die Unions-Abgeordneten Löbel und Nüßlein (CDU und CSU respektive) traten beide aus ihren Parteien aus nach Vorwürfen der Korruption (Quelle). Löbel strich eine Provision von einer Viertelmillion Euro für Maskenverträge ein (Quelle). Ähnlich kurz zuvor: Nüßlein habe für Vermittlungstätigkeiten für einen Maskenhersteller eine Rechnung von 660.000€ gestellt – und keine Umsatzsteuer dafür angemeldet (Quelle). Laut SPIEGEL könnten sogar zwei dutzend weitere Abgeordnete involviert sein (Quelle). Und dann gab es noch den Fall mit Axel Fischer (CDU), der von dem Regime in Aserbaidschan dafür bezahlt worden sein soll, die deutsche und die europäische Politik in dessen Sinne zu beeinflussen (Quelle).

Und zufällig (ja, zufällig) zur gleichen Zeit wird bekannt, dass der Springer-Verlag intern (merken!) eine Compliance-Untersuchung gegen BILD-Chef Julian Reichelt unternimmt. Es geht um Vorwürfe des Machtmissbrauch und Fehlverhalten gegenüber Frauen (Quelle).

Jetzt endlich echte Fälle von Korruption & Machtmissbrauch – und was passiert…?

Wenn man als normaler Mensch erwarten würde, dass die Ideologie der Pandemie-Leugner:innen in sich stimmig wäre, muss man leider enttäuscht werden. Dass es jetzt seriöse Anschuldigungen und Fälle von Korruption gibt, wird natürlich oft genug auch ausgeschlachtet. So zum Beispiel von der AfD, die der Union ein „Korruptionsproblem“ bescheinigt – nur, um am Tag darauf mit Recherchen von Correctiv konfrontiert zu werden, in denen anonyme Spenden eines Milliardärs an die Rechtsextremen thematisiert werden (Quelle).

Das Problem für AfD & Co.: Da sie zuvor schon jede Fliege zum Elefanten gemacht hatten, können sie echte Fälle jetzt nicht mehr steigern. Für die in der eigenen Filterblase gefangenen Fans sind derartige Vorwürfe Alltag, sie können nicht erkennen, dass ihre Hetzpartei jetzt zufällig zur Abwechslung mal recht hat. Auch der Desinformationsblogger Reitschuster framte zunächst den „Ungeheuerlichen Verdacht“ für seine Blase, weil es ja in das kontinuierlich gebastelte Narrativ passte.

Dann ist aber etwas extrem Interessantes passiert. Diejenigen, die seit Monaten verzweifelt nach Korruption in den aktuellen Regierungsparteien im Zusammenhang mit Corona suchen, suggerieren plötzlich, dass jetzt echte Korruptionsfälle.. Fake seien. Wirklich wahr.

Zuvor: Verschwörungsmythos, dass es Korruption gab, Jetzt: Verschwörungsmythos, dass es keine Korruption gibt

Die Verschwörungsideolog:innen schaffen es wirklich, immer genau das Gegenteil dessen zu unterstellen, was glaubhaft ist. So war es zuvor auch bei der AfD zu Beginn der Corona-Krise. Sie verbreiteten solange (ironischerweise berechtigt) Panik um Corona, bis alle demokratischen Parteien die Gefahr auch erkannten. Nur um daraufhin eine 180-Grad-Wende zu machen und das Virus, das zuvor ganz sicher 10-mal so tödlich war wie Influenza, plötzlich wieder nur eine harmlose Grippe zu bagatellisieren.

Bei der Unions-Korruptionsaffäre ist es jetzt sehr ähnlich. Denn plötzlich fällt den Verschwörungsideolog:innen, die den Fall theoretisch ausschlachten könnten, auf, dass alle seriösen Medien plötzlich auch ihrer Meinung sind. Und vielleicht ihr konträres Alleinstellungsmerkmal wegfällt? In jedem Fall „entdecken“ sie jetzt, dass Nüßlein und Löbel beide zufällig für frühere Beendigung des Lockdowns plädierten als andere (Quelle, Quelle). Das ist aber nur die softeste Art der „Kritik“, wenn man eine „Exit-Strategie“ fordert, und einige Lockerungen, aber dafür mehr Maskenpflicht und sogar eine Testpflicht, wie Nüßlein Ende Januar.

