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Mit diesen Taktiken versuchen rechte Trolle #ichbinhier anzugreifen

von | Aug 9, 2018 | Hintergrund, Politik, Social Media

Wie Counterspeech diskreditiert werden soll

Man muss eine Counterspeech-Initiative wie #ichbinhier nicht mögen. Es gibt mit Sicherheit Ansatzpunkte, die zu kritisieren sind. Wo liegt die Grenze zwischen Meinung, Kritik und Wut auf der einen Seite und Hetze, Herabwürdigung oder gar Rassismus auf der anderen Seite?

Oftmals wird Rassismus und Meinung verwechselt: Man wird ja noch sagen dürfen, dass ein Pferd, wenn es im Kuhstall geboren wird, noch lange keine Kuh ist! „Ich bin nämlich kein Rassist, aber…!“, sagen die Trolle. Am Arsch! Auch wenn man der Meinung ist, dass in Libyen nicht gefoltert wird, ist mit Gegenrede zu rechnen.



Die scheinbar einfachen Lösungen der rechten Hetzer

In den meisten Artikeln der letzten Wochen und Monate begegnen wir immer wieder einfachen Lösungen zu komplexen Themen. Kommentieren wir zu Schwerverbrechern und verteidigen sie vor Gewalt- bzw. Folterfantasien, verteidigen wir in den Augen der rechten Trolle nicht den Rechtstaat, sondern die Verbrecher. Verteidigen wir den Kapitän einer NGO, der in den entscheidenden Minuten Menschen vor dem Ertrinken gerettet hat, dann verteidigen wir in deren Augen einen Schlepper.

Geben wir zu bedenken, dass diese Thematik eben doch etwas komplexer ist, dann kriegen wir ständig die einfache Lösung präsentiert. Dass der nächste Hafen 20 km weit entfernt in Afrika liegt. Stürmen Menschen einen Zaun und wollen in die EU, dann verteidigen wir sie verbal vor den gewünschten echten Gewehrkugeln.

Zu einer Argumentation für oder gegen Zäune oder der kritischen Auseinandersetzung mit eben diesem Erklimmen der Zäune kommen wir nur selten. Letztes Beispiel: Die junge Schwedin, die eine Abschiebung verhindert hat. Auch hier gäbe es in einer Diskussion so viele Ansatzpunkte, über die ein Austausch möglich wäre.

Bedrohungen und Beleidigungen

Eine differenzierte Debatte ist kaum noch möglich. Stattdessen folgen Anfeindungen, der hämische dümmliche Facebook-Grinse-Smiley oder gar Beschimpfungen in persönlichen Nachrichten: Es wird der Selbstmord nahe gelegt oder es werden Vergewaltigungen gewünscht.

In letzter Zeit fallen vermehrt Vereinnahmungen des Hashtags #ichbinhier in völlig wirren, versucht-ironischen oder anklagenden Kommentaren auf. Die einen rufen sarkastisch nach #ichbinhier, wenn man über ein Verbrechen berichtet, an dem Ausländer oder Deutsche mit Migrationshintergrund beteiligt sind. Dort wird dann erklärt, dass wir Blut an den Händen haben und dass es unsere Schuld sei, weil wir ja für die Täter am Bahnhof geklatscht haben, und ob wir nun zufrieden seien, und dass wir das so bestellt hätten. Oder so.

„Wo sind die ganzen #ichbinhier-Leute? Integration fehlgeschlagen!“, „Was sagen diese #ichbinhier Schreihälse dazu?“

Absichtlich #ichbinhier falsch verstehen, False Flag

Dabei verstehe diese Trolle das Anliegen von #ichbinhier nicht: Es geht nicht darum Taten zu verurteilen. Diesen Schritt haben wir gedanklich schon hinter uns gebracht, denn natürlich steht immer das Opfer im Vordergrund. Das vergessen diejenigen allerdings selbst schnell, wenn sie pauschal verbal auf die Gruppe der Geflüchteten einprügeln. Deutschen mit Migrationshintergrund das Deutschsein absprechen, Folterfantasien niederschreiben und/oder den Rechtsstaat abschaffen wollen.

Die anderen versuchen #ichbinhier-Kommentare zu „imitieren“, indem sie suggieren, wir stellen uns an die Seite der Terroristen oder der Verbrecher. Beispiel gefällig?

„#ichbinhier und finde es gut das auch ehemaligen Terroristen in Deutschland eine 2. Chance gegeben wird. Hoffentlich lebt er sich in Deutschland gut ein. #keinMenschIstIllegal“. Naja.

Zensur und Moderation sind nicht das gleiche!

Viel erschreckender ist allerdings, dass einige Menschen nicht in der Lage sind zu erkennen, dass dieser Kommentar nicht ernst gemeint sein kann. Gut möglich wäre es natürlich auch, dass dieses kleine Empörungsspiel inszeniert ist. Lustig wird es dann, wenn sie sich gegenseitig vorwerfen, zu blöd zu sein, um Sarkasmus und Ironie zu erkennen.

Unsere Forderung auf der Vereinsseite an die Medien, besser oder überhaupt mal zu moderieren, nahmen einige Nutzer*innen und vor allem Trolle zum Anlass, den Vorwurf an uns zu formulieren, wir würden „Zensur“ fordern. Etliche Erklärungsversuche gab es immer noch keinen Konsens, dass Zensur und Moderation per Definition schon nicht dasselbe sein können!

Das Vereinnahmen oder Verächtlich machen ist eine uralte Taktik. Sie lehrt aber zum einen Demut, und zum anderen:

„Der Tadel des Feindes ist das schönste Lob, die Verleumdungen des Feindes die schmeichelhafteste Anerkennung.“ (Wilhelm Lienknecht)

oder

„Wenn mich meine Feinde loben, kann ich sicher sein, einen Fehler gemacht zu haben.“ (August Bebel)

Artikelbild: pixabay.com, CC0