Nein, anstatt dass man zum Beispiel die Verschwörungserzählungen spinnen könnte, dass Abgeordnete, die gerade viel Geld für die Produktion von Masken erhalten, ein Interesse darin hätten, dass das Virus noch weiter grassiert und deshalb früher öffnen wollten, passt das natürlich nicht in dem, was Rechtsextreme und Pandemie-Leugner:innen für die Realität halten. Nein, dann ist die Korruption für sie Fake. Ist ja auch voll untypisch für CDU-Abgeordnete.

„Treibjagd auf Lockdown-Kritiker“

Ideologe Reitschuster, der erst vor zwei Wochen titelte: „Ließ sich CSU-Politiker für Masken schmieren?“, setzt den Aluhut auf und vermutet im Falle Fischers, aber auch plötzlich Nüßleins und Löbels eine Verschwörung der CDU, um „Lockdown-Kritiker“ loszuwerden. Kein Scherz. In dem Artikel raunt Reitschuster, dass „nur die Presse“ es ist, die Löbel vorwirft, „sich mit Masken-Deals bereichert zu haben“. Die kognitive Dissonanz zu eigenen Schlagzeilen nur wenige Tage zuvor lasse ich mal unkommentiert. Und ja, er trat ja später aus. Inszenierte „Treibjagd“ also.. auf einen Schuldigen?

Wie konspirativ Reitschuster denkt, verrät er unfreiwillig selbst: „Neben Irmer geriet noch ein weiterer Abgeordneter ins Visier der Medien: Nikolas Löbel. Ich war sofort elektrisiert: Ist er auch ein Kritiker des Lockdowns?“ In einem weiteren Artikel steht, dass Abgeordnete der CDU, die „öffentlich Merkel bzw. ihren harten Lockdown-Kurs kritisierten“ „plötzlich an den Pranger gerieten“. Sie werden „politisch kaltgestellt“. Beweise dafür? Natürlich keine, das sind Verschwörungsmythen, man sammelt Indizien, die sich richtig anfühlen. Man spekuliert ja nur. Zwinker.

Reitschuster macht sogar den Move, den er immer bringt, um so zu tun, als handle es sich bei ihm doch um ein seriöses Medium: Ganz am Ende erwähnt er noch, dass die Vorwürfe gegen Löbel wohl auch ernstzunehmen sind, weil Löbel die Verfehlungen zugegeben hat. Das kommentiert Reitschuster aber plötzlich nicht, vermutlich in der Hoffnung, dass er sich so rausreden kann, dass er es ja nicht verschwiegen habe, aber dass seine Leser:innen nach zehn Paragraphen mit „dubios“, „Hetzjagd“ und „Pranger“ nicht erkennen, dass sie hier nur mit irreführendem Framing gefüttert werden. Wenn die Vorwürfe gegen Löbel Hand und Fuß haben, macht das Märchen mit „politisch kaltstellen“ irgendwie weniger Sinn, oder? Wenigstens schreibt Reitschuster transparent: „Ich kann Ihnen hier keine Wahrheit anbieten.“ Da sind wir uns einig.

Springer-Verlag jetzt auch Teil der linksgrünversifften Merkel-Verschwörung?

Dass lachhafte Narrativ, dass der großen linksgrünversifften Merkel-Verschwörung ein halbes Jahr vor dem Ende ihrer 16-jährigen Amtszeit auffällt, dass sie ja ihre (vermeintlichen) Kritiker:innen wie Nüßlein & Co. noch „politisch kaltstellen“ wollte, geht ja auch mit BILD-Chef Reichelt weiter. Die AfD im Tandem mit – wem sonst? – Reitschuster weiß: Kaum hat Reichelt als BILD-Chef mindestens seit 2015 gegen Merkel gehetzt, ermittelt der Springer-Konzern intern gegen ihn. ZUFALL?! Oder so.

Die Leute, die sonst Machtmissbrauch und Korruption unterstellen, sehen einen Fall mit Vorwürfen von Machtmissbrauch, und natürlich muss das Teil der Verschwörung sein. Was denn sonst. Reitschuster bringt das alles auch schön in einen Zusammenhang: „Ob Zufall oder nicht – die Wirkung der Affären ist klar: Jeder Unionspolitiker wird es sich künftig dreimal überlegen, Merkel und ihren Kurs zu kritisieren.“ Die geistige Gymnastik ist fast schon bewundernswert. Aber direkt im nächsten Absatz wird suggeriert, dass es bei Reichelt ähnlich ist: Kaum habe er letzte Woche (wieder mal) Merkel kritisiert, gibt es interne Ermittlungen. Ok?

Reitschuster nennt es „Stasi-Methoden“ und „Schon wieder so ein Zufall“. Womit er sagen will: Es ist definitiv kein Zufall. Wieder keinen einzigen Beweis, sondern nur Geraune. Genau so arbeiten Verschwörungserzähler:innen. Denn was will Reitschuster sagen? Dass der Springer-Konzern, der seit Jahren insbesondere mit BILD Merkels Regierung attackiert, plötzlich Teil der Merkel-Verschwörung ist? Das sind interne Untersuchungen nach Anschuldigungen eigener Mitarbeiterinnen. Alle von Merkel gekauft oder was?

Reichelt attackiert Lockdowns nicht erst seit letzter Woche. Und Merkel schon seit vielen, vielen Jahren. Übermedien hat letzten Mai erklärt, warum BILD Drosten so schlecht redet. Weil er mit Merkel und „ihrem Kurs“ assoziiert wird (Quelle). Weil BILD und Reichelt seit Jahren Merkels Politik angreifen. Und ein halbes Jahr vor dem Ende ihrer Amtszeit fällt ihr ein, ihn abzusägen? Genau. Reitschuster gibt sogar zu, dass die Vorwürfe ziemlich sicher älter sind als Reichelts letzte Tirade gegen den Corona-Gipfel. Er gibt sogar heimlich zu, dass es wirklich Zufall ist. Das ist die typische Täuschungsmethode von Reitschuster.

Wenn es die vermeintlich „eigenen Leute“ sind, dreht man seine Position um 180-Grad

Hier werden wilde Verschwörungsmythen gesponnen, die in sich gar keinen Sinn ergeben. Kein Wunder, dass Teile der AfD auch auf diesen Zug aufspringen. Verschwörungsideolog:innen Erika Steinbach und Maaßen verbreiten das unsinnige Geraune ebenfalls.

So kommt es, dass diese Leute sich konstant selbst widersprechen, Korruptionsfälle erfinden, wenn es ihnen passt und leugnen, wenn es nicht passt. Denn Menschen mit dieser Ideologie geht es nicht um konsequente Moralvorstellungen. Es geht darum, die immer gleichen Feindbilder aufrecht zu erhalten. Da wird Nüßlein zum „Lockdown-Kritiker“ umgedichtet, nachdem er Dinge gefordert hat, die an anderer Stelle als „Corona-Wahn“ bezeichnet werden könnten, nur um ihn als gezieltes Opfer zu inszenieren, von einem Korruptionsfall, den er eingesteht. Hat sich Nüßlein mit Absicht bestechen lassen müssen, weil er in einem Interview mal vage was gesagt hat, was sich wie Kritik an Lockdowns anhört?

Diese Menschen sind keine Streiter:innen für Wahrheit oder gegen Korruption. Das sind nur die Buzzwords, die dahinterstehende Ideologie und die immer gleichen, unflexiblen Feindbilder aufrecht erhalten sollen. Da werden Zusammenhänge suggeriert, für die es keinen einzigen Beleg gibt und die nicht mal Sinn ergeben, wenn man das ganze Bild hat. Aber sie beeinflussen ein ganzes, ideologisch abgeschottetes Milieu, das sich so immer weiter radikalisiert und von der Realität verabschiedet. Die Heuchelei ist zwar witzig, für die Demokratie kann so ein Fake-News-Ökosystem auf Dauer nicht gesund sein.

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Artikelbild: Bernd von Jutrczenka/dpa

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